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Rassen? Gibt's doch gar nicht! | Rechtsextremismus | bpb.de

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Rassen? Gibt's doch gar nicht!

Ulrich Kattmann

/ 10 Minuten zu lesen

Am Anfang des Rassismus steht die Einteilung der Menschheit in "Rassen". Zwar ist wissenschaftlich längst widerlegt, dass es so etwas wie Menschen"rassen" gibt, aber trotzdem halten viele weiterhin daran fest. Genetisch-biologisch spielt das Konzept also schon längst keine Rolle mehr – gesellschaftlich jedoch sehr wohl.

Neonazi-Aufmarsch "Tag der Deutschen Zukunft" am 6. Juni 2015 in Neuruppin. Einer der Teilnehmer trägt ein T-Shirt, das mit den "14 Words" des amerikanischen Rechtsextremisten David Lane bedruckt ist. Der Glaubenssatz ist unter Neonazis und Rassisten weit verbreitet. (© Recherche Nord)

Die Einteilung der Menschen in "Rassen" hat nach heutiger Erkenntnis keine wissenschaftlich begründete Grundlage. Und doch existieren "Menschenrassen" tatsächlich. Nicht als biologische Fakten, sondern als - unbewusste - Denkstrukturen und Urteile in unseren Köpfen. Die Vorstellung, dass es "Rassen" gäbe mit je unterschiedlichen Eigenschaften, prägt - sicherlich individuell unterschiedlich und vom Grad der kritischen Auseinandersetzung abhängig - gesellschaftliche Strukturen, individuelle Wahrnehmung und individuelles Verhalten. Diese Vorstellung ist also wirkmächtig in unserem Denken und sozialen Interaktionen. Und dies in dreifacher Hinsicht:

  • Das menschliche Denken tendiert dazu, zu vereinfachen. Um die Komplexität der Welt schnell erfassbar zu machen, werden Kategorien gebildet und Wahrnehmungen und Beobachtungen diesen Kategorien zugeordnet. Durch die Prägung unseres sozialen Umfelds übernehmen wir vorstrukturierte Kategorien: so werden beispielsweise Menschen in verschiedene Gruppen eingeteilt und gegeneinander abgegrenzt. Dies lässt wenig Raum für Übergänge oder Uneindeutigkeiten; es werden klare, an Kontrasten orientierte Grenzen gezogen. Welche Unterscheidungen wir treffen und welche Kategorien wir bilden, ist erlernt und nicht einfach gegeben.

  • Im Bezug auf Vorstellungen von "Rasse" führt solch typologisches Denken dazu, Menschen aufgrund äußerlicher Merkmale wie der Hautfarbe in angeblich homogene Gruppen wie "Schwarze", "Weiße" und "Gelbe" einzuteilen. "Rassen" meint man dann zu "sehen", obgleich es nur Menschen mit dunklerer oder hellerer Hautfarbe gibt. Die Namen beruhen auf einer von der Wirklichkeit stark abweichenden Typenbildung: "Weiße" sind nicht weiß, "Schwarze" nicht schwarz, "Gelbe" nicht gelb. Die Hautfarbe als Grundlage dafür zu nehmen, verschiedene Gruppen zu definieren, ist unsinnig und willkürlich, da sie wie andere genetisch bestimmte Merkmale des Menschen ein Kontinuum darstellt, also durch zahlreiche Übergänge gekennzeichnet ist. Außerdem variiert die Tönung der Haut innerhalb der Gruppen stark.

Einteilungen in "Rassen" waren und sind stets mit gesellschaftlichen und politischen Interessen verbunden. Daher werden äußerliche Merkmale wie "Hautfarben" mit angeblichen Wesensmerkmalen der Menschen verknüpft. Man ist dann davon überzeugt, dass "Rassen" unterschiedliche psychische, soziale und kulturelle Fähigkeiten haben und einige Menschen aufgrund ihrer "Rasse" anderen Menschen über- bzw. unterlegen sind – so werden z.B. Trennung (Segregation), Ausgrenzung und soziale Zurücksetzung (Diskriminierung) sowie Unterdrückung und Gewalt als "natürlich" legitimiert.

Die Entstehung des "Rasse"-Konzeptes muss in ihrem geschichtlichen und gesellschaftlichen Kontext verstanden werden. In der Epoche des Kolonialismus eroberten und unterwarfen europäische Großmächte weite Teile der Welt gewaltsam. Die Vorstellung von "Rassen" erfüllte eine wichtige ideologische Funktion, um die europäische Herrschaft und Expansion zu rechtfertigen. Das Selbstbild der Europäer (der "Weißen") als kulturell und "zivilisatorisch" überlegen sowie der kolonialisierten Menschen (der "Farbigen" oder "Schwarzen") als unterlegen diente der Legitimierung von Sklaverei, Vertreibung und Völkermord. "Rasse" ist damit – obwohl die Vorstellung auf keiner wissenschaftlich begründbaren Basis beruht – ein ernst zu nehmendes soziales Konstrukt.

Aufklärung über biologische und genetische Vielfalt der Menschen, wie sie in diesem Beitrag erfolgen soll, kann daher rassistisch motiviertes Denken und Handeln nicht einfach beseitigen. Sie verwehrt ihnen jedoch, sich auf wissenschaftlich belegbare Tatsachen zu berufen.

1. Die genetische Vielfalt der Menschen

Der traditionelle biologische Begriff der "Rasse" ist untauglich, die augenfällige Vielfalt der Menschheit angemessen zu erfassen. In der Biologie ist der Begriff "Rasse" bezogen auf den Menschen heute völlig überholt. Bei dieser Feststellung wird oft unterstellt, dass der Abschied vom "Rassen"-Konzept allein durch die historischen Belastungen und den verbrecherischen Missbrauch während des Nationalsozialismus begründet sei. Es gibt jedoch wesentliche biologisch-genetische Tatsachen, die den Rassenbegriff als ungeeignet ausweisen. Mit der Einteilung in "Rassen" lässt sich genetische Vielfalt der Menschen nicht angemessen beschreiben:

  • Viele der früher zur Unterscheidung von "Rassen" herangezogenen Merkmale variieren unabhängig voneinander. Beispielsweise sind Merkmale des Gesichts wie Nasen- und Lippenform nicht an die Tönung der Haut gekoppelt. Deshalb gibt es theoretisch zahllose mögliche "Rasseneinteilungen", je nachdem, welche Merkmale man heranzieht. Tatsächlich gibt es in der Wissenschaftsgeschichte der Biologie beinahe so viele "Rassen"-Einteilungen wie Wissenschaftler, die sich damit beschäftigt haben. Populär wurde die Einteilung nach Hautfarben, indem man fünf große Rassen (Weiße, Schwarze, Gelbe, Rote und Braune) unterschied oder die ersten drei als sogenannte Großrassen (Europäer, Afrikaner und Asiaten), die der deutsche Anthropologe Egon von Eickstedt mit den Namen "Europide", "Negride" und "Mongolide" bezeichnete und damit einen wissenschaftlichen Klang gab.

  • Die durchschnittlichen genetischen Unterschiede zwischen den als "Rassen" definierten Gruppen sind geringer als die zwischen den Individuen innerhalb der als Rasse aufgefassten Gruppe. Schon damit stellt sich die Einteilung in Rassen als willkürlich und sinnlos heraus.

  • Zwischen den "rassisch" unterschiedenen Bevölkerungen bestehen bruchlose Übergänge in der Verteilung genetischer Merkmale. Diese Übergänge kommen nicht durch Mischung ursprünglich unterschiedlicher "Rassen" zustande, sondern sind selbst als ursprünglich anzusehen. Scharfe Grenzen zwischen den Bevölkerungen waren nie vorhanden. Deshalb ist auch die traditionelle Einteilung in sogenannte "Großrassen" hinfällig, da die Menschheit schon immer auch über die Grenzen der Kontinente hinweg genetisch verbunden ist.

Innerhalb der biologischen Rassenkunde wurden Rasseneigenschaften von Beginn an mit kultureller Leistungsfähigkeit verknüpft. "Hochstehende Kulturrassen" sollten danach die Schöpfer der "Hochkulturen" sein. Der Biologe und Geograf Jared Diamond hat umfangreich belegt, dass diese These nicht zutrifft. Kulturelle Unterschiede beruhen nicht auf genetischen oder sonstigen biologischen Eigenschaften der Bevölkerung, sondern auf den biogeographischen Bedingungen der Umgebung. Die unterschiedliche Kulturentwicklung in verschiedenen geografischen Regionen ist darauf zurückzuführen, welche Wildpflanzen der jeweiligen Region geeignet waren, angebaut und welche Wildtiere geeignet waren, gehalten und gezüchtet zu werden. Die Entwicklung der Schriftkulturen war gebunden an den Anbau von Nutzpflanzen und die Züchtung von Haustieren. Diese Bedingungen waren im "Fruchtbaren Halbmond" Kleinasiens (heutige Türkei, Syrien und Irak) in idealer Weise gegeben, ebenso in China und Indien. Dies sind die Orte, an denen sich die ältesten Schriftkulturen und Staaten entwickelten. Hätte man die Bevölkerungen von Australien und Europa vor etwa 10.000 Jahren ausgetauscht, so sähen die Europäer und Euroamerikaner heute anders aus, die Kulturentwicklung und die Geschichte jedoch wären nicht wesentlich anders verlaufen. Es sind also nicht die genetischen Eigenschaften der Menschen, die Kultur schaffen: "Nicht Gene, sondern Kontinente machen Geschichte." (Diamond)

2. Rassismus und Kulturalismus

Der Abschied vom "Rasse"-Konzept hat das Problem des Rassismus bei Weitem nicht gelöst. Eine solche Annahme wäre naiv und gefährlich, da sie menschenverachtende rassistische Anschauungen und Handlungen bagatellisieren würde. Rassistisches Denken besteht auch fort, obwohl das "Rasse"-Konzept wissenschaftlich diskreditiert ist. Es kann sich in allumfassenden, staatlich getragenen Ideologien äußern – wie in jüngerer Geschichte beispielsweise in Südafrika während des Apartheid-Regimes – oder in alltäglichen, rassistischen Beschimpfungen und auch in möglicherweise positiv erscheinenden Aussagen, die dennoch Vorurteile und Stereotype reproduzieren ("Alle Schwarze können sehr gut tanzen"). Im ersten Fall würde man von institutionalisiertem Rassismus, im zweiten Fall von Alltagsrassismus sprechen. Auch die systematische Benachteiligung von Menschen aufgrund ihrer angenommenen oder wirklichen Herkunft auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Wohnungssuche ist eine beispielsweise in Deutschland zwar gegen das Gesetz verstoßende, aber dennoch weitläufig praktizierte Ausprägung von institutionellem Rassismus.

Rassismus beruht auf der Überzeugung, dass Menschen aufgrund bestimmter zugeschriebener Zugehörigkeiten unterschiedlich behandelt und bewertet werden können oder sollen. So wurde in der "Rassen"-Kunde der biologischen Anthropologie von Beginn an "höhere" und "niedere" "Rassen" unterschieden und dabei Rasse mit seelischen Eigenschaften sowie Kulturfähigkeit verknüpft. In den USA wurden darüber hinaus wirtschaftliche Unterschiede verbreitet zu "rassischen" gemacht und arme Menschen als eigene "Rasse" bezeichnet. Dies zeigt den gesellschaftlich-kulturellen Ursprung auch des angeblich biologisch begründeten Rassismus.

Inzwischen ist es eher selten, dass rassistische Aussagen oder Argumente rein biologistisch formuliert werden. Rassistisches Denken findet heute eher in Kategorien von "Kultur" seinen Ausdruck. "Kulturelle Unterschiede" werden als unüberwindbare Gegensätze zwischen Menschen dargestellt, einzelnen Kulturen werden feste Eigenschaften und Wesenszüge zugeschrieben. Diese Grenzziehungen, Wertungen und die Behauptung, unterschiedliche Kulturen seien nicht miteinander vereinbar, sind eine Weiterentwicklung biologistisch-rassistischen Denkens. Ein Beispiel ist die Kulturkreislehre, die Samuel Huntington in den 1990er Jahren mit seinen Thesen vom angeblich unausweichlichen "Kampf der Kulturen" wieder aktualisierte. Im Zuge dieses Denkens wird Religionszugehörigkeit als gleichsam "rassisch-geografische" Kategorie verwendet (christliches Abendland gegen islamischen Orient), um Bevölkerungsgruppen feindlich gegeneinander abzugrenzen. Neuerdings wird von der "christlich-jüdischen Kultur" gesprochen, um Europa vom Islam abzugrenzen. Dabei wird verkannt, dass alle drei monotheistischen Religionen – Judentum, Christentum und Islam – in gleicher Weise in Kleinasien wurzeln. Der kulturelle Informationsfluss ist bis in die Neuzeit hinein nicht vom Nordwesten Europas nach Südosten, sondern umgekehrt verlaufen. Ohne die muslimischen Gelehrten des Mittelalters würden die heute in Europa lebenden Menschen nicht einmal Aristoteles und Plato kennen.

Der politisierte und instrumentalisierte Gegensatz der Religionen bestimmt jedoch die Auseinandersetzung um die Identität des "christlichen" Europa und "muslimischen" Nahen Ostens. In denkerischer Akrobatik bringen manche deutsche Politiker sogar das Kunststück fertig, die Religion von den Menschen zu trennen, indem sie meinen, die hier lebenden Muslime gehörten zu Deutschland, nicht aber der Islam.

3. Überwindung rassistischen Denkens und Handelns

Nach sozialpsychologischen Untersuchungen bestimmt das Eigenbild einer Gruppe (eigene positive Eigenschaften) das Fremdbild (negative Eigenschaften) der "rassisch" oder kulturell als fremd empfundenen Gruppe. Fremdbilder sagen kaum etwas aus über Fremdgruppen, viel mehr aber über die Befindlichkeit der Eigengruppe. Um rassistische Feindbilder abzubauen, muss daher primär am Eigenbild angesetzt werden. Ohne dass sich die Einschätzung der eigenen Gruppensituation oder deren realen Lebensbedingungen (unabhängig von der Anwesenheit der als fremd Empfundenen) ändern, kann der Ablehnung des Fremden und dem Rassismus nicht angemessen begegnet werden.

Wenn das Bedürfnis nach feindlicher Abgrenzung gegenüber den Fremden vorwiegend aus Selbstentfremdung und Selbstunsicherheit entspringt, folgt daraus die grundlegende Konsequenz, dass die Frage der Menschen nach Identität und Zugehörigkeit zu einer Gruppe nicht gänzlich als ungebührlich abzuweisen ist. Vielmehr gilt es, ein selbstbewusstes und selbstsicheres Verständnis von der eigenen Gruppe zu entwickeln, das jedoch die Offenheit für das Fremde und die Fremden enthält und somit einer feindlichen Abgrenzung entgegenwirkt, weil sie ihrer nicht bedarf.

Fremdbild und Eigenbild: Da die Fremdbilder aus dem Eigenbild entspringen, sind sie austauschbar. Es nutzt also nichts zu versuchen, über eine bestimmte Fremdgruppe aufzuklären und sie von der Diskriminierung auszunehmen. Wird eine Gruppe nicht länger als fremd betrachtet, wird eine neue Fremdgruppe gesucht, auf die rassistische oder andere menschenfeindliche Vorurteile projiziert werden. Dies passiert, so lange das Selbstbild unangetastet bleibt. Der Austausch der Fremdgruppe ist allerdings nicht beliebig: Da das Bedürfnis nach Feindbildern durch eigene uneingestandene Unsicherheit hervorgerufen wird, werden meist diejenigen Gruppen gewählt, die jeweils als die schwächsten erscheinen: Asylsuchende, sozial diskriminierte Migranten, Menschen mit Behinderung. Immer trifft es Minderheiten, auch dann, wenn ihnen wie im Falle des Antisemitismus machtvolle Verbindungen und gefährliche Verschwörungen nachgesagt werden. Anstatt (nur) daran zu arbeiten, diskriminierende Wahrnehmung und Verhalten gegenüber einer bestimmten Gruppe abzubauen, muss das Bewusstsein der unterdrückenden oder diskriminierenden Gruppe in Bezug auf ihr Selbstbild verändert werden.

Eine hervorragende Eigenschaft des Menschen ist es, sich an die Stelle anderer versetzen zu können. Nahes und Fernes, Eigenes und Fremdes sind daher nach menschlichem Vermögen austauschbar – Fremdes und Fernes können jeweils ein Stück vom Selbstbild werden. Dass dies passiert, erfordert die beschriebene Bewusstseinsveränderung. Diese entsteht nicht von allein, vor allem wenn rassistische Vorurteile immer wieder politisch instrumentalisiert werden. Das Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft erfordert also wechselseitiges Lernen; es enthält Chancen und Risiken zugleich. Es kann zu gegenseitigem Nutzen glücken oder in zerstörender Gewalt enden.

Der Blick auf das Individuum. Während jeder Mensch sich, in doppeltem Sinne selbstverständlich, für einzigartig hält, werden andere Menschen der Einfachheit halber nach ihrer Gruppenzugehörigkeit beurteilt. In rassistischen Vorstellungen wird entsprechend mit Leichtigkeit vom Individuum abgesehen und stattdessen der Blick auf das Scheinbild von einer vermeintlichen Fremdgruppe gelenkt. Die Eigenschaften des Individuums aber könnten selbst dann nicht von Gruppeneigenschaften erfasst werden, wenn diese die für den Durchschnitt oder im Mittel zutreffen. Wie Zuschreibungen zu Gruppen pädagogisch zugunsten eines individuellen Blicks aufgebrochen werden können, soll folgendes Beispiel illustrieren.

"Das ist Gordon"

Eine Szene, die sich vor einiger Zeit in einem Kindergarten in Kiel abspielte: Die Betreuerin bringt ein neues Kind in die Gruppe. Es hat dunkle Haut und krause Haare. Die Kinder der Gruppe reagieren unsicher. Ein Mädchen zeigt auf den schüchternen Jungen und ruft: "Schaut mal, ein Neger". Die Erzieherin reagiert mit sicherem Gespür für die Situation: "Das ist kein Neger: Das ist Gordon!" Gordon wird daraufhin von der Gruppe sofort voll als Mitglied akzeptiert.

Wer sich an der heute nicht mehr politisch korrekten Rede des Kindes stört, sollte bedenken, dass politische Korrektheit selbst Erwachsene nicht davor bewahrt, in rassistischen bzw. vorurteilsbehafteten Kategorien zu denken, auch wenn sie dies nicht unbedingt in Worten zum Ausdruck bringen. Die Szene "Das ist Gordon" illustriert vielmehr, wie der Blick auf das Individuum das Schubladendenken in vorgeprägten rassischen Kategorien zugunsten der Einmaligkeit der Person von Gordon auflöst. Blickte das kleine Mädchen noch auf einen "Neger", so führte die angemessene Reaktion der Kindergärtnerin Gordon als Person in die Gruppe ein. Der Name lenkte den Blick auf das Individuum und stiftete so die persönliche, emotionale Beziehung.

In der gesellschaftlichen Wirklichkeit überdeckt dagegen das Miteinander bzw. Gegeneinander der Gruppen häufig die Wahrnehmung der Individuen und macht damit für rassistisches Denken anfällig. Ein Mittel, rassistisches Denken und Vorurteile im eigenen Denken zu begegnen, ist daher der Blick auf das Individuum. Das entspricht der Einsicht, dass man nicht nur selber einzigartig ist, sondern selbstverständlich auch andere, denen man (noch) als fremd gegenübertritt.

Kulturell und "rassisch" bestimmte Vorurteile und Vorbehalte sind nicht vorgegeben, sondern erlernt. Es kann daher gegen sie gelernt und umgelernt werden. Da das Eigenbild das Fremdbild bestimmt, sind das Äußern und Reflektieren der eigenen Vorurteile und Vorbehalte wichtige Schritte, das eigene Denken und Handeln nicht von ihnen bestimmen zu lassen.

"Rasse geht nicht unter die Haut", schreibt der Genetiker Richard Lewontin. Rassistische Vorurteile tun es.

Zum Weiterlesen:

Cavalli-Sforza, L.L. (1999). Gene, Völker, Sprachen. München.
Diamond, J. (1999). Arm und Reich. Das Schicksal menschlicher Gesellschaften. München.
Gould, S.J. (1988). Der falsch vermessene Mensch. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft. Berlin.
Kattmann, U. (Hrsg.). (2009). Vielfalt der Menschen. Unterricht Biologie (342).
Kattmann, U. (2013). Genes, race and culture. In M. Koegeler-Abdi & R. Parncutt (Eds.), Interculturality: Practice meets research. Newcastle upon Tyne.
Lewontin, R.C. u.a. (1988). Die Gene sind es nicht ... . Weinheim: BeltzPVU.
Kaupen-Haas, H. & Saller, F. (1999). (Hrsg.), Wissenschaftlicher Rassismus. Frankfurt/M.
UNESCO Stellungnahme zur Rassenfrage (Statement on Race).Stadt Schlaining 1995. (Deutscher und englischer Text verfügbar unter: Externer Link: www.staff.uni-oldenburg.de/ulrich.kattmann/32177.html).

Prof. Dr. Ulrich Kattmann ist Biologe und Anthropologe und lehrte viele Jahre an der Universität Oldenburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Rassimus und Rassenkonstruktion.