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Kameradschaften im Visier | Rechtsextremismus | bpb.de

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Kameradschaften im Visier

Michael Klarmann

/ 8 Minuten zu lesen

Mit dem Konzept der "Kameradschaften" glaubte die rechtsextreme Szene, staatlichen Verboten vorbeugen zu können. Doch nach dem Aufdecken des NSU mehren sich Verbote und Ermittlungen besonders gegen die Gruppen der "Freien Kräfte".

25. August 2012: In Düren versammeln sich rund 35 Neonazis, um gegen die "Kriegstreiber" aus "US-Israel" zu demonstrieren. (© Michael Klarmann)

Es ist eine Provokation, wie man sie von dem grobschlächtigen Neonazi-Skinhead gewohnt ist. Rund 35 Neonazis haben sich am 25. August 2012 im rheinischen Düren versammelt, um gegen die "Kriegstreiber" aus "US-Israel" zu agitieren. Versammlungsleiter ist René L., bis zum frühen Morgen des 23. August noch "Kameradschaftsführer" der "Kameradschaft Aachener Land" (KAL). Zwei Tage zuvor hatte der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) die KAL sowie Neonazigruppen in Dortmund und Hamm verboten. Der einschlägig vorbestrafte L. führt nun als Moderator durch die antisemitische "Mahnwache". Zum KAL-Verbot äußert sich der 32-Jährige nicht konkret, richtet allerdings einen "Gruß" an Jäger aus und ergänzt via Mikrophon: "Trotz Verbot sind wir nicht tot!"

Jäger hatte zwei Tage zuvor von einem "harten Schlag" gesprochen, den sein Ministerium der Neonazi-Szene in Nordrhein-Westfalen (NRW) "versetzt" habe. Die Behörden hätten "drei große Löcher in das rechtsextremistische Netzwerk in NRW gerissen". Strukturen seien zerschlagen worden. Stunden vor diesen Aussagen hatte Jäger die KAL, den "Nationalen Widerstand Dortmund" (NWDO) und die "Kameradschaft Hamm" verboten und aufgelöst. Bei der Großrazzia hatten rund 900 Polizisten fast 150 Objekte in über 30 Städten durchsucht. Vermögen und der Besitz der nach dem Vereinsgesetz als Vereine eingestuften Gruppen wurden beschlagnahmt, darunter auch der "Kameradschafter"-Bus des NWDO, ein VW-Transporter. Auch das "Nationale Zentrum" in der Rheinischen Straße 135 in Dortmund, für Jäger das "Vereinsheim" des NWDO, wurde durchsucht und geschlossen. In den Räumen fanden Treffen, Schulungen und Vorträge statt.

Sichergestellt wurden bei den drei Gruppen auch Datenträger, Propagandamittel, NS-Devotionalien und 147 Waffen oder waffenähnliche, gefährliche Gegenstände. Im NWDO-Zentrum wurden außerdem rund 1.000 Plakate der NPD aufgefunden. "Dies zeigt, welch enge Verflechtungen innerhalb dieser Neonaziszene bestehen," kommentierte Jäger den Fund. In Dortmund standen seinerzeit außerplanmäßige Kommunalwahlen an, offenbar hatten die Neonazis für die NPD plakatiert. Im Zuge der Verbote wurde auch die Gründung etwaiger Ersatzorganisationen untersagt, zudem sollen weiter bestehende regionale Neonazi-Banden beobachtet werden. Sollte ehemalige Mitglieder der verbotenen Gruppen in diese eintreten, würde dies zum Verbot auch der anderen Gruppen führen.

Militanz und ein offen nationalsozialistisches Auftreten

Grund für das Verbot der KAL, des NWDO und der "Kameradschaft Hamm" war nicht nur deren teils offen nationalsozialistisches Auftreten, sondern ebenso ihre Militanz gegenüber Nazigegnern, Ermittlern, Parteien und Behördenvertretern. Gewaltsame Übergriffe, Sprühaktionen, eingeworfene Scheiben in Parteibüros und Gaststätten oder Wohnungen und Fahrzeugen, in Aachen gar eine Paketbombenattrappe vor dem linken "Autonomen Zentrum" sowie Sprengstoff-Basteleien von Personen aus der KAL und ihrem engeren Umfeld. Aus der 66-seitigen Verbotsverfügung des NRW-Innenministeriums geht hervor, dass zwischen dem 1. Januar 2008 und dem 1. Juni 2012 gegen KAL-Mitglieder 589 Strafverfahren eingeleitet wurden. Bezüglich der "Kameradschaft Hamm" und des NWDO werden in den jeweiligen Verbotsverfügungen keine solchen konkreten Angaben dazu gemacht.

Wochen später reichten Neonazis vor dem Oberverwaltungsgericht Münster mehrere Klagen gegen die Verbote ein. Bei den meisten Klagen wenden sich Einzelpersonen gegen ihre Einbeziehung in die Verbotsverfügungen. Zur Begründung machen sie geltend, gar kein Mitglied der entsprechenden "Kameradschaft" zu sein. Darüber hinaus klagen Vertreter der KAL und des NWDO auch generell gegen die Verbote. Führungskader des NWDO und der "Kameradschaft Hamm" suchten zudem neue Wege für das Beibehalten von Strukturen. Sie gründeten am 15. September 2012 in Dortmund einen NRW-Landesverband der Partei "Die Rechte". Besagte Führungskader bilden nun Teile des Landes- und Bundesvorstandes von "Die Rechte".

Die Splitterpartei wurde erst Mitte 2012 gegründet, Bundesvorsitzender ist Christian Worch, der einst das Konzept der "Kameradschaften" mit entwarf. Der Verdacht liegt also nahe, dass die Neonazis versuchen, unter der Rechtsform einer Partei – die deutlich schwerer zu verbieten ist als ein Verein – neuen Schutz zu suchen. Eine solche Strategie liegt der KAL fern. Wenige Stunden nach dem Verbot publizierte die Gruppe auf ihrer Homepage – sie liegt auf einem Server im Ausland – einen höhnischen und offen drohenden Kommentar: "Wir sind verboten. Na und?" Man bleibe auch ohne Gruppenstatus weiter aktiv und werde künftig "viele Aktionsformen" nutzen. Die Mitglieder würden nun "alle schön verstreut" und "versprengt" aktiv sein, "und niemand hat mehr die Kontrolle über die einzelnen Akteure. [...] Willkommen im Chaos. Viel Spaß damit!"

"Kameradschaften", "Freie Netze" – Organisationen ohne Organisation?

Seit November 2011 gehen die Behörden stärker gegen braune "Kameradschaften", "Freie Netze" oder "Aktionsbüros" vor. Anlass dafür war das Bekanntwerden der mutmaßlichen Mörderbande "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU). Entstanden war der NSU aus dem Neonazi-Verbund "Thüringer Heimatschutz" (THS), eine Art Überbau für "Kameradschaften" in Thüringen. Dem THS gehörte auch die "Kameradschaft Jena" an, aus der die NSU-Kerntruppe stammte. Dem THS hätten Ende der 1990er Jahre "rund 120 Personen" angehört, so der Bundesverfassungsschutzbericht für das Jahr 2011.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz beziffert die Zahl der Neonazis im Jahr 2011 auf rund 6.000, gegenüber 2010 ein Anstieg von 400 Aktivisten. Das Amt geht davon aus, dass die Neonazi-Szene zwar Vernetzungsstrukturen aufrecht erhält, aber erkennbare Organisationsstrukturen weiter zurück gehen. Zwischen den Zeilen liest man aus dem Bericht heraus, dass die Behörden zwar seit Jahren das taktische Konzept der "Kameradschaften" kennen, genaue Angaben über die Strukturen jedoch kaum verlässlich zu verifizieren sind. So publiziert der Bundesverfassungsschutz für das Jahr 2011 auch keine Zahlen darüber, wie viele "Kameradschaften" und ähnlich agierende Neonazi-Gruppen es bundesweit gibt.

Das Konzept jener "Kameradschaften" respektive Neonazi-Netzwerke entstand in den 1990er Jahren. Vorangegangen waren zahlreiche Verbote bundesweit aktiver Neonazi-Organisationen. Angesichts dieses bundesweiten Desasters für die Szene schufen Führungskader den Weg der "Organisation ohne Organisationen", wie Thomas Wulff, Mitbegründer jener selbst ernannten "nationalen Bewegung" es nannte. Wulff entwarf gemeinsam mit Thorsten Heise und Christian Worch ein Konzept, demzufolge künftig lokale "Kameradschaften" ohne Mitgliederlisten und ohne rechtliche Strukturen aktiv sein sollten.

Vernetzt werden sollten sie durch Führungskader und "Aktionsbüros". Man nannte sich fortan "Freie Kameradschaften", "Freie Nationalisten" und "Freie Kräfte". Doch von Anbeginn an trat man öffentlich durch gemeinsame Aktionen und Aufmärsche in Erscheinung. Mangels herkömmlicher Organisationsstrukturen wähnte man sich jedoch als fast unangreifbar durch staatliche Maßnahmen oder Verbote. Dennoch wurden einzelne solcher Gruppen wiederholt verboten. Und obwohl sich die "Freien Kräfte" als parteiungebundene Neonazis verstehen, kam es zu engen Kooperationen mit der NPD. (Siehe dazu und zum Konzept der "Kameradschaften" auch: Kameradschaften als Strategieelement)

Diese Kooperation kühlte 2008 merklich ab. So fand am 27. Dezember 2008 im sächsischen Borna eine Art Bundestreffen von Neonazi-Führungskadern statt. Es wurden Strategien, Aktionen sowie der Umgang mit der NPD diskutiert. Ein sich abzeichnender, scheinbürgerlicher Kurs der NPD, wie unter dem heutigen Parteichef Holger Apfel angestrebt, wurde von den "Freien" dabei abgelehnt. Es sollen führende Neonazis aus sechs Bundesländern anwesend gewesen sein, darunter auch zwei Personen, die 2011 im Zuge der Ermittlungen zur NSU in den Verdacht gerieten, die Terrorgruppe unterstützt zu haben

Mitglieder der Kameradschaft Aachener Land bei einer Demo. (© Michael Klarmann)

Kameradschaften im Visier der Ermittler

Es verwundert also nicht, dass seit dem Bekanntwerden des NSU die Behörden stärker gegen "Kameradschaften" und Neonazi-Gruppen vorgehen. Einerseits kam es zu Verboten, andererseits wurde gegen Gruppen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgegangen. Einige Gruppen lösten sich auch auf, offenbar, um einem Verbot zu entgehen. So löschten die "Nationalen Sozialisten Wuppertal" (NaSoWpt) Ende August 2012 ihre Homepage, kurz darauf kursierte der Name einer bis dahin nicht öffentlich in Erscheinung getretenen "Ragnarök Crew Wuppertal". Möglicherweise der Versuch, dem Verbot der extrem gewaltbereiten NaSoWpt vorzubeugen. Anfang September löschte dann auch das "Netzwerk Münsterland" alle Beiträge von seiner Homepage und verkündet dort nur noch seine "Auflösung".

Schon im März 2012 fand nach langen Ermittlungen eine groß angelegte Polizeirazzia gegen mutmaßliche Mitglieder des "Aktionsbüros Mittelrhein" (ABM) mit Schwerpunkt in Rheinland-Pfalz und NRW statt. Im April kam es zu einer Razzia gegen den "Freundeskreis Rade" (FK Rade), eine Neonazi-Gruppe in Radevormwald, in der "Autonome Nationalisten" mit guten Kontakten zu den NaSoWpt im Alter von 15 bis 25 Jahren aktiv waren. Die Ermittlungen richteten sich jedoch auch gegen den zum Zeitpunkt der Razzia Vorsitzenden der Radevormwalder Ratsfraktion der Partei "Bürgerbewegung Pro NRW", sowie gegen zwei Mitglieder des "FK Rade", die zuvor für "Pro NRW" als sachkundige Bürger städtischen Ausschüssen angehörten. Gefunden wurden bei der Razzia auch Waffen. "FK Rade"-Mitglieder waren im Oberbergischen Kreis extrem gewalttätig gegen Migranten, Nazigegner und Polizisten vorgegangen.

Im Mai 2012 folgte das Verbot der "Kameradschaft Köln", an deren Spitze der Neonazi Axel Reitz stand. Besagte "Kameradschaft" trat auch unter dem nach einem Kölner SA-Mann benannten Namen "Kameradschaft Walter Spangenberg" auf, firmierte aber auch als "Freie Kräfte Köln" (FKK) und "Freies Netz Köln" (FNK). Im Juni wurden die "Spreelichter" von Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke (SPD) verboten. Das Netzwerk trat auch unter dem Namen "Widerstandsbewegung in Südbrandenburg" auf. Im September verbot der niedersächsische Landesinnenminister Uwe Schünemann (CDU) die Neonazi-Gruppe "Besseres Hannover".

Das Klima der Angst des "Aktionsbüros Mittelrhein"

Seit dem 20. August 2012 müssen sich 26 Neonazis im Alter zwischen 19 und 54 Jahren vor dem Landgericht Koblenz verantworten, darunter auch Sven S., ein Neonazi-Netzwerker aus Düsseldorf. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten die Mitgliedschaft in der kriminellen, verfassungsfeindlichen Vereinigung "Aktionsbüro Mittelrhein" (ABM) beziehungsweise Unterstützung desselben vor. Laut Anklage war ihr Ziel die Gründung eines Staates nach Vorbild des Naziregimes. ABM-Mitglieder und -Sympathisanten attackierten demnach politische Gegner und sammelten deren Daten zwecks Durchführung von Vergeltungsaktionen. Das ABM steht damit exemplarisch für den Sinn und Zweck einer vernetzt agierenden "Kameradschaft".

Allein die Hauptakten zum Verfahren umfassen über 12.000 Seiten. Die Anklageschrift umfasst 926 Seiten. Die Vorwürfe reichen dabei von Gewalt gegen Nazigegner bis zu versuchten Brandanschlägen auf deren Autos. Einige Angeklagte sollen zwischen 2009 und 2011 an Gewalttaten gegen Mitglieder der linken Szene etwa in Wuppertal und Remagen beteiligt gewesen sein. Es sollen mithilfe der ABM-Mitglieder ferner bei rechten Aufmärschen in Dresden Reisebusse von Gegendemonstranten sowie ein linkes Wohn- und Kulturprojekt mit Steinen und Fahnenstangen angegriffen worden sein.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft sollte jedoch besonders im der Region Bad Neuenahr-Ahrweiler ein "Klima der Angst" geschaffen werden. Darüber hinaus soll das ABM Angehörige der linken Szene – aber auch Journalisten – systematisch ausspioniert und deren Daten für Vergeltungsaktionen gesammelt haben. Zudem seien Aussteiger aus der rechten Szene angegangen worden. Angeklagt sind die Männer nun unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, schwerem Landfriedensbruch und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.

"Das Ziel war die Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung," sagte Oberstaatsanwalt Walter Schmengler. Dies sollte in einem gemeinsamen Kampf erreicht werden. Zu Prozessbeginn hatte Harald Kruse, Leiter der Staatsanwaltschaft Koblenz, erklärt, seine Behörde sei optimistisch, zudem darlegen zu können, dass das ABM eine hierarchische Organisationsform gehabt habe. Kruse sprach von einer "gestuften Verantwortlichkeit" innerhalb der Gruppe. Einige ABM-Mitglieder sollen ferner laut Anklage paramilitärisch ausgebildet worden sein. 17 der 26 Angeklagten saßen zu Prozessbeginn noch in Untersuchungshaft, weniger schwer belastete "Kameraden" und solche, die gegenüber den Behörden Aussagen machten, waren im August 2012 nicht mehr inhaftiert.

Laut Ermittler soll das ABM nicht nur der internen Vernetzung gedient haben, sondern sporadische Treffen von Führungskadern einiger Neonazigruppen aus dem Rheinland und dem nördlichen Rheinland-Pfalz abgehalten haben. Ausgerichtet wurden diese Treffen im Stützpunkt des ABM, den man in der Neonazi-Szene selbst "Braunes Haus" nannte. Als das ABM zu Silvester 2011 "Kameraden" mit einem Flyer einlud, war auf diesem nach dem Auffliegen der Zwickauer Zelle zu lesen: "2 Jahre Braunes Haus [...] Jetzt knallts richtig". Die Buchstaben N, S und U waren in den Worten "Braunes Haus" farblich hervorgehoben.

Bis zur Razzia im März 2012 galt das kleine Mietshaus in Bad Neuenahr-Ahrweiler als ABM-Hauptquartier. Finanziert haben soll sich die Gruppe über Partys und den Verkauf von T-Shirts, Hemden und anderen Artikeln. Geld soll aber auch durch Spenden eingenommen worden sein. Damit diese steuerlich absetzbar waren, soll das Geld laut Anklage zum Teil über ein Konto der NPD geflossen sein. Einer der Angeklagten ist Sven L., bis zu seiner Inhaftierung der Koblenzer NPD-Kreisvorsitzende. Und auch andere Angeklagte sollen Mitglieder der rechtsextremen Partei sein.

Michael Klarmann lebt und arbeitet als freier Journalist in Aachen. Arbeitsschwerpunkt: rechtsextreme Szene, insbesondere die im Bereich Aachen, Düren, Heinsberg, NRW. Er ist Referent für die Themen: regionale Szene, Forendiskussionen, Zeichen, Kleidung, Musik der Neonazis.