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Jüdische Weltverschwörung, UFOs und das NSU-Phantom | Rechtsextremismus | bpb.de

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Jüdische Weltverschwörung, UFOs und das NSU-Phantom

Johannes Baldauf

/ 11 Minuten zu lesen

Verschwörungstheorien haben Konjunktur. Konspirative Erklärungsmuster eignen sich immer dann, wenn Komplexität nicht leicht nachvollziehbar ist. Das Massenmedium Internet hat vielen dieser Theorien zum Einzug in den Mainstream verholfen – auch solchen, die ihren Ursprung im rechtsextremen Spektrum haben.

Teilnehmer eines Aufmarsches der rechtsextremen NPD demonstrieren 2006 in Hamburg mit einem Transparent auf dem "Fuck ZOG (Zionist Occupied Government), Fuck the USA, Fuck the System" steht. (© Roland Magunia/ddp)

Alles, was wir gelernt haben oder zu wissen glaubten, ist falsch: Der Holocaust hat nie stattgefunden, Rudolf Heß sich nicht selbst umgebracht. Er wurde ermordet. Die Elite der Nazis lebt am Südpol und bereist von dort aus mit Flugscheiben die Welt und andere Planeten, der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) ist eine Erfindung der Geheimdienste, 9/11 von der amerikanischen Regierung inszeniert. An allem, jedenfalls, sind die Juden Schuld ...

Das sind Verschwörungstheorien. Sie sind in rechtsextremen Kreisen sehr populär und zum Teil grundlegend für ihre Ideologie. Schon für die Nationalsozialisten war der Mythos einer jüdischen Weltverschwörung Argumentationsgrundlage für ihren eliminatorischen Antisemitismus. Bei heutigen Rechtsextremen sind Verschwörungstheorien beliebt, die behaupten, dass rechter Terror wie der des NSU inszeniert worden sei, um diese politische Position zu diskreditieren.

Auch außerhalb rechtsextremer Kreise haben Verschwörungstheorien Konjunktur. Heißt: Man muss nicht rechtsextrem sein, um an konspirative Erklärungen zu glauben. Egal, ob es sich um einen Flugzeugabsturz, politische Ereignisse oder Naturkatastrophen handelt: Zu allem finden sich Verschwörungstheorien, die versuchen das Geschehen einzuordnen. Als Erklärungsmodell für Umbrüche und Veränderungen sind sie beliebt, denn sie stellen die existentielle Frage, warum guten Menschen schlechte Dinge passieren. Verschwörungstheorien tun noch mehr, sie fragen nach dem "wer?". Wer ist schuld, wenn etwas passiert, das kaum erklär- und greifbar ist? Ein Zufall kann das Geschehen nicht sein, in der Welt der Verschwörungstheorien sind Zufälle ausgeschlossen: Alles hängt mit allem zusammen, ist Teil eines weltumspannenden Plans, nichts passiert aus Versehen. So werden Verschwörungstheorien zu einem Welterklärungsmodell, das attraktiver als die Realität erscheint und ihr zugleich an Logik und Konsistenz überlegen ist. Selbst Widerspruch und Belege, dass bestimmte Behauptungen nicht stimmen können, werden dieser Verschwörungslogik einverleibt und zur Gegenpropaganda der Verschwörergruppe erklärt, um so letztlich wieder die Verschwörungstheorie bestätigt zu sehen.

So ganz abwegig ist das nicht, denn in der Tat existieren Verschwörungen: Regierungen handeln nicht immer zum Wohle ihrer Bürger, Geheimdienste überschreiten ihre Kompetenzen, Prozesse in Politik und Wirtschaft sind meist nicht transparent, und oft wissen oder verstehen wir nicht, was vor sich geht. Wir werden angehalten kritische Bürgerinnen und Bürger zu sein, Dinge zu hinterfragen, selbst zu prüfen. Den Medien, der Wirtschaft und dem Staat, das legen Verschwörungstheorien nahe, sei prinzipiell nicht zu trauen, ja, sie würden sogar gegen die Menschen arbeiten. Die Attraktivität einer solchen Sicht ist damit zu erklären, dass Verschwörungstheorien einfache Erklärungen geben, die uns helfen, Widersprüche, Unklarheiten und Ungerechtigkeiten zu verstehen. Auch wenn Weltverschwörungstheorien in den letzten Jahrzehnten vor allem am politisch rechten Rand weiterentwickelt wurden, sind Verschwörungstheorien kein exklusiv rechtes Phänomen. Doch mit dem Siegeszug des Massenmediums Internet gelang vor allem Verschwörungstheorien von rechts der Sprung in den Mainstream. Viele sind sich gar nicht im Klaren darüber, welche Ursprünge derartige populäre Konspirationserzählungen haben.

Die jüdische Weltverschwörung

Ein Klassiker der Verschwörungstheorien ist die "jüdische Weltverschwörung". Hinter diesem Mythos steht die Annahme, dass "die Juden" sich gegen die restliche Menschheit verschworen hätten und die Weltherrschaft anstreben würden. "Die Juden" werden dabei als Kollektiv wahrgenommen, und ihnen wird unterstellt, stets als solches zu handeln. Dieses fiktive Kollektiv, auch als "Weltjudentum", "internationales Judentum" und "Finanzjudentum" bezeichnet, bediene sich zur Erlangung der Weltherrschaft diverser Organisationen, zu denen unter anderem die CIA, die UN und die Bilderberg-Gruppe gehörten. Diese Organisationen bestehen der Verschwörungstheorie zufolge entweder aus Jüdinnen und Juden oder handeln auf jüdischen Befehl hin. Letztere Zuschreibung gibt es auch für Staaten, die man in rechtsextremen Kreisen dann als ZOG ("zionist occupied government", etwa "zionistisch unterwanderte Regierung") bezeichnet, wobei "zionistisch" eine Chiffre für Juden beziehungsweise Israel ist.

Die Fiktion einer ZOG bzw. einer jüdischen Weltverschwörung ist alles andere als neu und fand ihren schriftlichen Höhepunkt in den "Protokollen der Weisen von Zion". Die Protokolle sind um 1900 entstanden, angeblich belegen sie den Plan einer jüdischen Weltverschwörung. Bei dem Text soll es sich um eine protokollierte Mitschrift eines Treffens der jüdischen Anführer ("Weisen von Zion") handeln. Es werden verschiedene Mittel und Wege dargelegt, um die Kontrolle über die Welt zu erlangen, darunter Kriege, (Welt-)Wirtschaftskrisen und die Kontrolle über die Medien oder Sozialismus, Kapitalismus, Demokratie und Tyrannei. Selbst der Antisemitismus wird als willkommenes Werkzeug erwähnt. Den Nazis dienten die Protokolle als Argumentationsgrundlage für ihren eliminatorischen Antisemitismus. Hitler nahm in "Mein Kampf" Bezug auf die Protokolle; in der Zeit der NS-Herrschaft war der Text dann Pflichtlektüre an Schulen. Die Protokolle aber sind eine Fälschung. Dass sie schon 1921 als solche entlarvt wurden, hat ihrer weltverschwörerischen Popularität keinen Abbruch getan.

Auf der Basis antigeheimgesellschaftlicher und antikommunistischer Verschwörungstheorien, die stark an die Protokolle erinnern, entwickelten ab den 1950er Jahren US-amerikanische Rechtsextreme eine Weltverschwörungstheorie, die unter dem Schlagwort "New World Order" (NWO) bekannt wurde. Der NWO-Mythos benennt im Gegensatz zu den "Protokollen" jedoch nicht Juden als Weltverschwörer. Drahtzieher der Neuen Weltordnung sind nun "globale Eliten", "Wallstreet", "Hochfinanz", "globale Finanzeliten", "Bilderberger" oder schlicht "Eliten". Gemeint sind aber, eingeweihte Rechtsextremisten wissen das, auch hier: die Juden.

Besonders eindringlich ist dies in den "Turner Diaries" beschrieben, die als die "Bibel" weißer Rassisten gelten. Die vom US-amerikanischen Rechtsextremisten William Luther Pierce unter dem Pseudonym Andrew MacDonald 1978 veröffentlichten Tagebücher erzählen die Geschichte einer arischen Untergrundorganisation, die einen Widerstandskampf führt gegen "das jüdische System", welches Regierung, Medien und Wirtschaft kontrolliert. Ein in den "Turner Diaries" beschriebenes Attentat inspirierte den US-Amerikaner Timothy McVeigh zu seinem als "Oklahoma City Bombing" bekannt gewordenen Anschlag, bei dem mehr als 500 Menschen verletzt und 168 getötet wurden. Selbst die Uhrzeit des Anschlags orientierte sich an der fiktiven Vorlage. Auch wenn Timothy McVeigh nicht als ideologisch gefestigter Rechtsextremist einzuordnen ist: Allemal zeigt sich hier die Wirkungsmacht rechtsextremer Verschwörungstheorien.

Holocaustleugnung

Mit dem Mythos einer jüdischen Weltverschwörung können alle anderen populären Verschwörungstheorien aufgeladen werden, insbesondere diejenigen, die unter Rechtsextremen kursieren. Das Misstrauen gegenüber Staat, Wirtschaft und Medien lässt sich auch auf die Geschichtsschreibung ausweiten, die als manipuliert betrachtet wird. So lässt sich zum Beispiel die Shoa in Frage stellen, und zwar in zahlreichen Varianten von "der Holocaust hat nicht in der Form stattgefunden, wie er in der anerkannten Geschichtsschreibung vermittelt wird" bis zu "der Holocaust hat überhaupt nicht stattgefunden und ist nur eine Erfindung". Diese antisemitische Verschwörungstheorie stützt sich hauptsächlich auf pseudowissenschaftliche Untersuchungen, die versuchen, die vorhandenen Forschungen über die Shoa umzudeuten, neu zu bewerten oder die gar ganz eigene Untersuchungsergebnisse präsentieren. Da werden Opferzahlen heruntergerechnet, die technische Umsetzbarkeit des industrialisierten Massenmords angezweifelt oder Dokumente schlicht nicht anerkannt. Protagonisten der rechtsextremen Szene wie Horst Mahler oder Udo Voigt haben den Holocaust öffentlich verharmlost oder bestritten – in Deutschland ist Holocaustleugnung nach §130 Absatz 3 StGB strafbar.

Holocaustleugnung oder -relativierung ist im eigentlichen Sinne jedoch keine Verschwörungstheorie. Diese beginnt erst ab dem Punkt, wenn nach dem "cui bono?" gefragt wird, also wer Nutzen aus der Shoa gezogen habe. Die verschwörungstheoretische Antwort wird in diesem Fall am Ende immer mit "die Juden" beantwortet. Gemeint ist, dass die Shoa von Jüdinnen und Juden selbst inszeniert wurde, um die Staatsgründung Israels zu legitimieren und Deutschland dauerhaft erpressen zu können. Für Rechtsextreme eine dankbare Verschwörungstheorie, denn so kann einerseits Antisemitismus als Antizionismus getarnt werden und gleichzeitig eine Schuldumkehr stattfinden. Durch die Einordnung des Holocausts als Teil eines großen Plans, als Teil der "New World Order", wird Holocaustleugnung zu einem Bestandteil der jüdischen Weltverschwörung erklärt. Das sich daraus abzeichnende Muster gilt auch für andere populäre Verschwörungstheorien der Rechtsextremen.

Heß-Selbstmord

Rudolf Heß war Stellvertreter Adolf Hitlers und eine zentrale Figur im Nationalsozialismus. Er war einer der Hauptangeklagten im Nürnberger Prozess und saß seine lebenslange Haftstrafe im Kriegsverbrechergefängnis in Berlin-Spandau ab, wo er 1987 Selbstmord verübte. Für Rechtsextreme ist Heß auch heute noch eine wichtige Figur, sie verehren ihn als "Friedensflieger", weil er 1941 allein nach England flog, um die britische Regierung zu einem Friedensschluss mit dem NS-Regime zu bewegen. Seit seinem Tod organisiert die rechtsextreme Szene jährlich Rudolf-Heß-Gedenkmärsche in Wunsiedel und stilisiert ihn zum Märtyrer. Denn nach Ansicht der Rechtsextremen brachte Heß sich nicht selbst um, sondern wurde ermordet. Die Theorie: Heß wurde umgebracht, weil seine Freilassung kurz bevorstand. Als freier Mann hätte er der Öffentlichkeit berichten können, dass die Briten mit Absicht keine Friedensverhandlungen mit ihm als Vertreter Nazi-Deutschlands geführt hätten, um die Sowjetunion und die USA zum Eintritt in den Krieg zu bewegen. Ohne deren Hilfe hätte Großbritannien den Krieg sonst verloren.

Mit derlei Deutungen versuchen Rechtsextreme, die Kriegsschuld Deutschlands zu mindern und die wahren Aggressoren des Zweiten Weltkriegs auf Seiten der Alliierten zu finden. Heß‘ eigenmächtiger Flug nach Großbritannien wird als nationalsozialistische Friedensinitiative umgedeutet, um so den Nationalsozialismus zu verharmlosen. Dass er seit der britischen Gefangenschaft mehrere Selbstmordversuche unternommen hatte und als psychisch labil galt, wird von Rechtsextremen nicht berücksichtigt. Ebenso wenig, dass sein "Friedensflug" aus eigenem Antrieb geschah und er dafür von Hitler sämtlicher Ämter enthoben und zum Tode verurteilt wurde.

Das NSU-Phantom

Zu den neusten Verschwörungstheorien innerhalb des rechtsextremen Spektrums gehört die Umdeutung der rechtsextremen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) als reine Erfindung deutscher Geheimdienste. Der NSU ermordete von 2000 bis 2007 zehn Menschen und verübte mehrere Banküberfälle und Anschläge. Weitere Sprengstoff- und Brandanschläge werden vermutet, derzeit aber noch überprüft. Als Mitglieder des NSU gelten Uwe Mundlos (†), Uwe Böhnhardt (†) und Beate Zschäpe, die seit Mai 2013 in München vor Gericht steht, sowie ein bislang noch unbekannter Kreis von Unterstützerinnen und Unterstützern. Viele Fragen zum NSU sind derzeit ungeklärt: Die genauen Todesumstände von Mundlos und Böhnhardt, deren Leichen nach einem Banküberfall in einem ausgebrannten Wohnmobil gefunden wurden. Oder die Größe des Unterstützerkreises, das kollektive Behördenversagen bei der Aufdeckung der Terrorzelle und die genauen Verstrickungen einzelner Geheimdienste zum NSU. Einige dieser Fragen werden vielleicht noch im Rahmen des NSU-Prozesses gegen Beate Zschäpe und einige Unterstützer geklärt, andere Fragen vielleicht nie. Doch für rechtsextreme Verschwörungstheoretikerinnen und -theoretiker spielt das Fehlen gesicherter Erkenntnisse keine Rolle, denn für sie steht bereits fest, dass es den NSU als rechtsextreme Terrorzelle nie gegeben habe. Sie halten den NSU für eine reine Erfindung deutscher Geheimdienste, eine "false-flag-operation". Das bedeutet, dass die Terroranschläge nur als rechtsextrem deklariert wurden, in Wahrheit aber von den Geheimdiensten selbst inszeniert waren, um nationalistische Positionen zu diskreditieren und die Gesellschaft zu einem stärkeren "Kampf gegen rechts" zu bewegen. Für Rechtsextreme stellt dieses gesellschaftliche Engagement nur das Produkt einer Gehirnwäsche und Umerziehung dar, welche die Deutschen davon abhalten soll, sich ihrer Stärke und nationalen Identität bewusst zu werden. Wie die Holocaustleugnung wird der NSU als Puzzlestück der jüdischen Weltverschwörung gelesen. Hätten die Deutschen, so die rechtsextreme Fantasie, wieder eine nationalistische Grundhaltung, würden sie sich nicht länger kleinhalten lassen.

9/11: Inside Job

Die konspirativen Szenarien zu den Anschlägen vom 11. September 2001 (9/11) auf das World Trade Center variieren in Bezug auf die Suche nach den Verantwortlichen und die Motivation für die Anschläge: Der israelische Geheimdienst Mossad habe die USA so zu einem stärkeren pro-israelischen (und militärischen) Engagement im Nahen Osten zwingen wollen; der militärisch-industrielle Komplex habe aus Profitgier einen neuen Krieg im Nahen Osten initiieren wollen; Neokonservative um George W. Bush hätten ein neues Pearl Harbour erschaffen wollen, um einen Krieg im Nahen Osten rechtfertigen zu können; Al-Qaida habe die Angriffe geplant und durchgeführt, aber die Bush-Regierung habe davon gewusst und sie geschehen lassen, um politisch Kapital daraus zu schlagen oder um Firmen, an denen Bush und sein Umfeld Anteile hielten, vom Krieg im Nahen Osten profitieren zu lassen; 9/11 sei Teil des Plans zur Realisierung einer New World Order gewesen.

So zahlreich die Mutmaßungen über die Gründe und Drahtzieher der Anschläge, so zahlreich sind auch die Theorien für das Zusammenstürzen der beiden Türme: Es sei eine kontrollierte Sprengung gewesen, entweder durch zuvor im Gebäude angebrachte Explosivladungen oder durch einen hochentwickelten Nuklearsprengsatz oder durch eine neuartige Waffe, die aus dem Weltall abgefeuert wurde. Alternativ waren die Flugzeuge, die die Türme trafen, ferngesteuert oder es gab nie Flugzeuge, die die Türme trafen und alle Videoaufnahmen seien nur entsprechend manipuliert worden.

Trotz der teils widersprüchlichen Theorien ist das verbindende Element dieser Verschwörungstheorien, dass die offizielle Darstellung angezweifelt und nicht anerkannt wird. Die Bewegung "9/11 Truth-Movement", die sich nach den Anschlägen bildete, hat weltweit lokale Gruppen und hält große Konferenzen ab. Die Entwicklung des sogenannten Web 2.0 und die Entstehung sozialer Netzwerke haben die Bewegung unterstützt. Die Reichweite der Verschwörungsszenarien um 9/11 war und ist groß und geht so weit, dass ein großer Teil des "9/11-Truth-Movements" an einen größeren Plan glaubt: die Errichtung einer New World Order, 9/11 als Teil der jüdischen Weltverschwörung. Der Theorie zufolge gelten die Anschläge dabei als Vorwand, um die Grundrechte und Freiheiten der Menschen einzuschränken.

Neuschwabenland/UFOs

Zu den abenteuerlichsten rechtsextremen Verschwörungstheorien gehört die Annahme, dass Teile der nationalsozialistischen Elite sich vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs in die Antarktis abgesetzt hätten und dort noch immer eine Basis namens Neuschwabenland unterhielten. Geglückt sei die Flucht durch Reichsflugscheiben, die als geheime Wunderwaffen von den Nazis entwickelt worden seien. Diese Reichsflugscheiben, so heißt es, würden mit "Vril-Energie" betrieben, einer Art kosmischen Energie, die es auch möglich mache, andere Sternensysteme zu bereisen. Diese Verschwörungstheorie ist eher im okkult-esoterischen Bereich beheimatet und mit anderen Behauptungen verknüpft, die von außerirdischem Leben auf dem Planeten Aldebaran ausgehen, mit deren Bewohnern die Nationalsozialisten in Kontakt stünden. Auch wird angenommen, dass die Erde innen hohl sei, so dass die Nazis im Erdinnenraum Zuflucht gefunden hätten. Verknüpfungen und Überschneidungen zur Verschwörungstheorie der jüdischen Weltverschwörung sowie den Reichsbürgern, die Deutschland für nicht souverän und von Alliierten besetzt halten, sind vorhanden. Demnach ist die fehlende Souveränität Deutschlands Teil des Plans der jüdischen Weltverschwörung. Eines Tages würden die Nationalsozialisten zurückkehren und mit ihrer überlegenen Technik Deutschland von "den Besatzungsmächten" (also Agenten der Jüdischen Weltverschwörung) befreien.

In den letzten Jahren ist diese Verschwörungstheorie, die eher als Nazi-Science-Fiction bezeichnet werden kann (und teilweise auch als solche ironisch unter dem Titel "Iron Sky" verfilmt wurde), vor allem durch den mittlerweile verstorbenen Geologen Axel Stoll bekannter geworden. Bis zu seinem Tod 2014 organisierte er in Berlin das "Neuschwabenland-Treffen" und betrieb im Internet ein Forum. Seine bizarren Auftritte während der Treffen, die auch mitgefilmt wurden, machten Stoll zeitweise zum Internet-Phänomen und vergrößerten den Bekanntheitsgrad der Verschwörungstheorien zu Reichsflugscheiben, Neuschwabenland und Strahlenwaffen. Auch wenn sich ein Großteil der Öffentlichkeit über Stoll und seine Verschwörungstheorien amüsierte: er knüpfte damit nur an eine durchaus vorhandene Tradition an, die okkult-esoterische Weltbilder mit nationalsozialistischer Ideologie verbindet. In der organisierten Neonazi-Szene wird der Kreis um Stoll und seine absurden Theorien jedoch ebenfalls eher belächelt.

Johannes Baldauf studierte Literaturwissenschaft, Jüdische Studien und Deutsch als Fremdsprache in Jena, Potsdam und Berlin. Seit 2008 beschäftigt er sich mit Rechtsextremismus, Antisemitismus und Verschwörungstheorien im digitalen Raum. 2015 war er bei der Amadeu Antonio-Stiftung beschäftigt, mittlerweile arbeitet er für Facebooks Online Civil Courage Initiative (OCCI) und berät über Gegenstrategien zu Hate Speech im Netz.