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Die Identitären – mehr als nur ein Internet-Phänomen

Julian Bruns Kathrin Glösel Natascha Strobl Natascha Strobl Kathrin Glösel Julian Bruns

/ 10 Minuten zu lesen

Seit Ende 2012 ist die "Identitäre Bewegung" auch in Deutschland aktiv. Mit popkulturellen Inhalten und verklausuliert verbreitet die Gruppierung, die zur "Neuen Rechten" gehört, ihr menschenfeindliches Gedankengut. Dabei tritt sie gezielt provokant auf.

Aktivisten der "Identitären Bewegung" stehen am 27.08.2016 auf dem Brandenburger Tor. Sie zeigen ein Transparent mit der Aufschrift "Grenzen schützen – Leben retten". Die Gruppe wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Sie wendet sich gegen vermeintliche Überfremdung und Islamisierung. (© picture-alliance/dpa)

Es ist der 20. Oktober 2012 in Poitiers, Frankreich. Etwa vierzig junge Erwachsene besteigen die Baustelle einer Moschee und stellen sich am Dach des Gebäudes auf. Sie hissen ein schwarz-gelbes Transparent, das quer über das gesamte Gebäude reicht: "732 Génération Identitaire", dahinter ein Lambda-Transparent, ein Kreis mit einer Art Dreieck in der Mitte. Es ist der elfte Buchstabe des griechischen Alphabetes. Entnommen haben es die AktivistInnen der Graphic Novel-Verfilmung 300 aus dem Jahr 2006. Es ist das Symbol, das 300 Spartaner im Kampf gegen das imperialistische persische Reich an ihren Schildern tragen. Die Botschaft: Identitäre wollen die (männliche) soldatische, geistige Elite sein, die den Abwehrkampf gegen das drohende, große Unheil antritt.

Diese Menschen, es sind fast nur Männer, begründeten an diesem Tag die "Identitäre Bewegung", von der sich in den folgenden Monaten Ablegergruppen in anderen europäischen Städten gründen sollten. Sie sehen sich als ideologische Nachfahren von unter anderem Karl Martell, der im Jahr 732 just in diesem Ort, Poitiers, gegen maurische Soldaten gekämpft hat. Der Auftrag, den sich die jungen Männer geben: ihre Vorstellung von Europa – ein christliches mit möglichst wenig Zuwanderung – "verteidigen", denn man sei in Gefahr. Globalisierung, Immigration, Political Correctness, Liberalismus, Islam – all jenes hat in ihrem Europa keinen Platz. In einem zeitnah veröffentlichten YouTube-Video formulierten die AktivistInnen eine selbsternannte "Kriegserklärung". Bei den AktivistInnen handelte es sich um Mitglieder der Génération Identitaire, der Jugendorganisation des 2003 gegründeten nationalistischen Bloc Identitaire. Dieser war als Nachfolgeorganisation der Sammlungsbewegung "Unité Radicale" (UR) ins Leben gerufen worden, welche 2002 verboten worden war, nachdem ein UR-Mitglied am französischen Nationalfeiertag auf den damaligen Präsidenten Jacques Chirac geschossen hatte. Das Video verbindet mit einer emotionalisierenden und sich steigernden Abfolge von Einzeilern soziale Probleme wie Jugendarbeitslosigkeit mit Rassismus – die Beteiligten prangern den vermeintlichen "ethnischen Zusammenbruch" durch "aufgezwungene Vermischung" an. Das Sozialsystem, so die Behauptung, unterstütze nur "Fremde". Dieses Video ging viral und wurde mit Untertiteln in vielen Sprachen versehen.

Vorläufer und Vorbilder

Die "Identitäre Bewegung" ist nicht aus dem Nichts entstanden. Sie hat ein Vorbild in der Casa-Pound-Bewegung in Italien. Die neofaschistische Organisation gründete sich 2003 aus einer Hausbesetzung heraus. In Stil, Rhetorik und Aktionen orientiert sich Casa Pound an linken Mitteln, jedoch verbunden mit positiven Bezügen auf den historischen italienischen Faschismus. Zudem ist Gewalt ein selbstverständlicher Teil ihres politischen Handelns. Doch auch im deutschsprachigen Raum gab es bereits Versuche, eine aktionistische "Neue Rechte" zu formieren: Im Jahr 2008 gründete Götz Kubitschek (Institut für Staatspolitik, Antaios Verlag, Sezession) mit Felix Menzel (Blaue Narzisse) die Konservativ Subversive Aktion (KSA), ein erster aktionistischer Arm der Rechten nach linkem Vorbild. Die KSA unternahm zwischen dem 2008 und dem 2009 fünf Aktionen (darunter beispielsweise die Störung einer Lesung von Günter Grass in Hamburg). Da sich keine Breitenwirkung einstellte, beendeten die Beteiligten die KSA rasch wieder.

Merkmale der Identitären innerhalb der Neuen Rechten

Innerhalb der Neuen Rechten zeichnen sich die Identitären durch vier Merkmale aus: Jugendlichkeit, Aktionismus, Popkultur und eine "Corporate Identity". Das Alter der AktivistInnen reicht ungefähr von 15 bis 35 Jahren. Die ProtagonistInnen der Neuen Rechten sind für gewöhnlich deutlich älter. Aktionismus steht im Vordergrund des politischen Handelns. Bezüge zu bestehender sowie das Hervorbringen eigener Anteile an der Popkultur (z. B. in Form von Merchandise und Musik) sind selbstverständlicher Teil der Kommunikation. In ihrem öffentlichen Auftreten verwenden Identitäre darüber hinaus eine eigene Corporate Identity, die für Wiedererkennungswert sorgt.

Identitäre nutzen Text- und Videoblogs, Musikvideos, Twitter-Kanäle und soziale Netzwerke wie Instagram und Facebook dazu, um auf ihre ideologischen Positionen aufmerksam zu machen, vorhandenen Content rechtskonservativer bis verschwörungstheoretischer Magazine zu verbreiten, zu eigenen Veranstaltungen zu mobilisieren und um Selbstästhetisierung zu betreiben. Für verschiedene Interessen wurden dabei Plattformen geschaffen: So finden sich auf den Gruppen-Blogs Rezensionen von Büchern und Filmen, Kampagnen-Texte, Pressetexte und andere Positionsvideos. Der wechselseitige Verweis auf Gruppen in anderen Ländern dient dazu, die internationale Vernetzung unter Beweis zu stellen – die Inhalte werden dabei so gestaltet, dass sie auch verbreitbar sind, wenn UserInnen nicht die genutzte Sprache verstehen. Ziel ist das Einwirken auf politische Debatten und die Prägung von Begriffen und Bildern sowie Emotionalisierung.

Entwicklung in Deutschland

Erstmals traten Identitäre in Deutschland im Herbst 2012 in Erscheinung, als sie mit einem Hardbass-Flashmob die Interkulturellen Wochen in Frankfurt am Main störten. Bis 2014, als Nils Altmieks den Vorsitz des eingetragenen Vereins Identitären Bewegung Deutschland übernahm, Regionalgruppen zusammenfasste und Aktionen zentralisierte, waren die Identitären wenig präsent. Tony Gerber (Sachsen) und Mario Müller (Sachsen-Anhalt), ursprünglich aus der Neonazi-Szene stammend, wurden zu wichtigen Kadern aufgebaut. Deutsche und österreichische Identitäre arbeiteten von Beginn an mit Pegida zusammen, der österreichische Kopf Martin Sellner wurde wiederholt als Redner eingeladen. Zu Aktionen mit Medienecho zählen die kurzzeitige Besetzung der SPD-Zentralen in Hamburg und Berlin 2015 sowie die Besetzung des Brandenburger Tors im August 2016.

Seit Frühsommer 2016 werden Identitäre in Deutschland vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet, da "Anhaltspunkte" gesehen werden, dass Identitäre die freiheitliche demokratische Grundordnung gefährden, da sie "Zuwanderer islamischen Glaubens oder aus dem Nahen Osten in extremistischer Weise" diffamieren. Laut Schätzungen des Verfassungsschutzes umfasst die "Identitäre Bewegung Deutschland" etwa vierhundert Mitglieder. Diese Beobachtung hatte auch Auswirkungen auf das Verhältnis der AfD zu den Identitären. Seitens des AfD-Bundesvorstands wurden bereits im Juni 2016 Unvereinbarkeitsbeschlüsse gefasst, die eine Mitgliedschaft von Identitären bei der AfD ausschließen sollten. Doch im Herbst 2016 erklärte AfD-Vize Alexander Gauland, er „erwarte, dass Menschen, die wie die AfD denken, bei uns mitmachen“ und sehe "überhaupt nicht ein, warum wir mit der Identitären Bewegung zusammenarbeiten sollten, denn die können alle zu uns kommen".

Die Finanzierung der Tätigkeiten erfolgt über mehrere Wege. Im Mai 2014 gründeten die Identitären den Verein "Identitäre Bewegung Deutschland e. V.", der auch ein Spendenkonto unterhält. Die Mitglieder im Verein zahlen außerdem Mitgliedsbeiträge. Identitäre in Deutschland sind des Weiteren bei der 2015 gegründeten Initiative Einprozent.de aktiv, die sich selbst als "NGO für Patrioten" darstellt. Gemeinsam mit Wortführern wie Götz Kubitschek, Philip Stein (Blaue Narzisse, Verlag Jungeuropa) und Jürgen Elsässer (Compact) sammelt man Spenden, um Agitationen gegen Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland, für Verfassungsbeschwerden gegen die Bundesregierung und zur Koordination von lokalpolitischen "Bürgeranfragen" zu koordinieren. Sieht man sich die beteiligten Gruppen an, wird deutlich, dass die Mehrheit der AktivistInnen von Identitären gestellt wird. Identitäre profitieren auch finanziell von Einprozent.de.

Pegida, Identitäre und AfD sind auch personell miteinander verbunden. Identitäre besuchen Pegida-Demonstrationen, rufen zur Wahl der AfD auf, sind bei Einprozent.de aktiv und bauen im Gegenzug auf Unterstützung durch Partei-PolitikerInnen.

Ideologie: Ethnopluralismus, Antimuslimischer Rassismus, Holocaust-Relativierung

Die Identitären sind ideologisch in der "Neuen Rechten" angesiedelt. Hierbei spannt sich ein vielfältiges Feld von verschwörungstheoretisch bis sozialdarwinistisch-neoliberal. Dieses unterscheidet sich nur in Nuancen von jenem der "Alten Rechten". Wesentliche Unterschiede liegen in der Strategie: Man baut auf MultiplikatorInnen, legt auf Anonymität keinen Wert, sondern inszeniert sich als rebellische, junge geistige Elite gegen das Establishment. Die Sprache ist gewalttätig – man spricht von Bürgerkrieg und allgegenwärtiger Gefahr als Bevölkerung "ausgetauscht" zu werden –, man bedient sich Wortneuschöpfungen wie "Ethnomasochismus" und Anspielungen, um den Rahmen des Sagbaren zu erweitern. Der Rassismus ist verklausulierter. Statt von "Rassen" sprechen Neurechte von "Kulturen". Vermeintlich werden diese "Kulturen" als "gleichwertig" beschrieben. Jede hätte das Recht, sich "frei von äußeren Einflüssen" zu entwickeln. Dieses Konzept wird von der Neuen Rechten und Identitären als Interner Link: "Ethnopluralismus" betitelt. Individuen werden einem "Volk" und einem bestimmten Flecken Erde (Blut und Boden) eingeschrieben, mit dem es "naturgemäß" verknüpft ist. "Kultur" wird in dieser Ideologie zu einem statischen, ahistorischen und homogenisierenden Konzept mit ausschließender Wirkung. Die Identitären halten nur eine bestimmte Interpretation einer nationalen/regionalen oder europäischen Kultur für legitim. Sie ignorieren Widersprüche wie Gegenkulturen, aber auch die Tatsache, dass sich Kulturen in stetem Wandel und Austausch mit anderen Kulturen befinden bzw. der Begriff "Kultur" an sich nicht trennscharf ist. Für Ethnopluralisten wie sie sind "ihre" und "fremde" Kulturen fest vorgegeben, werden von bestimmten Menschen in bestimmten Regionen getragen und sollen nicht verändert werden.

Die behauptete "Gleichwertigkeit" der Kulturen wird von den Identitären nicht konsequent umgesetzt. Das zeigt sich daran, dass ImmigrantInnen – vor allem nicht-europäische bzw. muslimische – als Gefahr hingestellt werden. Menschen muslimischen Glaubens seien zu "anders", als dass sie in Europa Platz hätten und leben könnten. Identitäre porträtieren den Islam wegen seines vermeintlich globalen Machtanspruchs als Bedrohung. Mit dem Begriff "Reconquista", den Identitäre als Kampfbegriff vor sich hertragen, beziehen sie sich auf die Rückeroberung und Rechristianisierung von Gebieten in Spanien und Portugal im Mittelalter.

Obwohl man sich nach außen hin taktisch vom Antisemitismus distanziert, verunglimpfen Identitäre Gedenkkultur wiederholt als "Schuldkult". In der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) setzte Alexander Markovics (Identitäre Österreich) Fluchtbewegungen nach Europa mit dem Holocaust gleich. Beides sei "Völkermord", in Falle der Fluchtbewegungen sei die "autochthone" Bevölkerung Europas das Opfer. Mit solcher Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus banalisieren Identitäre die Verbrechen an von den NationalsozialistInnen Verfolgten und Ermordeten.

Vernetzung der Identitären mit der parlamentarischen und außerparlamentarischen Rechten

Neben Kooperationen mit Einprozent.de (siehe oben) intensivieren Identitäre in Deutschland die Zusammenarbeit mit identitären Gruppen aus anderen Ländern sowie mit Parteien, Verlagen und Magazinen.

Länderübergreifende Kampagnen

2015 mobilisierten Identitäre in Österreich, Deutschland, Tschechien und Italien mit einer Kampagne, die den Titel "Stoppt den großen Austausch" trug, gegen MigrantInnen. Die produzierten Flyer, die in Wohnhäusern und an Schulen in vielen Städten verbreitet wurden, waren in mehrere Sprachen übersetzt worden, auch das Design und die verwendeten Symbole waren länderübergreifend abgestimmt. Kern der Kampagne war eine Verschwörungstheorie, die behauptet, dass die ursprünglichen Bevölkerungen der europäischen Länder bewusst von "den Eliten" durch das Aufnehmen von MigrantInnen (wie Geflüchteten) "ausgetauscht" würden.

Unterfüttert wurde die Kampagne mit Stereotypen der "kriminellen MigrantInnen", den "eigenen geburtenfaulen Frauen" und "gebärwilligen nicht-europäischen Frauen", die als bedrohliche Konkurrenz dargestellt wurden. Die "Fremden" wurden kurzerhand zur pauschalen Bedrohung für das "Eigene", das beschworene "Wir" erklärt. Dabei wendeten die Identitären die Strategie der Retorsion an: Das bedeutet, dass sich die "ethnische Mehrheit an der Macht [...] mit der Position der machtlosen Minderheit [bewaffnet] und sich gegen diese [wendet]." Rechtsextreme legitimieren aus dieser Position heraus rassistische Politik, denn es klingt heldenhafter zu sagen, "wir sind bedroht, wir verteidigen uns", als zu sagen, "wir wollen unsere Privilegien erhalten".

Als Namensgeber für die "Stoppt den großen Austausch"-Kampagne diente der französische Autor Renaud Camus, der in seinen Büchern den vermeintlichen "Kulturverfall" Frankreichs herbeischreibt. "Le Grand Remplacement" ist eine Sammlung von 18 Texten, die 2010 unter diesem Titel publiziert wurden. Das Buch wurde mittlerweile 2016 im Antaios Verlag (dem Verlag des neurechten Netzwerkers Kubitschek) neu aufgelegt und durch Texte von Martin Semlitsch und Martin Sellner (Identitäre Österreich) ergänzt. Sellner beschreibt dabei die gezielte Rezeption von Camus durch Identitäre in mehreren europäischen Ländern.

Das Europäische Forum Linz

Aufsehen erregt hat das "Europäische Forum Linz", das am 29. Oktober 2016 in Oberösterreich stattgefunden hat. Selbsternannte "Verteidiger des europäischen Abendlandes" luden zu einem Kongress, der die wichtigsten AkteurInnen der Neuen Rechten sowie obskure, jedoch politisch nahestehende Personen, einlud, sich zu vernetzen. Abgehalten wurde der Kongress in Prunkräumlichkeiten des Landes. Anders als die ursprünglich für denselben Tag angesetzte "Compact"-Konferenz wurde dieses "Forum" nicht abgesagt. Im Windschatten der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), die in Oberösterreich Teil der Regierungskoalition ist, konnten – über Umweg einer Linzer Burschenschaft – die Räume angemietet und der Kongress über der FPÖ nahestehende Vereine ausgerichtet werden. Die RednerInnen und AusstellerInnen stammten sowohl aus der parlamentarischen wie außerparlamentarischen Rechten des deutschsprachigen Raumes. Davor kannte man solche "Konferenzen" vor allem aus Deutschland. Dort gab und gibt es "Akademien" in Schnellroda, organisiert vom neurechten Think Tank Institut für Staatspolitik und Götz Kubitschek. Ebenfalls als Vorlage dienten Veranstaltungen wie die neurechte Buchmesse zwischentag, das Identitær Idé-Seminar in Stockholm oder auch die Compact-Konferenzen in Köln. Die Veranstaltung ließ Verleger, Magazine und Blogs, Vertreter der FPÖ und der ÖVP sowie Identitäre und ihren Merchandise-Versand Phalanx Europa zusammenkommen. Als RednerInnen traten darüber hinaus die als antisemitische Verschwörungstheoretikerin geltende Bloggerin Maram Susli sowie der serbische Philosoph Misa Djurkovic auf, der durch homophobe Äußerungen aufgefallen ist.

Abschließende Einschätzungen

Gemessen an der eigens forcierten Öffentlichkeitsarbeit, an der gewollten wie ungewollten Berichterstattung, an ihren Interaktionen in sozialen Netzwerken sowie an den produzierten Inhalten sind Identitäre die wahrnehmbarste rechtsextreme Gruppe im deutschsprachigen Raum. Das bestätigt auch das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, das Identitäre im Vergleich zu neonazistischen Gruppen als "größere politische Gefahr" einschätzt, da sie nicht nur junge Erwachsene mit rechtsextremer Gesinnung anziehen, sondern auch ins bürgerliche Spektrum hineinwirken und dort anschlussfähig sind.

Trotz der Versuche, sich als "junge besorgte BürgerInnen" darzustellen, lässt sich für die vergangenen zwei Jahre eine Radikalisierung im Auftreten der Identitären feststellen. Am Rande von Demonstrationen in Österreich (sei es in Wien, Spielfeld oder Graz) kam es immer zu gewalttätigen Übergriffen auf GegendemonstrantInnen, in Graz attackierten identitäre Männer sogar mit Schlagstock ihre KritikerInnen. Das Verfahren gegen die AngreiferInnen wurde eingestellt, da die Behörde die Verletzungen als "nicht zuordenbar" erklärten und die Aussagen (trotz Fotobelege) der Opfer als unglaubwürdig einstufte.

In Deutschland sind unterdessen Kader-Figuren wie Tony Gerber (Sachsen) für seine Neonazi-Vergangenheit und NPD-Kandidatur und Mario Müller (Sachsen-Anhalt) für seine Gewaltaffinität bekannt. Daniel Fiß, jetzt Kopf der Identitären in Mecklenburg-Vorpommern, kommt aus Rostock und war noch 2011 Mitglied der Kameradschaft Nationale Sozialisten Rostock und der Jungen Nationaldemokraten. Es besteht daher eine Diskrepanz zwischen dem Bild, das Identitäre von sich zeichnen und der realen Gefahr, die von ihnen ausgeht. Wie gezeigt wurde, ändert ihre Selbstdarstellung, die sie über ihre Öffentlichkeitsarbeit forcieren, nichts an ihrer rechtsextremen Ideologie, der politischen Vergangenheit ihrer Kader, den Verschwörungstheorien, die sie predigen, ihrem Rassismus und der Gewalt, die von ihnen ausgeht.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe hierzu auch https://biwaz.wordpress.com/2016/07/12/verknuepfungen-zwischen-der-afd-und-den-identitaeren/, 14. November 2016.

  2. http://www.svz.de/regionales/mecklenburg-vorpommern/rechtsextreme-begleitmusik-id14783691.html, abgerufen am 14. November 2016. Siehe hierzu auch http://www.taz.de/!5351394/, 14. November 2016.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Julian Bruns, Kathrin Glösel, Natascha Strobl für bpb.de

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Julian Bruns hat Skandinavistik, Germanistik und Philosophie studiert und schreibt an seiner Dissertation über „faschistische Literatur in Nordeuropa“. Er war bei der Österreichischen Hochschüler_innenschaft der Universität Wien im Referat für antirassistische Arbeit tätig.

Kathrin Glösel hat Politikwissenschaft sowie Europäische Frauen- und Geschlechtergeschichte in Wien studiert und macht auch historisch-politische Bildungsarbeit im Mauthausen Komitee Österreich (Projekt denk.mal.wien) sowie im Verein Gedenkdienst (Projekt Studienfahrten).

Natascha Strobl hat in Wien Politikwissenschaft und Skandinavistik studiert und mit einer Arbeit zur Neuen Rechten abgeschlossen. Sie betreibt den Blog Schmetterlingssammlung.net Gemeinsam haben sie die Bücher "Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa" und "Rechte Kulturrevolution" verfasst und arbeiten in der Bildungswerkstatt für Antifaschismus und Zivilcourage (biwaz.at).