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"Die Nichtbeobachtung durch den Verfassungsschutz ist kein demokratisches Gütesiegel" | Rechtsextremismus | bpb.de

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"Die Nichtbeobachtung durch den Verfassungsschutz ist kein demokratisches Gütesiegel"

Toralf Staud

/ 7 Minuten zu lesen

Der Begriff "Rechtsextremismus" ist umstritten, in Wissenschaft und bei Sicherheitsbehörden gibt es unterschiedliche Definitionen. Einen relativ engen Blick haben die Verfassungsschutzämter in Bund und Ländern. Die Präsidentin des Niedersächsischen Verfassungsschutzes, Maren Brandenburger, erklärt im Interview, was ihre Behörde macht – und was sie nicht macht.

Maren Brandenburger (r), Präsidentin des niedersächsischen Verfassungsschutzes, und der Kriminaldirektor Wolfgang Rösemann posieren am 26.01.2016 während einer Veranstaltung des niedersächsischen Verfassungsschutzes in Hannover (Niedersachsen) vor Medienvertretern. (© picture-alliance/dpa)

Frau Brandenburger, ab wann ist eine Person oder eine Organisation eigentlich ein Fall für den Verfassungsschutz?

In einem Rechtsstaat ist gesetzlich genau geregelt, was Behörden dürfen und was nicht. Das gilt natürlich auch für die Verfassungsschutzbehörden. Wer – wie Sie es formulieren – ein Fall für den Verfassungsschutz ist, wird deshalb in jedem Einzelfall nach festen Kriterien und in einem mehrstufigen Verfahren entschieden.

In einem ersten Schritt kommt es darauf an, ob – so die juristische Formulierung – „tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht begründen, dass Handlungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung bzw. gegen Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verstoßen“. Wenn solche Anhaltspunkte vorliegen, müssen in einem zweiten Schritt weitere Indizien für extremistische Bestrebungen gesammelt werden. Erst nach dieser Prüfung kann eine Organisation zum Beobachtungsobjekt erhoben werden.

Wichtig ist: In der Regel werden von uns keine Einzelpersonen beobachtet, sondern Personenzusammenschlüsse, beispielsweise Parteien, Vereine oder auch lose Gruppen. Sobald aber eine Organisation von uns beobachtet wird, dann erstreckt sich der Beobachtungsauftrag auch auf Personen, die für sie handeln – insbesondere auf diejenigen, die ihre Ziele und Strategie bestimmen.

Ist die Unterscheidung zwischen "noch nicht" Beobachtungsobjekt und "jetzt schon" schwierig?

Durchaus. Wir dürfen zum Beispiel nicht von möglicherweise problematischen Äußerungen Einzelner automatisch auf den Charakter einer ganzen Organisation schließen. Um einen solchen Schnellschuss zu vermeiden, müssen sich in der schon angesprochenen Prüfphase die Anhaltspunkte erst verdichten. Wir müssen stets bedenken, welch hohes Gut die Meinungsfreiheit in einem demokratischen Rechtsstaat ist. Wer bei unliebsamen Äußerungen reflexartig nach dem Verfassungsschutz ruft, tut uns keinen Gefallen.

Wann beginnt für Sie Rechtsextremismus? Wie genau definieren Sie den Begriff?

Im niedersächsischen Verfassungsschutzgesetz, das für uns die rechtliche Grundlage ist, kommt der Begriff Rechtsextremismus nicht vor. Stattdessen gibt es eine abstrakte Definition für die Phänomene, die wir beobachten sollen: nämlich "zweck- und zielgerichtete politische Bestrebungen gegen Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung". Derartige Bestrebungen kann es von links wie von rechts geben, aber auch von Islamisten oder von Sekten. Rechtsextremistische Positionen negieren beispielsweise den Grundsatz, dass alle Menschen gleich sind und niemand diskriminiert werden darf, wie er in Artikel 3 des Grundgesetzes niedergelegt ist.

Nach unserer Definition erfasst der Begriff Rechtsextremismus also Ideologieelemente, die in unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlicher Stoßrichtung der weltanschaulichen Überzeugung von einer Ungleichwertigkeit der Menschen Ausdruck verleihen. Dies sind zum Beispiel Antisemitismus, Rassismus, Sozialdarwinismus, aggressive menschenverachtende Fremdenfeindlichkeit, Volksgemeinschaftsdenken bzw. Interner Link: völkischer Kollektivismus.

Ist die Unterscheidung zwischen Positionen, die schon rechtsextremistisch sind, und solchen, die sich gerade noch im demokratischen Rahmen bewegen, in jüngerer Zeit schwieriger geworden? Oder anders formuliert: Ist die "Grauzone" heute breiter als früher?

Eindeutig ja. Seit einiger Zeit ist generell bei Aktionen gegen Flüchtlingspolitik und zum Thema Einwanderung die Trennschärfe zwischen Rechtsextremismus, Rechtspopulismus und bürgerlichem Protest zurückgegangen. Dies zeigt sich z.B. bei der islamfeindlichen Internetseite Interner Link: PI-News und bei den vielen Aktionen von Gruppen wie Interner Link: HogeSa oder Interner Link: Pegida.

Die Erscheinungs-, Kommunikations- und Organisationsformen des Rechtsextremismus haben sich in den letzten beiden Jahrzehnten grundlegend verändert. Ein wesentlicher Faktor hierfür ist die ständig gewachsene Bedeutung des Interner Link: Internets. In Internetforen, über die auch mobilisiert und organisiert wird, vermischen sich "wutbürgerlicher" Protest, pure Hasstiraden und Statements von Rechtsextremisten. Diese Melange zeigt sich auch bei Protesten auf der Straße. Eine genaue Differenzierung ist nicht einfach, aber vonnöten – nicht nur aus rechtlichen Gründen, sondern auch, um bei der Prävention an den richtigen Stellen ansetzen zu können.

Sind rechtspopulistische Organisationen ein Fall für den Verfassungsschutz?

Frank Decker, einer der führenden deutschen Forscher zum Thema, versteht unter Populismus in erster Linie eine Haltung, die für das sogenannte "einfache" Volk Partei ergreift und sich gegen die herrschenden gesellschaftlichen und politischen Eliten wendet. Hauptwesensmerkmal sei mithin seine Anti-Establishment-Orientierung. Populistische Haltungen treten aber in der Regel in wenig reflektierter, nicht in ideologisch überhöhter Form in Erscheinung. Allerdings können sich rechtspopulistische Positionen auch – darauf weist Decker hin – durchaus mit rechtsextremistischen Positionen verbinden. Dies war in der Vergangenheit zum Beispiel bei der vom Verfassungsschutz beobachteten Partei Die Republikaner der Fall. Der Verfassungsschutz wird also rechtspopulistische Bewegungen der Gegenwart darauf zu bewerten haben, ob sich aus ihnen rechtsextremistische Tendenzen entwickeln.

Wenn der Verfassungsschutz eine Organisation, die (noch) nicht rechtsextremistisch ist, nicht beobachten darf – wie können Sie dann überhaupt bemerken, dass eine Bewegung sich radikalisiert und im Laufe der Zeit doch rechtsextremistisch wird?

Wenn eine Organisation oder eine Partei kein Beobachtungsobjekt ist, bedeutet dies nicht, dass wir die offen zugänglichen Informationen oder die mediale Berichterstattung über diese Personenzusammenschlüsse nicht lesen dürfen. Ergeben sich hieraus tatsächliche Anhaltspunkte für eine Beobachtung, so werden die hierfür notwendigen rechtlichen Schritte in die Wege geleitet.

Sollte beispielsweise Pegida vom Verfassungsschutz beobachtet werden?

Die Interner Link: Gida-Bewegung ist ein heterogenes Phänomen mit unterschiedlich starkem rechtsextremistischem Einfluss. In einigen Fällen lagen genug Anhaltspunkte für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz vor, zum Beispiel bei MVgida in Mecklenburg-Vorpommern. In anderen Fällen konzentriert sich die Beobachtung auf die Beteiligung und eine mögliche Einflussnahme von Rechtsextremisten, zum Beispiel bei Hagida in Hannover.

Was ist mit der Alternative für Deutschland (AfD)?

Wie bereits dargelegt reichen Einzelaussagen, so kritikwürdig sie auch sind, nicht aus, um einen Beobachtungsauftrag für eine ganze Organisation zu begründen. Die Interner Link: AfD befindet sich noch in einer Frühphase ihrer Geschichte. Ob und in welcher Weise sie sich weiter ausdifferenziert und welche Konsequenzen daraus gegebenenfalls zu ziehen sind, wird die Entwicklung zeigen.

… Und die Junge Freiheit?

Die Interner Link: Junge Freiheit ist eine Wochenzeitung und tut ihre Meinungen damit öffentlich kund. Die Auseinandersetzung mit diesen Positionen kann auch ohne Beobachtung durch den Verfassungsschutz erfolgen.

… Wie ordnen Sie Burschenschaften ein?

Einzelne Burschenschaften werden von Verfassungsschutzbehörden beobachtet. Dies resultiert aus einer Einzelfallbetrachtung. Die Tatsache, dass bekannte Rechtsextremisten Mitglied einer Burschenschaft sind, ist ein Anhaltspunkt, begründet allein aber noch keine Beobachtung.

Ist es nicht verwirrend, wenn zum Beispiel Wissenschaftler eine Organisation als rechtsextremistisch bezeichnen, der Verfassungsschutz es aber (noch) nicht tut?

Ich denke, eine pauschale Gegenüberstellung von Wissenschaft und Verfassungsschutz greift zu kurz. DIE Wissenschaft gibt es nicht, auch unter Wissenschaftlern sind ja die Beurteilungen zum Rechtsextremismus nicht immer einheitlich.

Aber klar ist: Staat und Wissenschaften folgen ganz unterschiedlichen Logiken. Das Handeln des Verfassungsschutzes ist, wie bereits ausgeführt, juristisch normiert. Was er tut, muss rechtlich überprüfbar sein. Hingegen unterliegen Wissenschaft und Öffentlichkeit keiner solchen Normierung bei der Begriffsbildung. In den Sozialwissenschaften zum Beispiel resultiert Erkenntnis aus einem wissenschaftlichen Diskurs auf der Basis der Wissenschaftsfreiheit. Für die Medien gilt die Pressefreiheit. Beide sind also viel freier darin als der Verfassungsschutz, eine Position als rechtsextremistisch zu bezeichnen. Dies führt in der Tat zu begrifflicher Verwirrung.

Sind Ihre Definition und Ihr Blick vielleicht zu eng?

Nein, an der Verwirrung trägt aus meiner Sicht vor allem die unsaubere Begriffsverwendung in der öffentlichen und politischen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus Schuld. Allzu häufig werden Begriffe wie Neonazismus, Faschismus oder Interner Link: gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit als Synonyme verwendet, obwohl sie unterschiedliche Phänomene und Aspekte des Rechtsextremismus' zum Ausdruck bringen. Wer aber begrifflich nicht differenziert, verzichtet in der Regel auch auf die erforderliche differenzierte Auseinandersetzung. Wichtig ist, dass wir die Einstellungsebene – also Vorurteile und Ressentiments – nicht mit dem organisierten Rechtsextremismus gleichsetzen. Fremdenfeindliche Vorurteile und Ressentiments bestimmen zwar die Erfolgschancen rechtsextremistischer Ideologie, sind jedoch selbst noch kein Rechtsextremismus.

Aber ganz unabhängig davon sind Verfassungsschutzbehörden gut beraten, den Diskurs mit der Wissenschaft zu suchen. Der niedersächsische Verfassungsschutz tut dies seit einiger Zeit u.a. durch eine eigene Veranstaltungsreihe. Ein solcher Austausch ist Korrektiv und Anregung zugleich.

Neben Differenzen zwischen Verfassungsschutz und Wissenschaft gibt es solche auch zwischen den unterschiedlichen Verfassungsschutzämtern. Warum werden manche Organisationen von manchen Verfassungsschutzbehörden beobachtet und von anderen nicht?

Der Rechtsextremismus weist starke regionale Unterschiede auf. Dies kann von Bundesland zu Bundesland zu unterschiedlichen Bewertungen führen. Dasselbe gilt für Organisationen, die sich in der Grauzone bewegen. Im Allgemeinen führen die regelmäßigen Abstimmungen der Behörden auf Bund-Länder-Ebene aber zu relativ einheitlichen Bewertungen.

Ist eine Organisation unbedenklich, wenn sie nicht in Verfassungsschutzberichten genannt wird?

Selbstverständlich nicht, allein schon deshalb nicht, weil nicht über jede vom Verfassungsschutz beobachtete Organisation im Verfassungsschutzbericht berichtet wird. Und ob man zum Beispiel die Junge Freiheit oder Burschenschaften für bedenklich hält, möge jeder für sich selbst entscheiden. Jedenfalls ist die Nichterwähnung im Verfassungsschutzbericht oder die Nichtbeobachtung durch den Verfassungsschutz nicht unbedingt ein demokratisches Gütesiegel für eine Organisation.

Stößt der Verfassungsschutz angesichts der schnellen Veränderungen am rechten Rand an seine Grenzen?

Der Verfassungsschutz darf sich neuen Entwicklungen nicht verschließen, wenn er seiner Rolle als Frühwarnsystem gerecht werden will. Veränderungsprozesse in der Gesellschaft wirken natürlich auf die Entwicklung des Rechtsextremismus zurück – aber geblieben ist seine ideologische Grundstruktur: ein Denken in Kategorien der Ungleichwertigkeit und damit verbunden die Forderung nach Ordnungen der Ungleichheit. Den alten Wein in neuen Schläuchen zu erkennen, neue ideologische Entwicklungen zu identifizieren oder gegebenenfalls zu antizipieren, wird auch weiterhin die Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden sein. Der niedersächsische Verfassungsschutz hat zum Beispiel bereits frühzeitig auf die wachsende Bedeutung islamfeindlicher Strömungen hingewiesen, die derzeit im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte über den Rechtsextremismus stehen. Rassistische oder muslimfeindliche Aussagen sind inzwischen oft auch von sogenannten ganz normalen Bürgern zu hören – etwa bei Einwohnerversammlungen, wenn irgendwo neue Flüchtlingsunterkünfte geplant sind.

Was kann der Verfassungsschutz da tun?

Der Verfassungsschutz ist für den sogenannten Alltagsrassismus zwar nicht zuständig, aber es besteht ein Wechselverhältnis zwischen der von der Universität Bielefeld so bezeichneten gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit und rechtsextremistischen Positionen. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist die Grundlage, das Substrat, auf dem rechtsextremistische Positionen gedeihen können.

Grundsätzlich gilt, dass die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Das heißt, staatliche Behörden und zivilgesellschaftliche Präventionsträger müssen zusammenwirken, wie es im Niedersächsischen Beratungsnetzwerk geschieht, wo neben den Sicherheitsbehörden zum Beispiel auch die Interner Link: ARUG aus Braunschweig oder das Bremer Lidice-Haus eingebunden sind. Wenn die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus erfolgreich sein soll, darf man sie jedenfalls nicht allein uns Verfassungsschützern überlassen.

Geb. 1972 in Salzwedel, studierte Journalistik und Philosophie. Ab 1998 hat er als Redakteur der ZEIT unter anderem die rechtsextremistische Szene und die NPD beobachtet. Seit 2005 freier Autor und Journalist in Berlin und Hamburg.