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Antisemitismus heute – klassische und neue Erscheinungsformen einer Ideologie

Juliane Wetzel

/ 12 Minuten zu lesen

Antisemitismus ist ein zentrales Merkmal des Rechtsextremismus – doch er findet sich in allen gesellschaftlichen Schichten. Während der religiös motivierte Antisemitismus heute nicht mehr sonderlich weit verbreitet ist, haben sich neben dem klassischen Antisemitismus noch der sekundäre und der israelbezogene Antisemitismus ausgebildet.

Schmierereien an Grabsteinen auf dem jüdischen Friedhof in Kröpeln (Landkreis Rostock), aufgenommen am 04.09.2012. Unbekannte hatten den Friedhof am frühen Montagmorgen (03.09.2012) mit Hakenkreuzen und nazistischen Parolen geschändet. Dabei tauchen auch die Begriffe «Hansa» und «FCH» des Fußball-Drittligisten FC Hansa Rostock auf. Der Staatschutz hat die Ermittlungen aufgenommen. (© picture-alliance/dpa)

Antisemitismus ist mehr als nur ein Vorurteil gegen Juden, das sich bis zum Hass steigern kann. Antisemitische Stereotype, die sich chamäleongleich den jeweiligen Zeitläufen anpassen, können sich in ihrer extremsten Ausformung zu einer Weltanschauung fügen, in der Juden eine ideologisierte Sündenbockfunktion übernehmen. Verwendung finden die immer gleichen, über Generationen tradierten Stereotypenmuster, die auf aktuelle Ereignisse reagieren und sich, entsprechend variiert, gegen Juden oder deren Einrichtungen richten. Im Mittelpunkt steht nicht so sehr das Individuum, sondern vielmehr ein imaginiertes jüdisches Kollektiv, das, verschwörungstheoretisch aufgeladen, für jedwede Unbill dieser Welt verantwortlich gemacht wird.

Beim Antisemitismus sind verschiedene Formen zu unterscheiden: Die älteste ist der christlich motivierte Antijudaismus, also die religiös begründete Judenfeindschaft – diese Form ist heute fast nur noch bei sektiererischen religiösen Randgruppen zu finden. Auch der radikale Islamismus bedient sich religös begründeter judenfeindlicher Interpretationen der isalmischen Quellen im Kontext des Konfliktes Mohammeds mit den jüdischen Stämmen in Medina. Als moderner oder klassischer Antisemitismus wird jene Form bezeichnet, die Ende des 19. Jahrhunderts entstand und rassistisch begründet wurde. Heute dominieren im Wesentlichen mit dem sekundären Antisemitismus und dem israelbezogenen Antisemitismus (Antizionismus) zwei Formen der Judenfeindschaft, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind. (Näheres zu den verschiedenen Antisemitismus-Formen – siehe Interner Link: Hintergrund-Text von Armin Pfahl-Traughber.)

Alle Varianten basieren auf der Imagination eines angeblichen jüdischen Kollektivs, das gemäß gängiger Verschwörungstheorien Jüdinnen und Juden zuschreibt, als eine Gruppe zu agieren, die die Macht in allen gesellschaftlich und politisch relevanten Bereichen anstrebe bzw. bereits übernommen habe. Die Attraktivität des Antisemitismus basiert wesentlich darauf, dass sich komplizierte Sachverhalte einfach und schnell erklären lassen, wenn Juden als Sündenbock herangezogen werden. Dies erwies sich einmal mehr während der jüngsten Finanzkrise: Imaginierte Vorstellungen vom jüdischen Kapitalismus, jüdisch dominierten Banken und Börsenspekulationen bedienen das klassische antisemitische Motiv des Juden als Strippenzieher der Finanzwelt bis heute.

Die unterstellte Symbiose von Juden und Geld vermischt sich heute nicht selten mit der Unterstellung "die Juden" würden Regierungen unter Druck setzen, also Macht ausüben, um beispielsweise finanzielle Vorteile aus ihrer Opferrolle im Holocaust zu ziehen bzw. "schuld" daran sein, dass die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen ständig präsent sei (sekundärer Antisemitismus). Es erfolgt nicht selten eine Umkehr des Täter/Opfer-Schemas, das insbesondere auf Israel bezogen wird und eine Entschuldungsstrategie bedient: Juden verhielten sich gegenüber den Palästinensern nicht anders als die Nationalsozialisten gegenüber den Juden. Solche Vorstellungen kulminieren in Vergleichen oder gar Gleichsetzungen von Nationalsozialismus und israelischer Politik (israelbezogener Antisemitismus).

Antisemitismus am rechten Rand – aber nicht nur

Antisemitismus begegnet uns in allen gesellschaftlichen Schichten, in allen religiösen Spektren und sozialen Milieus. Judenfeindschaft ist im rechtsextremen Lager ebenso wie im radikalen Islamismus einer der wichtigstenTräger und konstitutiver Bestandteil der Ideologie. Auch das linke bzw. linksextreme Spektrum ist nicht frei von antisemitisch konnotierten Konstrukten, die jedoch keine elementare Komponente linksideologischer Denkstrukturen sind. Diskurse allerdings, die den Nahostkonflikt oder die Finanz- und Zinspolitik entsprechend linksextremer Denkschemata thematisieren, können antisemitische Inhalte transportieren oder zumindest als solche verstanden werden. Allerdings werden im linken Lager – ganz anders als unter Rechtsextremisten – antisemitische Tendenzen durchaus kritisch hinterfragt. Ein geschlossenes antisemitisches Weltbild findet sich hier nicht, vielmehr werden vorhandene antisemitische Einstellungen häufig schlicht nicht reflektiert oder gar nicht erst als solche erkannt.

In jüngerer Zeit steht in der Öffentlichkeit die Gruppe der Muslime als vermeintlicher Hauptverursacher des Antisemitismus im Fokus, seit der Ankunft Hunderttausender Flüchtlinge haben solche Zuschreibungen noch zugenommen. Dies hat dazu geführt, dass der Rechtsextremismus als zentrales Milieu antisemitischer Inhalte in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um Antisemitismus in Deutschland in den Hintergrund getreten ist. Insbesondere muslimische Verbände und Moscheegemeinden werden oft undifferenziert als Hort antisemitischer Agitation gesehen und Imame als "Hassprediger" charakterisiert. Untersuchungen zu antisemitischen Einstellungen in muslimisch geprägten religiösen Milieus, die diese Vermutungen untermauern oder widerlegen könnten, gibt es bisher kaum.

Im Rechtsextremismus überwiegen in Außenwerbung und Agitation zwar Interner Link: Xenophobie im Allgemeinen und Interner Link: antimuslimischer Rassismus im Besonderen, dennoch bleibt der Antisemitismus nach wie vor lagerintern ein zentrales Bindemittel und unverzichtbares Ideologieelement. Rechtsextreme Parteien, neonazistische Gruppierungen, Kameradschaften, "Freie Kräfte" und neu-rechte Zirkel, die häufig unterschiedliche Strategien verfolgen, sind sich einig in ihrem Hass gegen Juden bzw. gegen Israel. Das Land sei ein "Schurkenstaat", ein "Kriegstreiber", womit angeknüpft wird an Zuschreibungen aus der NS-Zeit, die noch heute in rechtsextremen Kreisen virulent sind: "die Juden" seien es gewesen, die Deutschland den Krieg erklärt hätten. Mit der Unterstellung, der Zionismus ziehe eine "Blutspur" hinter sich her, werden Motive der alten Ritualmordlegende bemüht, die auf dem Gerücht basiert, Juden (in diesem Fall Israel) würden Kinder ermorden, um das Blut für ihre Zwecke zu gewinnen.

Im Zuge der Finanzkrise nahmen in der rechtsextremen Szene, insbesondere in deren Internet-Auftritten, Zuschreibungen einer angeblich von Juden dominierten jüdischen Finanzwelt zu. Bevorzugt verwendete Codes wie "Ostküste" verweisen auf die eigentliche, antisemitische Konnotation: die angebliche Macht "der Juden" an der Wallstreet, einem der größten Finanzplätze weltweit. In engem Zusammenhang damit stehen Vorstellungen einer imaginierten zionistischen Lobby. Es dominieren Verschwörungstheorien, die immer wieder deutliche Bezüge zum klassischen antisemitischen und erwiesenermaßen gefälschten fiktiven Machwerk der "Protokolle der Weisen von Zion" des frühen 20. Jahrhunderts aufweisen. So steht etwa der Code "USrael" für eine solche unterstellte zionistische Lobby und deren vermeintliche Dominanz über die US-Regierung und damit auch über andere Regierungen der Welt, einschließlich der Bundesrepublik. Palästinensertücher, lange ein Symbol linker Haltungen, haben bei Teilen der Rechtsextremen als antiisraelisches Symbol seit Ende der 1990er Jahre ebenso an Attraktivität gewonnen wie Aufkleber mit dem Slogan "Solidarität mit Palästina" (Junge Nationaldemokraten).

Rechtsextreme suchen Anschluss an Antisemitismus der Mitte

Antisemitische Klischees und Ressentiments finden sich jedoch nicht nur an den politischen und gesellschaftlichen Rändern, sondern ebenso in der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Das Ausmaß hängt aber stark davon ab, welche Form des Antisemitismus betrachtet wird: Repräsentative Umfragen zeigen für die deutsche Gesamtbevölkerung in den vergangenen rund 15 Jahren einen kontinuierlichen Rückgang bei den offen klassisch-antisemitischen Einstellungen. Hier liegt die Zustimmungsrate nur noch bei rund fünf Prozent im Jahr 2016 gegenüber neun Prozent im Jahr 2002. Die Zustimmung zu sekundärem Antisemitismus liegt deutlich höher, ist aber ebenfalls rückläufig und betrug 2016 rund 26 Prozent. Formen eines israelbezogenen Antisemitismus waren am weitesten verbreitet, sie trafen 2016 bei 40 Prozent der Bevölkerung auf Zustimmung. (Näheres hierzu und zu den Problemen der Erfassung verschiedener Antisemitismus-Formen in Umfragen.

Rechtsextreme versuchen dies auszunutzen und loten mögliche Anschlussfähigkeiten ihres Antisemitismus aus. Zu beobachten ist die Tendenz bei rechtsextremen Gruppen, sich stärker um einen moderateren und mit der Mehrheitsgesellschaft eher kompatiblen äußeren Anstrich zu bemühen. Strategisch setzen sie zunehmend auf soziale und wirtschaftspolitische Fragen und versuchen, klassische rassenideologische Formen des Antisemitismus eher zu vermeiden. Sie finden sich im Wesentlichen heute nur noch in einigen randständigen rechtsextremen Gruppierungen, im Neonaziumfeld und in subkulturellen Spektren, etwa der rechtsextremen Musikszene. Beispiele sind etwa die Bands "Jungvolk", "Volkstroi", "Schwarze Division Sachsen" oder der Liedermacher "Teja" sowie der Rapper "MaKss Damage".

Auch Anleihen beim nationalsozialistischen Rassenantisemitismus versucht die extreme Rechte eher zu vermeiden, weil sie damit jegliche Optionen, anschlussfähig an die Mehrheitsgesellschaft zu sein, verwirken würde. Deshalb setzt sie mit dem sekundären und dem israelbezogenen Antisemitismus auf jene Formen, die quer durch alle politischen und gesellschaftlichen Lager virulent sind. Verwendung finden allenfalls noch kultur-rassistische Formen, die auf eine Hervorhebung von kulturellen Unterschieden rekurrieren und Ressentiments vermeintlich weniger verdächtig erscheinen lassen, nach dem Motto "Juden passen einfach nicht zu uns". Dass sich rechtsextreme Gruppen an Palästina-Solidaritäts-Demonstrationen zu beteiligen versuchten, belegt die hohe Anschlussfähigkeit des Themas in alle Richtungen. Auf sogenannten Montagsdemonstrationen der selbsternannten "Friedensbewegung 2014" zeigten sich Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker zusammen mit Linken, die eine Querfront von Links- und Rechtsextremen gegen den Staat fordern.

Der Nahostkonflikt als Rechtfertigung für antisemitische Einstellungen

Manifester Antisemitismus, d.h. jene Formen, die in tätlichen oder verbalen Übergriffen auf Juden oder Personen, die als solche wahrgenommen werden bzw. deren Institutionen kulminieren, finden sich heute im rechtsextremen, aber auch im islamistischen Spektrum. Allerdings sind in den letzten Jahren etwaige Tabus, sich in der Öffentlichkeit antisemitisch zu äußern insofern obsolet geworden, als brutale antisemitische Hetze über das Internet verbreitet wird, die sich keinesfalls nur auf extremistische Strömungen beschränkt. Antisemitische Inhalte sind in den sozialen Netzwerken präsenter denn je, und dies nicht nur als Reaktion auf bestimmte Ereignisse, sondern immer mehr auch in proaktiven Formen. Eine zentrale Rolle spielt der Nahostkonflikt als Plattform für Äußerungen, die – so glauben viele – keinerlei antisemitische Konnotationen hätten, weil sie sich gegen Israel oder die Israelis richten und nicht gegen "die Juden".

Umfragen zeigen, dass eine legitime kritische Sicht auf die israelische Politik zu einem nicht geringen Prozentsatz Grenzen hin zu einem sekundären Antisemitismus überschreiten kann. Immerhin haben – trotz eines Abwärtstrends – 2016 noch immer 24,6 Prozent (2014 27,1 Prozent; 2004: 51,2 Prozent) der Befragten der Aussage "Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip auch nichts anderes als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben" eher bzw. voll und ganz zugestimmt. Ähnliche Werte ergaben sich bei dem Item "Israel führt einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser" (2014: 40 Prozent; 2011 47,7 Prozent; 2004: 68,3 Prozent). Auch wenn hier nicht immer ein antisemitischer Hintergrund konstatiert werden muss und sich eine Zustimmung durchaus auch in einer Grauzone bewegen kann, die danach fragen müsste, was, wer, wann und in welchem Zusammenhang bzw. mit welcher Absicht sagt, so wird die Zustimmung zu dieser Aussage doch in den Bereich des israelbezogenen Antisemitismus’ gerechnet, weil der Begriff "Vernichtungskrieg" im bundesdeutschen Sprachgebrauch meist für den NS-Krieg an der Ostfront verwendet wird und durch die Terminologie das israelische Vorgehen hiermit implizit gleichgesetzt wird.

Debatten um den Nahostkonflikt münden nicht selten in gegenseitigen Antisemitismus-Zuschreibungen. Häufig lässt sich keine eindeutige Linie ziehen zwischen einer kritischen Auseinandersetzung mit der Politik Israels und der Verwendung antisemitischer Stereotype. Deshalb hat der Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus, der vom Deutschen Bundestag mit der Erstellung eines Berichts zur Lage des Antisemitismus in Deutschland beauftragt wurde, den Begriff der "Grauzonen" eingeführt. Es kommt immer auf den Kontext der Aussagen an, etwa wer, was, wann sagt und ob die Kritik an Israel ohne Zuschreibungen an ein unterstelltes jüdisches Kollektiv erfolgt, mit stereotypen Merkmalen belegt wird oder im Sinn einer "Umwegkommunikation" Israel nur an die Stelle "der Juden" tritt, quasi als Legitimierung antisemitischer Einstellungen und Positionen.

Welchen Mobilisierungseffekt der Nahostkonflikt insbesondere auf die extremen politischen Ränder ausübt, zeigt sich immer dann, wenn die Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern eskalieren – dann steigt auch die Zahl antisemitischer Straf- und Gewalttaten.

Sekundärer Antisemitismus oder Antisemitismus wegen Auschwitz

Auch wenn der Nahostkonflikt bei den antisemitischen Straf- und Gewalttaten in Deutschland eine Rolle spielt, gehen die Übergriffe (die zu 90 Prozent von Personen aus dem rechtsextremen Umfeld verübt werden) überwiegend auf Formen des sekundären Antisemitismus zurück. Also einem Antisemitismus, der sich aus Schuld- und Schamgefühlen wegen des Massenmords an den Juden während des Nationalsozialismus und einer verdrängten Auseinandersetzung mit der Vergangenheit speist. Die Täter sehen sich als ausführende Organe einer Haltung, von der sie meinen, dass die Mehrheit sie teilt.

Der Antisemitismus wegen Auschwitz ist eng mit dem Holocaust und der Erinnerung daran verknüpft und gipfelt in einer Schuldprojektion auf "die Juden", die die Deutschen angeblich ständig an die NS-Verbrechen erinnerten und damit "Normalität" verhindern würden. Zudem wirft der "Schuldabwehr-Antisemitismus" den Juden vor, sie nutzten die Erinnerung an den Völkermord zu ihrem eigenen Vorteile aus. Diese Form des Antisemitismus wird in aktuellen Debatten häufig auf Israel übertragen. Die Holocaust-Leugnung ist die extremste Form des sekundären Antisemitismus (und in Deutschland strafbar). Auch sie wird heute gegen Israel verwendet, indem der Holocaust in Abrede gestellt oder als "Mythos" bezeichnet wird. Geschichtsrevisionismus, also die politisch motivierte Absicht einer Relativierung oder Leugnung des Massenmords an den europäischen Juden im Nationalsozialismus, ist integraler Bestandteil rechtsextremer Denkstrukturen. Derartige Geschichtsverfälschungen eignen sich ideal, das negative Image des Nationalsozialismus zu korrigieren. Der Verbreitung der "Auschwitzlüge" bedienen sich unterschiedliche politische Gruppierungen aus dem rechtsextremen, dem islamistischen, aber auch dem esoterischen Lager sowie manche christlichen Sekten. Da die Holocaustleugnung in Deutschland einen Straftatbestand erfüllt, artikulieren Rechtsextremisten solche Inhalte, in dem sie den Holocaust verharmlosen, Opferzahlen minimieren oder den Völkermord an den europäischen Juden mit alliierten Bombenangriffen (etwa auf Dresden) gleichsetzen. Dezidiert Holocaust leugnende Inhalte werden über ausländische Provider in den USA und Russland im Internet verbreitet und gelangen auf diese Weise auch in Länder, in denen die Holocaustleugnung unter Strafe steht.

Die jüngste Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung "Gespaltene Mitte — feindselige Zustände" aus dem Jahr 2016 zeigt, dass es eine hohe Korrelation zwischen Antisemitismus und anderen Formen rechtsextremer Einstellungen gibt. Personen, die als ihre Parteienpräferenz die AfD angegeben haben, stimmen zu 19,4 Prozent klassischen antisemitischen Stereotypen zu und liegen damit im Vergleich zu Anhängern von CDU/CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke weitaus am höchsten.

Antisemitische Hetze in Sozialen Netzwerken

Nicht nur Musik ist ein wichtiges Agitations- und Rekrutierungsfeld der rechtsextremen Szene, sondern auch Blogs, Online-Diskussionsforen und Soziale Netzwerke. Antisemitismus spielt in diesen Mobilisierungsmedien durchaus eine Rolle, bisweilen nur in Form von Anspielungen, nicht selten aber auch mit strafbarem Inhalt wie Hassbildern und Vernichtungsfantasien sowie dem Aufruf zu Gewalt gegen Juden.

Die neuesten Ergebnisse von "jugendschutz.net" zeigen, dass Rechtsextreme zunehmend gezielte Falschmeldungen ("Fake News") nutzen, um u.a. gegen Juden zu hetzen. Über Hashtags werden die Botschaften verbreitet, sie erreichen damit auch Personen, insbesondere Jugendliche, außerhalb der Szene. 2014, im Zuge antiisraelischer Demonstrationen wegen des Gaza-Konflikts, wurde eine deutliche Zunahme antisemitischer Postings registriert. Neonazis mobilisierten über Twitter mit der Kampagne "Eine deutsche Stimme gegen Israel". Mit dem Slogan "Israel mordet" wurde über Facebook bei Jugendlichen zu einer Mitmachaktion aufgerufen. Die Aufmachung ist jugendgerecht und wird mit Hilfe von Memes und Bildern in den sozialen Netzwerken gestreut, genutzt werden auch Messaging-Dienste wie WhatsApp.

Trickreich verwenden Rechtsextreme Zeichen, die von Suchmaschinen nicht gefunden werden können. Das neueste Symbol besteht aus drei Klammern, die um einen Personennamen gesetzt werden. In Szenekreisen wird sofort erkannt, dass die Markierung eine jüdische Person betrifft, die damit zum Angriff freigegeben ist. Etliche Twitter-User haben sich eine Gegenstrategie ausgedacht: Sie umklammern ihre Namen jetzt selbst, um der antisemitisch gemeinten Markierung ihre Eindeutigkeit zu nehmen. Inzwischen scheint auch eine Möglichkeit gefunden zu sein, die User der antisemitischen Klammern zu suchen und ihre Hetze damit nachverfolgen zu können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe Juliane Wetzel, Moderner Antisemitismus unter Muslimen in Deutschland, in: Thorsten Gerald Schneiders (Hrsg.), Verhärtete Fronten. Der schwere Weg zu einer vernünftigen Islamkritik, Wiesbaden 2012, S. 243-257; Juliane Wetzel, Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus im Kontext Nahostkonflikt, in: Mirko Niehoff (Hrsg.), Nahostkonflikt kontrovers. Perspektiven für die politische Bildung, Schwalbach/Ts 2016, S. 51-61 – Zur Forschungslage siehe auch: Unabhängiger Expertenkreis Antisemitismus/Bundesministerium des Innern, Antisemitismus in Deutschland – aktuelle Entwicklungen, Berlin 2017, S. 79ff

  2. Michael Hagemeister, Die Protokolle der Weisen von Zion (1903), in: Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, hrsg. v. Wolfgang Benz, Band 6, Berlin/Boston 2013, S. 552ff.

  3. Unabhängiger Expertenkreis Antisemitismus/Bundesministerium des Innern, Antisemitismus in Deutschland – aktuelle Entwicklungen, Berlin 2017, S. 260.

  4. Letzterer ist ein Beispiel für das Auftreten von Antisemitismus auch im linken Lager. In frühen Jahren bezeichnete sich der Rapper selbst als "Stalinist" und trat (unter anderem Namen) vor Linken auf. Nachdem er dort auf scharfe Kritik stieß, stieg er in die rechtsextremistische Szene ein.

  5. Andreas Zick/Anna Klein, Fragile Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014, Bonn 2014, S. 70 [http://www.fes-gegen-rechtsextremismus.de/pdf_14/FragileMitte-FeindseligeZustaende.pdf; eingesehen 11.7.2017]; Gespaltene Mitte — feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2016, Berlin, S. 44 [http://www.fes-gegen-rechtsextremismus.de/pdf_16/Gespaltene%20Mitte_Feindselige%20Zust%C3%A4nde.pdf; eingesehen 9.7.2017].

  6. Unabhängiger Expertenkreis Antisemitismus (UEA), Antisemitismus in Deutschland – aktuelle Entwicklungen, hrsg. vom Bundesministerium des Innern, Berlin 2017, S. 62; siehe auch Deutscher Bundestag, Drucksache 18/11970 vom 7.4.2017 [http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/119/1811970.pdf; eingesehen 7.7.2017]. Deutscher Bundestag, Drucksache 17/7700 vom 10.11.2011, S. 53. [http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/077/1707700.pdf; eingesehen 7.7.2017].

  7. Unabhängiger Expertenkreis Antisemitismus/Bundesministerium des Innern, Antisemitismus, S. 27f.

  8. Wie etwa 2002 (antisemitische Welle europaweit), 2006 (sog. Zweiter Libanonkrieg), 2009 (Operation Gegossenes Blei, Beginn Ende Dezember 2008/Ende Januar 2009), 2010 die Mavi-Marmara-Affäre (Gaza-Flottille) und schließlich der Gazakrieg im Jahr 2014 und die pro-palästinensischen Demonstrationen in vielen europäischen Städten.

  9. Gespaltene Mitte, S. 54.

  10. Ebenda, S. 66 f.

  11. Ebenda, S. 66 f.

  12. Jugendschutz.net, Rechtsextremismus online, beobachten und nachhaltig bekämpfen. Bericht über Recherchen und Maßnahmen im Jahr 2014, Mainz 2015, S. 9 [ http://www.hass-im-netz.info/fileadmin/hass_im_netz/documents/bericht2014.pdf; eingesehen 12.7.2017].

  13. Nach dem Muster (((name))).

  14. taz, 8.6.2016 [http://www.taz.de/!5311757/; eingesehen 12.7.2017]; spiegel-online, 6.6.2016 [http://www.spiegel.de/netzwelt/web/drei-klammern-auf-twitter-was-es-mit-dem-phaenomen-auf-sich-hat-a-1096047.html; eingesehen 12.7.2017].

  15. https://www.wired.de/collection/life/ein-anonymer-entwickler-hat-ein-tool-entwickelt-um-neonazis-auf-twitter-zu-entlarven; eingesehen 12.7.2017.

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Dr., geb. 1957; Historikerin und seit 1991 Mitarbeiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin. Von 2009 bis 2012 Mitglied des unabhängigen Expertenkreises des Deutschen Bundestages gegen Antisemitismus (Co-Koordinatorin); seit 2015 Mitglied des neuen Expertenkreises Antisemitismus. Veröffentlichung zahlreicher Bücher und Aufsätze zur Zeitgeschichte, zur deutsch-jüdischen Geschichte und zu Displaced Persons.