"Haltung zeigen heißt, demokratische Grundsätze verteidigen – vor der Klasse und vor den Kolleg*innen“ (EII_III_TK).
Antidemokratische Positionen und Einstellungen in Schulen
/ 9 Minuten zu lesen
Die Krisen der letzten Jahre machen antidemokratische Tendenzen in der Gesellschaft immer wieder sichtbar. Diskriminierende Äußerungen werden für Lehrkräfte zu einer zunehmenden Herausforderung.
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- Antidemokratische Positionen und Einstellungen
- Hinter jeder antidemokratischen Position oder Einstellung stecken Diskriminierungen
- Wie verbreitet sind antidemokratische Positionen und Einstellungen im Schulalltag?
- Antidemokratische Positionen und Einstellungen im Schulalltag – Ein aktuelles Thema?
- Wie wird mit antidemokratischen Positionen und Einstellungen im Raum Schule umgegangen?
- Auch Lehrer*innen äußern sich antidemokratisch
- Welche Ursachen führen zu antidemokratischen Positionen und Einstellungen?
- Fazit
Von Lehrkräften in einer demokratischen Gesellschaft wird erwartet, auf antidemokratische Tendenzen im Schulalltag unmittelbar zu reagieren. Uneindeutig ist jedoch, ab wann eine Aussage als antidemokratisch einzustufen ist und wann nicht. In Abgrenzung zu einem Verständnis, welches ausschließlich die verfassungsfeindlichen Fälle berücksichtigt, wird im Folgenden vorgeschlagen, zwischen antidemokratischen Positionen und antidemokratischen Einstellungen zu differenzieren.
Antidemokratische Positionen und Einstellungen
Antidemokratische Positionen beruhen nicht zwangsläufig auf einem gefestigten antidemokratischen Weltbild. In Zeiten „multipler Krisen“ (Bader/Becker/Demirović 2010) lässt sich feststellen, dass immer häufiger das demokratische Ideal der Gleichheit und Freiheit durch antidemokratische Aussagen infrage gestellt wird. Dabei kommt es konkret zu Abwertungen von Gruppierungen, Religionen, Weltanschauungen, Lebensstilen, Lebensphilosophien und/oder Lebenspraxen (Dannemann 2023). In Abgrenzung zur Extremismustheorie (Backes 2006) handelt es sich um Positionen, die in der Mitte der Gesellschaft fest verankert sind und in unterschiedlichen gesellschaftlichen Diskursen immer wieder auftauchen. Inwiefern diese Abwertung eher auf Ängste und Unsicherheiten, statt auf überzeugte antidemokratische Ideologien zurückzuführen sind, kann zunächst nicht bestimmt werden (vgl. bspw. Zick/Küpper/Mokros 2023).
Demgegenüber stehen antidemokratische Einstellungen, die sich auf ein autoritär nationales Weltbild berufen. Extrem rechte Tendenzen liefern hier häufig den Nährboden. Ihnen liegt die „Konstruktion nationaler Zugehörigkeit durch Verschärfung spezifischer ethnischer und kultureller Ausgrenzungskriterien und deren Verdichtung zu kollektiven Homogenitätsvorstellungen“ (Schedler 2019, S. 30) zugrunde.
Eine differenzierte Betrachtung beider Kategorien erscheint relevant, da eine antidemokratische Position schnell in eine antidemokratische Einstellung umschlagen kann.
Hinter jeder antidemokratischen Position oder Einstellung stecken Diskriminierungen
Antidemokratische Positionen und Einstellungen sollten nicht nur abstrakt benannt, sondern anhand von konkreten Diskriminierungen identifiziert werden. Dies gilt auch für Aussagen, bei denen eine Mehrfachdiskriminierung vorliegt. Bei der Analyse dieser Positionen und Einstellungen sollten insbesondere die Eigenlogik(en) und die damit verbundenen spezifischen Ideologien reflektiert werden. Denn: Diskriminierungen sind historisch gewachsen und drücken sich durch unterschiedliche Machtverhältnisse aus. Dabei ist zu beachten, dass sich Protagonist*innen verschiedener politischer Spektren diskriminierend äußern und Personen, die Gruppen abwerten, Betroffene und Täter*innen zugleich sein können.
Wie verbreitet sind antidemokratische Positionen und Einstellungen im Schulalltag?
Antidemokratische Positionen und Einstellungen gehören zum schulischen Alltag des pädagogischen Personals. Rassistische Äußerungen sowie sexistische Abwertungen, aber auch Diskriminierungen gegenüber Erwerbslosen sind besonders häufig zu vernehmen (Barp/Dannemann 2023).
Auch wenn antidemokratische Vorfälle in Schulen über sogenannte Meldeplattformen an die Ministerien weitergegeben werden sollen, zeigt sich in Gesprächen mit Lehrer*innen, dass dies nur bei besonders „harten“ Vorfällen – besonders mit Bezug zur extremen Rechten – in der Schulpraxis gemacht wird. Dabei handelt es sich um Fälle, die als rechtswidrig eingestuft werden. Die länderspezifischen Statistiken können somit nur einen Problemausschnitt liefern. Wie darüber hinaus auch Fälle erfasst werden können, die sich in einem Graubereich befinden, bleibt unklar.
Da es sich bei der Thematisierung von antidemokratischen Tendenzen zudem um ein sensibles Thema handelt, sind Lehrkräfte teilweise erst in einem geschützten Raum bereit, Konflikte und Probleme an ihrer Schule zu benennen. Darüber hinaus braucht es ein gewisses Professionswissen, um Diskriminierungen zu identifizieren. Fortbildungen zu einer spezifischen Diskriminierung führen dazu, dass die Wahrnehmung und der Handlungswunsch ansteigt und deutlich mehr Vorfälle benannt werden (Dannemann/Angermann 2023).
Antidemokratische Positionen und Einstellungen im Schulalltag – Ein aktuelles Thema?
Schule kann als Ort ausgemacht werden, in dem gesellschaftliche Herausforderungen und damit einhergehende Polarisierungen direkt ausgetragen werden:
„Gesellschaftliche Brennpunkte spiegeln sich sofort in den Äußerungen im Schulalltag wider. Persönliche Betroffenheit verstärkt, ja polarisiert das zusätzlich“ (EII_I_TM).
Dies zeigte sich während der
Wie wird mit antidemokratischen Positionen und Einstellungen im Raum Schule umgegangen?
Forschungen haben gezeigt, dass Lehrer*innen, die mit antidemokratischen Äußerungen und Verhaltensweisen seitens der Schüler*innen konfrontiert werden, diese als überfordernd, herausfordernd, verunsichernd und belastend wahrnehmen (u.a. Fischer 2018). Als „Einzelkämpfer*innen“ greifen sie nicht selten auf „Vermeidungsstrategien“ zurück, sodass Konflikte ignoriert oder bewusst aus dem Unterricht verbannt werden (Behrens 2014). Obwohl eine Intervention – etwa in Form einer Positionierung – rechtlich, politisch und pädagogisch gefordert wird, bleibt diese häufig aus.
Die Herausforderung wird dann größer, wenn die Fälle komplexer und nicht eindeutig benannt werden können. So zeigt sich, dass besonders „harte“ Fälle, die als rechtswidrig eingeordnet werden müssen, häufig benannt werden. Herausfordernde Positionen, die noch nicht rechtswidrig sind, werden jedoch oftmals nicht erkannt und ihnen wird nicht begegnet. So sind sich Lehrer*innen darüber einig, dass bei einer Holocaustleugnung sowie dem Zeichnen oder Zeigen von verfassungsfeindlichen Symbolen Konsequenzen folgen müssten. Andere Aussagen wie: „Es wird nicht diskutiert, sondern gemacht, was der Mann sagt!“ (EI_TG) oder „Wenn die aus Afghanistan hierherkommen, müssten die gleich erschossen werden (EIII_II_TM)“, werden hingegen als diskutabel in den Raum gestellt.
Schwieriger wird es zudem, wenn die Fälle nicht direkt im Schulalltag geäußert werden, sondern bspw. über Social Media oder durch Klassenchats in die Schule geraten. In diesen Fällen ist es notwendig, sich bewusst zu machen, dass die Schule bei antidemokratischen Positionen und Einstellungen eine hemmende, aber auch fördernde Instanz sein kann. So führt das Ignorieren zu einer sozialen Aufwertung Jugendlicher, die sich an diesen Positionen und Einstellungen bedienen – und verstärkt die Herausforderungen.
Auch Lehrer*innen äußern sich antidemokratisch
Aktuelle Forschungsergebnisse
Eine Positionierung gegenüber Kolleg*innen, die sich antidemokratisch äußern, findet sehr viel seltener statt als bei Schüler*innen. Begründet wird ein Nichteingreifen durch Unsicherheiten im Professionswissen, schlechte Rahmenbedingungen, wenig Zeit, persönliche Differenzen und Resignation bei zu antidemokratischen Tendenzen. Ein Beispiel sind Aussagen wie „Es gibt zu viele Ausländer auf unserer Schule, hier würde ich mein Kind auch nicht herschicken“ oder „Ich bin der, der von Sexismus betroffen ist, da die Schüler*innen sich zu aufreizend anziehen“. Diese suggerieren, dass durch Lehrkräfte Positionen Eingang finden, welche klar als antidemokratisch auszumachen sind, ohne, dass diesen widersprochen wird. Ein kollektives Handeln von Lehrer*innen, um den antidemokratischen Tendenzen einen geteilten demokratischen Werterahmen gegenüberzustellen, wird nur selten als Option benannt.
Welche Ursachen führen zu antidemokratischen Positionen und Einstellungen?
Antidemokratische Positionen und Einstellungen sind nicht nur als Bedrohungsfaktor für die verfassungsmäßige Ordnung, sondern auch hinsichtlich der Ursachen und Folgewirkungen zu analysieren (vgl. auch Stöss 2000, S. 19). So müssen auch die politischen Strukturen und Prozesse sowie die gesellschaftlichen Bedingungen in den Fokus rücken, die antidemokratische Tendenzen begünstigen. Lehrer*innen setzen in der Ursachenanalyse von antidemokratischen Tendenzen im Raum Schule einen klaren, aber auch eingeschränkten Fokus. Forschungsergebnisse haben aufgezeigt, dass Lehrkräfte antidemokratische Einstellungen von Schüler*innen oftmals entwicklungspsychologisch , durch familiäre Sozialisationserfahrungen oder mithilfe von intelligenz- und desintegrationsfokussierter Erklärungen begründen (Behrens 2014). Gesellschaftliche Ursachen wie der sozioökonomische Hintergrund der Schüler*innen werden nur dann benannt, wenn Schüler*innen von Armut betroffen sind und im sozialen Raum nach Orientierung suchen. Dabei wird darauf verwiesen, dass sich in antidemokratischen Aussagen nicht selten jugendtypisches Protestverhalten zeigt (Fischer 2019, S. 116 ff).
In sozialwissenschaftlichen Forschungen zu antidemokratischen Positionen und Einstellungen sind die Erklärungsansätze jedoch vielfältiger. Neben dem Rückbezug auf verschiedene Sozialisationserfahrungen (bspw. Decker/Brähler 2022) können antidemokratische Tendenzen auch als Ausdruck eines Verteilungskampfes (u.a. Heitmeyer 2018; Dörre 2016) oder als Ausdruck eines Kulturkonfliktes (u. a. Merkel 2016; Kohlrausch 2018) analysiert werden. Obgleich der „Verteilungskampf“ als Ursache von Lehrer*innen benannt wird, ist zu ergänzen, dass nicht nur Armut ein maßgeblicher Grund für antidemokratisches Verhalten sein muss. Auch die Angst vor dem potenziellen sozialen Abstieg wäre ein Erklärungsansatz. Hinsichtlich der Thematisierung eines „Kulturkonfliktes“ als Ursache für antidemokratische Tendenzen ist darauf hinzuweisen, dass Lehrer*innen wie auch Schüler*innen selbst auf Kulturunterscheidungen zurückgreifen, wenn antidemokratische Positionen und Einstellungen erklärt werden (Dannemann/Angermann 2023). Als Beispiel sei hier auf die Auseinandersetzung mit
Fazit
Antidemokratische Positionen und Einstellungen werden infolge der gesellschaftlichen Polarisierung und Krisen der vergangenen Jahre verstärkt sichtbar – dass sie nicht selten zum Schulalltag gehören und hier für Konflikte sorgen, überrascht kaum. Es hat sich gezeigt, dass Lehrkräfte vor allem rechte Äußerungen und Verhaltensweisen von Schüler*innen, die kontinuierlich über Jahrzehnte hinweg in verschiedenen Formen sichtbar wurden, als äußerst herausfordernd, verunsichernd und belastend wahrnehmen. Aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen wie die Corona-Pandemie, der Angriffskrieg auf die Ukraine oder der Nahostkonflikt bringen darüber hinaus weitere antidemokratische Positionen und Einstellungen in den Raum Schule, in denen Diskriminierungen auch von Akteur*innen außerhalb des rechten Spektrums zum Vorschein kommen. Zugleich lässt sich festhalten, dass antidemokratische Tendenzen auftreten, die zum Teil nicht sichtbar werden, da es einem Großteil des pädagogischen Personals an der notwendigen Sensibilität fehlt (Dannemann/Angermann 2023).
Aufklärung und Angebote
Für eine Auseinandersetzung mit antidemokratischen Positionen und Einstellungen im Raum Schule braucht es zum einen Aufklärungsarbeit. Diese soll nicht nur auf moralischen Argumentationen fußen, sondern antidemokratische Aussagen anhand individueller, politischer und gesellschaftlicher Ursachen identifizieren, thematisieren und entkräften. Zum anderen bedarf es neuer Strukturen und Angebote, die sich langfristig und nachhaltig mit antidemokratischen Tendenzen beschäftigen. So müssen die Konflikte und die eigene Betroffenheit der Schule fokussiert werden. Denn: Antidemokratische Tendenzen an Schulen sind kein Einzelfall, sondern Ausdruck eines strukturellen gesellschaftlichen Problems.
Weitere Inhalte
Udo Dannemann arbeitet am Lehrstuhl für Politische Bildung an der Universität Potsdam. In seiner Forschung beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit Krisen und antidemokratischen Strömungen als Gegenstand der sozialwissenschaftlichen Bildung. Zuvor war Dannemann als Lehrer tätig.
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