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Die AfD und der Antisemitismus

Armin Pfahl-Traughber

/ 9 Minuten zu lesen

Einerseits betonen führende Vertreter der Alternative für Deutschland, die Partei sei pro-israelisch und pro-jüdisch, andererseits sorgen immer wieder Parteimitglieder durch antisemitische Äußerungen für Skandale. Wie ist dieses doppeldeutige Bild zu erklären?

AfD-T-Shirts werden am 29.11.2015 beim Bundesparteitag der Alternative für Deutschland (AfD) in der Niedersachsenhalle vom HCC in Hannover (Niedersachsen) zum Verkauf angeboten. (© picture-alliance/dpa)

Wie steht die "Alternative für Deutschland" (AfD) zum Antisemitismus? Auf diese Frage gibt es mehrere Antworten. Von der früheren Bundesvorsitzenden Frauke Petry ist die Aussage überliefert, die Partei sei ein politischer Garant jüdischen Lebens. Ganz anders lautet die Einschätzung des Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus des Deutschen Bundestages: Die AfD habe, heißt in seinem im April 2017 vorgelegten Bericht, "mit Abstand das größte Antisemitismus-Problem", zumindest von den im Bericht behandelten Parteien im Bundestag und in den Landtagen.

Es besteht demnach ein Gegensatz zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung. Auflösen lässt er sich, wenn man die Kontexte und Motive von Wortmeldungen aus der AfD genauer betrachtet. Dabei wird deutlich, dass die Partei einen instrumentellen Bezug zum Thema hat: Antisemitismus wird primär bei Flüchtlingen und Muslimen gesehen. Antisemitismus in der deutschen Mehrheitsgesellschaft und in der eigenen Partei hingegen nimmt man kaum zur Kenntnis. Dies wäre aber durchaus notwendig, ist die kurze Geschichte der Partei doch von einschlägigen Skandalen geprägt. Gleichwohl bedarf es auch dazu einer differenzierten Betrachtung.

Verschiebung des Antisemitismus-Problems auf muslimische Flüchtlinge

Am Beginn soll die bereits erwähnte Petry-Aussage stehen. Formuliert hat sie Petry in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt. Den Anlass dazu lieferten Aussagen von Ronald Lauder, dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses. Er hatte die AfD zuvor in einem Interview mit der Welt als eine "Schande für Deutschland" bezeichnet – und die Hoffnung formuliert, dass sie "bald von der politischen Bühne verschwindet". Als Reaktion auf Lauders Aussagen wurde Petry um eine Stellungnahme gebeten. Sie äußerte: "Als jüdischer Repräsentant sollte er erkennen, dass die AfD einer der wenigen politischen Garanten jüdischen Lebens auch in Zeiten illegaler antisemitischer Migration nach Deutschland ist." Demnach zielte die Parteivorsitzende allein auf Judenfeindschaft unter Flüchtlingen. Eine solche gibt es sicherlich, auch wenn es an genauen Forschungsbefunden darüber noch mangelt. Doch jeglichen anderen Antisemitismus blendete Petry aus. Ihr Bekenntnis zum jüdischen Leben in Deutschland diente demnach eher einer migrationsfeindlichen Positionierung.

Mehrere hochrangige Funktionsträger jüdischer Organisationen kritisierten diese Stellungnahme. So erklärte beispielsweise Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelischen Kultusgemeinde München und Oberbayern: Die AfD stehe vielmehr für "Holocaustrelativierung oder gar -leugnung sowie offene Nähe zur Neonaziszene". Für jüdische Menschen sei die Partei "nicht wählbar". Und weiter kommentierte sie: "Es ist an Dreistigkeit und Verlogenheit kaum zu übertreffen, wie die AfD die berechtigten Sorgen jüdischer Menschen vor Antisemitismus unter Muslimen in Deutschland für ihre Zwecke missbraucht". Denn: Eine Befragungen deutscher Juden ergab zwar, dass ein großer Teil der Befragten Bedenken habe, der Antisemitismus in Deutschland werde zunehmen, weil viele Flüchtlinge antisemitisch eingestellt seien (70 Prozent stimmten zu, davon 41 Prozent sogar "voll und ganz"). 80 Prozent der befragten Juden stimmten aber auch der Aussage zu: "Der Antisemitismus ist auch ohne Flüchtlinge ein Problem in Deutschland."

Die Petry-Aussage ist bei weitem nicht die einzige, in der deutlich wird, dass die AfD Judenfeindschaft unter Muslimen oder Flüchtlingen instrumentalisiert. Der Co-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen erklärte einmal auf Nachfrage eines Spiegel-Journalisten: "Die AfD ist dezidiert israelfreundlich, Antisemitismus liegt uns fern, wir hatten sogar zwei jüdische Landtagskandidaten in Baden-Württemberg. Wenn jüdisches Leben heutzutage bedroht ist, dann doch eher durch radikalisierte Moslems". Auch hier geht die formale Distanzierung von der Judenfeindschaft allgemein mit einer Verschiebung des Problems spezifisch auf Muslime einher.

Diese Einstellung deckt sich mit den Positionen, die viele als rechtspopulistisch geltende Parteien in Europa eingenommen haben. Von der "Freiheitlichen Partei Österreichs" (FPÖ) bis zum französischen "Front National" gibt man sich pro-israelisch und pro-jüdisch – was im öffentlichen Diskurs strategische Vorteile bringt: Weil Antisemitismus (bisher) ein Kernmerkmal des Rechtsextremismus ist, wird ein pro-jüdisches Auftreten im Allgemeinen als Beleg für einen Abstand zum Rechtsextremismus verstanden. Aus einer solchen Position kann dann einfacher gegen Migranten und Muslime agiert werden. Der Antisemitismus wird bei Menschen mit Migrationshintergrund verortet – und so von Protagonisten in den eigenen Reihen abgelenkt.

Gedeon, Hohmann und andere: Inkonsequenter Umgang mit Antisemitismus in der AfD

Dabei findet sich Antisemitismus sehr wohl auch in der AfD selbst: Mit einer gewissen Kontinuität kam es zu einschlägigen Skandalen. Sie bewegten sich meist im kommunalen Raum, gelegentlich aber auch auf Länderebene. Dafür stehen für den erstgenannten Bereich etwa Peter Ziemann, Jan-Ulrich Weiß"oder Gunnar Baumgart. Die genannten AfD-Funktionäre hatten bei verschiedenen Gelegenheiten judenfeindliche Statements von sich gegeben, etwa – mit zustimmenden Worten – auf einen holocaust-leugnenden Text auf einem antisemitischen Blog verlinkt. Aufgedeckt wurden diese Fälle von kritischen Journalisten oder Politikern anderer Parteien. Erst in der darauffolgenden öffentlichen Skandalisierung zog die Partei Konsequenzen – von sich aus hatte sie es zuvor nicht getan. Es bedurfte also jeweils erst eines Drucks von außen, um intern gegen judenfeindlich Eingestellte vorzugehen. Dies führte in einigen Fällen dazu, dass die Genannten ihre Funktionen verloren, in anderen Fällen konnten sie parteiinterne Karrieren aber auch fortsetzen. Insofern lässt sich hier für die AfD in der Gesamtschau nicht von einem wirklich konsequenten Vorgehen sprechen.

Besonders bekannt wurde die Debatte um Wolfgang Gedeon im Jahr 2016. Der Landtagsabgeordnete aus Baden-Württemberg hatte, bevor er sich in der Partei engagierte, mehrere Bücher veröffentlicht. Bereits ein Blick in deren Inhaltsverzeichnis macht deutlich, dass er offenbar Anhänger antisemitischer Verschwörungsideologien ist. Seinen Büchern zufolge hielt Gedeon den "talmudistischen Ghetto-Juden" für den inneren "Feind des christlichen Abendlandes". Die Interner Link: nachweislich fiktiven „Protokolle der Weisen von Zion“ seien "mutmaßlich keine Fälschung". Nachdem Formulierungen wie diese in Medien aufgegriffen und dadurch breit bekannt wurden, äußerten sich führende AfD-Politiker relativ deutlich: Es handele sich um antisemitische Aussagen. Fraktionschef Jörg Meuthen forderte den Ausschluss von Gedeon aus der AfD-Fraktion, fand dazu aber in der Fraktion nicht die erforderliche Mehrheit. Auch strategische Argumente wie etwa eine möglicherweise drohende Beobachtung durch den Verfassungsschutz oder negative Folgen bei Wahlen führten nicht zu einem Umdenken. Mehrere Abgeordnete aus der baden-württembergischen AfD-Landtagsfraktion stellten sich hartnäckig hinter Gedeon, was zu einer Spaltung der AfD-Frakion führte: Fraktionschef Jörg Meuthen verließ mit zwölf weiteren Abgeordneten die Fraktion.

Nachdem daraufhin die Co-Bundesvorsitzende Frauke Petry intervenierte, schied Gedeon schließlich "freiwillig" aus der AfD-Rest-Fraktion aus. Meuthen erklärte dennoch, dass sich an der Abspaltung der Gruppe um ihn nichts ändern werde, weil sich die verbliebenen Abgeordneten der ursprünglichen AfD-Fraktion zu Gedeon bekannt hatten. Dennoch dauerte es nur wenige Monate, bis es zu einer Wiedervereinigung der beiden Fraktionen kam. Meuthen und seine Anhänger arbeiteten fortan wieder mit Parteifreunden zusammen, die sich hinter ein AfD-Mitglied mit antisemitischen Verschwörungsvorstellungen gestellt hatten. Meuthens Kehrtwende macht deutlich, dass ihm eigene Machtansprüche in einer größeren Fraktion und der Gesamtpartei wichtiger als eine klare Trennung waren, und sie steht nicht für Glaubwürdigkeit hinsichtlich einer klaren Distanzierung von Judenfeindschaft.

In dieses Muster passt der Umgang mit einer anderen skandalbelasteten Person: Im Jahr 2003 hatte der damalige hessische CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann auf einer Versammlung in seinem Wahlkreis eine vielbeachtete Rede gehalten, in der genaue Betrachter kaum verhüllten Antisemitismus sahen. Im Zuge der folgenden Auseinandersetzung wurde Hohmann erst aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und danach auch aus seiner Partei ausgeschlossen. Anschließend zog er sich aus Öffentlichkeit und Politik weitgehend zurück – bis Hohmann 2016 auf Platz 1 der AfD-Liste für den Kreistag in seiner Heimatregion Fulda kandidierte und danach auch in die Partei eintrat. Obwohl seine Kandidatur wie auch die Parteimitgliedschaft medial bekannt wurden, positionierten sich weder der Bundes- noch der Landesvorstand kritisch dazu. Insofern darf davon ausgegangen werden, dass höchste AfD-Gremien eine Person mit solchen Positionen nicht nur dulden, sondern auch wertschätzen. Hohmanns Aufnahme in die Partei AfD fand kein größeres öffentliches Interesse, und es kam diesbezüglich offenbar auch nicht zu einer kritischen Selbstreflexion der Partei. 2017 zog er sogar in den Bundestag ein.

Keine antisemitische Partei, aber eine Partei mit großem Antisemitismus-Problem

Doch wie positioniert sich die AfD offiziell zum Antisemitismus? Im Parteiprogramm spielt das Thema keine direkte Rolle, weder hinsichtlich eines Bekenntnisses noch einer Distanzierung. Ein konkreter Bezug zum „Jüdischen“ kommt nur an einer einzigen Stelle vor. Bei dessen Beachtung und Einschätzung muss die Aufmerksamkeit auf eine vorherige Passage gelenkt werden. In der Präambel des Parteiprogramms heißt es, die Partei wolle "unsere abendländische christliche Kultur" (S. 6) erhalten. Sieben Kapitel später geht es dann um den "Islam im Spannungsverhältnis zu unserer Werteordnung". Hier will die AfD einer "islamischen Glaubenspraxis" entgegentreten, "die sich gegen … die jüdisch-christlichen und humanistischen Grundlagen unserer Kultur richtet" (S. 48). Auf das "Jüdische" wird also genau in dem Moment Bezug genommen, in dem es um eine Frontstellung gegen den Islam geht. Auch dies lässt auf eine instrumentelle Einstellung zur Judenfeindschaft schließen – warum sonst wird das Jüdische neben dem Christlichen in der Präambel bei der Formulierung des Selbstverständnisses nicht erwähnt?

Ein indirekter Bezug zum Judentum erscheint erst wieder in den Unterkapiteln "Tiere sind fühlende Wesen" und "Schächten". Dort bekennt man sich zunächst zu einer tierschützerischen Grundhaltung und formuliert dann folgende Position: "Nach dem Vorbild von gesetzlichen Regelungen, die schon in … europäischen Ländern gelten, lehnt die AfD Schächten (betäubungsloses Töten bzw. Schlachten) von Tieren ab. Es ist mit dem Staatsziel Tierschutz nicht vereinbar und muss ohne Ausnahme verboten sein" (S. 86f.). Wichtig ist hier die Formulierung "ohne Ausnahme", denn damit geht die Partei über die geltende Rechtslage hinaus: In Deutschland ist zwar das Schächten laut Tierschutzgesetz nicht erlaubt, gleichwohl bestehen Ausnahmegenehmigungen für die jüdischen und muslimischen Glaubensgemeinschaften. Die AfD-Forderungen können eine Reaktion auf die hierzulande uneindeutige und von Tierschützern häufig kritisierte Regelung zum Schächten sein – oder aber eine antisemitische und muslimenfeindliche Haltung dokumentieren. Es spricht aus meiner Sicht vieles dafür, dass hier Letzteres im Gewand von Ersterem vorgetragen wird.

In der Gesamtschau finden sich zahlreiche Belege, die für die Einschätzung des Unabhängigen Expertenkreises sprechen: Die AfD hat von allen im Bundestag oder in Landtagen vertretenen Parteien tatsächlich das größte Antisemitismus-Problem. Dafür sprechen nicht nur die relativ häufigen Skandale. Beachtenswert ist in diesem Kontext auch der Umgang mit ihnen. Gerade der Fall "Gedeon" machte deutlich, dass selbst Anhänger judenfeindlicher Konspirationsvorstellungen in einer (als relativ gemäßigt innerhalb des AfD-Gesamtspektrums geltenden) Landtagsfraktion viele Verteidiger haben. Letztlich war es vermutlich der befürchtete Ansehensverlust und weniger der erkennbare Antisemitismus, der hochrangige Funktionsträger zum politischen Handeln motivierte. Darüber hinaus ist in der AfD mehrfach die Auffassung feststellbar, dass die Judenfeindschaft primär bei den Muslimen gesehen wird. Dies führt im Diskurs zu einer Entlastung des eigenen politischen Spektrums. Angemessen ist dies keineswegs. Denn empirische Befragungen machen deutlich: Antisemitische Einstellungen kommen besonders stark bei den Wählern der AfD vor. Das macht aus ihr keine antisemitische Partei, aber eben eine Partei mit einem Antisemitismus-Problem.

Literatur:

Grigat, Stephan (Hrsg.): AfD & FPÖ. Antisemitismus, völkischer Nationalismus und Geschlechterbilder, Baden-Baden 2017.

Pfahl-Traughber, Armin: Die AfD und der Antisemitismus. Eine Analyse zu Positionen, Skandalen und Verhaltensweisen, in: Schüler-Springorum, Stefanie (Hrsg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Bd. 25, Berlin 2016, S. 271-297.

Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus, Bundestags-Drucksache18/11970 vom 7. April 2017 – Externer Link: online verfügbar

ist Professor für Politikwissenschaft an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl. E-Mail Link: armin.pfahl-traughber@hsbund.de