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Der Weg zum NSU-Urteil | Rechtsextremismus | bpb.de

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Der Weg zum NSU-Urteil

Tom Sundermann

/ 13 Minuten zu lesen

Am 11. Juli 2018 fiel das Urteil im Prozess um die rechtsextreme Terrorgruppe NSU: Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte sind schuldig. Wie kam das Urteil zustande? Tom Sundermann mit einer Zusammenfassung.

11.07.2018 in München: Polizisten stellen am Tag der Urteilsverkündung im NSU-Verfahren vor dem Oberlandesgericht in München Zäune auf. (© picture-alliance/dpa)

Der NSU-Prozess ist beendet, das Urteil umstritten. Anhand einer Indizienkette fanden die Richter am Oberlandesgericht München zu der Überzeugung: Beate Zschäpe und die vier Mitangeklagten sind schuldig. Viele Verteidiger und Opfervertreter sind mit dem Urteil nicht zufrieden. Die Verteidiger aller Angeklagten und die Bundesanwaltschaft haben Revision eingelegt. Die juristische Aufarbeitung ist noch nicht beendet. Ein größeres Verfahren gegen rechtsextremen Terrorismus hat es in der deutschen Nachkriegsgeschichte nicht gegeben: Mehr als fünf Jahre lang lief der Prozess um die Terrorgruppe NSU vor dem Oberlandesgericht München, am 11. Juli 2018 fiel das Urteil. Eine Erlösung? Ein Fanal? Ein Versagen? Das Ende?

Die Bilanz des Verfahrens hängt von der Interessengruppe ab, die sie zieht, denn der Prozess lässt sich nur schwer objektiv vermessen. Doch wie kam das Urteil zustande? Drei Neonazis, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, fliehen an einem Januarmorgen 1998 vor der Polizei. Aus dem Untergrund heraus ermorden sie acht Männer mit türkischem und einen mit griechischem Hintergrund sowie eine deutsche Polizistin, sie zünden drei Bomben, begehen 15 Raubüberfälle. Im November 2011 fliegt die Gruppe auf, die Männer töten sich. Zschäpe setzt die Zwickauer Wohnung der Gruppe in Brand und stellt sich der Polizei.

Von 2013 bis 2018 steht sie zusammen mit vier Helfern des NSU vor Gericht. Zschäpe erhält lebenslange Haft, die Richter stellen die besondere Schwere der Schuld fest. Sie ist schuldig der Mittäterschaft an allen Taten des NSU, der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, des versuchten Mords durch Brandstiftung. Die anderen Strafen sind breit gefächert: Wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung erhält Holger Gerlach, Beschaffer von falschen Ausweispapieren, drei Jahre Haft. Der ebenfalls als Terrorhelfer schuldige André Eminger bekommt zwei Jahre und sechs Monate. Wegen Beschaffung der Mordwaffe wird der seit Anbeginn geständige Carsten Schultze zu drei Jahren nach Jugendstrafrecht, der Mitangeklagte Ralf Wohlleben zu zehn Jahren verurteilt. Bislang liegt lediglich die mündliche Urteilsbegründung vor, die Richter Manfred Götzl innerhalb weniger Stunden verlas, und in der detaillierte Begründungen für Schuld und Strafen weitgehend ausgespart sind. Für die ausführliche Schriftfassung hat das Gericht rund ein Jahr und neun Monate Zeit. Dennoch lässt sich aus 438 Prozesstagen der Weg zum Urteil nachzeichnen.

Welche Rolle spielte Beate Zschäpe?

Verantwortlich für die lange Dauer des Prozesses war auch die Beweislage: Den einen unwiderlegbaren Beweis gegen Beate Zschäpe gab es nicht. Das ist insofern logisch, als Zschäpe unter anderem wegen Mordes durch Mittäterschaft verurteilt wurde. Der Mittäter muss nicht selbst eine Waffe abfeuern oder eine Bombe zünden; es reicht, wenn er die Taten mitträgt, sie "gemeinschaftlich" begeht, wie es im Strafgesetzbuch heißt. Um Zschäpes Rolle für die Terrorakte zu belegen, knüpfte die Bundesanwaltschaft eine lange Kette aus Indizien, zu der Zschäpes Verhalten, ihre Persönlichkeit und Hinweise auf das Leben im Untergrund gehörten. Auf ähnliche Weise gestaltete sie die Anklagen gegen die vier Unterstützer.

Essentiell war im Fall der Hauptangeklagten die Erkenntnis: Beate Zschäpe war weder eine unwissende noch eine bedeutungslose Mitbewohnerin von Mundlos und Böhnhardt, sondern "gleichberechtigtes Mitglied", ja sogar "Fixpunkt" der Gruppe, wie die Richter des Strafsenats in der Urteilsbegründung feststellten. Ohne sie, betonte Richter Manfred Götzl, hätten die Taten nicht gelingen können. Um die Beziehung zu Mundlos und Böhnhardt zu rekonstruieren, nutzte der Senat vor allem Aussagen von Zeugen, die Zschäpe und die Männer kennengelernt hatten. So sagte Zschäpes Cousin Stefan A. aus, die Angeklagte hätte "die Männer im Griff" gehabt. Der mutmaßliche Unterstützer Max-Florian B., der das Trio in seiner Wohnung schlafen ließ, sagte bei der Polizei, die drei seien "als Einheit aufgetreten". Der V-Mann Tino Brandt schätzte Zschäpe vor Gericht als "keine dumme Hausfrau" ein.

Aus demselben Grund untersuchte der Senat selbst scheinbar belanglose Urlaube des Trios, vor allem auf der Insel Fehmarn. Die Aussagen von Zeltplatz-Nachbarn wurden zu Puzzlestücken, die das Bild der selbstbewussten Beate Zschäpe stützten. So sagten die Urlaubsbekanntschaften aus, Zschäpe habe die gemeinsame Kasse des Trios verwaltet, ein Familienvater sagte: "Die waren so ein Team zu dritt." Diesem Bild, das der Wertung der Bundesanwaltschaft entspricht, traten die Verteidiger Zschäpes entgegen. Anwalt Hermann Borchert nannte die Interpretation ihrer Persönlichkeit eine "einseitige" und "fehlerhafte Beweiswürdigung". Verteidiger Wolfgang Stahl kritisierte, in der Interpretation der Anklage seien seiner Mandantin jedwede Indizien negativ ausgelegt worden. Ein Beispiel für diese unvorteilhafte Auslegung sei etwa die Diskussion eines Archivs aus 68 Zeitungsausschnitten, in dem Berichte über die Taten des NSU gesammelt waren. Weil sich an zwei der Artikel Zschäpes Fingerabdrücke fanden, schloss die Bundesanwaltschaft: Die Angeklagte muss die Verwalterin des Archivs gewesen sein, sie war demnach eingeweiht und einverstanden. Einen ganz anderen Schluss zog Verteidiger Stahl: Dass ihre Spuren lediglich auf zwei von 68 Archivalien zu finden waren, sei "der Beweis, dass Frau Zschäpe ganz selten in Kontakt mit dem Archiv gekommen ist", mithin zufällig.

Streitpunkt Mitwisserschaft

Kontroversester Teil des Urteils ist die Frage, was die Angeklagten zur Zeit des NSU im Untergrund von den Terrorplänen wussten – denn davon hing im Falle der Mitangeklagten ab, ob sie unwissend alten Freunden halfen oder bewusst Terroristen unterstützten. Für alle fünf Angeklagten stellte das Gericht fest, dass sie in die Mordabsichten des NSU eingeweiht waren.

So hatte Holger Gerlach laut Ergebnis der Beweisaufnahme eine später nicht verwendete Pistole an den NSU überbracht, zudem war ihm klar, dass die Mitglieder der Gruppe über Waffengewalt als politisches Werkzeug diskutiert hatten – er habe mithin die entsprechenden Schlüsse ziehen müssen. Ähnlich Ralf Wohlleben, der seinen Kameraden Carsten Schultze die bei neun Morden eingesetzten Waffe Ceska 83 mit Schalldämpfer besorgen ließ. André Eminger hielt bis zuletzt engen Kontakt zu Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, teilte die rechtsradikale Einstellung der drei und ließ sich darauf ein, sie beim Leben im Untergrund zu unterstützen.

Die Verteidiger wiederum hatten in den Plädoyers für alle fünf Angeklagten die Mitwisserschaft bestritten. Waffenbeschaffer Carsten Schultze etwa handelte laut seinen Anwälten "nicht bedingt vorsätzlich", rechnete also nicht damit, dass mit der Pistole Menschen erschossen werden. Die Verteidigung forderte Freispruch. Das Gericht urteilte anders, weil es der Aussage eines Zeugen glaubte, der behauptet hatte, Schultze habe die Waffe bei ihm ausdrücklich mit Schalldämpfer bestellt. Dadurch stand fest, dass Schultze vermuten musste, dass sie zum Morden eingesetzt werden sollte. Der Angeklagte selbst hatte behauptet, er habe den Schalldämpfer nicht eigens geordert.

Im Dezember 2015 machte Beate Zschäpe eine Aussage, in der sie behauptete, sie habe von den Morden stets erst im Nachhinein erfahren. Sie habe sich dagegen ausgesprochen und gegenüber Mundlos und Böhnhardt gedroht haben, sich bei der Polizei zu stellen. Ihre Angaben wurden von manchen Prozessbeteiligten als unglaubhaft bewertet, auch das Gericht stellte fest, dass es "Zweifel an der Glaubhaftigkeit großer Teile ihrer Einlassung" gebe. Tatsächlich habe sie von den Plänen gewusst und organisatorische Aufgaben wie die Verwaltung der Finanzen übernommen.

Ähnlich waren es auch bei den anderen Angeklagten insbesondere Zeugenaussagen oder interpretationsoffene Selbstbelastungen, aus denen auf ein enges Verhältnis zum NSU-Trio und folglich auf Mitwisserschaft geschlossen wurde. Somit lagen die Feststellungen über das jeweilige Ausmaß der Mitwisserschaft im Ermessen der Richter, die nach ihrer "freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung" entschieden. Die Urteile bieten daher durch mögliche Zweifel Ansatzpunkte, die im Revisionsverfahren angegriffen werden können. Alle Verteidiger haben gegen das Urteil Revision eingelegt.

Trio-These vs. Netzwerk-These

Nach Ansicht insbesondere mehrerer Anwälte der Nebenklage war der Prozess unter falscher Prämisse gestartet: Der NSU habe in Wahrheit aus mehr Mitgliedern bestanden, die sich nicht nur Beihilfehandlungen, sondern der Mittäterschaft schuldig gemacht hätten. Dies sei in der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft aber bewusst ignoriert worden.

So bildeten sich in kurzer Zeit zwei gegensätzliche Thesen zur Größe des NSU heraus. Auf der einen Seite jene der Bundesanwaltschaft mit einer klaren Begrenzung: "Die terroristische Zelle bestand ausschließlich aus den drei Personen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe." Die Ermittlungen und Beweisaufnahme hätten demnach keine Anhaltspunkte für ein Netzwerk über die drei hinaus ergeben; die "überlebenden Mittäter und Unterstützer" seien angeklagt worden, sagte Bundesanwalt Herbert Diemer in seinem Plädoyer. Indes führt die Anklagebehörde Ermittlungsverfahren gegen neun weitere mutmaßliche Unterstützer, von denen demnach allerdings niemand im Rang eines Mittäters stand – und somit nicht Mitglied der NSU-Zelle war.

Auf der anderen Seite steht die von einer Vielzahl von Nebenklageanwälten vertretene These, nach der die Gruppe NSU Teil eines Netzwerks war, in dem es neben Helfern auch gleichberechtigte Mittäter gab. Dafür spreche etwa die große Zahl von 20 Schusswaffen im Fundus des NSU, deren Herkunft in 17 Fällen ungeklärt ist. Zudem vermuten die Anwälte, dass Helfer vor Ort bei der Auswahl der Opfer assistierten, die in ganz Deutschland umgebracht wurden. Dieser Ansicht schloss sich auch der Vorsitzende des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Clemens Binninger (CDU), an.

Der Annahme einer größeren Gruppe lagen zudem Hinweise auf gemeinsame Vorbereitungen von Anschlägen zugrunde – so schloss eine Reihe von Nebenklageanwälten aus einer Zeugenaussage, dass der Chemnitzer Rechtsextremist Jan W. an der Ausspähung einer Berliner Synagoge beteiligt war. Ein Beleg dafür wurde nicht erbracht. Andere Anwälte kehrten die Beweislast um. So sagte der Opfervertreter Ferhat Tikbas in seinem Plädoyer zum Prozessende: "Dass sich die Existenz von Hintermännern nicht erwiesen hat, heißt nicht, dass es keine gab."

Die Nebenklageanwälte beantragten wiederholt, mutmaßliche Helfer der Untergetauchten aus der rechtsextremen Szene als Zeugen zu laden oder auf anderem Wege Erkenntnisse über sie zu gewinnen. So wurde beispielsweise beantragt, die frühere Leiterin des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes als Zeugin zu laden, da sich Hinweise ergeben hätten, ein örtlicher Neonazi sei am ersten Sprengstoffanschlag von Köln aus dem Jahr 2001 beteiligt gewesen. Das Gericht lehnte die Forderung mit der Begründung ab, das Beweisthema sei für die Wahrheitsfindung ohne Bedeutung.

Im Urteil schließlich galten drei Personen als Hauptverantwortliche: "Keinen Zweifel lässt Götzl aufkommen, dass der Senat nur Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos für die NSU-Täter hält", fasst Gisela Friedrichsen in der Welt zusammen. Für weitere Mittäter hätten sich außer in "den geradezu beschwörenden Behauptungen mancher Opfer und deren Anwälten" auch keine Anhaltspunkte gefunden. Allerdings ist festzustellen, dass das Gericht keine Aussage über mögliche Mittäter, die nicht Teil der Anklage sind, gemacht hat. Ermittlungen über eventuelle weitere Schuldige und eine Erweiterung der Anklage liegen nicht im Kompetenzbereich der Richter. In der Rückschau bleibt festzuhalten, dass die Vermutungen über die Größe der NSU-Gruppe über lange Strecken das Geschehen im Gerichtssaal und auch außerhalb davon bestimmt haben, z.B. in Medien oder Demonstrationen. Für die Genese des Urteils waren diese Vermutungen aber letztlich bedeutungslos. Gemäß dem Strafprozessrecht haben die Richter einzig über die Schuld der Angeklagten und die angemessenen Strafen zu befinden. In diesem Prozess zu verhandeln, wie die individuelle Schuld durch weitere Täter gemindert oder gesteigert worden wäre, scheint kaum denkbar.

Verfassungsschützer und V-Leute als Zeugen

Mehrfach wurden Mitarbeiter des Verfassungsschutzes sowie früherer V-Personen, also Informanten der Geheimdienste, als Zeugen gehört. Dabei ging es zumeist um Ermittlungen kurz nach dem Untertauchen des NSU-Trios 1998. Für Reibung sorgten erneut die unterschiedlichen Interessen von Nebenklagevertretern und Gericht. Die Anwälte bemühten sich dabei, auch das postulierte Versagen der Ermittlungsbehörden herauszuarbeiten.

Schwierig sei dies allein schon gewesen, weil "die Bundesanwaltschaft den Verfassungsschutz weitgehend aus dem Verfahren heraushalten will", wie der Nebenklageanwalt Stephan Kuhn behauptete. Die Anklagebehörde habe sich gegen viele Vernehmungen gesträubt.

Die Vernehmungen gestalteten sich kompliziert. Für die Befragung des früheren V-Manns Carsten Sz. wollte das Brandenburger Innenministerium zunächst keine Aussagegenehmigung erteilen, entschied nach erheblichem öffentlichen Druck dann jedoch anders. Der frühere V-Mann Marcel D. behauptete zunächst, er sei gar nicht im Dienste des Verfassungsschutzes tätig gewesen – korrigierte sich aber später. In den Medien wurde auch die Aussage des vormaligen hessischen Verfassungsschützers Andreas Temme in Frage gestellt. Dieser hatte zugegeben, am Tag des Mords an Halit Yozgat in dessen Internetcafé gewesen zu sein. Den tödlichen Schuss will er jedoch nicht gehört und die am Boden liegende Leiche nicht gesehen haben, obwohl er laut Rekonstruktion der Ermittler zur Tatzeit anwesend war. Das Gericht teilte in einer Erklärung mit, dass es seine Angaben für glaubhaft hielt.

In der mündlichen Urteilsbegründung spielten Angaben von Verfassungsschützern keine Rolle. Auf die mutmaßlichen Fehler von Ermittlern und Geheimdienst ging Richter Götzl mit einem indirekten Satz ein, als er feststellte, dass sich schon frühzeitig "an Deutlichkeit nicht zu überbietende Hinweise auf die Gefährlichkeit" des Trios ergeben hätten.

Die Urteilsverkündung

Am 11. Juli 2018 fiel das Urteil. In der mündlichen Urteilsbegründung bestätigte Richter Götzl weitgehend die Rekonstruktion der Taten, wie sie die Bundesanwaltschaft in der Anklageschrift vorgelegt hatte. Als entscheidendes Merkmal der Mittäterschaft Zschäpes führte Götzl an, dass Zschäpe dafür zuständig war, das rund 15-minütige Bekennervideo des NSU auf DVD zu verschicken, um "größtmögliche Verunsicherung in der Bevölkerung" zu verursachen. Sie sollte so den Akt des Terrorismus komplettieren, selbst dann, wenn Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt dazu nicht mehr in der Lage waren. Daher sei ihr Tatbeitrag "von essentieller Bedeutung" gewesen. Zschäpe musste folglich in die "gemeinsam [vereinbarte] Gesamtkonzeption" eingeweiht gewesen sein.

Deutlich wird an dieser Begründung, dass zumindest die Verteidigungsstrategie von Zschäpes erst im Laufe des Verfahrens hinzugekommenen Anwälten Mathias Grasel und Hermann Borchert bei den entscheidenden Argumenten ins Leere lief. In einer Stellungnahme zum Urteil schrieb Grasel: "Frau Zschäpe war nachweislich an keinem Tatort anwesend und hat nie eine Waffe abgefeuert oder eine Bombe gezündet." Darauf kam es im Urteil jedoch nicht an.

Auch in der Verteidigungsstrategie der sogenannten Altverteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm offenbarten sich Diskrepanzen im Vergleich zum Urteil: An drei der sieben Tage ihres Plädoyers im Juni 2018 ging es einzig um das Feuer, das Zschäpe nach dem Tod ihrer Komplizen in der Zwickauer Wohnung des NSU gelegt hatte, um Beweise zu vernichten. Die Tat schlug sich zwar in einem Schuldspruch wegen Brandstiftung und versuchtem Mord nieder, die Darstellung ihrer Rolle in der vorangegangenen Terrorserie nahm in der Urteilsbegründung jedoch den wesentlich größeren Teil ein. Bei den vier Mitangeklagten entsprachen die Strafen überwiegend zumindest näherungsweise den Forderungen der Bundesanwaltschaft (Beate Zschäpe wurde lediglich die Sicherungsverwahrung erspart, Holger Gerlach erhielt drei statt der geforderten fünf Jahren, Ralf Wohlleben zehn statt geforderten zwölf Jahren, Carsten Schultze wie gefordert drei Jahre Jugendstrafe). Eine Ausnahme bildet André Eminger. Er wurde nicht zu den von der Anklage geforderten zehn Jahren, sondern zu zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Beihilfe zum versuchten Mord wurde er freigesprochen. Grundlage des Vorwurfs war, dass er das Wohnmobil gemietet hatte, mit dem Mundlos und Böhnhardt 2001 nach Köln gefahren waren, um dort den Bombenanschlag zu verüben. Dies traf nach Ansicht des Gerichts zwar zu, doch stand nicht fest, dass Eminger wusste, wozu die Männer damit verreisen wollten. Entschieden wurde also nach dem Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten." Das Urteil wegen Beihilfe zum Terrorismus fiel, weil Eminger dem Trio zwei Bahncards überlassen hatte.

Wie es nach dem Urteil weitergeht

Das öffentliche Echo auf das Urteil war überwiegend einhellig: Das Urteil gegen Beate Zschäpe wurde begrüßt, die gegen ihre Mitangeklagten als mild gewertet. "Ein Urteil, das an einer erwartbaren Stelle hart, an einer unerwarteten Stelle zu hart und an einigen unerwarteten Stellen zu milde war", nannte es der Opferanwalt Mehmet Daimagüler (mit "zu hart" ist die Strafe für Carsten Schultze gemeint). Bundesanwalt Herbert Diemer sprach hingegen von einem "Erfolg des Rechtsstaats". Die regierungsnahe türkische Zeitung Daily Sabah schrieb, das Urteil bringe "keine Gerechtigkeit". Die Ombudsfrau der NSU-Hinterbliebenen, Barbara John, sagte, das Urteil sei für die Angehörigen "eine Erleichterung", dennoch könnten diese sich mit den Strafen "nicht zufriedengeben". Zudem müsse weiter über die Hintergründe des Terrors ermittelt werden. Letztere Forderung wurde in den Reaktionen immer wieder vorgebracht, sie ließ auch eine Social-Media-Diskussion unter dem Hashtag #KeinSchlussstrich entstehen. Das Empfinden mangelnder Aufklärung gründet sich nicht zuletzt darauf, dass viele für vieler Opferangehörigen wichtige Fragen unbeantwortet sind: Nach welchen Kriterien suchte der NSU seine Opfer aus? Gab es Helfer an den Tatorten? Wer besorgte die restlichen Waffen, die das Trio besaß? Warum wurden kurz nach dem Auffliegen der Gruppe 2011 Akten im Bundesamt für Verfassungsschutz vernichtet? Gibt es dort noch mehr Informationen über den NSU? Warum lief die Fahndung nach dem abgetauchten Trio so schleppend?

Einer gerichtlichen Aufklärung war mehreren dieser Fragen durch die engen Grenzen der Strafprozessordnung von Anfang an der Boden entzogen. Denkbar ist allerdings, dass sich andere mutmaßliche NSU-Helfer einem Verfahren stellen müssen: Der Generalbundesanwalt führt nach wie vor Ermittlungsverfahren gegen neun Beschuldigte und ein weiteres Verfahren gegen Unbekannt. Ob es tatsächlich zur Anklage kommt, wird von Prozessbeteiligten allerdings bezweifelt.

Die Überprüfung des Urteils vor dem Bundesgerichtshof steht noch aus: Die Verteidiger aller Angeklagten haben Revision eingelegt. Sie müssen diese noch begründen, sobald die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt. Die Bundesanwaltschaft hat ihrerseits Revision gegen das Urteil gegen André Eminger eingelegt. In einer Revisionsverhandlung werden – anders als in der Berufungsverhandlung – keine Beweise mehr verhandelt, sondern einzig das Urteil auf Rechtsfehler geprüft.

Damit kann der Fall NSU auch juristisch noch lange nicht als abgeschlossen betrachtet werden. Er wird weiter Gerichte beschäftigen. Ob dabei auch die Aufklärung weitergeht, ist eine andere Frage.

ist freier Journalist und hat fünf Jahre lang aus dem NSU-Prozess berichtet.