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Aussteigerinterview: "Diesen extremen Rassismus konnte ich nicht mehr ertragen" | Rechtsextremismus | bpb.de

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Aussteigerinterview: "Diesen extremen Rassismus konnte ich nicht mehr ertragen"

Toralf Staud Johannes Radke

/ 8 Minuten zu lesen

Jonas* war einmal ein Neonazi. Acht Jahre lang war er in der Szene aktiv, anfangs als rechter Skinhead, doch die längste Zeit als Autonomer Nationalist (AN). Er war an Dutzenden Aufmärschen beteiligt, nahm an konspirativen Treffen teil und an brutalen Gewalttaten.

Im Interview erzählt er über seinen Ein- und seinen Ausstieg – wie er zu den Autonomen Nationalisten kam und was ihn dort reizte, wie er irgendwann merkte, dass alles falsch war, woran er geglaubt hatte und wie er nach dem Ausstieg um sein Leben fürchten musste. Heute ist Jonas Anfang 30, hat mit seiner Vergangenheit abgeschlossen und wohnt in einer großen Stadt in Deutschland.

Wie lief Dein Einstieg in die rechtsextreme Szene?

Meinen ersten Kontakt mit Neonazis hatte ich mit 16. Damals habe ich viel Oi!-Punk gehört …

… eine Musikrichtung, die auch bei unpolitischen oder linken Punks beliebt ist.

Klar, aber ich bin dadurch in einen Kreis von rechtsextremen Skinheads reingerutscht. Doch nach einigen Jahren haben mich die dort üblichen Zwänge richtig genervt. In diesem Teil der Szene darfst du nur bestimmte Sachen essen, musst dich wie ein Skinhead kleiden und deren Musik hören – alles andere gilt als "undeutsch". Hätten die anderen mich damals beispielsweise mit einem Döner erwischt, hätte es wohl Schläge gegeben. Hip-Hop zu hören wäre auch überhaupt nicht drin gewesen, das galt als "Nigger-Musik". Darauf hatte ich einfach keine Lust mehr.

Wie bist du auf die Autonomen Nationalisten aufmerksam geworden?

Über ein Internetforum von Neonazis, in dem es damals eine große Diskussion zum militanten Auftreten bei Demonstrationen gab.

Das war Mitte der 2000er Jahre …

Ich war damals Anfang 20 und fand den Stil der Autonomen Nationalisten neu und interessant. Dieses Motto: "Lebe wie du willst, solange du unsere Ideologie propagierst", gefiel mir. Von den Skinheads habe ich mich dann schnell getrennt.

Wie bist Du in die AN-Szene eingestiegen?

Das ging ganz einfach. Damals wohnte ich noch in Süddeutschland und habe mit Freunden eine AN-Gruppe gegründet. Ich erinnere mich noch genau, wie ich meine ganzen Skinheadshirts und Nazi-CDs an Freunde verkauft habe. Die Sachen haben mich einfach nicht mehr interessiert. Wir sind alle losgegangen, haben schwarze Windbreaker, Basecaps und Tücher zum Vermummen gekauft und sind zu einem Aufmarsch nach Leipzig gefahren, für den ein Schwarzer Block der AN angekündigt war.

Was war bei den AN anders als bei den Skinheads?

Abgesehen von der cooleren Kleidung war bei Aufmärschen auch eine ganz andere Stimmung, und die faszinierte mich. Vorher galt immer, dass man die Autorität der Staatsgewalt akzeptieren und sich fügen müsse. Gleichzeitig sahen wir aber, dass die Linksradikalen das ganz anders machten. Wenn denen bei Demonstrationen etwas nicht passte, dann widersetzten sie sich der Polizei. So selbstbewusst auftreten wollten wir auch. Bei den Skins war der Hauptinhalt: am Wochenende saufen, auf Konzerte gehen und Nazi-CDs sammeln. Bei den AN war das völlig anders, da lag das Hauptaugenmerk auf ständigem Aktivismus.

Du bist nach Dortmund umgezogen. Warum ausgerechnet dorthin?

Unter Gleichgesinnten entstanden halt bundesweite Kontakte, man traf sich ständig in Internetforen, auf Demonstrationen. Die Leute aus Dortmund haben gesagt: "Wir wollen hier eine Hochburg schaffen, zieht hierher. Wir besorgen euch eine Wohnung und einen Job." Als ich mich von meiner Freundin getrennt habe, bin ich 2006 tatsächlich nach Dortmund-Dorstfeld in eine Nazi-WG gezogen.

Das war ein komplett neues Leben. Ich hatte außerhalb der Szene keine sozialen Kontakte mehr. Wir haben nur noch in den AN-Kreisen gelebt und der ganze Tagesinhalt orientierte sich komplett am politischen Aktivismus.

Wie wichtig war euch die gezielte Übernahme linker Symbolik? Wurde das als Strategie explizit diskutiert oder ergab es sich eher zufällig?

In erster Linie ging es uns um Aktionsformen wie den Schwarzen Block. Aber es wurde auch besprochen, wie man den alternativen Lifestyle kopieren kann, weil der auf Jugendliche einfach anziehender wirkt als dieses uralte Nazi-Skinhead-Ding.

Autonome Nationalisten (Teil 2)

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Welche Rolle spielte Musik?

Bei den AN durfte man plötzlich alles hören, worauf man Lust hatte: Hip-Hop, Punk, ganz egal. Gerade bei Demos haben wir bewusst Musik von Bands wie den Ärzten laufen lassen, um damit attraktiver zu wirken.

Nach außen geben sich die Autonomen Nationalisten gern modern. Wie war es intern, etwa das Verhältnis zum historischen Nationalsozialismus?

Das ist natürlich alles ein absoluter Widerspruch. Die AN leben ein Leben, das nicht zu dem passt, wofür sie stehen und was sie propagieren. Einerseits werden deutsche Kultur und deutsche Werte gefordert, andererseits ist die Welt, in der die AN leben, meilenweit davon entfernt. Vordergründig wurden beispielsweise Treue, Ehre, Familie und Anstand betont - aber letztlich haben die Männer immer gemacht, was sie wollten. Viele Frauen wurden in Dortmund von ihren Freunden und Ehemännern betrogen.

Habt ihr euch ideologisch noch auf das "Dritte Reich" bezogen?

Definitiv. Das "Dritte Reich" wurde ganz klar verherrlicht und befürwortet, nur in der Öffentlichkeit sollte das nicht so bekannt werden. Wegen dieses Versteckspiels gab es innerhalb des AN-Spektrums sogar Befürchtungen, dass der historische Bezug zurückgehen könnte. Das hat dazu geführt, dass von den Dortmundern ein internes Konzeptpapier mit dem Titel "Gegen die Verwässerung des wahren Nationalsozialismus'" geschrieben wurde.

Wie viele Frauen gibt es bei den AN? Auf Postern oder Aufklebern posieren auffallend oft Frauen.

Das wird ganz bewusst gemacht, um sich offener zu geben und auch Frauen anzusprechen. Der weibliche Anteil bei den AN ist aber nicht höher als in anderen Neonazi-Szenen. Von zehn ANlern waren höchstens zwei Frauen.

Wurden Frauen zumindest stärker akzeptiert als etwa in der NPD?

Nach außen wird es so dargestellt, und tatsächlich gab es einige Frauen in AN-Kreisen, denen eine Führungsposition zugestanden wurde. Aber beispielsweise bei Aufmärschen heißt es dann doch wieder: "Männer nach vorn!" Die meisten Frauen konnten sich in diesen Kreisen nur halten, wenn sie die Freundin von jemandem waren. Das zeigte sich zum Beispiel darin, dass die gar nicht namentlich vorgestellt wurden. Da hieß es dann nicht: "Das ist Paula." Sondern: "Das ist die Freundin von XY."

Wie war euer Verhältnis zu älteren Szenemitgliedern und zu den Skinheads?

Da gab es viele Spannungen, weil die gerade am Anfang das AN-Konzept völlig falsch fanden. Das ging soweit, dass wir in anderen Bussen als die Dortmunder Skinheads zu großen Aufmärschen gefahren sind. Die hatten bundesweit den Ruf, dass sie am Aufmarschort betrunken aus dem Bus rausfallen würden. Dafür haben wir die verachtet. Bei uns gab es ein Regelwerk, dass man auf dem Weg zu Aufmärschen keinen Alkohol trinken durfte. Da ist dann auch schon mal jemand aus dem Bus geflogen, weil er sich ein Bier aufgemacht hat.

Welche Aktionen von Initiativen gegen rechts haben euch am meisten gestört?

Dass sich Antifagruppen und Initiativen gegen rechts mit uns beschäftigt haben, haben wir genossen. Es war ein tolles Gefühl, für wichtig gehalten zu werden. Das Einzige, was uns wirklich getroffen hat, war, wenn unsere Aufmärsche durch Sitzblockaden gestoppt wurden und uns ein Erfolgserlebnis genommen wurde. Für Einzelpersonen war zudem sehr anstrengend, wenn es Outing-Aktionen gab. Also wenn die Nachbarn und der Arbeitgeber darüber informiert wurden, dass man ein aktiver Neonazi ist.

Gewalt gegen politische Gegner steht bei den AN im Vordergrund. Waren das spontane Aktionen oder geplante?

Unsere Aktionen war sehr viel stärker koordiniert als beispielsweise die Übergriffe von besoffenen Skinheadgruppen, die oft aus einer Bierlaune heraus passieren. Scheiben bei linken Läden einschmeißen oder auch Menschen körperlich angreifen: so was wurde bei uns vorher durchgesprochen und vorbereitet. In diese sogenannte Anti-Antifa-Arbeit wurde sehr viel Energie gesteckt, wir wollten das möglichst professionell machen. Wir haben richtig Akten zu einzelnen Personen angelegt, Informationen besorgt und Fotos gemacht. Wir hatten sogar Leute, die einen Job bei Vodafone angenommen haben, um so über die Kundendateien an Privatadressen heranzukommen.

Hattet ihr oft Probleme mit der Polizei?

Ich habe das damals so empfunden, dass die Polizei kaum gegen uns vorgegangen ist. Solange das Rechtsextremismus-Problem in der Öffentlichkeit nicht richtig wahrgenommen wurde, hat es die Polizei auch nicht wirklich interessiert, was wir machten.

Wie war euer eigenes Verhältnis zu Gewalt gegen Polizisten?

Der Staat wurde in der AN-Szene ganz klar als Hauptfeind gesehen. Gewalt gegen Polizeibeamte galt als legitimes Mittel, um die Regierung zu bekämpfen. Es gab häufig gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei, nicht nur bei Aufmärschen, sondern auch nachts, wenn wir Aktionen wie zum Beispiel Plakatieren gemacht haben. Wenn wir die Chance hatten, Polizisten anzugreifen, dann haben wir das auch gemacht.

Auch mit Waffen?

Jeder hatte grundsätzlich Pfefferspray dabei, viele hatten mit Quarzsand verstärkte Handschuhe oder einen Zahnschutz …

… wie ihn Boxer benutzen?

Ja. Auch Teleskopschlagstöcke waren sehr verbreitet. Nur Messer wurden nicht benutzt.

Wurde darüber gesprochen, was passiert, wenn jemand bei einem Angriff so schwer verletzt wird, dass er stirbt?

Nein. Ich hatte auch das Gefühl, dass die Leute keine Hemmschwelle hatten. Im Grunde kann man sagen, dass es reine Glückssache war, dass keiner aus meiner Gruppe jemanden getötet hat. Es gab viele Situationen, wo das ganz einfach hätte passieren können.

Könntest du dir vorstellen, dass jemand aus der heutigen AN-Szene so weit gehen könnte, jemanden gezielt umzubringen oder einen tödlichen Sprengsatz zu zünden?

Durchaus. Wenn jemand nichts mehr zu verlieren hat, also todkrank ist oder vielleicht eine mehrjährige Haftstrafe vor sich hat, die er auf keinen Fall antreten will, dann könnte ich mir das vorstellen.

Gab es Pläne für den Fall, dass jemand untertauchen muss?

Im Notfall wäre das jedenfalls kein Problem gewesen. Die Dortmunder hatten gute Kontakte nach Holland, Tschechien und Italien und hätten organisieren können, dass man irgendwo unterkommt.

Was war für dich der Punkt, an dem du gesagt hast: Ich steige jetzt aus?

Es gab für mich nicht ein prägendes Schlüsselerlebnis, das war ein längerer Prozess. Die Auseinandersetzung mit linken Positionen, die wir als AN aufgreifen und umdeuten wollten, hat mich irgendwann langsam dazu gebracht, mein eigenes Weltbild zu hinterfragen. Je mehr Widersprüche mir klar wurden, desto stärker wurden meine Zweifel. Diesen extremen Rassismus und die Menschenverachtung, aber vor allem die Verehrung von Adolf Hitler konnte ich nicht mehr ertragen. Es hat trotzdem mehr als ein halbes Jahr gedauert, bis ich endlich gemerkt habe, dass alles, was ich hier mache und woran ich geglaubt habe, falsch ist.

Hattest du Hilfe beim Ausstieg?

Sehr geholfen haben mir andere Leute aus der Szene, die auch aussteigen wollten. Mit einem Freund aus Hessen, der den gleichen Prozess durchgemacht hat, wollte ich wegziehen, eine WG gründen und ein neues Leben anfangen.

Wie hat die Szene reagiert?

Abends wurde bei mir ständig geklingelt und auf meinem Handy angerufen. Ich sollte auf die Straße kommen, man wolle mit mir reden. Ich bin natürlich nicht runtergegangen. Eines Nachts bin ich aufgewacht, weil ich laute Geräusche gehört habe. Die wollten gerade die Rollläden meiner Terrassentür aufhebeln. Ich bin geflohen und habe die Polizei gerufen. Im Hof haben die Beamten später zwei der Täter gestellt. Am nächsten Tag habe ich unter Polizeischutz meine wichtigsten Sachen in Kartons gepackt und die Stadt für immer verlassen.

Was glaubst du im Nachhinein, wie man Jugendliche vor dem Abrutschen in die Szene schützen kann?

Das klingt jetzt vielleicht etwas einfach, aber hätte ich damals nicht Neonazis, sondern Fußballfans kennengelernt, hätte ich halt da mitgemacht. Als ich in die rechte Szene eingestiegen bin, habe ich diese Ideologie gar nicht wirklich vertreten. Das kam alles erst später. Es war einfach eine tolle Gruppe, und es gab Ältere, die ich als spannende Vorbilder betrachtet habe. Die erzählen einem dann, wie die Welt funktioniert, und man glaubt das sofort, ohne es zu hinterfragen.

Es war niemand da, der mir gesagt hat: Das ist schlecht, mach das nicht. Wenn ich heute zurückblicke, war ich anfangs einfach ein kleiner, dürrer, schwächlicher Junge, der irgendwo Anschluss gesucht hat, um sich groß und stark zu fühlen.

* Der Name des Aussteigers wurde auf seinen Wunsch hin geändert und ist der Redaktion bekannt

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Toralf Staud war von 1998 bis 2005 Politikredakteur der ZEIT, heute schreibt er als freier Autor unter anderem über Rechtsextremismus. Zwei seiner Bücher erschienen auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Er war 2010 und 2013 an den Recherchen von ZEIT und Tagesspiegel zu Todesopfern rechter Gewalt beteiligt. Zuletzt veröffentlichte er bei Kiepenheuer&Witsch: Neue Nazis. Jenseits der NPD – Populisten, Autonome Nationalisten und der Terror von rechts.

ist freier Journalist mit dem Themenschwerpunkt Rechtsextremismus und Jugendkultur. Er betreut für ZEIT-Online seit Juli 2009 den Störungsmelder. Gemeinsam mit Toralf Staud hat er das ZEIT-Portal "Netz gegen Nazis" gestartet und an dem "Buch gegen Nazis" mitgeschrieben.