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Kameradschaften als Strategieelement

Michael Klarmann

/ 12 Minuten zu lesen

"Kameradschaften" waren fast zwei Jahrzehnte lang eine Strategie, die Rechtsextreme vor Verboten oder dem Ausheben ihrer Netzwerke schützen sollte. Nach dem Aufdecken des NSU gingen Behörden verstärkt gegen solche "Freien Kräfte" vor. Heute sind die Kameradschaften nur noch eine unter mehreren Organisationsformen.

Beweismaterial gegen das bayerische Neonazi-Netzwerk "Freies Netz Süd" (FNS). Ein Mitarbeiter des bayerischen Innenministeriums trägt nach einer Pressekonferenz im Juli 2013 ein großformatiges Foto, welches während einer Razzia bei einem führenden Rechtsextremisten aufgenommen wurde. (© picture-alliance/dpa)

Schätzungen zufolge waren Mitte der 2000er Jahre rund 4.000 Neonazis in Deutschland in "Kameradschaften" organisiert. Dabei sind solche Gruppierungen mehr als Freundeskreise. Heute dürfte es schwer sein, eine Zahl zu benennen, zumal sich das Bild der "Kameradschaften" teils gewandelt hat. So findet sich in den Verfassungsschutzberichten des Bundesinnenministeriums seit einigen Jahren kein eigenes Kapitel mehr über diese zeitweise enorm wichtige Organisationsstruktur.

Jedoch weist das Bundesinnenministerium im Bericht 2015 auf eine wachsende Militanz im Zuge der "Anti-Asyl-Agitation" hin. Strukturen oder Ansätze dazu sieht der Verfassungsschutz nun eher in einer Reihe von neuen Splitterparteien, in den oft aggressiv agierenden "Bürgerwehren", in "rechtsextremistisch ausgerichtete[n] strukturarme[n] Gruppierungen", in Anti-Asyl-Initiativen und in sich virtuell radikalisierenden Zusammenschlüssen. Die durch Urteil des Münchener Landgerichts im März 2017 in erster Instanz als rechtsterroristisch eingestufte "Oldschool Society" (OSS) bestand teils aus Neonazis. Die Optik des OSS-Facebook-Profils und die Hierarchie als "Präsident", "Vizepräsident" und "Sergeant at Arms" erinnerte indes an eine Rockergruppe, die die OSS aber nie war. Kontakt hielt man über die sozialen Netzwerke, über Chat- und Messenger-Dienste sowie Telefon, es gab nur ein Gruppentreffen. Die Mitglieder lebten verstreut, ihre Köpfe kamen aus Sachsen, Bayern und Nordrhein-Westfalen.

Organisationskonzepte

Die rechtsextreme Szene organisiert sich vielfältig. Neben klassischen "Kameradschaften" strukturiert man sich in Splitterparteien wie "Die Rechte" (DR) oder "Der III. Weg", beide gelten als Auffangbecken für die Mitglieder verbotener oder von einem Verbot bedrohter "Kameradschaften". Es gibt "Autonome Nationalisten" (AN), dazu Mischszenen und Gruppen mit Verbindungen in die Rocker-, Kampfsport- und Hooligan-Szene. Zuweilen treten Neonazis mit dem Habitus von Rocker-Gruppen in Erscheinung. Mitglieder tragen Kutten und "Patches" (Aufnäher), nutzen ein "Clubhaus", es gibt Vorfeld- und Supporterclubs.

2017 waren in Thüringen etwa die "Turonen" und deren Unterstützergruppe "Garde 20" präsent. In Berlin gründeten sich schon 1982 die "Vandalen – ariogermanische Kampfgemeinschaft", eine Gruppe von Neonazis, die schon einer "Kameradschaft" glich, optisch jedoch wie eine Rockergang auftrat. "Voice of Anger" (VoA), eine Neonazi-Skinhead-"Kameradschaft" aus dem Allgäu, nutzte zeitweise Räumlichkeiten, die wie bei einem Motorradclub als "Clubhaus" für Veranstaltungen dienten.

Bis 2012 gab es in Bayern die Neonazi-Gruppe "Jagdstaffel DST" ("deutsch stolz treu"). Mitglieder trugen Lederkutten und sollen Wehrsport- und Schießübungen abgehalten haben. Nach einer Polizeirazzia, Waffenfunden und umfangreichen Ermittlungen löste die elitäre "Bruderschaft" sich Mitte 2012 auf. Gegründet worden war sie 2009 von rechtsextremen Skinheads als Crossover aus Rockerclub und "Kameradschaft".

Der "führerlose Widerstand" und die "Organisation ohne Organisationen", wie Thomas Wulff, Mitbegründer jener selbst ernannten "nationalen Bewegung", die "Kameradschaften" einst nannte, entstand Mitte der 1990er Jahre. Vorangegangen waren Verbote von Organisationen, zum Beispiel das der "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP), der "Wiking-Jugend" (WJ) und der Splittergruppe "Nationale Liste" (NL). Drei prominente Neonazis entwarfen ein neues Organisationsmodell. Bei ihnen handelt es sich um Thorsten Heise, vor ihrem Verbot niedersächsischer Landeschef der FAP, Thomas Wulff und Christian Worch. Wulff und Worch waren bis zum Tod des bekannten Neonaziführers Michael Kühnen dessen Mitstreiter. Statt neue Parteien oder bundesweit aktive, größere Gruppen aufzubauen, die wieder verboten werden könnten, entwickelte das Trio ein Konzept, demzufolge künftig lokale "Kameradschaften" ohne Mitgliederlisten und ohne rechtliche Strukturen aktiv sein sollten. Regional vernetzt werden sollten die "Kameradschaften" durch "Aktionsbüros" (Nord, Süd, Mitte, West).

Struktur der Kameradschaften

Selbst nannte die Szene sich "Freie Nationalisten". Man trat und tritt zwar öffentlich durch Aktionen und Aufmärsche in Erscheinung, wähnte sich aber mangels herkömmlicher Strukturen fast unangreifbar. Der Bundesverfassungsschutzbericht stellte noch 2005 dazu fest: "Die Neonazi-Szene organisiert sich überwiegend in Kameradschaften [...]. An der Spitze der einzelnen Kameradschaften steht ein so genannter Kameradschaftsführer, der die Ziele seiner Gruppe bestimmt und Kontakt zu den Leitern anderer Kameradschaften hält. [Zudem] gründen Neonazis ‘Aktionsbüros‘ oder ‘Aktionsbündnisse‘, um fehlende Strukturen und die weitgehende Zersplitterung der Szene auszugleichen."

Im Zuge des Aufbaus einer "deutschen Volksfront", bestehend aus NPD, DVU, Teilen der Republikaner und "Freien Nationalisten", sagte der damalige NPD-Chef Udo Voigt im Februar 2005, wenn seine Partei Mitglieder der "Kameradschaften" integriere, dann handele es sich dabei um "junge, aktionistische Leute, die etwas verändern wollen und bereit sind, ein persönliches Risiko zu tragen. Wir holen sie von der Straße runter." Die NPD brauche "Leute, die nicht umknicken, wenn der Sturm wieder ansetzt." Mit dem Begriff "Sturm", sagte Voigt seinerzeit, meine er "Angriffe von linken Gewalttätern auf nationale Funktionsträger, das Abfackeln von Autos und Überfälle auf unsere Parteizentrale. Dafür braucht man Leute, die nicht weich werden."

"Der historische Nationalsozialismus kann für uns kein Vorbild sein", ergänzte Voigt 2005. Auffallend war damals jedoch, dass sich eine Reihe der "Freien Kräfte" positiv auf die SA bezog. Jene seit 1921 als Sturmabteilung bekannte Organisation der NSDAP war als Versammlungsschutz der Partei gegründet worden, weswegen sie gelegentlich auch, wie zu ihrer Gründungsphase, Saalschutz genannt wird. Später wurde aus der Schutzorganisation eine paramilitärische Kampf- und Propagandatruppe der Nationalsozialisten.

Nachdem im September 2004 Führungskader der "Freien" im Zuge der "Volksfront von rechts" medienwirksam der NPD beigetreten waren, erledigten "Kameradschafter" denn auch verstärkt Ordner-, Hilfs- und Schutzdienste für NPD-Veranstaltungen oder -Wahlkampfstände. Ziel der "Kameradschaften" war und ist es überdies, die Herrschaft über die Straße zu erlangen, wenn nötig auch durch Einschüchterung der Gegner, Überfälle und schlimmstenfalls auch Terroraktionen. Angesichts von massiven Einschüchterungen des politischen Gegners während der Berliner Wahlen 2006 verglich der damalige SPD-Generalsekretär Hartmut Heil die rechten Störtrupps in der "Berliner Runde" am Wahlabend denn auch mit der SA.

Wulff, Worch und Heise standen und stehen für eine Kontinuität der Führungskader in der Neonazi-Szene. Wulff wandte sich 2004 der NPD zu und fungierte zeitweise in der Partei als "Koordinator freie Kräfte" und "persönlicher Referent" für Voigt. Heute hat Wulff die NPD jedoch wieder verlassen. Für rechtsextreme Multifunktionalität steht auch Heise. Der ehemalige FAP-Kader war Chef der "Kameradschaft Northeim". Heise trat im September 2004 medienwirksam mit Wulff und einem dritten Führungskader der "Freien", Ralph Tegethoff, in die NPD ein. Der prominente Rechtsrockhändler Heise bekleidete seitdem verschiedene Funktionen in der NPD und galt zeitweise ähnlich wie Wulff als ihr "Verbindungsmann" zu den "Kameradschaften".

Kurz nach dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren kandierte Heise im März 2017 – vergeblich – für das Amt des Bundeschefs. Er klagte auf dem Parteitag in Saarbrücken, die "aktivistische Basis" sei "abgehauen aus der Partei". Die NPD war im Zuge des zweiten Verbotsverfahrens auf Abstand zu den "Kameradschaften" und militanten Gruppen gegangen, andere hatten sich selbst von der ihrer Meinung nach verweichlichten Partei abgewandt.

Die SA oder deren Führungspersönlichkeiten als Vorbilder

Ein Teil der "Kameradschaften" stellte sich in den 1990er und 2000er Jahren offen in die Tradition von Hitlers Straßenkämpfern. So nutzen diese manchmal Zahlencodes, die sich auf lokale SA-Gruppen beziehen: die "Kameradschaft Celle 73" war angelehnt an die SA-Standarte 73, einst stationiert in Hannover; die verbotene "Kameradschaft Hauptvolk" hatte eine Untergruppe "Sturm 27", benannt nach einer ehemaligen SA-Gliederung in Brandenburg. Andere Kameradschaften nannten sich etwa "Sturm Baden" und "Hamburger Sturm". Die "Kameradschaft Aachener Land" kürzte sich während ihrer Gründungsphase Mitte 2001 noch nicht KAL, sondern KSA ab.

Andere "Kameradschaften" bezogen sich positiv auf lokale SA-Männer – etwa die nach dem Essener SA-Gruppenführer benannte "Kameradschaft Josef Terboven" oder die nach dem ermordeten SA-Mann benannte "Kameradschaft Walter Spangenberg" aus Köln. Der damalige, aus Hamm stammende "Kameradschafts"-Kader Sascha Krolzig nutzte bei seiner Rede auf einer Demonstration am 14. März 2005 in Dortmund die SA-Kampflosung: "Alles für Deutschland!" Der frühere Kölner Führungskader der "Kameradschaft Walter Spangenberg" und Mitinitiator des "Aktionsbüros Westdeutschland", Axel Reitz, verabschiedete sich vor einem Haftantritt 2006 per Rundschreiben von seinen "liebe[n] Kameradinnen und Kameraden" mit den Worten, er habe "stets versucht meine Pflicht als politischer Soldat an vorderster Front des politischen Kampfes zu erfüllen". Der Begriff "politischer Soldat" stand für den ideologisch gefestigten SA-Straßenkämpfer, von dem SA-Chef Ernst Röhm einst träumte. Reitz hat der Neonazi-Szene nach 2012 den Rücken gekehrt.

Der Bundesverfassungsschutzbericht 2005 stellte fest: "In zahlreichen Debatten [...] kommt die grundsätzlich vorhandene Gewaltaffinität der Szeneangehörigen zum Ausdruck. Auch wurden wiederholt Waffen gefunden. Paramilitärische Wehrsportübungen gehören für einen Teil der Szene zur politischen Arbeit." Das "Aktionsbüro West" schrieb im Juli 2006 etwa: "Es wird Zeit, dass der Nationale Widerstand sich nicht mehr nur darauf beschränkt sein Terrain zu verteidigen, sondern anfängt dem Gegner das Feld streitig zu machen! Lassen wir aus dem Nationalen Widerstand einen Nationalen Angriff werden!"

Die "Freien Kräfte" als regionale Terrorzellen

Auf lokaler Ebene wurden einzelne "Kameradschaften" verboten. So wurde die 1996 gegründete, paramilitärische Gruppe "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS) durch das sächsische Innenministerium verboten, unter anderem weil deren geschätzten 85 bis 125 Mitglieder und Sympathisanten rund um Pirna aggressiv und militant gegen Gegner und Migranten vorgegangen waren. Ihr Ziel war es dabei gewesen, die Region zu "säubern". Nach Waffen- und Sprengstofffunden sowie dem Verbot als kriminelle Vereinigung 2001 hielten SSS-Kader jedoch konspirativ Teilstrukturen aufrecht. Es wurden noch Wahlkampfhilfen und Ordnerdienste für die NPD geleistet.

Als Terroristen verurteilt wurden vor dem Brandenburger Oberlandesgericht im Frühjahr 2005 Mitglieder einer "Kameradschaft Freikorps Havelland". Die Jugendlichen – zur Tatzeit zwischen 14 und 18 Jahre alt – hatten in der Gegend um Nauen zwischen August 2003 und Mai 2004 Brandanschläge auf ausländische Imbisse und Restaurants verübt. Sie wollten die wirtschaftliche Existenz der Migranten zerstören und sie "vertreiben". Die "Kameradschaft Süd" in München entwickelte sich zur terroristischen Vereinigung und Mitglieder sprachen über einen Sprengstoffanschlag auf die Grundsteinlegung des Jüdischen Kulturzentrums am 9. November 2003, wie sich später herausstellte ohne diesen konkret zu planen. Der damalige Anführer der Gruppe, Martin Wiese, war seit der Jahrtausendwende mehr und mehr zur Führungsfigur innerhalb der "Freien Kräfte" in Süddeutschland geworden und verfügte über bundesweite Kontakte.

Mitglieder der "Kameradschaft Süd" – darunter Martin Wiese – wurden im Frühjahr 2005 in zwei Prozessen vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht zwar wegen Waffen- und Sprengstoffdelikten sowie Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Doch abgesehen von Unterbrechungen bestand die "Kameradschaft Süd" weiter. Statt des inhaftierten Wiese führte Norman Bordin die Gruppe, der zeitweise auch NPD-Mitglied und Funktionär der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) war.

Verbotswelle und staatliche Repression nach dem NSU-Schock

"Kameradschaften" agieren als Freundeskreise getarnt. Behörden können sie oftmals nur nach dem Vereinsrecht verbieten, wenn juristisch belegbar ist, dass es formal Mitglieder gibt und diese ein gemeinsames Ziel verfolgen. Verfassungsfeindlichkeit, die Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus oder Einstufung als kriminelle respektive terroristische Vereinigung können ein Verbot bewirken. Die Dynamik der Szene, Fluktuation unter Mitgliedern sowie Selbstauflösungen und Umbenennung erschweren es indes, Strukturen aufzudecken.

Als sich Ende 2011 der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) selbst enttarnte, ging der Staat dennoch verstärkt gegen "Kameradschaften", "Freie Netze" oder "Aktionsbüros" vor. Entstanden war der NSU aus dem Neonazi-Verbund "Thüringer Heimatschutz" (THS), einer Art Überbau für "Kameradschaften" in Thüringen. Zum THS gehörte auch die "Kameradschaft Jena", aus der die NSU-Kerntruppe stammte. Mutmaßliche Unterstützer waren in der Szene der "Kameradschaften" aktiv.

So kam es ab 2012 zu einer Verbotswelle und zu Ermittlungen. Verboten wurden etwa die "Kameradschaft Aachener Land" (KAL), der "Nationale Widerstand Dortmund" (NWDO), die "Kameradschaft Hamm", die "Kameradschaft Köln", die auch als "Kameradschaft Walter Spangenberg", "Freie Kräfte Köln" (FKK) oder "Freies Netz Köln" (FNK) firmiert hatte. Verboten wurde auch der Zusammenschluss "Besseres Hannover". Gegen das "Aktionsbüro Mittelrhein" (ABM) wurde ermittelt, weil man das im südlichen NRW und nördlichen Rheinland-Pfalz aktive Netzwerk als kriminelle Vereinigung einstufte.

Das sächsische Innenministerium hat 2014 die "Nationalen Sozialisten Chemnitz" (NSC) verboten. Eine Klage gegen das Verbot wies das Sächsische Oberverwaltungsgericht 2016 ab und stellte fest, dass die Vereinigung unter wechselnden Namen firmiert hatte. Als NSC sei Neonazi-Propaganda verbreitet worden, als "Interessengemeinschaft Chemnitzer Stadtgeschichte" habe die Gruppe Aktionen zum Gedenken an deutsche Opfer im Zweiten Weltkrieg organisiert und unter dem Label "Raus in die Zukunft" Proteste gegen Geflüchtete abgehalten.

2014 verbot das bayerische Innenministerium das "Freie Netz Süd" (FNS), einen Quasi-Dachverband der "Kameradschaften". Das FNS galt als Nachfolgeorganisation der 2004 verbotenen "Fränkischen Aktionsfront" (FAF). Im Februar 2017 fand eine Razzia gegen Mitglieder des Netzwerks "Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen" statt. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) nannte die Mitglieder der Gruppe "Nazis", die immer wieder "aggressiv und martialisch" aufträten. Nachdem die Bundesanwaltschaft schon 2012 ein Verfahren wegen des – später nicht belegbaren – Verdachts auf Bildung einer Terrorgruppe gegen die "Weisse Wölfe Terrorcrew" (WWT) eingeleitet hatte, wurde die "Crew" 2016 durch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verboten.

Seit 2016 ermitteln die Behörden gegen die "Freie Kameradschaft Dresden". Sie geriet 2017 im Rahmen des Prozesses gegen die mutmaßlich rechtsterroristische "Gruppe Freital" in die Schlagzeilen, da Personen aus beiden Gruppen kooperiert haben sollen. In der "Gruppe Freital" waren Rechtsextreme und zuvor politisch kaum aufgefallene Personen aktiv, sie fußte auf die "Bürgerwehr Freital" (auch "Bürgerwehr FTL/360"). Die Personen, die Gewalttaten ausübten und sich in ihren Chats selbst "Terroristen" genannt haben sollen, hatten ihrem Kreis selbst gar keinen Namen gegeben. Letztlich nutzten Ermittler im Zuge des Verfahrens nur intern die Umschreibung "Gruppe Freital", öffentlich setzte sich der Name erst aufgrund von Pressemitteilungen, durch Medienberichte und als Bestandteil der Anklage durch. Die lockere Gruppierung, die mit der "Freien Kameradschaft Dresden kooperiert haben soll, steht exemplarisch für die Warnung des Bundesinnenministeriums vor einer wachsenden Radikalität der "Bürgerwehren" und der Anti-Asyl-Initiativen. Die Bundesanwaltschaft verdächtigte zudem einen NPD-Ratsmann, die Gruppe mit Informationen und Tipps über mögliche Abschlagsziele versorgt zu haben.

Unter dem Schild des Parteienprivilegs

Unter Druck geraten, nutzten Teile der Szene wieder das Parteienprivileg, um Strukturen zu erhalten oder neu aufzubauen. Parteien dürfen nach Artikel 21 des Grundgesetzes nur vom Bundesverfassungsgericht verboten werden. So sind die Miniparteien "Die Rechte" (DR) und "Der III. Weg" offen für die Aufnahme von Mitgliedern verbotener Gruppen. Führungskader und Aktivitäten sind teils identisch. Neu ist also, dass aus formalen Gründen an Wahlen teilgenommen und so der Schein aufrechterhalten wird, ein geschützter Parteiverband und keine Belebung verbotener Strukturen zu sein.

So hatten Anfang 2017, also fast fünf Jahre nach dem Verbot der "Kameradschaft Aachener Land" (KAL), Neonazis den Wiederaufbau von Strukturen umgesetzt und warben verstärkt wieder Jugendliche im Großraum Aachen an. Bereits am 2. Februar 2013 fand die Gründungsfeier der Kreisverbände Aachen und Heinsberg von "Die Rechte" (DR) im Kreis Düren statt. Unter den Teilnehmern: ehemalige KAL-Mitglieder und -Kader. Mitte 2014 gründete man eine vermeintlich neue Gruppe. Verkündet wurde via Internet, dass eine der DR untergeordnete regionale Freizeit-, Schulungs- und Freundesgruppe namens "Syndikat52" (S52) aktiv geworden sei. Neben Politik sollte dabei auch eine jugendaffine Eventkultur breiten Raum einnehmen.

Von Beginn an deckten sich neben den DR-Aktivitäten besonders jene von S52 mit KAL-Angeboten: Schulungen, "Heldengedenken", Weihnachts- oder "Sonnenwend"-Feiern, sportive Aktivitäten, Aufkleber- und Sprühaktionen. Ex-KAL-Kader, Mitglieder und Sympathisanten traten bei Aktionen und Aufmärschen in S52-Shirts auf. Organisiert wurden "Balladen-Abende" und Rechtsrock-Konzerte. 2016 publizierte S52 zum Jahrestag des KAL-Verbotes via Facebook das Bild einer roten Flagge mit einem weißen Kreis, in dessen Mitte kein Hakenkreuz, sondern ein schwarzes Herz prangte. Dazu hieß es, dass "auch heute noch […] der Widerstand [lebt]. Eine so reine und klare Weltanschauung lässt sich nicht verbieten." Dazu via Hashtag die Parole: "TrotzVerbotSindWirNichtTot".

Wie zuvor schon durch die KAL, werden über S52 junge Interessierte angesprochen und angeworben sowie an die neonazistische Ideologie und Szene herangeführt. Mittels Aktionen, Konzerten und Fahrten zu Aufmärschen will man eine "Erlebniswelt Rechtsextremismus" herstellen wie zu KAL-Zeiten. Der verstaubt wirkende Begriff "Kameradschaft" oder SA-Bezüge wurden durch ein cooleres, modernes und jugend(sub)kulturelles Auftreten abgelöst.

Genau das könnte eine neue Form des alten Konzeptes sein: intern hierarchisch und traditionell neonazistisch, nach außen hin jedoch "cool" wirken wollend. Selbst wenn diese Neonazis bei Aufmärschen Parolen rufen, die den "Straßenkampf" glorifizieren oder wie Anfang 2017 in Hückelhoven (Kreis Heinsberg) sprühen: "I 3 Htlr", dazu Hakenkreuze oder "S52 Rotfront zerschlagen". Da man formal als Gliederung der Partei "Die Rechte" auftritt, glaubt man offenbar, vor einem erneuten Verbot sicher zu sein.

Sowohl bei den Organisationsformen als auch im äußeren Erscheinungsbild erscheint das Konzept der "Kameradschaften" heute nach außen hin moderner und vor allem vielfältiger als Mitte der 1990er Jahre.

In der realen und durch die geschickte Nutzung moderner Kommunikationsformen auch in der virtuellen Welt bieten Neonazis Interessierten allgemein zahlreiche Möglichkeiten anzudocken. Diese vermeintliche Heterogenität der Szene macht es teilweise schwieriger, neue Gruppierungen oder Strukturen zu verbieten.

Michael Klarmann arbeitet seit Mitte 2000 als Journalist in Aachen. Sein Arbeitsschwerpunkt sind rechte Szene(n) im Großraum Aachen und dem westlichen NRW sowie darüber hinaus. Arbeiten u.a. über "Kameradschaften", "Autonome Nationalisten" und jugend(sub)kulturelle Mischszenen.