Was hilft gegen politische Tsunamis?
Wohin führt 2024 – Mitteleuropäische Reflexionen zu Beginn eines Jahres besonderer politischer Weichenstellungen
Basil Kerski
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2022 und 2023 verliefen ernüchternd unvorhersehbar, wie uns Putins Krieg und der Hamas-Terror gegen Israel zeigten, auch weil wir dazu neigen, uns Weltentwicklung gerne schönzudenken und Vorzeichen für üblere Entwicklungen missachten. Wie wird dann erst 2024? Es wird das Jubiläumsjahr von 35 Jahren Mauersturz und Fall des Eisernen Vorhangs sowie von 20 Jahren EU-Osterweiterung. Doch mitnichten sind Feindbilder zerplatzt, sondern mittlerweile neue entstanden. Wächst nun eine neue Mauer zwischen Russland und Ukraine? Was könnte, müsste Europa tun um Zukunft wieder zukunftsfähiger zu gestalten? Auch Deutschlands Entwicklung ist nicht mehr vorhersehbar. 2024 wird über die zwei deutschen Republikgründungen vor 75 Jahren reflektiert, die auch dazu beitragen sollten, Rassismus und Faschismus zu überwinden. Aber bei den kommenden Wahlen in Europa und in Sachsen, Thüringen und Brandenburg werden wie gelähmt Erfolge extrem populistischer Parteien erwartet, die kein Hehl daraus machen, aus welcher extremistischen Ecke ihre politischen Vorbilder kommen. Ist das unausweichlich? Oder sollten wir lernen, mutschöpfend auch nach Polen zu schauen, wo es allen Pessimisten zum Trotz plötzlich möglich wurde, sich für Wandel durch Demokratieverteidigung zu entscheiden? Oder ist auch das alles noch zu instabil und (wunsch)gedacht? Ein Ausblick des Direktors des Europäischen Solidarność-Zentrums in Danzig, Basil Kerski:
Politische Zukunftsvoraussagen fallen zunehmend schwerer. Eine Vielzahl wichtiger Wahlgänge im Jahr 2024 führt zu Spekulationen über die nahe politische Zukunft, auch angesichts des zunehmenden Aufbrechens früher so besonnener politischer Milieus: am 9. Juni die Europawahlen in Zeiten einer neuen Flüchtlingswelle, im September drei Landtagswahlen in den östlichen Bundesländern vor dem Hintergrund einer steigenden Popularität der antieuropäisch-völkischen AfD und dann am 2. November die für das westliche Bündnis schicksalhaften US-Präsidentschaftswahlen. Präsidialer Autoritarismus im Mutterland der Demokratie? Ein politische Tsunami in den USA wird immer wahrscheinlicher. Und auch die dramatischen Nachrichten von den Kriegsfronten in der Ukraine und in Nahost drängen zum Nachdenken über den weiteren Verlauf der gegenwärtigen militärischen Konflikte und ihrer internationalen Auswirkungen.
In den vergangenen Jahren haben wir erfahren müssen, wie stark sich Expertinnen und Experten in ihren Prognosen irren können. Politische Entwicklungen werden von jeher, nicht nur in unserem Zeitalter der globalen Vernetzung und der Beschleunigung, von neuen, plötzlich auftretenden Faktoren in Natur, Gesellschaft und Politik entscheidend beeinflusst. Unerwartete Faktoren und unberechenbares Zusammenwirken von bekannten Entwicklungen können Szenarien auf den Kopf stellen. Coronaviren lähmten 2020 innerhalb weniger Wochen die gesamte Welt. Und wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass wir am 7. Oktober 2023 ein Massaker islamistischer Terroristen an israelischen Zivilisten von einem apokalyptischen Ausmaß erleben würden, das einen neuen Nahostkrieg ausgelöst hat?
Zwischen alldem: eine neue friedliche Revolution
Selbst die besten Kenner mitteleuropäischer Entwicklungen haben nicht damit gerechnet, dass eine Woche nach der Tragödie in Israel eine friedliche Revolution an den Wahlurnen in Polen für politische Hoffnung in Europa sorgen würde. Die nationalistische Herrschaft an der Weichsel wurde beendet. Das Bündnis nationalistischer Kräfte innerhalb der Europäischen Union (EU) um Viktor Orbán wurde massiv geschwächt. Aber die politischen Voraussagen sind auch deshalb schwieriger geworden, weil seit zwei Jahren ein Krieg die gesamte politische Landschaft des Kontinents in kurzer Zeit verändert hat: bei vielen Menschen in Europa sitzt der Schock des Überfalls Russlands auf die Ukraine noch tief - ein totaler Krieg einer imperialen Diktatur gegen eine demokratische Gesellschaft.
Was lange unvorstellbar war, ist erneut politische Realität geworden: Krieg wird in Europa wieder als Mittel eingesetzt, um politische Ziele durchzusetzen. Die Massaker auf dem Westbalkan in den 1990ern erweisen sich vor dem Hintergrund des Schicksals der Ukraine mehr als eine Episode an der Peripherie des Kontinents. Die Jugoslawienkriege waren Signale, die darauf hinwiesen, dass aggressiver Nationalismus, Grenzrevisionen, Vertreibungen und Morde an Zivilistinnen und Zivilisten wieder Eingang in die europäische Politik gefunden haben.
Auch Russland, der so wichtige Energielieferant der westlichen Demokratien, ist mehr an aggressivem Revisionismus interessiert als an einer „Modernisierungspartnerschaft“. Wladimir Putins Imperium hat sich längst aus der politischen Familie Europas ausgeschlossen. Ukrainer, Belarussen und Moldawier bemühen sich seit mindestens zwei Jahrzehnten, aus dem unmittelbaren Einflussbereich Moskaus in den des Westens zu entkommen. Das gelang 1991 den baltischen Staaten. In allen Nachbarstaaten versucht Russland, den Prozess der Abkehr von seinem Imperium direkt oder indirekt zu stoppen: mit Geld, politischer Einflussnahme, Gewalt und Krieg.
Der Überfall auf die Ukraine ist der Höhepunkt eines europäischen Konfliktes, der angesichts eines kulturellen und politischen Desinteresses des Westens am Osten, größtenteils leider auch in Deutschland, jahrelang kaum wahr- und ernstgenommen wurde. Angesichts der aktuellen Kriege, der erdrückenden Dominanz Donald Trumps unter US-Konservativen und vor dem Hintergrund einer nationalistischen, migrantenfeindlichen Stimmung in weiten Teilen der europäischen Gesellschaften sowie einer mitten in der Legislaturperiode durch ihre Unpopularität gelähmten Bundesregierung, ist es, aus dem deutschen Blickwinkel gesehen, nicht schwer, ein düsteres politisches Szenario für die kommende Zeit zu zeichnen.
Doch erlauben Sie mir zu gestehen, dass ich an solchen allein pessimistischen Voraussagen nicht interessiert bin. Das ist keine naive Flucht vor den offensichtlichen Gefahren für die europäischen Demokratien, vielmehr ist diese Haltung meiner politischen Motivation und meinem Arbeitsort geschuldet. Ich schreibe diesen Text in Danzig, kurz nach dem demokratischen Wunder an der Weichsel, einem politischen Erdbeben östlich der Oder, das Millionen von Menschen in eine stille Euphorie versetzt hat. Und ich schreibe diesen Text als eine Person, die eine europäische Demokratie-Einrichtung, das Europäische Solidarność-Zentrum in Danzig, leitet, die sich in den vergangenen acht Jahren gegen den Nationalismus in Polen und anderen Ländern Europas stellen musste, in machen Phasen gar ohne Hoffnung auf einen schnellen, positiven Wandel.
Die Bitterkeit der Hoffnungslosigkeit und die Kraft der Hoffnung habe ich in den letzten Jahren deutlich erfahren. Dies ist sicherlich eine klassische polnische Erfahrung der vergangenen zwei Jahrhunderte. Die starke polnische Zivilgesellschaft, ihre in der Solidarność-Revolution der 1980er-Jahre tief verwurzelte demokratische Tradition stärkt seit Ende des 20. Jahrhunderts die Kraft der Hoffnung, stärkt die Demokratie und mindert die Hoffnungslosigkeit.
Die Freude über den Richtungswechsel in Polen ist unter den Anhängern des proeuropäischen Lagers Anfang 2024 weiterhin groß, und sie ist trotz des erheblichen Widerstandes der PiS bei der Machtübergabe in Medien und Justiz nicht schwächer geworden. Doch auch in Polen schaut man nüchtern auf die politische Wetterlage in Europa. Die Angst vor einer Ausweitung des Ukraine-Krieges auf NATO-Gebiet ist präsent. Und Sorgen macht den polnischen Nachbarn nicht nur die schwächelnde deutsche Wirtschaft, sondern auch das Erstarken eines antieuropäischen Nationalismus in der Bundesrepublik. Schließlich hängt die Stabilität jeder Demokratie in Europa auch von ihrer Stärke in den Nachbarländern ab. Das Wissen um die Schwächen der europäischen Demokratien begrenzt auch in Polen den politischen Optimismus. Doch im Land weht ein frischer politischer Wind, der Wolken schnell vorbeziehen lässt. In diesem Wind des politischen Klimawandels sehe ich aus meinem Danziger, mitteleuropäischen Blickwinkel die politischen Herausforderungen nicht allein in dunklen Farben. Hoffnung und kühlen Realismus zu verbinden, ist keine leichte Aufgabe, aber für uns europäische Demokraten alternativlos.
Eine Zeit neuer Mauern 35 Jahre nach dem Mauerfall?
Beim Versuch, die politischen Dynamiken der nächsten Monate zu ordnen, muss ich an die Friedenspreisrede des italienischen Germanisten Claudio Magris von 2009 denken. In seiner in der Frankfurter Paulskirche gehaltenen Rede warnte der Triester Schriftsteller zwar vor der Aushöhlung der Demokratie durch Populismus und beklagte eine Zeit der neuen Mauern zwei Jahrzehnte nach dem Mauerfall, doch in seiner Ansprache, eigentlich einem Essay, wechselten sich Dunkelheit und Licht ab. Magris erfasste die dramatischen Herausforderungen für Europa, um das Potenzial der Hoffnung zu erkennen. An einer Stelle unterstrich er: „Die Hoffnung ist die größte Tugend, gerade weil es so schwierig, aber genau deswegen auch notwendig ist, zu sehen, wie die Dinge stehen, und trotzdem zu hoffen, dass sie morgen besser werden.“
Wie können wir der Tugend der Hoffnung treu bleiben und gleichzeitig nicht von den gefährlichen Entwicklungen für die Demokratie wegschauen? Historische Reflexion über epochale Entwicklungen, verbunden mit aktuellen Analysen, können zukünftige Horizonte erkennen helfen. Das Jahr 2024 bietet die Chance, über wichtige europäische Jahrestage einen Blick aus der Vergangenheit in die Zukunft zu wagen. Diese Methode würde sicherlich auch Claudio Magris bevorzugen.
Geschichte widerholt sich nicht, sie verläuft nicht linear entlang eines Stranges, sie ist vielschichtig, über die Epochen hinaus sind relevante Hauptströmungen nicht leicht zu erkennen. Sie konfrontiert uns aber heute mit wichtigen Lektionen, die über unsere Zukunft bestimmen. Haben wir unsere europäischen Lektionen angenommen? Welche sind es? Welche Aufgaben haben wir als demokratische Gesellschaften nicht angenommen, was sich in Zukunft rächen könnte? Doch auch: Welche Entwicklungen haben demokratische Tendenzen gestärkt, auf welche positiven Erfahrungen und Potenziale können wir als offene europäische Gesellschaften zurückgreifen?
Vier Jahrestage bieten aus unserer mitteleuropäischen Perspektive die Chance zu einem Blick aus der Vergangenheit in die Zukunft: 10 Jahre Ukraine-Krieg, 20 Jahre EU-Osterweiterung, 35 Jahre Zusammenbruch des Sowjetblocks und 75 Jahre Gründung der Bundesrepublik. Diese Daten markieren tiefe Einschnitte in der europäischen Geschichte, und sie lösten Entwicklungen aus, die immer noch anhalten, weiterlaufen.
In allen Szenarien für 2024 taucht natürlich der ukrainisch-russische Krieg auf. Der Tag des Angriffs Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 war ein überraschender Zeitpunkt, aber für viele Osteuropäer kam die Entwicklung nicht überraschend. Am 1. September 2021 hatte ich in Danzig ein europäisches Forum organisiert, in dessen Mittelunkt der 30. Jahrestag des Zusammenbruchs der Sowjetunion stand. Meine ukrainischen Gäste, darunter der Lemberger Journalist und Parlamentarier Mykola Kniazhytskij, sagten Monate vor der Invasion einen neuen militärischen Überfall Russlands voraus. Die Nichtakzeptanz der nach den Revolutionen der Jahre 1989 bis1991 entstandenen europäischen Ordnung wurde als klares Ziel Moskaus benannt. Eine demokratische, proeuropäische Ukraine war Teil dieser Ordnung.
Ein Jahrzehnt der Narben durch den neuen Krieg
Der Krieg um die Ukraine dauert schon 10 Jahre, seit Februar 2014, als nach der erfolgreichen Revolution der Ukrainerinnen und Ukrainer für einen europäischen Weg Russland die Krim und den Donbas annektierte. Es war nicht die erste Revolution auf dem Maidan gegen Moskaus Einflussbereich. Bereits 2004, während der Orangenen Revolution auf dem Kiewer Maidan, machten Millionen von Ukrainerinnen und Ukrainer deutlich, dass sie nur einen demokratischen Weg für Ihr Land akzeptierten. Die Transformation der mitteleuropäischen Nachbarn, darunter Polens, wurde offen als Vorbild betont.
Der Maidan 2004 markiert auch einen Schlüsselmoment in den polnisch-ukrainischen Beziehungen. Zwischen den historisch feindlichen Nationen wurde Solidarität sichtbar. Polen engagierten sich für die Orangene Revolution, Ukrainer fanden in Polen einen Partner, der mehr an der demokratischen Zukunft denn an historischen Konflikten interessiert war. Die politische Kraft der polnisch-ukrainischen Versöhnung wurde 2004 auf dem Maidan sichtbar, als die polnische Legende Lech Wałęsa in Kiew gefeiert wurde. Diese politische Nähe blieb und wurde durch die Solidarität Polens 2014 und 2022 gefestigt.
In düsteren Zeiten des Krieges in Europa ist es mir wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten Zeugen eines Verständigungsprozesses zwischen historisch verfeindeten Nationen geworden sind, auf dem das heutige Europa basiert. Die europäische Nachkriegsintegration begann mit der Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen. In der Endphase des Kalten Krieges ebnete dann die deutsch-polnische Versöhnung den Weg zum neuen europäischen Umbruch. Vor genau zwanzig Jahren kämpfte die ukrainische Zivilgesellschaft auf dem Kiewer Maidan für transparente Präsidentschaftswahlen, für Demokratie und den europäischen Weg. Und gleichzeitig trat Polen der EU bei. Die Versöhnung zwischen Franzosen, Deutschen und Polen bildete eine historisch einmalige Basis für den Frieden in Europa, für eine starke demokratische Ordnung. Die 2004 sichtbar gewordene polnisch-ukrainische Verständigung bedeutete eine zusätzliche Osterweiterung, eine Erweiterung der Verständigungspartnerschaften, eine Zukunftsallianz, die sich von ihren historischen Traumata absetzt.
Die bislang verkannten Chancen einer französisch-deutsch-polnisch-ukrainischen Verständigungsallianz
Wie stark diese Basis ist, haben wir in den vergangenen Jahren erlebt. Polens Solidarität mit der Ukraine ist ein Beweis dafür, ebenso die ablehnende Haltung der polnischen Mehrheitsgesellschaft gegen die antideutsche Politik der PiS-Regierungen.
Die Wahrnehmung einer französisch-deutsch-polnisch-ukrainischen Verständigungsallianz in Europa ist für viele in Deutschland nicht interessant oder intellektuell aufregend. Es fehlt auch die kulturelle Kompetenz, um diese Verbindungen zu erkennen. Ukrainische Geschichte ist eine Leerstelle im Westen. Das östliche Mitteleuropa wird mitunter immer noch postkolonial als verlängerte Werkbank des Westens und nicht als Raum demokratischer Traditionen gesehen. Im vergangenen Jahr wies der deutsch-polnische Publizist Adam Krzemiński auf die politische Tradition der alten Rzeczpospolita hin, der vormodernen polnischen Adelsrepublik. Dies war ein nichtabsolutistischer Vielvölkerstaat, der 1791 die erste europäische Verfassung hervorbrachte. Die politischen Kulturen der Polen, Litauer, Belarussen, Ukrainer und europäischen Juden sind in dieser für die Demokratiegeschichte so wichtigen vormodernen Tradition tief verwurzelt. Eine Tradition, die sie geeint und in Zeiten des modernen Nationalismus auch getrennt hat. Heute ist dieser politische Kulturraum der Rzeczpospolita wieder eine imaginäre Heimat gegen den russischen Imperialismus.
Moskau sind diese kulturellen Verbindungen wohl bewusst. Die Tradition der Rzeczpospolita, der mitteleuropäischen Res publica, stellt seit Jahrhunderten ein Hindernis für seine imperiale Ausdehnung dar. Die autoritäre Politik Russlands fußt immer auf dem Drang nach Westen. Und das Symbol für den nicht nur geografischen Westen, sondern auch für den politischen, sind als erste die Zentraleuropäer. Diese Lektion zu verstehen, daran hindern uns in Deutschland unsere mangelnden kulturellen Kenntnisse über unsere östlichen Nachbarn. Europäische Sicherheitspolitik heißt nicht nur politische und militärische Unterstützung für Putins Opfer, sondern bedarf auch einer kulturellen Revolution in den Köpfen, einer Horizonterweiterung.
Dieser kulturellen Revolution widersetzen sich in Deutschland Populisten um Björn Höcke (AfD) oder Sahra Wagenknecht (BSW). In der AfD dominieren die deutsch-nationale Perspektive und eine Ignoranz gegenüber dem westlichen Liberalismus der östlichen Mitteleuropäer, gemischt mit einer Faszination für das Russisch-Imperiale. Die selbsternannten Friedensbotschafter um Wagenknecht wiederum nutzen nicht nur die antiwestliche Stimmung in Teilen der deutschen Gesellschaft, sondern sehen die Nationen des östlichen Europas als Ruhestörer, die einer pragmatischen Verständigung mit Russland im Wege stehen. Die Wagenknecht-Bewegung will ein Zurück in die verklärte Friedenswelt der Ost-West-Einflusssphären und keine demokratischen Rebellionen gegen Moskau; sie will in Ruhe gelassen werden.
Europas Mitte liegt ostwärts
Die mangelnde kulturelle Vorbereitung auf das neue, viel stärker mitteleuropäisch orientierte politische Europa ist in Deutschland und anderen westlichen Staaten eine große politische Baustelle. „Die Mitte liegt ostwärts”, so lautet der programmatische Titel eines Buches von Karl Schlögel über die Deutschen und Europa, das 1986, vor dem für viele unerwarteten Mauerfall, erschienen ist. In diesem auf das deutschsprachige kulturelle Erbe Mitteleuropas konzentrierten Buch bemängelte Schlögel das Abrücken des deutschen Kulturbewusstseins vom Osten. Diese Tendenz ist noch heute stark ausgeprägt. Was dieses Nichtwahrnehmung oder Mangelwahrnehmung bedeutet, macht nicht nur die Entwicklung in der Ukraine deutlich, sondern das zeigen auch aktuelle Wirtschaftsdaten. Polen und Tschechien, ein Raum von rund 48 Millionen Europäern, sind gemeinsam heute der größte Handelspartner Deutschlands, größer als China oder die USA. Deutschlands Wohlstand basiert heute auf dem politischen und ökonomischen Erfolg seiner Nachbarschaften, auch dem seiner östlichen Nachbarn.
Diese Zahlen machen deutlich, dass die Worte von der Mitte ostwärts viel mehr als ein kultureller Traum sind. Doch selbst bei Wirtschaftsführern sind diese Zahlen kaum angekommen. Die EU-Osterweiterung hat sich als eine ökonomische Win-Win-Erfahrung erwiesen, der kulturelle Überbau fehlt aber immer noch. Deutschland hatte sich zwar zu Jahrhundertbeginn für die EU-Osterweiterung stark gemacht, doch nach Polens Beitritt dominierte die Angst vor polnischen Arbeiterinnen und Arbeitern. Mit Übergangsregeln wurde über Jahre der deutsche Arbeitsmarkt abgeschottet. Die Erfahrung des EU-Beitritts Polens zeigt, dass die Mitgliedschaft nach 2004 eine viel größere Modernisierung und Wohlstandvermehrung in den Transformationsländern ausgelöst hat als die Reformpolitik der 1990er-Jahre. Das ist eine wichtige Erfahrung angesichts der EU-Ambitionen der Ukraine. Ein funktionierender Rechtsstaat als Voraussetzung für die Mitgliedschaft ist Konsens; diese Bedingung muss das Kandidatenland selbst erfüllen. Aber eine starke wirtschaftliche Entwicklung ist ohne den Mut zur frühen Aufnahme eines solchen Landes wie der Ukraine kaum möglich.
Antiwestlicher Populismus und seine bitteren Folgen
Die Erfolgswelle der AfD und der Wagenknecht-Bewegung werden nicht nur die Bundesrepublik auf eine harte Probe im Innern stellen, sondern auch die Beziehungen zu den Nachbarn belasten. Ein möglicher Erfolg dieser beiden antiwestlichen Lager wird die demokratische Mitte Europas schwächen und Putin zu noch weiteren Aktionen motivieren.
Putins Überfall auf die Ukraine wird nicht das letzte Kapitel der jüngsten imperialen Politik Russlands sein. Eine Ausweitung des Krieges auf weitere Staaten wird befürchtet. Zudem sollten wir uns bewusst machen, dass Putin diesen Krieg schon seit Jahren auch außerhalb der Ukraine führt. Er führt ihn gegen die eigene Zivilgesellschaft, auch half er Alexander Lukaschenko, die Demokratisierung von Belarus mit Panzern niederzuringen. Und mithilfe seiner antiliberalen Verbündeten, der AfD, Orban, Marine le Pen oder Trump, bekämpft er die liberale Demokratie. Der jüngste Überfall brachte Putin zwar nicht die erhoffte Kontrolle über die Ukraine, doch schuf die Solidarität autoritärer Regime mit Putin ein globales Bündnis Russlands, Chinas, des Irans und Nordkoreas gegen die liberale, westliche Welt.
Es ist dadurch eine neue globale Ost-West-Teilung entstanden, die militärisch nicht nur in der Ukraine, sondern auch global erkennbar ist. Diese Allianz eröffnet Putin die Möglichkeit, den Krieg in der Ukraine weiterzuführen. Er wird das Nachbarland weiter verwüsten, aber politisch den Krieg nie gewinnen. Denn in der Ukraine verläuft die Grenze zwischen demokratischen und autoritären Traditionen im östlichen Europa. So wie es der Sowjetunion nicht gelang, dauerhaft Afghanistan zu kontrollieren, wird dies in der Ukraine nicht möglich sein.
Frieden erst in der nächsten Generation?
Die Ukraine wird sich als demokratische Gesellschaft gegen den russischen Imperialismus wehren. Der Krieg kann dauerhaft nur beendet werden, und das zeigen die Afghanistan-Erfahrung sowie die Erfahrungen mit der Umsetzung des Minsker-Abkommens nach 2015, wenn in Russland eine neue Generation nach Putin die politische Kontrolle über den Staat übernimmt und die Vor- und Nachteile des Krieges neu bewertet. So wie es Michail Gorbatschow nach 1985 in Bezug auf Afghanistan tat. Von dieser Entwicklung sind wir noch weit entfernt. Leider wird es wohl auch 2024 keinen Frieden in der Ukraine geben.
Die Erfolge des nationalistischen Populismus im Westen stärken Putins Politik. Trumps Rückkehr ins Weiße Haus scheint nicht mehr ausgeschlossen. Doch unabhängig vom Ausgang der Präsidentschaftswahlen im November 2024 zeigt die Ukraine-Blockade im US-Kongress, wie sehr sich Amerika von seiner Schutzmachtfunktion für Europa Schritt für Schritt verabschiedet. Das ist keine neue Entwicklung: Isolationismus, Abkehr vom europäischen Kontinent und entscheidendes transatlantisches Engagement kennzeichnen das Auf und Ab der US-Politik gegenüber Europa seit dem Beginn des Ersten Weltkrieges. Jetzt müssen wir uns wieder auf eine Phase der Abwendung einstellen.
Dies ist viel einfacher zu erkennen, als daraus die Konsequenzen zu ziehen. Eine Konsequenz müsste sein, das Verteidigungspotenzial Europas zu stärken und das militärische Engagement in der Ukraine zu erweitern. Es wäre falsch, bei diesen Herausforderungen in Europa vor allem auf die Deutschen zu schauen. Diese Kraftanstrengung müssen alle Europäer leisten. Nicht nur die Deutschen, alle Gesellschaften der EU haben sich in ihrer pazifistischen oder halb-pazifistischen Haltung nach 1989 gut eingerichtet und ihre militärischen Potenziale abgebaut. Zumal nach dem Ende des Kalten Krieges die USA sich immer noch gerne in der Rolle einer militärischen Schutzmacht für demokratische Entwicklungen sahen. Dies führte nach den tragischen Terroranschlägen vom 11. September 2001 zu einer Überschätzung eigener militärischer Potenziale, die in die Katastrophen des Irak- und Afghanistan-Engagements mündeten.
Die Wurzeln der autoritären Welle
Das Irak- und Afghanistan-Trauma verstärkte in den USA isolationistische Tendenzen und beschädigte das Ansehen der Vereinigten Staaten und der westlichen Demokratien nicht nur in der arabischen Welt. Der Westen verlor seine Autorität, die er mit dem Ende des Kalten Krieges gewonnen hatte. Dieser Ansehensverlust öffnete die Tür für eine neue autoritäre Welle, auch weil antiwestliche, antiliberale Narrative an Glaubwürdigkeit gewannen.
Wird diese antiautoritäre Welle das Jahr 2024 und die Jahre danach bestimmen? Die antiliberale Politik wird 2024 ohne Zweifel Erfolge feiern. Putin wird im März 2024 in einem inszenierten Wahlgang seine Macht bestätigen, die AfD ist trotz ihrer Rechtsaußenpositionen auf dem Weg zur stärksten Partei im Osten Deutschlands, bei den Europawahlen werden populistische Kräfte europaweit mit Rückenwind rechnen dürfen und Trump wird die amerikanische Demokratie weiter demolieren.
Doch das ist nur ein Teil der politischen Realität. Die Gesellschaften in der EU sind in ihrer absoluten Mehrheit tief in der Demokratie verwurzelt. Nationalisten werden nicht die Mehrheit im EU-Parlament stellen. Die absolute Mehrheit der Amerikaner will einen Politikwechsel, aber nicht mit Trump. Seinen Triumph kann nur das antiquierte Wahlmännersystem ermöglichen. Und auch wenn wir mit einer nationalistischen Welle in Deutschland konfrontiert werden, so ist die Mehrheit in West und Ost für eine offene Gesellschaft.
Der Schlüssel bleibt Demokratie
Eine demokratische Gesellschaft, das ist der Schlüssel auch zu den Entwicklungen in Polen, zum überragenden Sieg der europäischen Politik. Jarosław Kaczyński und seinen Weggefährten ist es nicht gelungen, die polnische Mehrheitsgesellschaft mit viel Geld nach ihren nationalistischen Vorstellungen zu formen. Im Wege standen ihnen nicht nur unabhängige Politiker und Medien, sondern auch mutige Richter, Lehrer, Künstler, Kulturschaffende und gesellschaftliche aktive Bürgerinnen und Bürger. Diese engagierten und mutigen Menschen kommen in Polen aus allen politischen Richtungen, von der atheistischen Linken bis hin zu konservativen, verfassungstreuen Katholiken. Sie in einer Liste zu vereinigen, war unmöglich. Schließlich schaffte es eine Koalition von drei Wahllisten mit insgesamt elf Parteien am 15. Oktober 2023, Polens liberale Demokratie zu retten.
Politische Führung war dabei unerlässlich. Donald Tusk, der erfahrene Staatsmann, und der Neuling Szymon Hołownia schafften den Stimmungs- und Machtwechsel. Beide bereisten in den vergangenen zwei Jahren das ganze Land, sie fuhren auch zu den Menschen, die sie nicht wählten. Die demokratische Politik kehrte zu den Menschen zurück, weil es für sie keinen Raum in den von der PiS kontrollierten Staatsmedien und im Parlament gab. Der Dialog mit den Wählerinnen und Wählern brachte Anfangs keinen Stimmungswechsel, doch er gab den demokratischen Politikern ihre Glaubwürdigkeit zurück, die distanzierte Begegnung zwischen Politikern und Bürgerinnen und Bürgern entwickelte sich zu einem Dialog, zu einer Dauerbeziehung, aus der ein Katalog politischer Forderungen entstand. Aus dem Dialog wurde ein Bündnis zwischen Politik und Gesellschaft für eine Neubegründung der Demokratie.
Als wichtiges Potenzial erwiesen sich dabei demokratische Traditionen und Mythen. Das Erbe der Solidarność inspirierte Junge und Alte in ihren Bemühungen um die Rettung der polnischen Demokratie. Tusk, Teilnehmer des Danziger Streiks in der Lenin-Werft 1980, repräsentierte unmittelbar die Solidarność-Tradition, unterstützt wurde er von Lech Wałęsa. Hołownia ist zu jung, um sich in diese Reihe zu stellen. Doch als liberaler Katholik schöpft auch er aus dieser demokratischen Quelle. Die junge Generation der Aktivistinnen und Aktivisten entdeckte in den vergangenen Jahren verstärkt das Erbe der großen Bürgerbewegung Solidarność. Ihre Symbole und Plakate kehrten in farbiger Neugestaltung auf Polens Straßen zurück.
Demokratische Gesellschaft, die Neuentdeckung demokratischer, proeuropäischer Traditionen und deren Übersetzung in die Zukunft – das sind aus meiner Sicht auch Schlüsselbegriffe für die weitere politische Entwicklung Deutschlands. In diesem Jahr laden der 75. Jahrestag der Gründung der Bundesrepublik und der 35. Jahrestag des Mauerfalls nicht nur zu historischer Reflexion ein. Von ihrer Deutung hängt die weitere Resilienz der Demokratie in Deutschland und auch in Europa ab.
Die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann formulierte 2018 den Gedanken von einer doppelten Gründung Europas 1945 und 1989. Eine Quelle des demokratischen Europas und damit des Friedens sei nicht nur der Sieg über den Faschismus und die westeuropäische Integration nach dem Krieg, sondern auch der Sieg der mitteleuropäischen Revolutionen über die kommunistische Herrschaft. 1945 und 1989 seien nur gemeinsam zu denken. Dies gilt auch für Deutschland. 1949 und 1989 sind zwei gleichwertige Gründungsdaten des heutigen Deutschlands. Für Kenner der Geschichte Europas ist diese These nachvollziehbar. Doch leider habe ich in den letzten Jahren lernen müssen, dass sowohl Assmanns Vorstellung von der Doppelgründung Europas als auch die tiefe Verwurzelung der bundesrepublikanischen Demokratie im Jahr 1989 immer noch keine Selbstverständlichkeit in Deutschland sind. Was meine ich damit?
1989 ist für viele in Deutschland entweder das Datum einer friedlichen Revolution oder nur einer Wende. Die deutsche Einheit nahmen die meisten Deutschen als einen Sieg der bundesrepublikanischen Tradition im Wettkampf mit der DDR wahr. Die ostdeutsche Gesellschaft hatte politisch nichts einzubringen. Das vereinte Deutschland betrachteten viele als eine Fortsetzung der alten Bundesrepublik.
Polen und Tschechen beneideten die Ostdeutschen um die schnelle D-Mark-Einführung und sofortige EWG-Mitgliedschaft. Dabei versetzte dieser rasante Einstieg in den Kapitalismus den meisten ostdeutschen Betrieben den sofortigen Todesstoß. Sie waren nicht konkurrenzfähig und hatten kein Kapital. Der Eintritt in das kapitalistische Paradies erwies sich für viele Ostdeutsche als reales Trauma. Ein Absturz, der bei vielen Menschen zu grundlegender politischer Distanz führte. Zudem erschwerte die Hilfe der westlichen Geschwister die Entwicklung eines eigenen politischen Selbstbewusstseins, DDR-Nostalgie und eine Ost-West-Spaltung traten ein. Natürlich sind die Schocks der Transformation und die Enttäuschung über den Westen auch in Polen oder Tschechien wohl bekannt. Daraus versuchten und versuchen politische Kräfte bis heute Kapital zu schlagen, doch das politische Selbstbewusstsein scheint mir bei den Nachbarn größer zu sein. Zum Teil hängt dies auch mit den stärkeren demokratischen Traditionen zusammen.
In Ostdeutschland erfuhren die Menschen von 1933 bis 1989 das Leben in Diktaturen. Es gab kein richtiges Tauwetter vor 1989 in der DDR, die SED roch bis zum Schluss nach Stalinismus. Und die Partei entledigte sich ihrer Gegner, indem sie diese in den Westen abschob, gegen Devisen verkaufte. Die Tschechen haben ihren Mythos der Republik der Zwischenkriegszeit, den Prager Frühling, die Charta 77. Es sind Traditionen, an denen sich die heutige Regierung in Prag und der neue Präsident Petr Pavel stark orientieren. Wir Polen haben die Solidarność. Das ist mehr als ein Mythos. Die Bewegung gründete 1980 eine von Kommunisten unabhängige Gewerkschaft mit zehn Millionen Mitgliedern. Diese Massenorganisation setzte eine friedliche Revolution in Gang, die im Februar 1989 die kommunistischen Machthaber zu Gesprächen am Runden Tisch zwang. Am 4. Juni 1989 gewann die Solidarność die halbfreien Wahlen in Polen, die das Tor zur Demokratisierung weit öffneten. Ohne den Mut der Solidarność wäre das Ende der SED-Herrschaft im Herbst 1989 nicht möglich gewesen.
1989 war eine europäische Revolution, keine Wende. Es war glücklicherweise eine friedliche Revolution in Berlin, Leipzig, Warschau, Danzig oder Prag. Aber nicht überall verlief der Wandel friedlich, und nicht überall ist er zu Ende. Am Tag der polnischen Wahlen, dem 4. Juni 1989, ermordete Chinas KP-Führung die friedliche Revolution von Arbeiterinnen und Arbeitern sowie Studentinnen und Studenten. Die Proteste wurden zusammengeschossen. Ein Runder Tisch blieb in China ein verbotener Traum. Seit 1989 baut die KP Chinas auf der Grundlage ihres Machtmonopols einen kapitalistischen totalitären Staat auf. Und dieser Staat geht global gegen die Folgen der Demokratisierungswelle vor, gemeinsam mit Russland.
Moskau musste sich 1989 mit seiner politischen Niederlage in Europa abfinden, doch dies geschah, um den Kern des russisch-bolschewistischen Imperiums zu retten. Die weiter östliche Transformation verlief nach 1989 blutig. Gorbatschow schickte 1990 Panzer in die baltischen Staaten, um ihre Unabhängigkeit aufzuhalten. Der August-Putsch 1991 führte zu einem politischen Erdbeben. Er beschleunigte den Untergang der Sowjetunion. Doch seit 1991 setzt Moskau alle Mittel ein, auch militärische, um den eigenen Einflussbereich zu sichern. Kurz vor der erneuten Invasion am 24. Februar 2022 betonte der amerikanisch-ukrainische Historiker Serhii Plokhy, dass der Zusammenbruch des Sowjetreiches immer noch andauere und blutig verlaufe.
„Eine tatsächlich neue deutsche Republik“
Die historische Reflexion hilft zu erkennen, dass mit der deutschen Einigung eine tatsächlich neue deutsche Republik entstanden ist. Sie ist nicht nur ein Kind des Erfolges der Bonner Republik, sondern auch des Mutes der Menschen in der DDR und der anderen Staaten des ehemaligen Ostblocks. 1989 war die erste Revolution im 20. Jahrhundert, die Deutsche gemeinsam mit Polen und Tschechen auslösten. Und sie war erfolgreich. Demokratisches Selbstbewusstsein, Sinn für demokratische Traditionen in Deutschland und die Erinnerung an vergangene Solidarität der Europäer brauchen wir als Basis für ein neues politisches Bewusstsein.
Zitat
Wie brauchen als politisches Kapital kulturelle Bindungen zwischen Demokraten, innerhalb der Bundesrepublik und im Verhältnis zu den Nachbarn. Das muss jetzt stärker werden. Das muss jetzt kommen, damit der autoritäre Tsunami verhindert wird.
Hoffnung sollten sich die Menschen in Deutschland als einen Baum vorstellen, der gepflegt werden muss. Im Zweiten Weltkrieg schrieb Albert Camus einen poetischen Essay über die Hoffnung in Zeiten der Finsternis. Der Text heißt „Die Mandelbäume”, denn bereits im Februar blühen am Mittelmeer, in Camus’ algerischer Heimat, die Mandelbäume, ein Symbol neuen Lebens im Winter. Erlauben Sie mir, ein kurzes Fragment aus diesem Text zum Schluss meiner Überlegungen zu zitieren:
„Vor allen Dingen sollten wir nicht verzweifeln. Hören wir nicht auf jene, die mit dem Weltuntergang drohen. Die Zivilisationen sterben nicht so leicht, und sollte auch diese Welt zugrunde gehen, dann nach andern. Es ist wahr, wir leben in einer tragischen Epoche. Doch allzu viele Menschen verwechseln Tragik mit Verzweiflung. ‚Das Tragische‘, sagte Lawrence, ‚sollte wie ein großer Fußtritt sein, den man dem Unglück versetzt.‘ Dies ist ein gesunder Gedanke und sofort anwendbar. Es gibt heutzutage viele Dinge, die diesen Fußtritt verdienen.“
Zitierweise: Basil Kerski, "Was hilft gegen politische Tsunamis?", in: Deutschland Archiv, 26.01.2024, www.bpb.de/543901. Alle Beiträge sind Recherchen und Sichtweisen der jeweiligen AutorInnen, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar (hk).
ist Direktor des Europäischen Solidarność-Zentrums in Danzig und Chefredakteur des deutsch-polnischen Magazins "Dialog" in Berlin. Er lebt in beiden Städten. E-Mail Link: ecs@ecs.gda.pl
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