Die Waffen nieder?
Der Streit um das Erbe der Friedensbewegung der 1980er Jahre in einem von Putins Angriffskrieg bedrohten Europa
Eva Quistorp
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Es ist nicht mehr leicht, die Frage „Frieden schaffen, aber wie?“ zu beantworten, und es wundert nicht, dass Appelle unterschiedlichster Ausrichtungen kursieren und an die Bundesregierung gerichtet werden. Aber brutalste Kriegsgewalt ist jetzt auch in Europa, in der Ukraine schrecklicher Alltag. Sie ist plötzlich nicht nur als Bedrohung existent, wie im Kalten Krieg, sondern in allen ihren Dimensionen real und fordert zum Überdenken alter Positionen heraus. Eine Betrachtung von Eva Quistorp (76), sie ist Mitbegründerin der Gruppe "Frauen für den Frieden".
I.
Ich bin Jahrgang 1945 und aufgewachsen mit dem Bewusstsein „Nie wieder Krieg!“. Mit Petra Kelly gehörte ich 1979/80 zu den Mitbegründerinnen der Grünen und der Friedensbewegung in den 80er Jahren. Ich initiierte im März 1981 die Gründung der später deutsch-deutschen Initiativgruppe „Frauen für den Frieden“, mit besonderem Fokus auf Atomwaffen, Friedenserziehung und Umwelterziehung und gehörte mit zu den OrganisatorInnen der großen Bonner Friedensdemos im Hofgarten zwischen 1981 und 1984, als es vor allem darum ging, Abrüstung einzufordern und die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper auf deutschem Boden zu verhindern. Leicht war das nicht, weil die DDR-gesteuerte DKP versuchte, mit ihrer einseitigen Abrüstungspropaganda die bundesdeutsche Friedensbewegung zu lenken – nur nach Westen schauend, nicht Richtung Osten.
Schon zur APO-Zeit habe ich Bücher zum spanischen Bürgerkrieg und Stalinismus gelesen, Manes Sperber und Orwell, die heute wieder relevant sind. Seit Ende der 1970er Jahre kamen Bücher der internationalen Umwelt- und Friedensforschung dazu, die ich um feministische Perspektiven in meinen eigenen Büchern erweitern musste. In der Nachkriegszeit wurde das Erbe meiner Eltern aus der Bekennenden Kirche mit dem Erbe von Dietrich Bonhoeffer an mich weitergegeben, mit starken Friedens-, aber auch Freiheitsbotschaften. Mein Bruder war Kriegsdienstverweigerer, mein Vater verweigerte den Wehrdienst unter Hitler durch den Gang ins Exil in Holland. Meine Mutter verlor zwei Brüder 1941 in Osteuropa, die beide Gegner der Nazis waren. Die Trauer um sie und das 1949 erschienene Buch von Margarete Buber-Neumann „Als Gefangene bei Stalin und Hitler“, das meine Mutter neben die Fotos der beiden legte, haben mich geprägt – wie auch die vielen Friedenslieder der Bürgerrechtsbewegung in den USA.
1967 wurde ich durch die Anti-Schah-Demo vom 2. Juni in Westberlin und die Ermordung von Benno Ohnesorg politisiert. Ich musste mich mit allen möglichen linken Ideologien und Sekten auseinandersetzen, als eine eher „Antiautoritäre“, wie mein Freund Rudi Dutschke und der „rote Dany“, Daniel Cohn-Bendit, sagten. Das hat mir später bei meiner Distanz zur DDR und zur UdSSR in der Friedensbewegung und bei den Grünen geholfen.
Mit dem AStA der FU hatte ich aus Protest gegen den Einmarsch der UdSSR in Prag im August 1968 auf der Straße gesessen, hatte mit Rudi Dutschke den Prager Frühling besucht und war fassungslos, als ihn die Panzer des Warschauer Pakts erstickten. Ich lernte Osteuropa durch den intensiven Austausch mit der tschechischen Bürgerrechtsbewegung Charta 77, der polnischen Solidarnosc, mit Bärbel Bohley und den „Frauen für Frieden“ in Ostberlin seit 1982 kennen, begegnete 1987 Michail Gorbatschow im Kreml, und weitere Abgeordnetenreisen führten lehrreich nach Leningrad im Sommer 1989, nach Kyjiw im April 1991 und nach Moskau und Kasachstan im Dezember 1991.
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Einen „Sieg des Westens", wie ihn manche nach dem Mauerfall postulierten, habe ich daher nie vertreten, eher die Frage, wie denn das riesige Chaos zu bewältigen sei, wie neue demokratische Eliten durch die EU und die OSZE gefördert und unabhängige NGOs ermutigt werden müssten. Misstrauen wuchs angesichts des russischen und belarussischen Engagements während des Balkankrieges zwischen 1991 und 2002, um einen Zerfall Jugoslawiens zu verhindern. Es gab schon damals ein enges Band der russisch-orthodoxen Kirche mit jener in Serbien – und auch schon die Propaganda, dass die Nato nicht nur den Balkan, sondern angeblich auch Russland bedrohe.
Putins KGB-Clan formte Russland zu einer präsidial gelenkten Autokratie, totalitär und durch staatliche Propaganda geprägt, ein Neostalinismus, vergleichbar aus meiner Sicht mit einem Mafiastaat, wie Alexej Nawalny und Masha Gessen und Nowaja Gaseta und Memorial seit langem analysieren.
Gegen den Afghanistaneinsatz Deutschlands war ich 2001, so, wie ich schon 1979 gegen die sowjetische Invasion in Afghanistan demonstrierte und für einen Olympiaboykott in Moskau eintrat. Es ist merkwürdig, wie Friedensappelle heute diese heiße Debatte in SPD und Grünen um den Afghanistaneinsatz, der im August 2021 kläglich beendet wurde, vollkommen ausblenden, ebenso den russischen Anteil am Krieg in Syrien, wo Putin mit Waffen und seiner Söldnergruppe „Wagner“ seinen internationalen Einfluss ausweitete, auch in Mali, Nicaragua und Indien.
Schon mit dem ersten Foto, das ich im Tschetschenienkrieg von Putin sah, was ihn im Militärflugzeug Richtung Grosny zeigte, fürchtete ich eine Entwicklung zum brutalen Machismo und ahnte die Gefahr einer zunehmend antidemokratischen Entwicklung Russlands. Ich kannte damals viele gebildete, weltoffene Russen wie Jelena Bonner-Sacharow, Josef Brodsky, Eduard Schewardnaze, Raissa Gorbatschowa, Bulat Okuschawa oder die großartigen Umweltschützer Nikitin und Paskow, die genau diese Sorge teilten und voraussahen, was nun passiert ist – ein Rollback und das Ende von Russlands angestrebter Demokratisierung.
II.
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Schon in den 1990er Jahren wurden heftige Debatten in der SPD, bei den Grünen, in Friedensgruppen und Kirchen geführt, was das „nie wieder Krieg" angesichts der Kriegsgewalt auf dem Balkan durch das Milosevic-Regime seit 1991 bedeuten könnte oder angesichts des Völkermords in Ruanda. „Kein Öl ins Feuer gießen", „keine Eskalation", „keine Gewaltspirale" lauteten damals schon Slogans bei Debatten, denen ich als Europaabgeordnete der Grünen entgegenhalten musste: „Nie wieder Pogrome, nie wieder Lager, nie wieder Massaker und Genozide in Europa.“
Bereist damals fand ich es erschreckend, wie hilflos und durch Russland und China blockiert die UNO und auch die OSZE waren. Aber auch bei den europäischen Atomstaaten und in Deutschland spielten Eigeninteressen und falsche historische Vergleiche eine Rolle dabei, nicht rechtzeitig militärisch einzugreifen, um etwa Srebrenica zu verhindern. Slobodan Milosevic, der sich zum chauvinistischen Diktator entwickelt hatte, wurde, ähnlich wie Putin, in seinen letzten Amtsjahren regelrecht hofiert.
Der Spiegel diffamierte mich damals als Kriegstreiberin, weil ich für ein militärisches Eingreifen zur Befreiung Sarajevos und die Befreiung der Frauen und Männer aus den Lagern eintrat und dazu Günter Anders und Dietrich Bonhoeffer zitierte, dass die Zuggleise nach Auschwitz hätten bombardiert werden sollen. Die Grünen brauchten mehrere Jahre intensiver Debatten und das Schockerlebnis von Srebrenica, das auch Joschka Fischers Zögern beendete, damit in den Koalitions-Parteien eine Haltung entstand, die 1999 zum Kosovo-Einsatz der Bundeswehr unter Rot-Grün führte.
Der Schock des islamistischen Terroranschlages vom 11.9.2001 führte dann zur Entscheidung der rot-grünen Koalition, auch am Afghanistaneinsatz der Nato teilzunehmen, was zu großen Spannungen in der SPD und bei den Grünen führte. Ich habe den Einsatz nicht als Pazifistin, sondern als pragmatische Realpolitikerin abgelehnt, da ja zuvor schon die Sowjets und die Briten an den afghanischen Kriegsclans gescheitert waren.
Es mag 20 Jahre später auch der hilflose Abzug der USA aus Afghanistan unter Biden gewesen sein, der Wladimir Putin in Moskau ermuntert hat, offenbar lang gehegte Kriegspläne gegen die Ukraine umzusetzen. So wie vielleicht auch die Ablehnung eines Nato-Beitrittes der Ukraine durch Angela Merkel und Nicolas Sarkozy nach dem Krieg Putins gegen Georgien und seine Kriege in Tschetschenien seinen Appetit auf imperialen Krieg weckte – so wie Merkels Rede auf der Sicherheitskonferenz 2015 in München mit der zynischen Bemerkung, sie habe auch 28 Jahre in der DDR auf einen Wandel gewartet, ein Affront gegen die EU-Hoffnungen der Ukraine war.
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Zum Glück haben wir in Deutschland eine Parlamentsarmee und seit der rot-grünen Regierungszeit die Friedensforschung und den zivilen Friedensdienst gestärkt. Wir haben mit vielen Fachkräften und der Bundeswehr Erfahrung in Auslandseinsätzen gewonnen, die nicht kriegstreibende, sondern friedensstiftende Zielsetzungen verfolgten – intensiv diskutiert und mehrheitlich beschlossen im Deutschen Bundestag. Doch die zu rasante Globalisierung, zu der auch das Darknet, Waffen- und Menschenhandel gehören, hat Konflikte verschärft. Und die Zahl autokratisch regierter, auf militärische Stärke setzender Regime weltweit nimmt nicht ab, sondern zu. Angesichts dieser Entwicklung stehen wir Demokratien zunehmend konzeptlos da.
Auch in der „Terrorbekämpfung“, beispielsweise durch den Irakkrieg 2003, der zugleich ein Krieg um Öl war, ist der islamistische Terror in der Region gewachsen und konnte nicht gestoppt worden. In der „Berliner Erklärung“ aus dem Dezember 2002 habe ich vor Beginn des Irakkrieges, den die rot grüne Koalition klar abgelehnt hat, zusammen mit Erhard Eppler, Mary Kaldor, Benjamin Ferensz und zehntausenden von Unterschriften „make law not war“ gefordert. Dies zu erreichen blieb eine Illusion angesichts der Gedanken- und Konzeptlosigkeit jener, die auf militärisches Vorgehen setzten.
III.
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Eigentlich hätte auch die Kriegstreiberei von Wladimir Putin der deutschen Politik spätestens seit 2011 auffallen müssen, nämlich in Syrien, wo US-Präsident Barack Obama nicht gewagt hat, militärisch einzugreifen, trotz des Einsatzes von Chemiewaffen durch die Machthaber dort, massiv unterstützt durch russisches Militär. Zwar wurden die Kriegsflüchtlinge aus Syrien seit 2015 bei uns deutlich wahrgenommen, doch der auslösende Krieg sehr viel weniger. Auch der Krieg vor dem 24. Februar 2022 und seine Folgen in der Ostukraine wurde von Medien wie Friedensbewegung weitgehend verdrängt.
Dabei kamen bereits 14.000 Menschen seit dem Mai 2014 in der Ostukraine ums Leben, viele wurden gefoltert von russischen Soldaten, Städte, Landschaft und Kultur wurden zerstört, die Krim besetzt und kolonial russifiziert. Doch bereits seit 2000 hätte Putins KGB-Regime mit seinen mafiösen Zügen erkannt werden können, mit Hilfe von Externer Link: Memorial und der Externer Link: Nowaja Gazeta und mit Garri Kasparow und Boris Nemzow, Alexander Lebedew und Alexej Nawalny und all der kritischen jungen Demonstranten in Russland, die jetzt vor der totalen Propaganda des Staatsfernsehens und der brutalen Repression eines Neo-Stalinismus fliehen.
Deutschlands Erinnerungspolitik an den Zweiten Weltkrieg, die sich meist auf Russland konzentrierte, wurde zum 8. Mai dieses Jahres endlich auf Belarus und die Ukraine erweitert, zwei Länder, die als erste und wesentlich unter dem Naziüberfall 1941 gelitten haben und wo heute sogar Überlebende des Holocaust von der Diktatur Lukaschenkos und den Bomben Putins bedroht werden.
Frank-Walter Steinmeier hat inzwischen etwas wortkarg Fehler in der Einschätzung von Putin zugegeben, und Olaf Scholz hat erklärt, Putin dürfe nicht siegen, es dürfe keinen Diktatfrieden geben. Doch Nordstream 2 wurde trotz aller Warnungen Polens und der baltischen Staaten viel zu spät gestoppt, nachdem die Leichen zahlreicher Zivilisten in Butscha und Irpin im Internet zu sehen waren, und auch die UNO die Kriegsverbrechen Putins registrierte, die sich kontinuierlich fortsetzen. Der offenbar gezielte Beschuss von Wohnhäusern in der Ukraine ist längst zum Nachrichtenalltag geworden, die Zahl der Kriegstoten unermesslich gestiegen und die Zahl der Geflüchteten (beziehungsweise eigentlich Vertriebenen) in der Ukraine liegt bei 6 Millionen, über die Grenzen der angrenzenden Nachbarländer flohen bis zu 9 Millionen.
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Doch warum war die Mehrheit der Friedensgruppen, der Wissenschaft, der Medien, der Wirtschaft und der Politik so blind gegenüber Putins Machtapparat und Entwicklung zum großen Diktator? Wir haben als Nachkriegsgeneration gelernt, was Faschismus bedeutet, wie er entsteht und sich ausbreiten kann, wie feindbildgeprägte Ideologien Menschen verbiegen, zu Hass und Gewalt verführen können. Nun sehen wir hilflos zu, wie sich Vergleichbares in Russland ungebremst wiederholt.
IV.
Mein Blick war wohl deswegen ungetrübt, wie schon gegenüber Milosevic und schon gegenüber dem Völkermord in Ruanda, weil ich zusammen mit der globalen Frauenfriedensbewegung einen feministischen Blick auf die Herrschenden jahrelang an der Basis üben musste, weil ich Friedenspolitik nie ohne Bürgerrechtspolitik verstanden habe. So habe ich seit 1991 mit der Böll-Stiftung „Memorial“ unterstützt und die demokratische Opposition in Belarus. Es tut jeder Friedenspolitik gut, mit Menschen und der Zivilgesellschaft in den betroffenen Ländern verbunden zu sein und zu bleiben – und nicht nur mit der Regierungsebene zu verkehren. Das habe ich vor 40 Jahren durch die Zusammenarbeit mit „Frauen für Frieden“ in Ostberlin gelernt, gemeinsam mit Bärbel Bohley, Katja Havemann und Bettina Wegner. Zum Lernen voneinander gehört auch die persönliche Begegnung vor Ort, die das Internet nicht ersetzen kann.
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Die gesamte Geschichte des Stalinismus, des Holodomor in der Ukraine, der Befreiungskämpfe von Polen, der baltischen Staaten, von Belarus und der Ukraine ist bisher in den deutschen Medien, dem Kulturaustausch und den Wissenschaftsdebatten und im Petersburger Dialog mit seiner Fixierung auf das „Reden mit Putin" vollkommen vernachlässigt worden. Erst jetzt, bewirkt durch den gesamtgesellschaftlichen Schock des Angriffs Putins auf alle UNO-Verträge, auf die Charta von Paris, auf das Budapester Abkommen und auf das Kriegsrecht, das Zivilisten schützt, wird vielen plötzlich klar, dass wir unsere engeren Nachbarn in Mittel- und Osteuropa endlich viel besser kennen und verstehen lernen müssen.
Dennoch überrascht, wie sich in manchen Appellen an die Bundesregierung, die sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aussprechen, realitätsverweigernd immer noch die Nato als wesentliche Kriegstreiberin betrachtet wird und eine allgemeine Deeskalation gefordert wird, ohne klarzustellen, dass die eigentliche Eskalation von Putins Armee, dem russischen Geheimdienst FSB und der zügellosen russischen Staatspropaganda ausgeht.
Es ist eine furchtbare Situation, in die uns die Blindheit gegenüber Putins Mafia-Staat, seiner jahrelangen Propaganda über „Russia Today“ und die Abhängigkeit von Russlands Gas und Öl gebracht haben, wozu auch die Blindheit gegenüber Chinas und Indiens Nähe zu Putins Machtspiel gehören, stets unter dem Banner "Wirtschaft first, Ethik second". Dies rächt sich jetzt.
Es sind keine leichten Entscheidungen für Waffenlieferungen und die Erhöhung des Wehretats für diejenigen, die sie jetzt treffen müssen – die zum Teil Jahre ihres Lebens in die Friedenspolitik und die Abrüstungskontrolle gesteckt haben. Dieser Einsatz wird auch weiterhin unerlässlich bleiben, aber eben auch verknüpft mit Einsichten, wie sie neuerdings auch der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck formuliert:
"Wir brauchen in dieser Welt, in der wir so unendlich differenziert sind, (…) nicht die Kapitulation vor dem Gewissenlosen.... Der pazifistische Ansatz, so ehrenvoll er im persönlichen Leben ist, (…) ist ein Ansatz, der nicht zum Guten führt, sondern der die Dominanz der Bösen, der Verbrecher und der Unmenschlichen zementieren würde."
Natürlich wollen weder Joachim Gauck, Grüne noch SPD noch Frauen für Frieden, dass es einen längeren Krieg in Europa, einen neuen Militarismus in Deutschland gibt. Wir lehnen Angriffskriege und imperiale Kriege weiter ab, so wie Waffenexporte, die Angriffskriege oder Terror fördern (was beispielsweise den Stopp des Waffenexportes nach Saudi-Arabien und in den Jemen bedeuten sollte). Zu behaupten, die SPD und die Grünen seien früher pazifistische Parteien gewesen und würden jetzt alle ihre Prinzipien verraten und in Kriegsgeschrei ausbrechen, ist eine demagogische Unterstellung auch von Medien, die so tun, als hätten die Grünen von einem Tag auf den anderen ihre Meinung gewechselt. Nein, seit der Belagerung Sarajevos und seit dem Massaker von Srebrenica gibt es eine intensive Debatte in Grünen und SPD zu Militäreinsätzen der Bundeswehr.
Unser Land braucht, wie Europa, solchen guten Streit im öffentlichen Raum. Doch wichtiger als Talkshows mit den immer selben Professor*innen, Politiker*innen und Journalist*innen aus Deutschland ist es, den Stimmen aus der Ukraine und aus Belarus bei uns zuzuhören, sie endlich häufiger zu Wort kommen zu lassen. Eine Friedensbewegung, die das vernachlässigt und Putins Kriegsverbrechen und seine Mafia verharmlost, auf seine Propaganda mit dem dritten Weltkrieg und dem Atomwaffeneinsatz reinfällt, ist einseitig und nicht wirklich unabhängig. So wie eben Teile der Friedensbewegung in den 1980er Jahren auch der DKP, SED oder den UdSSR-Regimen nahestanden oder von ihnen finanziert wurden.
Dieses Erbe ist nur ein Teil des Erbes der Friedensbewegung der 1960er und 80er Jahre. Das andere Erbe, das stärker von den Grünen vertreten wird und von Teilen der Ampel sowie der CDU ist das des „European Nuclear Disarmament“ (END), der blockunabhängigen Friedensgruppen im Helsinkiprozess und der Charta von Paris, die wir mit der ersten KSZE der Frauen in Berlin 1990 ergänzt haben. Dazu gehört für mich, die Freiheitsbewegung der Studierenden in Hongkong und Myanmar, der Frauen in Belarus, der Umweltschützerinnen und der Künstler gegen „Putinismus“ zu unterstützen. Friedensgruppen, die der Linkspartei nahestehen, haben zu lange wie die AfD nur Misstrauen gegenüber dem Westen beziehungsweise den USA und der Nato geschürt, teils im Bündnis mit den Autonomen aus dem „schwarzen Block“. Sie spielen folgenreich herunter, was treffend Ralf Fücks am 13.7.2022 im Spiegel auf den Punkt bringt:
"Wenn der Westen nicht die Kraft hat, Putin in der Ukraine zu stoppen, ist der nächste Vorstoß nur eine Frage der Zeit. Der Kreml hat hinreichend deutlich gemacht, dass für ihn ein Ende des Krieges nur infrage kommt, wenn die Ukraine die russischen Forderungen akzeptiert. Ein solcher »Verhandlungsfrieden« wäre nicht nur eine Beerdigung dritter Klasse für jede wertebasierte europäische Ordnung. Appeasement gegenüber einem Aggressor schafft keinen nachhaltigen Frieden. Wenn Putin auch nur mit einem Teilerfolg vom Schlachtfeld geht, werden wir eine lange Periode der Kriegsgefahr und Instabilität an der östlichen Flanke Europas erleben. Nicht zuletzt wird ein Kuhhandel mit Russland massive Verwerfungen innerhalb der EU und der Nato hervorrufen. Bereits heute sehen unsere Verbündeten in Mittel- und Osteuropa mit wachsender Irritation auf Deutschland. In ihren Augen ist die zögerliche Politik Berlins die Fortsetzung des deutschen Sonderwegs gegenüber Russland."
V.
Die UNO und die OSZE hätten seit Jahren reformiert werden müssen, der Sicherheitsrat vor allem. Wie schwach die UNO gegenüber Putin dasteht, wie wirkungslos bei der humanitären Hilfe zusammen mit dem Roten Kreuz, erkennt man an der ungebremsten Verschleppung von zehntausenden Ukrainern, auch Kindern, nach Russland und an der fortgesetzten Zerstörung von ukrainischen Städten wie Mariupol, wo humanitäre Korridore ständig von der russischen Armee be- und verhindert wurden und viele ältere Menschen grausam gedemütigt worden sind. Dem Zynismus von Putins Propaganda muss dringend auch medial von der UNO mehr entgegengesetzt werden. Die russische Lügenmaschinerie macht jetzt die Sanktionen der EU für den Hunger in der Welt verantwortlich, obwohl Russland die Häfen der Ukraine zerstört, besetzt und die Weizenfelder der Ukraine vermint.
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Die EU muss ihre Energie-Wirtschafts- und Klimapolitik mit Sicherheits- und Verteidigungsfragen verbinden lernen. So wie die Frauenfriedensbewegung sich mit „fridays for future“ und „terre des femmes“ zu verbinden lernte und mit den „17 sustainable development goals" der UNO.
Diese Leidenschaft für eine gerechtere Welt, wie schon bei Bertha von Suttner nachzulesen ist, wird hoffentlich durch die Kriege des Putin-Clans und Terror und Krieg in anderen Ländern nicht untergehen – so wie hoffentlich auch nicht unsere Hoffnung auf Frieden und Freiheit und Solidarität in Europa - und in aller Vielfalt unser Engagement dafür. Mögen Vernunft und Mitgefühl endlich siegen.
Zitierweise: Eva Quistorp, "Die Waffen nieder?", in: Deutschland Archiv, 17.7.2022, www.bpb.de/510632.
Die ehemalige Mitbegründerin der Grünen, die Theologin und Europapolitikerin Eva Quistorp (76) ist Mitinitiatorin der Gruppe Frauen für Frieden und der Boell-Stiftung, und zurzeit Mitglied der Lobbygruppe für die Ukraine im Europaparlament.
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