Westliche Leiharbeiter in der DDR und die Rolle des MfS
Andreas Förster
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Auf ihren Großbaustellen setzte die DDR auch ausländische Leiharbeiter ein, zunächst vorrangig vom Balkan. Als es wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen jugoslawischen Volksgruppen und zu Streiks wegen unzureichender Unterbringung kam, ordnete die Stasi die Leiharbeitsstrukturen neu. Dadurch kamen ausgewählte westdeutsche Leiharbeitsfirmen ins Spiel. Und das MfS kassierte Devisen.
Im Februar 1984 kam es in Eisenhüttenstadt zu heftigen Auseinandersetzungen unter jugoslawischen Bauarbeitern. Die Männer waren in einem von der Öffentlichkeit abgetrennten Wohncamp für Ausländer untergebracht. Sie bauten mit an einem Konverter-Stahlwerk, das der österreichische Konzern Voest Alpine im damaligen Eisenhüttenkombinat Ost (EKO) errichtete. In einem Stasi-Bericht über die Ereignisse heißt es, Serben und Kroaten seien in dem Camp aneinandergeraten, hätten faschistische Lieder gesungen und antisozialistische Diskussionen geführt. An Toilettenwänden seien zudem Schmierereien gefunden worden, mit denen sich Serben und Kroaten gegenseitig den Tod an den Hals wünschten.
Die Konflikte im Ausländercamp des EKO führten zu diplomatischen Verwicklungen. Ein Vertreter der jugoslawischen Botschaft wurde im DDR-Außenministerium vorstellig und beklagte, dass die Arbeiter in Eisenhüttenstadt nicht von der staatlichen jugoslawischen Firma Monting, sondern von privaten Arbeitskräfteverleihern an die Baustelle vermittelt worden seien. Die DDR solle das künftig unterbinden, verlangte der Diplomat.
Die Ereignisse von Eisenhüttenstadt waren kein Einzelfall. Mit Einsetzen der Entspannungspolitik zwischen Ost und West Mitte der 1970er Jahre und der diplomatischen Anerkennung der DDR durch westliche Staaten konnte Ostberlin in den folgenden Jahren große Investitionsvorhaben an westeuropäische Konzerne vergeben. Die Westfirmen errichteten in der DDR Industrie- und Hafenanlagen, aber auch Hotels, etwa in Ostberlin, im Harz und auf Usedom. Zu den Bauprojekten gehörten unter anderem Fertigungsanlagen in den Chemiebetrieben von Leuna, Böhlen, Schwedt und Buna, im Chemiefaserkombinat Bitterfeld, im Rostocker Ölhafen und im Düngemittelwerk Rostock-Poppenhagen, im VEB Elektrokohle Berlin-Lichtenberg sowie in Betrieben in Oranienburg und Dresden.
Auf all diesen Baustellen setzten die westlichen Auftragnehmer neben eigenen Fachleuten aus Kostengründen vor allem Leiharbeiter ein, die zum überwiegenden Teil aus Jugoslawien stammten. Dabei griffen die Unternehmen auf professionelle Verleihfirmen zurück, die sich auf das DDR-Geschäft spezialisiert hatten. Viele von ihnen hatten jedoch in der Bundesrepublik bereits einen schlechten Ruf, weil sie den von ihnen vermittelten Arbeitskräften einen geringen Stundenlohn zahlten und weder Versicherungs- noch Sozialleistungen für sie abführten. Ostberlin war sich der Situation wohl bewusst, und man fürchtete – zurecht – mit dem Vorwurf in die Schlagzeilen westlicher Medien zu geraten, der Arbeiter-und-Bauern-Staat würde „Sklavenarbeit“ auf seinen Baustellen dulden. Doch der DDR, die auf westliches Industrie-Knowhow angewiesen war, waren die Hände gebunden: In den Verträgen war den Westkonzernen das Recht zur eigenverantwortlichen Einbeziehung von Subunternehmen – auch Arbeitskräfteverleihern – ausdrücklich eingeräumt worden.
MfS ordnete Leiharbeitermarkt
Es war schließlich die Stasi, der es ab Mitte der 1980er Jahre gelang, den wild wuchernden Markt der Arbeitskräfteverleiher in Ostdeutschland zu zähmen. Einer Handvoll westlicher Unternehmen, die von der für Spionageabwehr zuständigen MfS-Hauptabteilung II ausgewählt worden waren, wurde das Monopol der Personalvermittlung auf DDR-Baustellen übertragen. Dazu gründete die Stasi die Firmenvertretung IBAMOC – die Abkürzung steht für Internationale Bau- und Montagekooperation. Die Vertretung, die keinen Firmenstatus hatte und von einem DDR-Direktor geführt wurde, agierte fortan als Ansprechpartner für westliche Konzerne bei Bauvorhaben in der DDR. Darüber hinaus aber wurde die IBAMOC von der Stasi auch für nachrichtendienstliche Zwecke und die Erwirtschaftung von Devisen genutzt – ein bis heute kaum beleuchtetes Kapitel der MfS-Geschichte.
Da zeitweise mehrere Investitionsvorhaben von westlichen Firmen parallel umgesetzt wurden, arbeiteten seit 1982 bis 1989 mitunter bis zu 1.000 ausländische Arbeitskräfte zeitgleich auf Baustellen in der DDR. Ihre Beobachtung und Überwachung fiel in das Aufgabengebiet der 1976 gegründeten Arbeitsgruppe Ausländer (AGA) in der HA II. Die dem stellvertretenden Leiter der Spionageabwehr, Oberst Kurt Schenk, direkt unterstellte AGA hatte zuletzt 40 Mitarbeiter und wurde geleitet von Oberstleutnant Rainer Wiegand.
Wiegand war 1957, als 18-Jähriger, zur Stasi gekommen. Anfangs hatte er in der Hauptabteilung I Westspione in der NVA aufspüren müssen - mit Erfolg, so dass er in den späten 1960er Jahren in die Spionageabwehr, die Hauptabteilung II, wechselte. Dort führte er bis Ende 1989 die AGA, deren Hauptfunktion darin bestand, die Aktivitäten der in Ostdeutschland lebenden Angehörigen palästinensischer und libyscher Terrorgruppen unter Kontrolle zu halten. Darüber hinaus steuerte die AGA eigene Inoffizielle Mitarbeiter (IM) unter den in der Bundesrepublik lebenden Ausländern. Vor allem die durch diese Quellen gewonnenen Erkenntnisse waren es, die AGA-Chef Wiegand Ende 1989 für die westdeutschen Geheimdienste zu einem der wichtigsten Überläufer werden ließen, was noch zu schildern sein wird.
Anfang der 1980er Jahre aber musste sich die AGA verstärkt Vorkommnissen im Umfeld von Großbaustellen zuwenden, auf denen ausländische Arbeiter beschäftigt waren. So kam es etwa – meist wegen unzumutbarer Arbeitsbedingungen oder zu geringer Lohnzahlungen – zu spontanen Arbeitsniederlegungen von Westarbeitern, was beim MfS die Sorge auslöste, die Streiks könnten eine Beispielwirkung auf DDR-Werktätige haben.
Daneben fielen immer wieder einzelne Leiharbeiter aus dem Westen mit kriminellen Handlungen auf, die von Schmuggel mit Westwaren bis zu schweren Verbrechen wie Körperverletzung und Vergewaltigung reichten. Auch gab es Hinweise auf Fälle von Spionage und Sabotage. Stasi-Minister Erich Mielke beauftragte schließlich die Hauptabteilung II mit einer grundlegenden „Untersuchung und Veränderung der instabilen Lage“, wie es in einem MfS-Dokument heißt. Mit der Aufgabe wurde Wiegands Arbeitsgruppe Ausländer betraut.
Die AGA konnte bei ihren Untersuchungen mehr als 20 professionelle, fast durchweg jugoslawische Arbeitskräftevermittler identifizieren, die in der Bundesrepublik, der Schweiz und Österreich ansässig waren und Landsleute „auf nahezu allen Investitionsobjekten und Großbaustellen der Industrie, Landwirtschaft und des Hotelbereichs in der DDR zum Einsatz bringen“, wie es in ihrem Bericht heißt. Unter den Unternehmern „befanden sich neben seriösen Geschäftsleuten auch … nur als Scheinfirmen etablierte und kriminelle Methoden praktizierende Arbeitskräfteverleihfirmen“. Sie können auf „ein Reservoir ständig abrufbereiter … arbeitsloser Ausländer“, insbesondere Jugoslawen, aber auch Türken und Österreicher zurückgreifen. Diese würden „nach den der ‚Sklavenarbeit’ üblichen Bedingungen wie die Einbehaltung von bis zu 70 Prozent des realen Lohnes, des Erzwingens von ‚Vermittlungsgebühren’, der Nichtabführung von Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung“ beschäftigt, heißt es in dem Stasi-Bericht.
Unter den von den Vermittlern angestellten Bauarbeitern befanden sich laut der AGA häufig vorbestrafte Personen. Diese würden angeblich eine Vielzahl von Straftaten begehen. „Körperverletzungen, Korruption, Handel mit Dokumenten wie Fahrerlaubnissen im großen Stil bis hin zu Schutzgelderpressungen im Stile westlicher Mafia-Gruppen prägten zunehmend die Lage im Umfeld der Baustellen“, heißt es in einem weiteren MfS-Bericht. Hinzu komme, dass ein Teil der Leiharbeiter nach Ende ihrer Beschäftigung in der DDR verbleeiben, indem sie Einladungen von Bekannten vorweiesen, die 30 Tage gültig seien. Viele dieser faktisch illegal in Ostdeutschland lebenden Personen würden „bereits bandenmäßig organisiert“ Schmuggel mit Zigaretten, Alkohol, elektronischen Geräten und anderen Westprodukten betreiben, da sie mit ihren Pässen ungehindert die Grenze passieren könnten.
Noch bedrohlicher wirkte für die Stasi jedoch der Umstand, dass die ausländischen Arbeitskräfte „umfangreiche und oftmals bedeutsame Verbindungen zu DDR-Bürgern, … unterhalten“. Mit besonderer Sorge wurden „Intimkontakte [der Ausländer – d.A.] zu Töchtern von MfS-Mitarbeitern, NVA-Offizieren u. a. Geheimnisträgern“ registriert. Auch würden einige der Arbeiter „im Zusammenhang mit der Antragstellung von DDR-Bürgern auf ständige Ausreise aus der DDR sowie bei Kontakten zu Vertretern politischer Untergrundtätigkeit in Erscheinung“ treten. Schließlich gebe es noch Hinweise darauf, dass auch in der Bundesrepublik aktive jugoslawische Exilorganisationen „das Potential dieser Ausländerkategorie erkannt haben und zunehmend für ihre subversiven und kriminellen Aktivitäten erschließen“. All das würde „imperialistischen Geheimdiensten und anderen feindlichen Stellen und Kräften in deren subversivem Vorgehen gegen die DDR objektiv günstige Nutzungsmöglichkeiten bieten“, warnte die Spionageabwehr in ihrem Bericht.
Westliche Firmen übernahmen Federführung
Mit Billigung von Stasi-Minister Mielke zog Wiegands Arbeitsgruppe Ende 1984 das Thema Leiharbeit an sich. Zunächst wählte die AGA drei der bisher auch schon in der DDR tätigen Personalfirmen aus und ließ sie offiziell für ihre Tätigkeit durch das Ostberliner Außenhandelsministerium akkreditieren. Es handelte sich laut Stasi-Unterlagen dabei um die Bex Bau Ges.m.b.H aus Wien, die Münchner Firma Braun Bau und die Ost-West-Montage AG (OWM) in Zürich. Die drei – später kamen noch drei weitere Firmen hinzu – waren fortan die einzigen westlichen Unternehmen mit einer Berechtigung, Leiharbeiter auf Baustellen in der DDR zu vermitteln. Das wurde bei den folgenden Investitionsprojekten auch in den Verträgen mit den westlichen Bauauftragnehmern festgeschrieben. Die ausgewählten Firmen mussten sich zur Zahlung einheitlicher Stundensätze für die von ihnen vermittelten Arbeiter verpflichten sowie deren Sozial-, Arbeits- und Versicherungsschutz gewährleisten.
In einem zweiten Schritt wurden Bex, Braun Bau und OWM im März 1985 dazu verpflichtet, sich zur IBAMOC zusammenzuschließen. Die Firmenvertretung erhielt eigene Büroräume in der Otto-Grotewohl-Straße 5, der heutigen Wilhelmstraße in Berlin-Mitte. Als Direktor wurde der DDR-Bürger Joachim F. eingesetzt, hauptamtlicher Inoffizieller Mitarbeiter (HIM) der HA II mit dem Decknamen „Lutz“. Er war Wiegand direkt unterstellt, der offensichtlich über ihn die IBAMOC persönlich anleitete. Die Firmenvertretung sollte als gemeinsamer Ansprechpartner der beteiligten Unternehmen Aufträge bei westlichen Anbietern einholen und diese in einer Art gesteuerter Konkurrenz untereinander aufteilen.
Bis 1989 band die faktisch von der Stasi gesteuerte IBAMOC noch drei weitere Unternehmen vertraglich ein: die österreichischen Personalleasingfirmen Inda-Bau und Mariola sowie das im walisischen Cardiff domizilierte Unternehmen ABPL Ltd. Diese sechs privaten Firmen deckten bis 1990 das fast das gesamte Angebot von Leiharbeitern für Baustellen westlicher Firmen auf dem Gebiet der DDR ab.
Es ginge jedoch an der Realität vorbei, würde man das Motiv der Stasi für die Gründung der IBAMOC einzig auf die totale Kontrolle der Verleihfirmen und der eingesetzten Arbeitskräfte oder gar die Herstellung gerechter Arbeits- und Lohnbedingungen für die Leiharbeiter reduzieren. Beides spielte zwar in den Überlegungen der Hauptabteilung II eine Rolle; aber natürlich ging es dem Geheimdienst vor allem auch darum, an dem nicht geringen Profit der Leiharbeitsfirmen kräftig zu partizipieren. So mussten die IBAMOC-Unternehmen quasi als Einstiegsprämie jeweils 25.000 D-Mark als sogenannte „Initialsumme“ an die – zum Schalck-Bereich Kommerzielle Koordinierung (KoKo) gehörende – Vertretergesellschaft Kontakta zahlen, um überhaupt in der DDR zugelassen zu werden.
Darüber hinaus verpflichteten sich die Leiharbeitsfirmen dazu, einen festgelegten Anteil ihres Jahresumsatzes an die Kontakta als „Provision“ zu überweisen. Anfangs lag dieser Anteil bei zehn Prozent, bis 1989 stieg er auf 15 Prozent an. Damit wurde ein jährlicher Zufluss in den Staatshaushalt von zuletzt mehr als sieben Millionen DM erzielt. Stasi-Offizier Wiegand jubilierte förmlich in einem Bericht über die Funktionsweise der IBAMOC: Es habe sich „auf Dauer eine Devisenquelle aufgetan, die keinerlei Gegenleistung materieller Art erfordert oder bedingt. Valutaeinnahmen für die DDR, die unseren Staat nichts kosten, sind ohne Zweifel hundertprozentig devisenrentabel!“, freute sich der Oberstleutnant.
Von der IBAMOC erhoffte sich die Stasi aber noch weitere Einnahmequellen für den Staat. So sollten die Firmen verpflichtet werden, eine Unfall- und Krankenversicherung gegen Valuta bei der Staatlichen DDR-Versicherung abzuschließen sowie Bankkonten für die Lohnzahlungen an die Leiharbeiter bei den Filialen der Staatsbank einzurichten. Mit letzterem würden nicht nur die bis dahin üblichen Barauszahlungen auf den Baustellen entfallen, die stets ein Sicherheitsrisiko waren; die DDR könnte die zeitweilig auf den Konten deponierten Devisen auch für kurzfristige Zahlungsverpflichtungen nutzen, schlug Wiegand vor.
Darüber hinaus sollten die Büroräume für die IBAMOC und deren technische Ausstattung mit Computern und Fernschreibern vom DDR-Dienstleistungsamt für ausländische Vertretungen bereitgestellt werden, natürlich gegen Valuta. Ebenso mussten die als Leiharbeiter eingesetzten Schweißer vor ihrem Einsatz auf Kosten der IBAMOC einen Spezialkurs beim Ostberliner Zentralinstitut für Schweißtechnik absolvieren, Kostenpunkt: 1.500 DM pro Person.
Ein Devisengeschäft auch für das MfS
Gefüllt wurde die Kasse der IBAMOC durch Monatsbeiträge der beteiligten Firmen. Anfangs lag der Satz bei 5.000 DM, später wurde er auf 7.000 DM aufgestockt. Aus dieser Kasse wurden auch die Gehälter für den Direktor und die Sekretärin der Firmenvertretung bezahlt. Beide waren dem MfS verpflichtet: Direktor F. alias HIM „Lutz“, bekam offiziell 5.000 DM pro Monat, seine Sekretärin (IM „Katja“) erhielt 2.000 DM. Tatsächlich aber landete dieses Geld – jährlich 84.000 DM – bei der Stasi. Die beiden IBAMOC-Angestellten mussten dort ihr Westgehalt abliefern und erhielten stattdessen ihr Salär in DDR-Mark vom MfS ausgezahlt. Später erhöhten sich diese Einnahmen des Geheimdienstes noch, weil die IBAMOC zwei weitere Mitarbeiter einstellte.
Für das MfS aber tat sich noch eine weitere Einnahmequelle auf. Da die IBAMOC-Firmen schon vor 1985 in der DDR tätig waren und vom MfS bei Unregelmäßigkeiten ertappt worden waren, mussten sie Wiedergutmachungsleistungen zahlen. Das war die Voraussetzung dafür, dass sie überhaupt für eine Weiterbeschäftigung auf ostdeutschen Baustellen ausgewählt wurden. Diese „freiwillig“ erbrachten Wiedergutmachungsleistungen bezifferten sich auf bis zu 500.000 DM pro Firma, die in drei Jahresraten auf ein Konto der Stasi überwiesen werden mussten. Insgesamt nahm der Geheimdienst damit zwischen zwei und drei Millionen DM ein, wovon der überwiegende Teil zur eigenen Verwendung – quasi als Schwarzgeld – einbehalten wurde.
Mit der Schaffung der IBAMOC hatte das MfS also zwei wesentliche Ziele erreicht: Zum einen war es gelungen, einen genauen Einblick in die Geschäftstätigkeit westlicher Leihfirmen und einen kompletten Überblick über die auf dem Gebiet der DDR tätigen Leiharbeiter zu erhalten. Hinzu kam eine Disziplinierung der ausländischen Arbeiter durch sogenannte Baustellenbeauftragte, die von den Firmen eingesetzt werden mussten und der IBAMOC-Führung gegenüber auskunftspflichtig waren. Zum anderen presste das MfS den akkreditierten Firmen Provisionen und weitere Zuwendungen ab, die den klammen DDR- und Stasi-Etats wichtige Devisen zuführten.
Im November 1988 lobte dann auch der Mielke-Stellvertreter und Chef der Hauptabteilung II, General Günther Kratsch, auf einer internen Dienstbesprechung die Devisenerfolge seines AGA-Chefs: Wenn man diesmal zu Weihnachten mehr Apfelsinen als sonst zu kaufen bekäme, so flachste er, läge das auch an den Leistungen des Genossen Wiegand.
Mit der von einem Stasi-Mitarbeiter geleiteten Vertretung mehrerer Westfirmen verfolgte der Geheimdienst aber noch ein drittes Ziel – die „Nutzung von Möglichkeiten für die Arbeit … der Hauptabteilung II im und nach dem Operationsgebiet“, wie es in einer von der AGA verfassten Konzeption für die IBAMOC heißt. Nach den Vorstellungen von Oberstleutnant Wiegand sollten Agenten der Spionageabwehr bei Einsätzen etwa in der Bundesrepublik IBAMOC-Dokumente nutzen können, ohne dass die Inhaber der drei Westfirmen davon Kenntnis bekamen. So könnte etwa ein IM unter Nutzung eines vom Geschäftsführer, dem HIM „Lutz“, ausgestellten Beratervertrages offiziell zur Geschäftsanbahnung in die Bundesrepublik reisen und unter dieser Legende operative Reiserouten auskundschaften und Aufträge erledigen. Auch ließen sich – so Wiegands Überlegungen – über die IBAMOC Hotelzimmer und Wohnungen anmieten. Ebenso könnten „operativ erforderliche Finanzierungen, Geldbewegungen oder Beschaffungen“ über die Firmenvertretung abgedeckt werden. Inwieweit diese Pläne auch tatsächlich umgesetzt wurden, lässt sich jedoch aus den nur fragmentarisch überlieferten Stasi-Akten zur IBAMOC nicht mehr feststellen.
Umgestaltung nach der Friedlichen Revolution
Im Wendeherbst 1989 reagierten die Chefs der IBAMOC schnell auf die veränderte Situation. Die Firmenvertretung wurde in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umgewandelt und nannte sich fortan Immobilien-Bau und Montagevermittlungs GmbH (IMBAMONT). Und plötzlich pflegte die neue alte Firma auch Geschäftskontakte mit Firmen aus dem Unternehmenskomplex der KP Österreichs, darunter etwa ein Außenhandelskontor mit der Bezeichnung Helene E. Böhmer und eine Speditionsgesellschaft namens Interfracht GmbH. Mit im Geschäft waren plötzlich auch Unternehmen, die von Kadern aus der für Auslandsspionage zuständigen Hauptverwaltung A (HVA) gegründet worden waren. Ob diese Beziehungen damit zu tun hatten, dass in den folgenden Monaten Millionensummen aus Stasi- und SED-Kassen im unübersichtlichen Geflecht der KPÖ-Firmen versickerten, konnte von den Ermittlungsbehörden nie aufgeklärt werden.
Wiegand war zu dieser Zeit aber nicht mehr mit an Bord. Der 50-Jährige, seit 1957 dem MfS verpflichtet, hatte sich im Dezember 1989 in den Westen abgesetzt. Er gilt bis heute als der erste Stasi-Überläufer nach der Wende. Kurz vor seinem Seitenwechsel, so berichten es ehemalige einer Kampfgenossen, habe er ein noch ein IBAMOC-Konto abgeräumt und 265.000 DM mit über die Grenze genommen.
Bei BND und Verfassungsschutz wusste man davon offenbar nichts, aber das hätte dort wohl auch kaum jemanden interessiert. Viel begieriger war man auf die Informationen und Unterlagen, die Wiegand aus der Normannenstraße mitgebracht hatte. Und die hatten es in sich: Nicht nur, dass er den Pullacher Schlapphüten den Weg aufmalte, den diese bei der Erstürmung der Stasi-Zentrale am 15. Januar 1990 zu Zimmern der Hauptabteilung II mit den wichtigen Aktenschränken nehmen mussten. Er konnte auch Hintergründe und Verantwortlichkeiten des Terroranschlags auf die Westberliner Diskothek La Belle am 5. April 1986 offenlegen. Damals waren zwei Menschen getötet und rund 200 verletzt worden. Mit seinen Aussagen beim Bundeskriminalamt trug Wiegand entscheidend bei zur späteren Verurteilung von vier der Attentäter.
Bei seinen Befragungen durch den BND im Januar 1990 nannte er zudem die Klarnamen von mindestens 14 Ausländern, die das MfS angeworben und in der Bundesrepublik stationiert hatte. Außerdem berichtete er umfassend über das Zusammenwirken der Stasi mit arabischen Terroristen, die von seiner AGA betreut und beobachtet worden waren. Von besonderem Interesse für das Bundesamt für Verfassungsschutz, das seinen Informanten unter der Deckbezeichnung „Stromdreieck“ führte, waren obendrein Wiegands Kontakte zur Führung der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Zu Treffen mit seinen in der Bundesrepublik lebenden kurdischen Quellen war der MfS-Oberstleutnant regelmäßig nach Wien, Jugoslawien und Budapest gefahren.
Neben den Treffen mit den Kurden pflegte Wiegand bei seinen Wien-Aufenthalten in den 1980er Jahren noch andere brisante Beziehungen. So traf er sich dort mit russischen Exiljuden und israelischen Geschäftsleuten – Kanäle, über die er schließlich auch Kontakte zu einem Residenten des israelischen Geheimdienstes Mossad aufbauen konnte. Die Auftraggeber dieser Wiener Kontakte aber saßen nicht nur in der Normannenstraße, sondern auch in Berlin-Karlshorst: Bereits seit Ende der 1970er Jahre war Wiegand auch vom sowjetischen Geheimdienst KGB für die Aufklärung der Exilrussenszene in West-Berlin und Wien genutzt worden. Im Jahre 1978 hatten ihn die Russen dazu mit einem Ausweis des DDR-Außenministeriums ausgestattet, der ihn als „Mitglied des Verwaltungs- und technischen Personals der Botschaft der UdSSR“ auswies. Wiegands Deckname beim KGB lautete A.G. Dombrowskij. Den Ausweis hatte der Stasi-Offizier in KGB-Diensten korrekt unterschrieben – in kyrillischer Schrift.
Ob Wiegand aber in seinen umfangreichen Aussagen bei den westdeutschen Sicherheitsbehörden auch über die Tätigkeit der Firma IBAMOC ausgepackt hat, bleibt unklar. In den bislang aus Ermittlungsunterlagen bekannten, mehr als 200 Seiten umfassenden Protokollen seiner Aussagen bei Geheimdienst und BKA tauchen an keiner Stelle Details über das Wirken der IBAMOC auf. Anfang der 1990er Jahre stieg Wiegand wieder ins Baugeschäft ein. Dank der Prämien vom BND für seine Aussagen konnte er eine Baufirma gründen mit Büros in bester Münchner Lage. Er meldete sich damals bei seinen alten IBAMOC-Geschäftspartnern von der Bex Bau Ges.m.b.H. in Wien und bot ihnen eine Kooperation an. Laut Bex-Geschäftsführer Josef Poandl einigten sie sich darauf, dass der Ex-Stasi-Offizier die portugiesische Bex-Niederlassung übernimmt. Nach ein paar Jahren aber überwarfen sich die Partner.
Zu all dem und den Aktivitäten der IBAMOC kann man Wiegand nicht mehr befragen. In der Nacht vom 17. auf den 18. Juni 1996 verunglückte er mit seinem Auto auf einer Landstraße bei Setubal, südlich von Lissabon. Er und seine Begleiterin waren sofort tot. Wenige Wochen später hatte der Überläufer als Zeuge im Berliner Prozess gegen einen Palästinenser aussagen sollen, der als Drahtzieher des „La Belle“-Attentats von 1986 galt. Wie sich der Unfall auf der nächtlichen Landstraße in Portugal tatsächlich abgespielt hatte, bleibt bis heute unklar. Zunächst hieß es, Wiegands Wagen sei von einer schweren Baumaschine überrollt worden. Dann wurde berichtet, das Auto sei frontal mit einem entgegenkommenden Kleinlaster zusammengestoßen. Oder war es doch ein Kühltransporter? Klarheit wurde nie geschaffen. In der örtlichen Polizeibehörde waren die Unterlagen des Unfalls schon nach kurzer Zeit nicht mehr auffindbar.
Zitierweise: Andreas Förster, "Westliche Leiharbeiter in der DDR und die Rolle des MfS“, in: Deutschland Archiv, 05.01.2021, Link: Externer Link: www.bpb.de/325007. Alle Beiträge im Deutschland Archiv sind Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar.
Jahrgang 1958, ist freier Journalist und Buchautor in Berlin. Er schreibt vor allem über DDR-Aufarbeitung, Terrorismus und politischen Extremismus, Geheimdienste, Zeitgeschichte und Organisierte Kriminalität, vornehmlich für die Berliner Zeitung.