Migration und Wohnungsbau. Geschichte und Aktualität einer besonderen Verbindung am Beispiel Stuttgart-Rot
Rainer Bobon
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75 Jahre Wohnungsbau für Neuansiedler und Kriegsflüchtlinge am Beispiel des Stuttgarter Stadtquartiers "Stuttgart-Rot". Der Beitrag von Rainer Bobon stellt eine Ausstellung „Migration und Wohnungsbau. Lebensgeschichten aus Stuttgart-Rot“ vor, die am Beispiel dieser Nachkriegssiedlung die für die Bundesrepublik charakteristische enge Verbindung zwischen Migration und Wohnungsbau beleuchtet, zu der auch prominente Bewohner gehörten.
Im Jahr 2022 nahm Deutschland über eine Million Geflüchtete auf. Sobald diese Menschen die Gemeinschaftsunterkünfte oder Privatquartiere verlassen, stoßen sie auf einen angespannten Wohnungsmarkt, auf dem es vor allem in prosperierenden Ballungszentren immer weniger bezahlbare Wohnungen gibt. Diese Ausgangslage ist, allen Unterschieden zwischen den historischen Konstellationen zum Trotz, in der deutschen Geschichte nicht neu. So lebten in Nachkriegsdeutschland rund 12,5 Millionen deutsche Flüchtlinge und Vertriebene, 1950 fehlten Berechnungen zufolge allein in der Bundesrepublik 5,9 Millionen Wohneinheiten.
Damals wie heute war die Migration nicht ursächlich für die Wohnungsknappheit, verstärkte sie jedoch – und war damit gleichzeitig eine Triebfeder für den Neubau. Die Wechselausstellung „Migration und Wohnungsbau. Lebensgeschichten aus Stuttgart-Rot“ im Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg zeigt am Beispiel des ab 1949 errichteten Stuttgarter Stadtteils Rot, wie eng die beiden in den vergangenen Jahren immer wieder kontrovers diskutierten Themenkomplexe miteinander verbunden waren und sind.
Die in Kooperation mit dem Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde entstandene Ausstellung ist in drei Teile gegliedert, daran lehnt sich auch der Aufbau dieses Textes an. Er skizziert erstens die Gründungs- und Baugeschichte von Stuttgart-Rot, seinerzeit das größte Siedlungsbauprojekt der Bundesrepublik. Zweitens gibt er Einblick darin, wie Menschen ihr Leben im Stadtteil sehen. Der dritte Abschnitt nimmt die Zukunftspläne für den Stadtteil in den Blick. Hinzu kommt eine kurze Schlussbetrachtung zu den Zielen und Möglichkeiten der Ausstellung.
Von der Lagergemeinde zur Siedlungsgenossenschaft
Die Ausstellungsarchitektur beruht auf Baugerüsten, zwischen denen wahlweise PVC-Planen oder Holzplatten angebracht sind. Sie schafft drei Räume im Raum. Innen ist Platz für die Porträts heutiger Bewohner*innen, außen für die mit Fotografien, Karten, Akten, Bauzeichnungen, einigen dreidimensionalen Objekten sowie Film- und Tonaufnahmen arbeitende Darstellung. Der Rundgang beginnt mit einem für die Gründungsgeschichte Stuttgart-Rots wesentlichen Ort, der heute wieder das Sport- und Freizeitgelände ist, das er vor dem Zweiten Weltkrieg war: Die Schlotwiese, eine Waldlichtung im industriell geprägten Stuttgarter Ortsteil Zuffenhausen. Ab 1942 befand sich dort ein Lager für Zwangsarbeiter*innen. Im August 1945 brachte die US-amerikanische Militärverwaltung hunderte Deutschstämmige aus dem östlichen Europa in den stark beschädigten Holzbaracken unter. Es handelte sich überwiegend um sogenannte Donauschwäb*innen aus den Regionen Batschka, Syrmien und Slawonien im serbisch-kroatisch-ungarischen Grenzgebiet, die im Herbst 1944 auf Befehl Heinrich Himmlers ins Reichsgebiet „evakuiert“ worden waren und nun in ihre Heimat zurückkehren wollten. Jugoslawien weigerte sich jedoch, seine unter Kollaborationsverdacht stehenden deutschstämmigen Bürger*innen zurückzunehmen.
Selbsthilfe für einen Neuanfang
„Das Lager war unbeschreiblich – total kaputt und die Essenreste noch in den Töpfen verschimmelt. […] Da hat man uns abgeladen und uns überlassen.“ So beschrieb eine Zeitzeugin Jahrzehnte später ihre ersten Eindrücke von der Schlotwiese, die durch Zuzug von Angehörigen mit bis zu 1.400 Bewohner*innen nicht nur das größte der 15 Stuttgarter „Ausländerlager“, so die zeitgenössische Bezeichnung in Verwaltungsdokumenten, sondern auch das größte Wohnlager Südwestdeutschlands wurde. Hoffnung auf Rückkehr und ein starkes, auch durch das Misstrauen der alteingesessenen Bevölkerung genährtes Gemeinschaftsgefühl hielten die „Schlotwieser“ ebenso im Lager wie die allgemeine Wohnungsnot und ihr ungeklärter rechtlicher Status. Bis November 1945 galten sie als Displaced Persons (DPs), anschließend als „Ausländer“, „Staatenlose“ oder „den Deutschen gleichgestellt“, erst 1948 wurden sie als Flüchtlinge anerkannt. Daraufhin entschied sich schließlich eine Mehrheit für den Verbleib in Stuttgart – und gegen Pläne zur kollektiven Auswanderung nach Nord- oder Südamerika oder zur Siedlung auf dem Land. Auf Anregung der Stadtverwaltung gründeten am 17. November 1948 im Versammlungsraum des Lagers 79 Personen eine Genossenschaft: Die „Neues Heim. Gemeinnützige Bau- und Siedlungsgenossenschaft e.G.m.b.H.“ (BG Neues Heim). Ein Geschäftsanteil kostete 300 DM. Der Wunsch, direkt auf der Schlotwiese Siedlungshäuser zu bauen, blieb der Genossenschaft verwehrt. Stattdessen bot die Stadt ihr nach einiger Suche Bauland am Rotweg östlich von Zuffenhausen an, gut 2,5 Kilometer vom Lager entfernt.
Ein neuer Stadtteil entsteht
Am Rotweg sollten nach den Plänen der Zentrale für den Aufbau der Stadt Stuttgart (ZAS) Wohnungen für 15.000 bis 20.000 Menschen entstehen – in einer von mehreren neuen Siedlungen am Stadtrand, die ein 1948 vorgelegter Generalbebauungsplan vorsah. Nördlich des Rotweges gab es mit der Malberg- (erbaut 1928–1935) und der „alten“ Rotwegsiedlung (1938–1940) bereits zwei kleine Siedlungen des geförderten Wohnungsbaus.
Noch bevor die ZAS ihre Planungen präzisierte, durfte die BG Neues Heim im Mai 1949 mit dem Bau ihres ersten Wohnblocks beginnen – und damit gleichzeitig den Grundstein für die neue Siedlung am Rotweg legen, wie sie anfangs hieß. Aus Sicht der Stadt ein Versuch mit Risiko: „Um dieses einzuschränken, sollen die Siedler zunächst bei dem Aufbau eines Blockes zeigen, ob sie in der Lage sind, die genossenschaftlichen [sic] Baudurchführung wirtschaftlich und mit niederen Baukosten zu verwirklichen.“
Nur rund ein Fünftel der Baukosten von 260.000 DM bestritt die Genossenschaft durch Eigenkapital. Der Rest wurde durch Eigenleistung ihrer Mitglieder, Kredite und zinslose Darlehen von Land und Stadt gedeckt. Das Grundstück erhielt die Genossenschaft zur Erbpacht. Der Versuch gelang: Nach nur siebenmonatiger Bauzeit weihte die Genossenschaft am 3. Dezember 1949 mit Ehrengästen aus Stadt, Land und Militärregierung den ersten Wohnblock ein, der heute die Anschrift Rotweg 58-62 trägt. Architektonisch war der von Eugen Zinsmeister geplante Zeilenbau eher konservativ gehalten, bautechnisch einfach ausgeführt. Ohne Badezimmer und nur 46 bis 71 Quadratmeter groß, entsprachen die Wohnungen den Ende der 1940er Jahre üblichen Mindeststandards im sozialen Wohnungsbau.
In der Folge sorgten die BG Neues Heim sowie über ein Dutzend weiterer, überwiegend genossenschaftlicher oder kommunaler Bauträger für ein rasantes Aufbautempo, wobei fast ausschließlich öffentlich geförderte Wohnungen entstanden. Angesichts zahlreicher Beitrittsgesuche musste die Flüchtlingsgenossenschaft bald einen Aufnahmestopp verhängen. 1953 stellte die BG Neues Heim bereits ihre 500. Wohnung fertig, insgesamt wohnten im Neubaugebiet nun schon 9.000 Menschen. 1961 erreichte die Bevölkerungszahl Rots mit 17.000 ihren Höchststand. Von den ersten 1055 Wohnungen der BG Neues Heim gingen nur 141 an „Nichtvertriebene“. Den zeitgenössischen kommunalen Verantwortlichen lag jedoch viel daran, dass Rot insgesamt keine reine Flüchtlings- und Vertriebenensiedlung wird. Einer 1955 durchgeführten Erhebung zufolge stammten immerhin 45 Prozent der Roter Bevölkerung aus der Bundesrepublik, brachten also keine Fluchterfahrung mit.
Städtebau und Architektur
Der städtebauliche Plan der ZAS lehnte sich an die zeitgenössischen Konzepte von „Stadtlandschaft“ und „gegliederter und aufgelockerter Stadt“ an. Die dezentral verteilte öffentliche Infrastruktur mit Läden, einer evangelischen und einer katholischen Kirche, Kindergärten, mehreren Schulen, einem (inzwischen abgerissen) Kino und einem Sportplatz machten Rot, so der offizielle Name ab 1961, schon bald zu einem weitgehend autonomen Stadtteil, obwohl er administrativ Zuffenhausen untergeordnet blieb. Anders als ursprünglich geplant, siedelte sich jedoch nie in nennenswerten Umfang Gewerbe an. 1954 erhielt Rot einen Straßenbahnanschluss, in Zuffenhausen soll die Verbindung aufgrund als fremdartig empfundener Essgewohnheiten der Zugezogenen abschätzig als „Knoblauchexpress“ bekannt gewesen sein.
Aus der zeittypischen städtebaulichen Anlage mit ihren drei- bis fünfstöckigen Zeilenbauten stechen einige Gebäude architektonisch heraus. Mit dem Hochhauspaar „Romeo und Julia“ (Bauzeit 1955–1959, zusammen 185 Eigentumswohnungen) von Hans Scharoun und Wilhelm Frank erhielt Rot als „städtebauliche Dominante“ ein identitätsstiftendes architektonisches Glanzlicht, das heute unter Denkmalschutz steht.
Demografischer Wandel
Ein großer Teil der in der Nachkriegszeit nach Rot gekommenen Menschen lebte dort über viele Jahrzehnte. Die Bevölkerungszahl Rots pendelte sich in den 1980er Jahren bei rund 10.000 ein und hält sich bis heute auf diesem Niveau. Günstige Mieten und die große Präsenz institutioneller Wohnungsanbieter machten den Stadtteil schnell für weitere Zugewanderte attraktiv. Spätestens in den 1990er Jahren wurden in Stuttgart-Rot städtebauliche und soziale Herausforderungen deutlich, die als charakteristisch für in die Jahre gekommene Nachkriegssiedlungen gelten können. 2003 wurde Rot in das Bund-Länder-Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Die Soziale Stadt“ aufgenommen, mit dessen Förderung bis 2016 unter intensiver Bürgerbeteiligung zahlreiche investive und nicht-investive Projekte umgesetzt wurden. Parallel setzten die großen Genossenschaften und Wohnungsbaugesellschaften zu einer umfassenden Modernisierung ihrer Bestände an.
Lebensgeschichten aus Stuttgart-Rot
Die Ausstellung porträtiert zehn heutige und ehemalige Bewohner*innen Rots mit Bezug zur BG Neues Heim. Sie tut dies zum einen durch Fotografien des Stuttgarter Fotografenduos „die arge lola“, zum anderen durch Interviewausschnitte, die über Audioguides anzuhören sind. Zudem konnten die Interviewten Objekte einbringen, die sie mit ihrem Ankommen in Rot verbinden. Die 2022/23 durchgeführten lebensgeschichtlich-thematischen Interviews behandeln die Biografien der Interviewten, ihre Ankunft im Stadtteil und dessen Entwicklung. Die sich nach Alter, Wohndauer, Geschlecht, Herkunft und rechtlichem Status in vielerlei Hinsicht voneinander unterscheidenden Interviewten stehen mit ihren Lebenswegen auch für einige der Migrationsbewegungen, die seit 1945 Westdeutschland im Allgemeinen und Rot im Besonderen formten. So zog die in Schlesien geborene Frau G. 1950 mit ihrer Familie in einen der ersten Genossenschaftsblöcke, Frau P. kam 1970 aus Kroatien zum Arbeiten nach Deutschland. Frau S. ist als Jugendliche mit ihrer Familie aus dem Irak geflüchtet.
Aus den Interviews lassen sich einige signifikante Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Wahrnehmung des Stadtteils herausarbeiten. Alle Interviewten leben gerne in Rot, schätzen das viele Grün und identifizieren sich stark mit dem Stadtteil, dessen Gründungsgeschichte den meisten bekannt ist. Ältere Gesprächspartner*innen beschreiben das Zusammenleben in den ersten Jahrzehnten rückblickend als das einer von Flüchtlingen und Vertriebenen geprägten Schicksalsgemeinschaft. Mit den Jahren sei der Zusammenhalt gesunken und weitgehender Anonymität gewichen, verstärkt durch sprachliche Barrieren.
Gerade die jüngsten Befragten nehmen ihr Wohnumfeld ebenfalls als eher anonym wahr, stehen dieser Tatsache jedoch neutral bis positiv gegenüber. Neben dem Bild einer relativ homogenen Schicksalsgemeinschaft in den Aufbaujahren und zunehmender Anonymität in jüngerer Zeit steht die von unterschiedlichen Generationen geäußerte Wahrnehmung, dass Zugezogene in Rot seit jeher freundlich aufgenommen würden. Der geplante Abriss der ersten Genossenschaftsbauten im Stadtteil wird mit Verweis auf die einfache und in die Jahre gekommene Bausubstanz allgemein akzeptiert. Den Gesprächspartner*innen ist jedoch bewusst, dass höhere Mieten, wie sie im Neubau anfallen, für viele bisherige Bewohner*innen kaum zu bezahlen sind.
Zukunft und Erinnerung
Rot ist fast immer im Wandel, auch dafür stehen die Baugerüste in der Ausstellung. Ende 2023, also genau 75 Jahre nach ihrer Gründung, hat die BG Neues Heim mit dem Abriss ihrer ältesten Gebäude begonnen. Zusammen mit der Baugenossenschaft Zuffenhausen will sie bis 2027 für rund 80 Millionen Euro das Areal neu bebauen, auf dem die beiden Genossenschaften einst die Großbaustelle am Rotweg eröffneten. Die Neubauten sollen mit bis zu sieben Stockwerken deutlich höher als die bisherige dreistöckige Bebauung ausfallen, etwa 230 anstelle von bislang rund 150 genossenschaftlichen Wohnungen bieten. Der städtebauliche Siegerentwurf sieht Raum für flexible Grundrisse, innovative Wohnformen, Gemeinschaftsflächen, Kleingewerbe und soziale Einrichtungen vor. Das Projekt ist Teil der Internationalen Bauausstellung 2027 Stadtregion Stuttgart (IBA ‘27). Seinen Modellcharakter unterstreicht ein öffentlich gefördertes „Reallabor Wohnen“, in dem bis zu Beginn der Abrissarbeiten erprobt werden soll, „wie bedarfsgerechter und bezahlbarer Wohnraum geschaffen und quartiersbezogene Konzepte umgesetzt werden können.“ Übergangsweise zogen Studierende, Pflege-Auszubildende sowie sechs geflüchtete Familien in Wohnungen bereits umgezogener Genossenschaftsmitglieder ein. Einige Zwischenmieter*innen konnten im Anschluss bei der Genossenschaft wohnen bleiben.
Die Kehrseite dieses Erneuerungsprozesses ist der Wegfall sehr günstiger Wohnungen mit einer Miete von sechs bis sieben Euro pro Quadratmeter. Eine Mieter*inneninitiative und einzelne Genossenschaftsmitglieder wehrten sich daher anfangs gegen die Abrisspläne. Inzwischen ist der Protest verstummt, doch „es sind Leute krank geworden um diese Sache“, sagt eine langjährige Bewohnerin in einem für die Ausstellung geführten Interview. Vor allem für ältere Bewohner*innen sei der Umzug in Ersatzwohnungen ein schwerer Einschnitt.
Während die BG Neues Heim in Rot auf Nachverdichtung setzt, will die städtische Stuttgarter Wohnungs- und Siedlungsbaugesellschaft (SWSG) am Nordostrand des Stadtteils 400 Wohnungen auf einer vormals überwiegend landwirtschaftlich genutzten Fläche bauen. Das „Quartier Böckinger Straße“, ebenfalls ein IBA’27-Projekt, wäre damit die größte bauliche Erweiterung des Stadtteils seit Jahrzehnten.
Mit den ersten Wohnblöcken am Rotweg geht nach 75 Jahren ein materielles Zeugnis des Nachkriegssiedlungsbaus und der Flüchtlingsselbsthilfe verloren. Bei der Neubebauung soll auf noch nicht näher definierte Weise an die Gründungsbauten erinnert werden. Bislang verweisen im öffentlichen Raum nur die multimediale Installation „ROTgeschichtenSEHEN“, die mit dem Abriss verschwinden wird, eine Stele der Vertriebenenverbände sowie die Namen dreier neu geschaffener Plätze bzw. Wege explizit auf die Stadtteilgeschichte. Ein Platz ist Hans Scharoun gewidmet, die anderen Bezeichnungen ehren Roter Persönlichkeiten donauschwäbischer Herkunft. Auf der Zuffenhäuser Schlotwiese erinnert erst seit 2018 ein Gedenkstein an die noch bis 1967 dauernde Lagervergangenheit des Ortes.
Stuttgart-Rot: Ein Vorbild?
Als Beitrag zur Historisierung des Aufbaus und Wandels in Rot ist die Ausstellung „Migration und Wohnungsbau“ einerseits Teil eines lokalhistorischen Erinnerns. Indem sie die bis in die Gegenwart ungebrochene Verbindung von Migration und Wohnungsbau in Rot aufzeigt, soll sie andererseits über den konkreten Fall hinausweisen. Entsprechend dem Auftrag des Hauses zur Vermittlung der Geschichte und Kultur der Deutschen im und aus dem östlichen Europa wird der große Anteil deutscher Flüchtlinge und Vertriebener am Aufbau der Siedlung beleuchtet, dabei jedoch als Bestandteil einer fortdauernden Geschichte des Ankommens in Deutschland verstanden. Er kann für das Publikum ebenso ein Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit der Ausstellung sein wie das Interesse an der Migration unserer Tage, an Wohnungspolitik und Städtebau.
Stuttgart-Rot ist seit rund 75 Jahren ein Ort des Ankommens im Sinne von „heimisch werden“. Der Stadtteil ist in vielem typisch für die Migrations- und Baugeschichte der Bundesrepublik, zugleich bot er immer Raum für Experimente. Die BG Neues Heim kann auf eine Erfolgsgeschichte der Selbsthilfe zurückblicken, ermöglicht auch durch Unterstützung und Vertrauen aus Politik und Verwaltung. Muss man also nur alte Rezepte kopieren, um heutige Herausforderungen zu meistern? Genossenschaftliches Bauen erlebt vielerorts in Europa eine Renaissance, doch nicht nur angesichts rasant steigender Bau- und Finanzierungskosten gibt auch die Ausstellung keine einfache Antwort auf diese Frage. Migration und Wohnungsbau bleiben ein hochaktuelles Themenpaar.
Zitierweise: Rainer Bobon, Migration und Wohnungsbau. Geschichte und Aktualität einer besonderen Verbindung am Beispiel Stuttgart-Rot, in: Deutschland Archiv, 09.07.2024, Link: www.bpb.de/550280. Der Beitrag ist Teil einer Serie "Orte des Ankommens", erstellt in Kooperation des Fachgebietes Städtebauliche Denkmalpflege und Urbanes Kulturerbe der Technischen Universität Berlin, dem Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung Erkner und der Stiftung Berliner Mauer 2023/24, herausgegeben von Stephanie Herold und Małgorzata Popiołek-Roßkamp. Anlass war eine Tagung zum 70. Jahrestag der Gründung des Externer Link: Berliner Notaufnahmelagers Marienfelde am 14. April 1953. Alle Beiträge im Deutschland Archiv sind Recherchen und Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar und dienen als Mosaikstein zur Erschließung von Zeitgeschichte. (hk)
Rainer Bobon (*1990) ist stellvertretender Leiter des Hauses der Heimat des Landes Baden-Württemberg in Stuttgart. Er studierte Osteuropastudien mit den Schwerpunkten Osteuropäische Geschichte und Slawistik in Köln und München und absolvierte ein Volontariat am Museum für Kommunikation Nürnberg.