Orte des Ankommens nach 1945 (III): „Bereits baureif.“ Siedlungsbau der Nachkriegszeit auf dem ehemaligen Konzentrationslagergelände in Flossenbürg | Deutschland Archiv | bpb.de
Orte des Ankommens nach 1945 (III): „Bereits baureif.“ Siedlungsbau der Nachkriegszeit auf dem ehemaligen Konzentrationslagergelände in Flossenbürg
Timo Saalmann
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„Wie kann man hier nur wohnen!?“, sagen Besucher:innen häufig, nachdem sie das ehemalige Gelände des Konzentrationslagers Flossenbürg zum ersten Mal gesehen haben. Die Fläche hat sich vielfach gewandelt, seitdem die zentrale Verwaltung des SS-Lagersystems, die Inspektion der Konzentrationslager, im Frühjahr 1938 in der nördlichen Oberpfalz unweit der Grenze zur damaligen Tschechoslowakei und heutigen Tschechischen Republik ein neues Hauptlager aufbaute. Die Häftlinge sollten für das SS-Unternehmen „Deutsche Erd- und Steinwerke“ (DESt) Granit in einem nahegelegenen Steinbruch brechen, der zunächst zum Aufbau des Lagers diente, aber auch für Infrastrukturvorhaben, wie Autobahnbrücken und Kanäle, und repräsentative Parteibauten der NSDAP genutzt wurde.
Zum Flossenbürger KZ-Komplex gehörten außer dem Hauptlager rund 80 Außenlager in Bayern, Sachsen und dem annektierten Böhmen. Knapp 100.000 Häftlinge durchliefen dieses Lagersystem, in den Außenlagern waren auch 20.000 weibliche Häftlinge inhaftiert. Insgesamt wurden in diesen Lagern etwa 30.000 Menschen ermordet, starben an Mangelernährung oder Misshandlungen. In dem Wissen um die Gewaltgeschichte des Ortes irritiert das heutige unmittelbare Aneinandergrenzen von lagerzeitlichen Relikten und nach 1945 entstandener Wohnbebauung (siehe Titelfoto).
Die Überbauung von Teilflächen ab den späten 1950er Jahren ist mit Blick auf die erinnerungskulturelle Dimension des Ortes wichtig. Die Rezeption der Siedlung und des Erinnerungsortes sind immer aufeinander bezogen.
Die hier beabsichtigte Analyse der Baupraxis auf der historisch vorbelasteten Liegenschaft muss diese Sphäre berücksichtigen, soll sie aber um eine raum- und architekturbezogene Dimension erweitern. Die Mikrogeschichte des Bauvorhabens liefert Erkenntnisse zu planerischen Aspekten bei der Weiternutzung NS-zeitlicher Infrastruktur und zum Einfluss überörtlicher Raum- und Siedlungsplanung. Darüber hinaus ist zu fragen, wie sich die Siedlung zur zeitgenössischen, regionalen Baukultur und dem NS-zeitlichen Bauerbe verhält: Setzt sich die Formensprache von Leitmotiven der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ideologisch aufgeladenen Architektur ab? Wenn ja, wie manifestiert sich diese Auseinandersetzung?
Nachnutzung
Das ehemalige Konzentrationslagergelände verfiel in den 1950er Jahren zunehmend und war eine Hypothek für die Entwicklung der Gemeinde Flossenbürg. Massivbauten, wie die Kommandantur und das SS-Wirtschaftsgebäude (Casino), Küche und Wäscherei im Häftlingsbereich, waren ebenso erhalten wie die standardisierten Holzbaracken in Modulbauweise zur Unterbringung von Wachmannschaften und Häftlingen.
Nach der Befreiung des Hauptlagers am 23. April 1945 nutzten US-amerikanische Soldaten die Gebäude weiter, bis April 1946 wurden auch deutsche Kriegsgefangene interniert. Übergangslos brachte danach das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) nichtjüdische, polnische Displaced Persons unter, bis auch diese das Camp im Oktober 1947 verließen. In der Zeit des DP-Camps entstand auf Betreiben der Bewohner mit dem „Tal des Todes“ östlich des eigentlichen Lagergeländes eine erste, zu Pfingsten 1947 eröffnete Gedenkstätte mit einer Kapelle.
Das aufgelassene Gelände wurde daraufhin für deutsche Akteure interessant. Der gewerkschaftlich geführte Nachfolgebetrieb der DESt, die Oberpfälzer Steinindustrie, drängte auf die bessere Unterbringung von Familien ihrer Beschäftigten. Viele waren aus den Sudentengebieten geflüchtet und als Facharbeiter hochwillkommen und wohnten zumeist auf dem Steinbruchgelände in umgebauten Funktionsgebäuden. Das Interesse des Wirtschaftsunternehmens überschnitt sich mit der Aufgabe der lokalen Verwaltungen; die Sozialfürsorge für Geflüchtete lag beim Landkreis Neustadt an der Waldnaab und der Gemeinde Flossenbürg. In der Oberpfalz hielten sich, wie in Bayern gesamt, hauptsächlich expatriierte Sudetendeutsche auf, die meisten in kleineren Gemeinden, wobei die grenznahen Landkreise etwa 40 Prozent der Flüchtlinge aufnahmen.
Auch Flossenbürgs Einwohnerzahl war „in den ersten Nachkriegsjahren“ von 1.800 auf 2.500 Personen angestiegen, wobei der Flüchtlingsanteil mit 40 Prozent angegeben wurde. Tatsächlich machten Flüchtlinge in den Jahren 1946 bis 1954 im Mittel 34,5 Prozent der Wohnbevölkerung aus. Ihr Anteil lag unter dem von Bernhard Piegsa für die Oberpfalz ermittelten Durchschnittswert, erreichte diesen jedoch als Spitzenwert in den Jahren 1949 und 1950. Der durch Kriegszerstörungen und Zwangsmigration aus den ehemaligen Ostgebieten existierende Wohnraummangel in Westdeutschland wurde auch in Bayern als „Wohnungsnot“ und gesellschaftliches Problem wahrgenommen, zumal sich Konflikte zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen entwickelten.
Den „baldigen Beginn eines Siedlungsprogrammes“ sah der Gemeinderat Flossenbürg daher „als einzigen Ausweg an“. Eine im Juli 1953 an beteiligte Behörden versandte Denkschrift zur „Freigabe und Rückübereignung der Grundstücke des ehemaligen Konzentrationslagers im Rahmen der Wiedergutmachung“ informierte, „gemeindeeigene(r) Grund“ sei zur Zeit nicht verfügbar oder für „Siedlungszwecke ungeeignet und unerschlossen“. Allein „das brachliegende Gelände des ehemaligen KZ-Lagers" bot aus Sicht der Bürgervertretung „die einzige Möglichkeit für ein größeres Siedlungsprojekt“.
Siedlungsplanung
Planungshoheit hatte die Kommune. Gleichwohl war der Einfluss übergeordneter bayerischer Behörden, die Flächennutzungs- und Bebauungspläne auf Landkreis-, Bezirks- und Landesebene aufstellten, in der Nachkriegszeit gestiegen. Vor 1945 hatte übergreifende Raumplanung das eher abgelegene Flossenbürg kaum berührt.
Der Ausbau technischer Infrastruktur, wie Stromversorgung oder die Straßen- und Schienenführung für den Granittransport, war bereits in den 1910er und -20er Jahren erfolgt. Nun hatten die planenden Stellen aber die Jahrzehnte in die Zukunft reichende Entwicklung des Orts im Blick. Und es hat den Anschein, dass für das Siedlungsvorhaben demographische, land- und forstwirtschaftliche, verkehrs- und infrastrukturelle Daten in einem Maß erhoben und berücksichtigt wurden, wie es zuvor nicht der Fall gewesen war. Nicht zuletzt sollte dabei den für den traditionsreichen Steinhauerort weiterhin wichtigen „Belangen der Steinbruchbetriebe Rechnung [ge]tragen“ werden, wie die maßgebliche Bezirksplanungsstelle mitteilte. Und so hoffte Bürgermeister Högen, der angekündigte Wirtschafts- und Flächennutzungsplan würde auf die „besonderen Verhältnisse der Grenzlandgemeinde Flossenbürg“ und die „Notwendigkeit der Schaffung von neuem Baugrund“ eingehen.
Für Flossenbürg kamen zur allgemeinen Strukturschwäche der nördlichen Oberpfalz weitere Herausforderungen hinzu. Der Eiserne Vorhang an der nahen Grenze verunmöglichte alte Muster der regionalen Handels- und Kulturbeziehungen. Die wirtschaftspolitisch motivierte „Zonenrandförderung“ der Bundesregierung konnte die Standortnachteile Flossenbürgs nur unvollständig mildern.
Zweifelsohne wurde die Beplanung der Gemeinde aber ernstgenommen; rund zwanzig Ämter, angefangen beim Landrats-, Landbau- und Landwirtschaftsamt, über Forst- und Wasserwirtschaftsamt, das bayerische Finanzministerium, die Verwaltung der Bayerischen Schlösser, Gärten und Seen sowie die Deutsche Bundesbahn, wurden beratend beteiligt. Einige erstellten Gutachten zur Entwicklungsfähigkeit des Orts aus ihrer Sicht. Zu einer Auseinandersetzung führten die widerstreitenden Positionen der Gemeinde und der Ortsplanungsstelle des Regierungsbezirks Oberpfalz in Regensburg. Nach Meinung von Regierungsbaurat Walter Zelinsky waren die Terrassen des Lagergeländes ein schwieriger Baugrund. Anders als die Gemeinde befürchtete er zudem zusätzliche Erschließungskosten, wohl weil die Infrastruktur des NS-zeitlichen Barackenlagers keineswegs auf Wohnzwecke, gar auf eine Besiedlung im eigentlichen Sinne ausgelegt worden war.
Zelinsky beabsichtigte hingegen ein geschlossenes Ortsbild zu schaffen. Die Ortswahl für das KZ-Gelände hatte sich aus der von der SS-Verwaltung beabsichtigten, real aber nicht gegebenen Geheimhaltung und der fußläufigen Nähe zum Steinbruch Wurmstein am Ortsausgang ergeben. Es lag nordöstlich und fern des historischen Ortskerns und dehnte die Gemeindefläche aus. Zelinsky wollte eine Lücke schließen: Die Neubauflächen sollten den alten Ortskern mit einer Gruppe Wohnhäuser verbinden, die im Zusammenhang mit der Lagererrichtung östlich des Dorfes an der Erhebung „Plattenberg“ und in Nähe des Lagergeländes entstanden war.
Bereits kurz nach Gründung des KZ hatte die SS-Neubauleitung eine aus fünfzehn Häusern bestehende Siedlung für SS-Offiziere und deren Familien geplant und bis 1940 mit Arbeitskraft der Häftlinge errichten lassen. Das Ensemble „Plattenbergsiedlung“ in alpin anmutender Blockbauweise mit wuchtigen Granitsockeln entstand ortsseitig am Hang und thronte weithin sichtbar über dem Ort. In der NS-Zeit demonstrierte die SS auch mit diesen Häusern ihren Machtanspruch und ihre Präsenz in Flossenbürg.
Die Plansiedlung war ein Novum in Flossenbürg gewesen. Zuvor kannte die dörfliche Struktur keine planmäßige Wohnraumerweiterung. Zelinsky meinte jedenfalls „in erster Linie soll das Gelände in Verlängerung der Plattenbergsiedlung zur Bebauung vorgesehen werden“. Dagegen sperrte sich die Gemeindeverwaltung. Würden „innerhalb des Ortsbereichs Baugebiete“ ausgewiesen, beträfe dies Flächen, die „als die besten … landwirtschaftlichen Nutzgrundstücke gelten“. Vor dem Hintergrund der Stellungnahmen der landwirtschaftlichen Berater wird verständlich, warum der Gemeinderat diese Flächen ungern bebauen lassen wollte.
Die kargen, steinigen Böden auf fast 700 Metern Höhe mit kurzer Wuchsperiode versprachen nur wenig ertragreiche Ernten. Die Gemeinde beharrte also auf der „Bebauung des Lagergeländes, insbesondere der Terrassen“, denn: „diese Parzellen [sind] durch das Vorhandensein von Wasser-, Licht- und Kanalisationsanschluß bereits baureif“. Über notwendige Versorgungsleitungen verfügte selbstverständlich auch die vormalige SS-Siedlung – zumal diese ja ausschließlich für Wohnzwecke gebaut worden war, wodurch ein weiterer Ausbau auch hier möglich gewesen wäre.
Diskutiert wurde über diesen Punkt aber nicht mehr. Letztlich setzte sich die Gemeinde – auch gegen den anfänglichen Widerstand des bayerischen Zweigs des „Bunds der Verfolgten des Naziregimes“ (Landesrat für Freiheit und Recht e.V.) – durch. Der Kulturwissenschaftler Jörg Skriebeleit arbeitet überzeugend heraus, es sei den lokalen Behörden letztendlich um die Überbauung gegangen, der die Relikte der Lagerzeit gezielt weichen sollten.
Die Siedlung „Am Vogelherd“
Der Landkreis Neustadt an der Waldnaab plante und baute dann die Siedlung. Die Anfang 1951 gegründete Genossenschaft „Landkreissiedlungswerk“ erwarb das Gelände als gemeinnütziger Bauträger von der Gemeinde, die es ihrerseits unmittelbar zuvor vom Freistaat Bayern gekauft hatte. Damit wären, berichteten die Oberpfälzer Nachrichten 1958, die Bemühungen erfolgreich gewesen, die „Überreste des ehemaligen KZ-Lagers einem dem Gemeinwohl dienenden Verwendungszweck zuzuführen“ und im Zuge der „Lagerauflösung“ die „immer noch vorhandenen zahlreichen Baracken und sonstigen Notunterkünfte nach und nach beseitigen zu können“.
Die Bauplätze waren unter den bauwilligen Bewerbern verlost worden. Berechtigt waren vorrangig Heimatvertriebene. Bauanträge aus diesem Kreis lagen der Gemeinde teils schon seit 1949 vor. Vermutlich angesichts der unwägbaren Entwicklung der von Landesministerien abhängigen „Lagerauflösung“ blieb die Gemeinde untätig und unterließ es, andere Bauflächen auszuweisen und die Bauwilligen zu unterstützen. Auch beantragte sie keine bereitstehenden öffentlichen Fördergelder der Bundesregierung. Nun flossen personenbezogene Aufbaudarlehen nach dem Lastenausgleichsgesetz (LAG) vom 14. August 1952.
Das Landkreissiedlungswerk wirkte dabei als verbandsmäßige Genossenschaft und öffentlicher Bauträger gewissermaßen als Katalysator. Der auf Frühjahr 1958 terminierte Baubeginn ließ die Lokalpresse hoffen, dass das „heute noch trostlos anmutende Gelände in absehbarer Zeit ein neues schönes Gesicht erhält“ und „viele Lager- und Barackenbewohner die Gelegenheit zu einem Haus bezw. zu einer menschenwürdigen Wohnung zu kommen, nicht ungenutzt lassen“ würden. Zur Verfügung standen für den ersten Bauabschnitt fünf Terrassen, die 1938 für die KZ-Unterkunftsbaracken im ansteigenden Hang angelegt worden waren. Während der Lagerzeit hatte auf jedem Niveau je eine Wohnbaracke im SS-Bereich und – durch eine Treppenanlage und den Lagerzaun getrennt – zwei Häftlingsbaracken gestanden.
Nach 1945 markierte eine Durchfahrtsstraße die vormals getrennten Sphären von Bewachern und Bewachten. Die Größe der 18 Bauplätze auf den schmalen und langen Terrassen schwankte beträchtlich von 591 qm bis zu 1.116 qm. Im Mittel waren die Grundstücke in Baugruppe I (ehem. Häftlingsbereich) mit 611 qm kleiner als in Baugruppe II (ehem. SS-Bereich) mit 758,5 qm.
Das Landkreissiedlungswerk bot ein Finanzierungsmodell an, das es den Siedlern nach dem Erwerb von Genossenschaftsanteilen ermöglichte, die Grunderwerbs- und Baukosten durch individuell gewählte Anteile von Eigenkapital, Kredit und Eigenleistung abzulösen. Die „organisierte Gruppenselbsthilfe“, bei der die Arbeitskraft der Siedler:innen beim Bau vergolten und nach eingebrachtem Umfang angerechnet wurde, war seit Anfang des Jahrhunderts probates Mittel, um den in Krisenzeiten immer wieder auftretenden Spitzen des Wohnraummangels zu begegnen. Auch die „entsprechende Landzugabe zur Anlage von Gärten“ an alle Siedler zur Teilselbstversorgung knüpft hier an.
Traditionelles oder modernes Bauen?
Ausführender Architekt des ersten Bauabschnitts der Siedlung „Am Vogelherd“ war der in Windischeschenbach ansässige Xaver Bogner, der bis Ende der 1970er Jahre auch die folgenden Bauabschnitte plante. Die Siedlung wurde dann nicht um weitere Eigenheime, sondern Geschosshäuser mit Mietwohnungen des Landkreissiedlungswerks erweitert. Bogners Werk kennzeichnen keine herausstechenden Bauten eines spezifischen Stils oder einer Bauauffassung, sondern schlichte und sachliche Gebrauchsarchitektur. Ausgeführt wurde ein einziger Haustypus nach Plänen von Kreisbaumeister Lorenz Meindl: ein freistehendes zweigeschossiges Zweifamilienhaus mit flach geneigtem Schleppdach (Abb. 6).
Die Hauseigentümer bewohnten das größere Obergeschoss mit etwa 65 qm und stellten eine Einliegerwohnung mit rund 53 qm zur Miete bereit. Die Südfassade ist mit einem Seitenrisalt gegliedert, der in beiden Baugruppen regelmäßig zur Straße orientiert ist. Vom ab 1942 geforderten landschaftsgebundenen oder „bodenständigen“ Bauen sind lediglich die Verwendung des lokalen Natursteins Granit in den Sockelgeschossen sowie für Zaunfundamente und -pfeiler geblieben. Die Häuser wurden weiß verputzt, die in der Oberpfalz charakteristischen kräftigen Wandflächen mit weiß abgesetzten Putzbändern in Geschoßhöhe finden sich nicht. Auch gibt es keine Schlagläden an den relativ großen Fenstern.
Der Farbwahl und der Verzicht auf Bauschmuck und Zierrat orientieren sich an der nüchternen Nachkriegsmoderne. Die platz- und ressourcenschonende Bauweise sowie die pragmatische Nutzung des Baugrunds kennzeichnen das Vorhaben: „Die Häuser werden mit der Rückseite an die bestehenden Terrassen angeschmiegt. Dies hat den Vorteil, daß neben der Platzersparnis und einer billigen Bauweise die Häuser durchwegs vollgeschossig erbaut werden können, also im Obergeschoß schräge Wände vermieden werden. Zudem erhält die Wohnung im Obergeschoß einen eigenen Eingang.“
Nicht nur am einzelnen Baukörper wird die Abkehr von der stereotypen NS-Bau- und Siedlungsform deutlich: Die Baumassen sind auf den Parzellen unregelmäßig, ohne klare Symmetrie verteilt – anders als im meist streng symmetrischen NS-Siedlungsbau. So stehen auf den drei unteren Terrassen jeweils fünf Häuser in abweichender Anordnung. Indes bestehen die massigen Böschungsmauern als Relikte des Lagers aus dem ortsüblichen, im KZ-Steinbruch abgebauten Granit.
Ein starker Kontrast zur Umgebungsbebauung entsteht nicht, die Neubauten harmonieren durchaus mit den erhaltenen lagerzeitlichen Bauten. Der Verzicht auf das steile Satteldach als prägende Landschaftsnorm ist daher keineswegs eindeutig als Bekenntnis zu verstehen: Vielmehr harmonieren die Dächer der Siedlung mit den ebenfalls stumpfwinkeligen Dächern der erhaltenen Massivbauten Küche und Wäscherei im Häftlingsbereich mit einer Dachneigung von etwa 30 Grad
Fazit
Konkret war die Siedlung „Am Vogelherd“ Ergebnis der politischen und sozialen Aufgabe der Integration der aus den Sudetengebieten vertriebenen deutschsprachigen Minderheit in die Nachkriegsgesellschaft Bayerns. Die politische und soziale Dynamik des Vorhabens sowie die raum- und architekturbezogene Deutungsebene lässt sich nur verstehen, wenn die Nachgeschichte des Bauplatzes auf dem ehemaligen Gelände des Konzentrationslagers berücksichtigt wird. Die irritierende Nähe von Siedlung und ehemaligem Lagergelände macht heutigen Betrachter:innen die Nutzungsschichten deutlich, darüber hinaus zeugt die unentschiedene Wahl der Architekturformen von der zwangsläufigen Auseinandersetzung mit dem NS-Bauerbe im Planungsprozess.
Zitierweise: Timo Saalmann, Orte des Ankommens (III): Flossenbürg, in: Deutschland Archiv, 12.07.2024, Link: www.bpb.de/550434. Der Beitrag ist Teil einer Serie "Orte des Ankommens", erstellt in Kooperation des Fachgebietes Städtebauliche Denkmalpflege und Urbanes Kulturerbe der Technischen Universität Berlin, dem Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung Erkner und der Stiftung Berliner Mauer 2023/24, herausgegeben von Stephanie Herold und Małgorzata Popiołek-Roßkamp. Anlass war eine Tagung zum 70. Jahrestag der Gründung des Externer Link: Berliner Notaufnahmelagers Marienfelde am 14. April 1953. Alle Beiträge im Deutschland Archiv sind Recherchen und Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar und dienen als Mosaikstein zur Erschließung von Zeitgeschichte. (hk)
Dr. Timo Saalmann ist Leiter der historischen Abteilung der Gedenkstätte Flossenbürg.
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