Die einschlägigen Untersuchungen über den Antisemitismus in der DDR stärken den Befund der Erregungswellen. Dies gilt auch für den hier zu untersuchenden Teilaspekt des Antizionismus/Antisemitismus in den DDR-Medien. Lothar Mertens und Angelika Timms im Jahrbuch für Antisemitismusforschung im Jahr 1992 publizierten ersten Forschungen haben sich weitere – teilweise in Monographiestärke – angeschlossen.
Antiisraelische Propaganda
Die Auslöseimpulse derartiger Wellen sind einschlägig bekannt: im gesamten sowjetischen Einflussbereich etwa die stark antisemitisch geleiteten parteiinternen Säuberungsprozesse ab 1952/53. Ebenso spätestens seit Ende der 1960-Jahre eine immer gehässiger werdende antiisraelische Propaganda, die unter der Flagge des Antizionismus dem „imperialistischen Aggressorstaat Israel“ das Wort redete. In diesen Wellen – etwa im Zuge des Sechstagekrieges oder der ersten Intifada – konnte staatlich gebundener Antizionismus in kaum verbrämten Antisemitismus übergehen, der sich auch aus der Systemkonkurrenz zur Bundesrepublik Deutschland nicht allein kausal erklären lässt. Mit anderen Worten: Nicht allein die Fixierung auf die Bonner Republik war für staatsoffizielle Bilder der Judenfeindschaft ausschlaggebend, sondern auch die Fixierung auf den jüdischen Staat Israel. Alle drei Staaten waren Nachkriegsgründungen, alle drei Staaten waren aus ihrer jeweiligen Sicht Antworten auf den Nationalsozialismus gewesen – und alle drei Staaten waren miteinander verflochten. Lösen wir uns von der deutschen Perspektive, wäre in diesem Fall Christoph Kleßmanns Konzept einer „asymmetrisch verflochtenen Parallelgeschichte“ eine dritte Ebene hinzuzufügen – nämlich Israel. Jene transfergeschichtliche Dreiecksbeziehung wäre freilich dem Konzept der Entangled History bereits näher.
Furor und Befindlichkeiten vernebelten die erkenntnisleitenden Grundfragen zum Verhältnis von Antizionismus und Antisemitismus. War die DDR am Ende nicht nur ein israelfeindlicher, sondern ein judenfeindlicher Staat? Ist der Antisemitismus, der sich heute Bahn bricht, nicht ähnlich jenem Antizionismus, genauer antisemitischen Antizionismus, der in der DDR zur Staatsdoktrin erhoben worden ist? Haben sublim vorhandene Vorurteilsmuster auch das annus mirabilis 1989 überstanden? Die Studie stellt keinen Versuch dar, komplizierte Definitionsfragen zu klären. Sie will sich nicht einmal damit aufhalten. Als heuristisches Mittel soll lediglich die bündige Definition dienen, wonach religiöser Antijudaismus, moderner Rassenantisemitismus, sekundärer Antisemitismus und eben auch Antizionismus zu den Erscheinungsformen von Judenfeindschaft gehören und jeweils für vollkommen unterschiedliche Zwecke dienstbar gemacht werden können.
"Der schwarze Kanal" und Karl-Eduard von Schnitzler
Vorliegend handelt es sich vielmehr um eine Ergänzung im Detail, bei der die empirische Problemanalyse auf einem Quellenmaterial basiert, dessen Urheber, vorsichtig formuliert, nicht über den besten Leumund verfügt: nämlich die maschinellen und handschriftlichen Aufzeichnungen und Sendemanuskripte Karl-Eduard von Schnitzlers für dessen Sendung, die zum Sinnbild von SED-Propaganda wurde: der schwarze Kanal.
Bereits in der ersten Sendung – 1518 sollten noch folgen – gab Schnitzler den Ton vor, der stilbildend für das Format werden sollte und dem Sendungsmacher den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Sudel-Ede“ einbrachte: „Der schwarze Kanal, den wir meinen, meine lieben Damen und Herren, führt Unflat + Abwässer; aber statt auf Rieselfelder zu fließen, wie es eigentlich sein müßte, ergießt er sich Tag für Tag in hunderttausende westdeutscher + westberliner Haushalte. Es ist der Kanal, auf welchem das westdeutsche Fernsehen sein Programm ausstrahlt: Der Schwarze Kanal. Und ihm werden wir uns von heute an jeden Montag zu dieser Stunde widmen, als Kläranlage gewissermaßen – im übertragenen Sinn.“
Schnitzler, dem zeitlebens Republikflüchtlinge und Oppositionelle – durchaus im tschekistischen Sinne – ein Gräuel waren, hatte selbst eine Überläuferbiografie. In seinen eigenen Worten hatte er sich von seiner Klasse losgesagt. Geboren 1918 im noblen Berlin-Dahlem, erhielt sein Vater vom Kaiser für treue Dienste den Adelstitel, den Schnitzler auch in der prädikatsarmen DDR nicht ablegte (wobei er Wert darauflegte, damit einem Wunsch Walter Ulbrichts nachgekommen zu sein). Ansonsten sind die einschlägigen Angaben Schnitzlers zu seiner Vita mit Vorsicht zu betrachten, da sie sich auf seine Erinnerungen stützen und ihm Effekthascherei schon von Berufs wegen nicht fremd war. Als halbwegs gesichert darf gelten, dass er als Jugendlicher in die Sozialistische-Arbeiter-Jugend eintrat und seine politische Einstellung weder in seiner Familie noch in der Wehrmacht verleugnete, was eine Versetzung in das Strafbataillon 999 nach sich zog. Im Juni 1944 kam Schnitzler in britische Gefangenschaft und verdingte sich zunächst bei der BBC sowie später in der britischen Besatzungszone beim NWDR als Journalist.
Hier lernte er das Rüstzeug. Nichtsdestotrotz erwies sich die Zusammenarbeit aufgrund unveränderter kommunistischer Agitation im beginnenden Kalten Krieg als nicht belastungsfähig. Schließlich schlug Schnitzler Ende 1947, eine Kündigung in der Tasche, den Weg in die Sowjetische Besatzungszone ein und trat der SED bei, um innerhalb kürzester Zeit zu deren führendem Berichterstatter aufzusteigen. Zunächst war sein Medium der „Hegemon des Haushalts“ (Axel Schildt) der Nachkriegszeit: das Radio. Schon bald wechselte er zu dessen Nachfolger: dem Fernsehen. Hier gelangte er schließlich zu Bekanntheit mit seiner wöchentlichen Politschulung, im Grunde ein marxistisch-leninistischer Geschichtskurs, mit dem Ziel, den Klassenstandpunkt darzulegen.
Auswertung der Sendemanuskripte
Die Sendemanuskripte des „Schwarzen Kanals“ geben ein beredtes Zeugnis des Israel-Bildes in den Medien der DDR ab. Als eines der ersten großen Digitalisierungsprojekte von Archivbeständen überhaupt, stellte das Deutsche Rundfunkarchiv im Rahmen eines DFG-Projekts im Jahr 2000 der Öffentlichkeit die Quellen zum „Schwarzen Kanal“ zur Verfügung. Der Kernbestand umfasst etwa 50.000 Blatt zu den 1 519 Folgen des Magazins, wobei die Überlieferung zu den Jahren 1961-1965 sowie 1971 nicht vollständig ist. In dem Konvolut finden sich neben Sendetitel und kurzer Inhaltsbeschreibung die Kommentare Schnitzlers zu den Einspielfilmen.
Schnitzlers Analogien zum Nationalsozialismus
Mit schier unerschütterlicher Redundanz bemühte Schnitzler in Sachen Israel NS-Vergleiche und eine Täter-Opfer-Umkehr. Immer wieder lautete die Botschaft: Israel hätte selbst einen Holocaust zu verantworten, würde selbst die Menschen in Unter- und Herrenmenschen separieren, würde selbst, „das Palästinenser-Problem auf zionistische Weise aus der Welt zu schaffen: durch eine ‚Endlösung‘.“
Ein dreiviertel Jahr später wird die angebliche Maschinerie spezifiziert: Tötung durch Gas. Quelle war die Nachrichtenagentur „Wafa“, wonach scharenweise Schulmädchen durch israelisches Gas im Westjordanland vergiftet worden seien. Zum Zeitpunkt der Ausstrahlung bereits als Fake-News entlarvt
Thomas Haurys These, dass die DDR gegenüber dem üblichen von der Sowjetunion vorgegebenen Antizionismus der Ostblockstaaten ein Spezifikum bei der Frage des Umgangs mit der Schuld an der millionenfachen Ermordung der Juden aufwies, lässt sich in den Kommentaren Schnitzlers geradezu exemplarisch bestätigen.
Die Juden, meistens, aber nicht immer Zionisten genannt, hätten sich als unbestrittene Opfer des Nationalsozialismus in die Position des Lernenden begeben: „Diese Lästerung muß herhalten für Herrenmenschentum, Rassismus und Völkermord. Für Holocoust [sic] am arabischen Volk von Palästina. Oh sie haben gelernt – diese israelischen Führer von den einstigen Feinden und Vernichtern des eigenen Volkes, von den deutschen Faschisten, und bewiesen damit selbst aufs neue, daß Faschismus nichts andres ist als die scheußlichste Erscheinungsform des Imperialismus – und dieser wiederum die höchste Form des Kapitalismus. Die Juden von heute – das sind – 45 Jahre nach den Nürnberger Rassegesetzen – die Palästinenser.“
Für den Staat Israel hatte Schnitzler nur Abscheu übrig. Dabei ist der Begriff „Nicht-Beziehung“ insofern irreführend, als der Staat Israel immer wieder Thema war. In der Sendung „25 Jahre Israel“ wurde das tradierte Bild von Tätern (den Juden) und Opfern (den Arabern) stark gemacht. Israels Staatsform sei ein auf Rassismus aufgebauter „‚Nationalsozialismus‘ – der ja bekanntlich mit Sozialismus nichts zu tun hatte und hat […] wobei man wissen muß, daß nach dem biblischen Gesetz in Israel Ehen zwischen Juden und Arabern nicht möglich sind und ‚Mischehen‘ – das hat man von Globke gelernt – von Einwanderern für ungültig erklärt werden.“
Es war ausgerechnet Schnitzler, der im Januar 1949 in der „Weltbühne“ ganz ähnlich argumentierte: „Aber das junge Israel entwickelte ungeahnte Kräfte. Es trieb die am Tage der Staatsgründung von allen Seiten ins Land eingefallenen arabischen Armeen zurück nach Transjordanland, Saudi Arabien und Ägypten. Die Ägypter sind die einzigen, die noch weiter für England Kastanien aus dem Feuer zu holen bereit sind […]. Deutlich ist in der ägyptischen Strategie die Rommel-Taktik zu erkennen […]. In der Tat: Berater des ägyptischen Generalstabs sind ehemalige Stabsoffiziere des Afrikakorps. Unter den Truppenführern finden wir den SS-Gruppenführer Katzmann, der einst in Polen eine Sonderpolizeidivision befehligt hat und Spezialist war für die Ausrottung von Juden. Heute führt er Krieg gegen Israel. […] man muß sich einmal vorstellen, was es bedeutet, wenn heute Verbrecher gegen die Menschlichkeit, die Hunderttausende von Juden auf dem Gewissen haben, statt vor Gericht an der Spitze einer Armee stehen und sie wiederum gegen Juden führen dürfen.“
Die Dokumente zeigen, wie stark – in einer 180-Grad-Wende – die anfänglichen Sympathien Schnitzlers für den jüdischen Staat spätestens seit den Schautribunalen ab 1952 Hetzkampagnen gewichen waren. Israelbezogener Antisemitismus war im Kalten Krieg auch, aber eben nicht zuvorderst von der außenpolitischen Konstellationsanalyse abhängig, was ihn nicht weniger widerwärtig machte.
Für von Schnitzler war Zionismus mit Faschismus gleichzusetzen
Im schwarzen Kanal war die Staatsgründung bereits ein ganz und gar kapitalistisches Schurkenstück geworden. So stellte sich im Jahr 1975 die Proklammation Israels bei Schnitzler folgendermaßen dar: „Wir kennen das: ‚Groß-Deutschland‘ – ‚ von der Maaß [sic] bis an die Memel‘. Aber so wenig wie Polen oder Rußland – so wenig war Palästina‚ ein Land ohne Volk‘. Da waren Palästinenser. Mit Mord und Totschlag, mit faschistischen Terrororganisationen wie Haganah und Irgun, mit Schützenhilfe Englands und anderer Imperialisten vertrieben sie viele Palästinenser aus deren Heimat und vollbrachten Verbrechen – ebenbürtig denen von Oradour, Lidice und Chatyn. Und sie machten mehr: Machten aus Arabern Menschen zweiter Klasse, ‚Untermenschen‘, übernahmen vom deutschen Faschismus außer der Losung ‚Volk ohne Raum‘ auch den Rassenwahn vom Herrenmenschen […] Der Zionismus ist die Ideologie des ‚Auserkorenseins‘, der ‚Überlegenheit‘ über andere und – davon abgleitet – des Herrschaftsanspruchs. Wir kennen das vom deutschen Faschismus, wir kennen es von den südafrikanischen und rhodesischen Rassisten. Der Faschismus stand in Nürnberg vor Gericht.“
Die Antizionismus-Polemik, so sehr sie auch vorgibt von antisemitischen Motiven bereinigt zu sein, trägt bei Schnitzler offen antisemitische Züge, da Antizionismus lediglich als Containerbegriff diente. Klaus Holz benutzt den Begriff der „Camouflage“
Auch der Topos der „jüdischen Intelligenz“ wurde – freilich ex negativo – untersucht. Dabei wurde die prominente israelische Psychologin Amia Lieblich als Rassistin diffamiert und noch auf traumatische Erfahrungen im Sendegebiet rekurriert: „Die Zionistin Amia Lieblich, ihres Zeichens ‚Psychologin‘, bekennt sich zur rassistischen Herrenmenschentheorie: ‚In meiner politischen Philosophie bin ich ganz für eine friedliche Koexistenz mit den Arabern…aber ich würde niemals mit einem Araber gesellschaftlich verkehren. Ich habe ein Vorurteil gegen ihre Intelligenz. Als Jüdin fühle ich mich ihnen überlegen.‘ Als dem Zionisten Menachim Begin der israelische Bombenterror in Libanon vorgehalten wurde, erklärte er zynisch: Die Welt habe auch Dresden hingenommen.“
Ein kollektiver Persilschein für die DDR-Bevölkerung
Die Identifizierung des Zionismus mit dem Nationalsozialismus rührte auch aus dem Streben nach Exkulpation her. Sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR bediente man sich in den Gründerjahren universalisierender Deutungsmuster des Nationalsozialismus.
Ebenso hieß es in der Sendung: „Eine geballte Ladung von Herrenmenschentum, Rassismus, Verachtung von Menschenrecht und Völkerrecht (unter Mißbrauch der Bibel) skrupelloses Ausbeutertum – kurz: Zionismus in Aktion, heute!“
Die Weltgewandtheit, mit der Schnitzler als allwissende Instanz diese Zeitungsenten (die noch nicht einmal von arabischer Seite durchgehend geglaubt wurden) über das Fernsehen in den Äther brachte, wurde durch die Berichterstattung in ARD und ZDF in Frage gestellt, hierfür bot er im besten Schnitzler-Deutsch eine Erklärung an: „Das ist in Wirklichkeit übelste proisraelische und antiarabische Hetze und Verleumdung im Stil der Goebbelsschen Propagandakompanien.“
Vergangenheitsbewältigung hat es einzig – laut Schnitzler – in der DDR gegeben. In der Bundesrepublik wäre die Kontinuität und Restauration am Werk, die konsequente Ausblendung faktischer Begebenheiten (Wiedergutmachungspolitik, SRP-Verbot, Einrichtung einer Zentralstelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen) der frühen Bundesrepublik – Errungenschaften einer jungen Demokratie, die in der Tat neben der Rehabilitierung und Versorgung der „131er“, den Straffreiheitsgesetzen von 1949 und 1954 und dem ganz allgemeinen langjährigen Umgang mit NS-Verbrechen in einem Spannungsverhältnis stehen. Zum Novembergedenken 1978 im Westfernsehen kleidete Schnitzler sein J’accuse in folgende Worte: „So wurde aus dem Judenhaß der feudalen und bourgeoisen Antisemiten Philosemitismus, unkritische, parteiliche, skrupellose Gemeinsamkeit, Kumpanei mit den Terroristen in Tel Aviv.“
Nunmehr wäre Israel „Bonn’s Klassenkumpan und gehätschelter, mit ausgehaltener Verbündeter.“
Die Frage nach der Wirkung
Der schwarze Kanal kann pars pro toto für das Bramarbasieren gegen den jüdischen Staat in den DDR-Medien stehen, wenngleich der Ton noch heftiger, unversöhnlicher, verschwörerischer gewesen ist, als etwa in dem Zentralorgan der SED „Neues Deutschland“. Mancher Text über Israel und die Juden hätte auch in die rechtsradikale „National-Zeitung“ des Münchner Verlegers Gerhard Frey trefflich gepasst. Pars pro toto für das Fernsehen in der DDR steht der schwarze Kanal aber nicht. Gehen wir nicht vom den Fernsehmachern, sondern vom Zuschauer aus, so bedeutete Fernsehnutzung in der DDR (bis auf die sogenannten Täler der Ahnungslosen bei Dresden und Greifswald, in denen jeweils Westfernsehen und Westhörfunk nur schwer zu empfangen waren) auch ganz erheblich den Empfang öffentlich-rechtlicher Sender aus dem Westen und ab den 1980er Jahren des Privatfernsehens. Die Frage nach der Reichweite von Schnitzler ist nicht einfach zu beantworten. 30 Jahre lang durfte Schnitzler seinen Sendeplatz nach dem beliebten „Montagsfilm“ behalten. Dass nicht jeder Werktätige erpicht darauf war, eine missgelaunte Politschulung am ersten Tag der Woche über sich ergehen zu lassen, ist evident. Der Flüsterwitz, ein „Schnitz“ sei eben jenes kurze Zeitmaß für den Sprung aus dem Fernsehsessel zum Um- oder Ausschaltknopf, war landesweit bekannt. Kritik und Eingaben perlten an ihm ab. Selbst eine Einkaufstour nebst Ladendiebstahl seiner Gattin in West-Berlin 1983, mit Polizeieinsatz und Presserummel, führte zu keinen Konsequenzen. Erst die Friedliche Revolution von 1989, die neben den bekannten Spruchbandforderungen auch Losungen wie: „Schnitzler lass das Lügen sein, kauf nicht mehr im Westen ein!“ oder „Lügendreck – Schnitzler weg“ mit sich brachte, sorgte für Veränderung auf der Mattscheibe. Keine fünf Minuten dauerte die letzte Sendung. Einzelne spätere Auftritte in Talkformaten des Privatfernsehens endeten kläglich im Tohuwabohu, Schnitzler war ein Fernsehfossil geworden. Er starb am 20. September 2001. Für das Thema ist ein anderer Rezeptionsstrang ohnehin interessanter. Was blieb im kollektiven Gedächtnis übrig von Schnitzler, auch von seinen von Empathie ungetrübten Auslassungen gegen Israel nach 1989? Gewiss, ein tiefes Misstrauen gegenüber den Medien und dem Establishment. Schnitzler hätte mit seinem dunklen Geraune am Narrensaum des Internet möglicherweise eine kleine, aber laute Fangemeinde sein eigen nennen dürfen. Immerhin trägt auch in heutiger Zeit der Nahost-Konflikt zur Wiederkehr von alten Bildern des Judenhasses bei. Vorurteile und Stereotype über Juden werden weitertradiert. Der antisemitische Antizionismus eines Schnitzler hat den Sendeschluss seiner Sendung überlebt. Schnitzler brauchte nicht die „Protokolle der Weisen von Zion“ zu zitieren, um das Gerücht um die Juden zu streuen. Ja, er konnte sogar Worte des Trauerns um die Opfer der Shoa finden, um im nächsten Moment die lebenden Juden im Schlachtruf gegen Israel zu verhöhnen. Er leugnete den Holocaust nicht, betrieb aber eine Holocaustverzwergung. Auch die unverhältnismäßige Beschäftigung mit dem Nahost-Konflikt – die Fixierung auf den „Weltfeind Israel“ und den Nahost-Konflikt – ist stilbildend für den antisemitischen Antizionismus: notabene bis zum heutigen Tag.
Dieser Beitrag von Clemens Escher entstammt dem Buch: Wolfgang Benz (Hrsg.), Antisemitismus in der DDR - Manifestationen und Folgen des Feindbildes Israel, erschienen 2018 im Metropol Verlag.