Forschungsdefizite rechtsaußen
Lücken in der Gesellschaftsgeschichte der extremen Rechten - Konturen eines bislang vernachlässigten Forschungsfeldes
Knud AndresenThomas GroßböltingKirsten Heinsohn
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Lange wurde Rechtsextremismus als etwas außerhalb der Gesellschaft Stehendes verharmlost. Dagegen zeigen die Stimmgewinne rechtsextremer, nationalistischer Parteien in Deutschland und Europa ein anderes Bild. Haben auch Historiker und Historikerinnen hier einen Forschungs-Nachholebedarf? Braucht es eine Gesellschaftsgeschichte des Rechtsextremismus um Kontinuitäten und die Ausdehnung rechtsextremer MiIieus besser erkennen zu können?
Wer seit Jahresmitte 2023 die Entwicklung von politischem Denken und parteipolitischen Strukturen extremer Rechter in Deutschland beobachtete, bekam Anlass zur Sorge: Im Sommer 2023 gewannen erstmals Vertreter der »Alternative für Deutschland« (AfD) kommunale Spitzenämter. Im thüringischen Landkreis Sonneberg stellten die Rechtspopulisten den Landrat, im sachsen-anhaltischen Raguhn-Jeßnitz den hauptamtlichen Bürgermeister. Sowohl strukturell wie auch inhaltlich radikalisierte sich die AfD immer stärker, was sich unter anderem darin zeigte, dass die verschiedenen Sicherheitsbehörden zunehmend aktiv wurden: In Thüringen wird die AfD inzwischen vom Landesverfassungsschutzamt beobachtet und zu ihrem Missfallen als «erwiesen rechtsextremistisch» eingeschätzt, in Sachsen-Anhalt gilt die Partei als Verdachtsfall. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die gesamte Partei bereits 2022 als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft und das Kölner Verwaltungsgericht bestätigte unlängst, dass die AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative «gesichert rechtsextrem» sei.
Wahlumfragen hingegen zeigen die Partei seit Sommer 2023 im Aufwind und das trotz Anfang 2024 gewachsener Gegenproteste vergleichsweise stabil: »Wen würden Sie wählen, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre?« – in den Umfragen verschiedener Meinungsforschungsinstitute reichen die Ergebnisse bis an die Zustimmungswerte der ehemaligen Volksparteien heran, in einigen Bundesländern liegen sie (vornehmlich im Osten) sogar bei über 30 Prozent. Zugleich aber lehnt laut Zahlen der Demoskopen eine Mehrheit der Bundesbürger:innen eine Regierungsbeteiligung der AfD ab.
Wie lassen sich diese gegensätzlichen Positionen erklären? Oder sind es womöglich gar keine Gegensätze, sondern Abbildungen von unterschiedlichen Interessen – angekündigtes Protestwahlverhalten von »Wutbürgern« einerseits, Interesse der Mehrheit an stabilen Regierungen andererseits?
Erneut ist auch die Debatte um den Umgang mit AfD-Vertreter:innen in Parlamenten und ihren Wähler:innen entbrannt. Dabei wurden und werden durchaus widersprüchliche Forderungen in Politik und Medienöffentlichkeit verhandelt: Ist eine »Brandmauer«, sprich: eine möglichst rigorose Abgrenzung gegen AfD-Politiker:innen der Erfolg versprechende Weg? Wenn ja, wie lässt sich dieses Konzept auf den verschiedenen Ebenen des politischen Geschäfts praktizieren? Und: Wie umgehen mit den kleinen, aber nicht unerheblichen Teilen der Gesellschaft, die die AfD wählen oder sich ihren Positionen verbunden fühlen?
Zeichensetzend gegen rechtsextreme Strömungen: Am 3. Februar 2024 nahmen zahlreiche Menschen an der Demonstration eines Berliner Bündnisses «Wir sind die Brandmauer» für Demokratie und gegen Rechtsextremismus teil.
»Die Menschen« sollten mehr »mitgenommen werden« von »der Politik«, fordern die einen, »klare Kante gegen rechts« – auch hinsichtlich der von Rechtsextremen gepflegten Aufregerthemen wie Migration, Gendern, Klimaschutz – die anderen. Rechtsextreme Äußerungen nicht einfach zu akzeptieren, sondern sprachlich und politisch dagegenzuhalten, ist hierbei eine Forderung, die nicht allein an die politischen Repräsentant:innen gestellt, sondern als zivilgesellschaftliche Aufgabe definiert wird.
Wie diese Beobachtungen zu deuten sind, ist sowohl in den Feuilletons wie auch in den wissenschaftlichen Debatten umstritten: Politisch wurden die jüngsten Entwicklungen und insbesondere das Einrücken von AfD-Politiker:innen in kommunale Spitzenämter sogar als »Dammbruch« mit schwer steuerbaren Folgen eingeordnet, die an die politische Polarisierung in den USA erinnerten.
Aus soziologischer Perspektive wurde diese Metapher zurückgewiesen: Es seien mittel- und langfristig wirkende soziale Verschiebungen und vor allem Erfahrungen mangelnder Anerkennung und Abwertung, so der Soziologe Klaus Dörre. Insbesondere in den östlichen Bundesländern »fühlen sich viele gleich dreifach abgewertet: als Arbeiter, als Ossi, als Mann«.
Einschneidende Veränderungen in der politischen Kultur seien bereits früher erfolgt, als nämlich die AfD die »kulturelle Hegemonie in weiten Teilen des ländlichen Ostens errungen« habe. Dabei seien extrem rechte Ansichten kein »Alleinstellungsmerkmal des Ostens«, sondern in der ganzen Bundesrepublik zu finden. Nur der gesellschaftliche Resonanzraum für diese Ansichten sei offener, nicht zuletzt, weil Wirtschafts- und Energiepreisentwicklungen in bestimmten Regionen weitreichende Transformationen mit sich bringen, aus denen Ängste vor dem Verlust von Arbeitsplätzen und Lebensqualität entstehen. Auch sei die strukturelle Lohnungleichheit zwischen Regionen ein wichtiger Faktor, um rechtspopulistische Einstellungen erklären zu können.
Zwar sei in den Betrieben, den Gewerkschaften und auch den Unternehmensführungen noch klar eine Abwehr extrem rechter Meinungen zu erkennen, doch sei dies keine Garantie, dass Rechtspopulismus im Privaten und in der Gesellschaft nicht weiter anwachse. Vergleicht man das Agieren der extremen Rechten in der Bundesrepublik mit entsprechenden Entwicklungen in den europäischen Nachbarländern, dann gewinnen viele der oben beschriebenen Phänomene auf erschreckende Weise Normalität: In zahlreichen europäischen Nationalstaaten haben die extreme Rechte und ihr rechtspopulistisches Umfeld in den vergangenen Jahren Erfolge für sich verbuchen können: Schweden, Finnland, Slowakei, Griechenland, Österreich, auch in Spanien und Frankreich sind rechte Parteien und ihr Umfeld auf dem Vormarsch. Nicht nur in Ungarn regieren Viktor Orbán und seine rechtsnationale Fidesz-Partei seit 2014 mit dem Konzept der »illiberalen Demokratie«, sondern auch in Italien ist seit 2022 mit Giorgia Meloni eine Ministerpräsidentin in der Verantwortung, deren Partei »Fratelli d’Italia« im Faschismus Mussolinis verwurzelt ist.
Diskussionen um mögliche »Brandmauern« sind in den europäischen Nachbarstaaten unter anderen Begrifflichkeiten geführt und mit unterschiedlichen Ergebnissen politisch praktiziert worden – von einer seit 1992 betriebenen und bislang durchgehaltenen strikten Abgrenzung gegen den »Vlaams Blok« im flämischen Teil Belgiens bis hin zu wahltaktisch motivierten Koalitionssondierungen der spanischen konservativen Volkspartei »Partido Popular« gegenüber den Rechtspopulisten der Vox-Partei.
Zitat
Die verschiedenen Erklärungsansätze für den Erfolg der AfD in Deutschland, aber auch für den Aufstieg und die Etablierung rechtspopulistischer Parteien in Europa argumentieren oftmals eindimensional, vor allem aktualistisch, und wirken daher eigentümlich kurzatmig. Gerade deswegen verweisen sie aber auf das Potenzial einer gesellschaftshistorischen Analyse.
Monokausale Erklärungen sind offensichtlich nicht geeignet, die rechtspopulistischen und/oder rechtsextremen Tendenzen in der bundesdeutschen Gesellschaft verstehen zu können. Auch ist es historisch nicht neu, dass es diese Tendenzen gibt – vielmehr haben sich die politischen Ausdrucksformen des Rechtsextremismus sowie die Regeln des Diskurses in den Jahrzehnten seit 1945 gewandelt, wie Untersuchungen zu den »neuen Rechten« belegen.
Plädoyer für eine Gesellschaftsgeschichte des Rechtsextremismus
An diesem Punkt setzt der aktuelle Band des Archivs für Sozialgeschichte an: Wir plädieren für eine Gesellschaftsgeschichte des Rechtsextremismus, weil mit dieser sozial-, politik- und kulturwissenschaftlich unterfütterten Perspektive die vielfältigen Faktoren, die zum Aufkommen und zum Abflauen rechtsextremer Tendenzen und Phänomene führen, sichtbar werden. Eine Gesellschaftsgeschichte der extremen Rechten sollte die historisch differenten Erscheinungsformen dieses politischen Feldes ebenso analysieren wie den Wandel seiner sozialen Basis. Eine Gesellschaftsgeschichte berücksichtigt die soziokulturelle Einbettung der extremen Rechten ebenso wie Begriffs- und Diskursverschiebungen im Wandel der Zeit und sie untersucht ökonomische Transformationen und Strukturbrüche ebenso als Ursache für Aufschwünge und Niedergänge des Rechtspopulismus wie damit verbundene Erfahrungen von Ausgrenzungen und Abwertungen.
Im Sinne einer pluralen Geschichtswissenschaft erscheint es zudem notwendig, die Geschichte der extremen Rechten nicht allein wissenschaftlichen Expert:innen zu überlassen, sondern die Perspektive derjenigen einzubeziehen, die von Rechtsextremen bedroht und angegriffen werden, sowie derjenigen, die sich für den Schutz dieser Menschen einsetzen. Gerade dieses Wissen hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen:
Es waren die von rechter Gewalt Betroffenen und ihre Unterstützer:innen, die zentrale Informationen und Erkenntnisse über rechte Netzwerke und deren Gewaltbereitschaft gesammelt haben und die erst nach zu vielen Gewalt- und Tötungsdelikten Gehör fanden.
Vojin Saša Vukadinović untersucht dazu Analysen des Rassismus sowie rechtsextremer Einstellungen, die schon zu Beginn der 1980er-Jahre erschienen sind und die aus der Feder von Wissenschaftlern stammten, die nicht in Deutschland geboren worden waren. Haris Katsoulis, Badi Panahi und Georgios Tsiakolos erforschten Alltagsrassismus in Deutschland und stellten damit – so Vukadinović – bereits früh weiterführende Erkenntnisse zum »rassistischen Wissen« in der bundesdeutschen Gesellschaft zur Verfügung, die allerdings nicht rezipiert worden seien. Aus einer gesellschaftshistorischen Sicht sind diese Bücher und ihre nicht erfolgte Rezeption unter anderem (aber nicht nur) als Indikatoren für die mangelnde Anerkennung der Perspektive von »Betroffenen« von Interesse.
Hier wiederholt sich offenbar der lange Kampf um Anerkennung von Wissen und Erfahrungen, den auch schon Wissenschaftler:innen ausgefochten haben, die aus jüdischer Perspektive auf die Zeit des Nationalsozialismus und die Shoah blickten. Inzwischen, mit dem nachhaltigen Wandel der Erinnerungskultur in Deutschland seit den 1980er-Jahren, gilt die Berücksichtigung der Erfahrungen von Opfern von Verfolgung als unabdingbar für eine angemessene zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte und auch in der Geschichtswissenschaft sind die Werke von Raul Hilberg oder Saul Friedländer mittlerweile Standard. Aber noch vor wenigen Jahren mussten Forscherinnen wie Maria Alexopoulou daran erinnern, dass die wissenschaftliche Zeitgeschichte die Entwicklung des Rassismus in Deutschland nach 1945 nicht im Blick hatte: Wo Minderheiten kontinuierlich Erfahrungen von rassistischer Diskriminierung und Gewalt machten, da gab es dennoch deutliche Zäsuren in der Wahrnehmung dieser Erfahrungen in der bundesdeutschen »Mehrheitsgesellschaft«.
Die Gesellschaftsgeschichte der extremen Rechten in Deutschland seit 1945 zu erforschen, beinhaltet allerdings mehr als eine notwendige Rassismusforschung. Ebenso unabdingbar sind sozial- und politikhistorische Analysen der sozialen Basis extrem rechter Gruppen, kulturhistorische Untersuchungen von Praktiken rechtsextremer Gewalt oder sozialwissenschaftliche Daten zu ökonomischen Trends und ihren Folgen – eine Gesellschaftsgeschichte muss bewusst multiperspektivisch arbeiten und dabei eine Vielfalt von gesellschaftlichen Prozessen und Erscheinungen in den Vordergrund stellen.
Soziologische und politikwissenschaftliche Untersuchungen des Phänomens extreme Rechte aus den vergangenen Jahrzehnten sind dabei eher Quellen als Forschungsgrundlage, insofern diese das jeweils zeitgenössisch vorhandene gesellschaftliche Wissen (oder auch: Nicht-Wissen) und entsprechende Deutungen präsentieren.
Die extreme Rechte in der Bundesrepublik und im vereinigten Deutschland wurde aus geschichtswissenschaftlicher Sicht lange Zeit nur wenig beleuchtet. Eingängige Erzählungen über die Erfolgsgeschichte einer »geglückten Demokratie« legten nahe, dass das rechtsextreme Milieu eher eine vernachlässigbare Erscheinung war, eher ein Andauern nazistischer Restbestände in einem politisch und gesellschaftlich isolierten Milieu als eine ernsthafte Bedrohung der bundesrepublikanischen politischen Kultur.
Insbesondere bei der Frage nach Kontinuitäten von Führungsgruppen galt die Integration ehemaliger Nationalsozialisten als »Belastungsgeschichte« (Axel Schildt) mit schlechtem Beigeschmack und wurde gleichwohl als Erfolg gewertet – das rechtsextreme Milieu wurde zunehmend an den gesellschaftlichen Rand gedrängt, eine zu große Nähe war für eine berufliche, gesellschaftliche oder politische Karriere zunehmend hinderlich.
Gideon Botsch hat 2012 jedoch darauf hingewiesen, dass die Isolierung der »nationalen Opposition«, wie er die Gruppen nannte, häufig anlassbezogen und diskontinuierlich verlief. Er forderte für zukünftige Forschungen, die extreme Rechte zeitgeschichtlich nicht als Ausnahmeerscheinung, sondern als Teil der »politischen Kultur« zu analysieren. Bisher waren allerdings eher die Politik- und die Sozialwissenschaft Hochburgen der Forschungen zur extremen Rechten, während sich die Geschichtswissenschaft zurückhielt.
In den vergangenen Jahren ist hier eine deutliche Umkehr zu beobachten, die sicherlich befeuert wurde durch die Aufdeckung der Mordserie des NSU, den Aufstieg der AfD und einen weltweiten Trend zu autoritären und rechtspopulistischen Politiken. Hierbei ist aus zeitgeschichtlicher Sicht wichtig zu fragen, ob sich hier Neues zeigt oder Altes wiederbelebt wird: Der Historikertag 2018 in Münster markierte für die historische Zunft diesen Wechsel anschaulich. In Panels und Keynotes wurde die lange Abstinenz der deutschen Zeitgeschichtsforschung zu Fragen nach Rassismus und Rechtsextremismus festgestellt und beklagt. Kurz darauf erschien mit »Zur rechten Zeit. Wider die Rückkehr des Nationalismus« eine erste geschichtswissenschaftliche Bestandsaufnahme.
Mit dem Kooperationsprojekt »Die Radikale Rechte in Deutschland, 1945–2000« des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien und des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung wie auch dem an der Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte (FZH) gestarteten Vorhaben »Hamburg rechtsaußen. Rechtsextreme Gewalt- und Aktionsformen in, mit und gegen städtische Gesellschaft 1945 bis Anfang der 2000er Jahre« ist ein größerer Forschungsschub zu erwarten.
Noch ist das Feld jedoch geschichtswissenschaftlich offen und wenig vermessen; eine Vielzahl unterschiedlicher Fragen ist zu berücksichtigen:
Ist eine Auseinandersetzung mit rechtsextremen Einstellungen auch eine Nachgeschichte des Nationalsozialismus, wie die vielen Behörden- und Parlamentsforschungen zu ehemaligen NSDAP-Mitgliedern zumindest nahelegen? Oder verstellt die obsessive Besessenheit der extremen Rechten mit der NS-Geschichte der Forschung eher Erkenntniszugänge, die sich vor allem an aktuellen gesellschaftlichen Spannungen orientieren? Geht es eher um eine Geschichte des Politischen im engeren Sinn oder versprechen kultur- und mentalitätshistorische Ansätze mehr Gewinn? Ist es sinnvoll, sich auf die Organisationen zu konzentrieren oder doch mehr auf rechtsextreme, rassistische und autoritäre Einstellungen, die auch in Parteien, Gewerkschaften und Kirchen wirken?
Bereits aus diesen wenigen Spannungsfeldern wird deutlich, dass für eine Gesellschaftsgeschichte die Konzentration auf Organisationen und das rechte Milieu ebenso wenig ausreichend wäre wie eine ins scheinbar Unendliche reichende Untersuchung von Einstellungen, Äußerungen oder erinnerungspolitischen Einstellungen in der gesamten Gesellschaft.
Einen neueren Versuch zur Strukturierung beziehungsweise Historisierung des Phänomens unternehmen Laura Haßler und Dominik Rigoll. In ersten Teil ihres Forschungsberichts aus dem Jahr 2021 präsentierten sie »Forschungen und Quellen zur deutschen Rechten« mit einem Fokus auf Ansätze zur Erforschung des Feldes sowie Studien zu Akteur:innen und Praktiken von der Weimarer Republik bis etwa 1990. Ihr strukturierender Zugriff geht von einer Relektüre und Neubelebung der kritischen Nationalismusforschung aus, da im Bezug auf die Nation als Letztbegründung des politischen Handelns das gemeinsame Element aller rechten, rechtspopulistischen und auch rechtsextremen Bewegungen gesehen wird.
Damit wäre zugleich die Frage eröffnet, wie sich Nationalismus, nationale Bewegungen und nationalistische Politik nach 1945 in Deutschland entwickelt haben – offensichtlich waren diese nicht mit der Kapitulation 1945 verschwunden. Aber wo und wie tauchten diese wieder auf, gründeten sich neu oder passten sich an veränderte Zeitumstände an? So stellt sie auch die Frage nach dem Zusammenhang von Rassismus und rechten Bewegungen.
Einen zentralen Vorteil ihres nationalismus‐historischen Zugriffs sehen die beiden genannten Autor:innen vor allem darin, inter- und transnationale Vergleiche ähnlicher Phänomene zu ermöglichen, auch über Epochenbrüche hinweg. Dies ist allerdings noch eine große Forschungslücke. Dennoch zeigen diese ersten Ansätze eindrücklich, dass es schon wichtige Bausteine zur Geschichte der extremen Rechten in Deutschland nach 1945 gibt, diese Studien aber vor allem dann ertragreich sind, wenn sie mit einer aktualisierten Frage nach Anpassung und Nutzung des Nationalismus als gemeinsamer Integrationsformel der extremen Rechten konfrontiert werden.
Zitierweise: Knud Andresen, Thomas Großbölting, Kirsten Heinsohn, "Forschungsdefizite rechtsaußen", in: Deutschland Archiv, 13.02.2024, Link: www.bpb.de/545403. Geringfügig eingekürzter und aktualisierter Beitrag aus: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hg.), "Rechtsextremismus nach 1945", in: Archiv für Sozialgeschichte, Bd. 63, Bonn Dezember 2023, S. 9. Dort erstveröffentlicht unter dem Titel: "Gesellschaftsgeschichte der extremen Rechten. Konturen eines Forschungsfeldes". Alle Beiträge im Deutschland Archiv sind Recherchen und Sichtweisen der jeweiligen Autoren und Autorinnen, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar. (hk)
Dr. Knud Andresen istv seit 2008 Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle für Zeitgeschichte im Bereich Perspektiven der jüngsten Geschichte (1945–1990) in Hamburg mit zwischenzeitlichen Vertretungsprofessuren an den Universitäten Hamburg und Greifswald.
Prof. Thomas Großbölting war von 2009 bis 2020 Professor für Neuere und Neueste Geschichte am Historischen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seit August 2020 ist er Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH) und Professor für Neuere Geschichte im Arbeitsbereich Deutsche Geschichte der Universität Hamburg.
ist stellvertretende Direktorin der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg und Privatdozentin am Fachbereich Geschichte der Universität Hamburg. E-Mail Link: heinsohn@zeitgeschichte-hamburg.de