Orte des Ankommens (IV): Das ehemalige KZ-Außenlagergelände in Allach – ein vergessener Ort der (Nach)kriegsgeschichte
Piritta Kleiner
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Ein Einblick von Piritta Kleiner über die zahlreichen Umnutzungen und das Leben im Transit auf dem einstigen KZ-Lagergelände Allach bei München, ein Außenlager von Dachau. Beleuchtet wird, welche Spuren heute noch in der neu entstandenen Siedlung existieren und wie an sie erinnert wird.
Im Norden von München, sechs Kilometer westlich von Dachau im Stadtteil Feldmoching-Hasenbergl, liegt in der heutigen Siedlung Ludwigsfeld das Gelände des ehemaligen KZ-Außenlagers Allach.
Der Außenlagerkomplex entstand ab 1942 und war das drittgrößte in einem Netz von 140 Außenlagern des Konzentrationslagers Dachau. Die Firma Bayerische Motorenwerk (BMW) nutzte Allach als Flugmotorenfabrik. Es war das zentrale BMW-Lager in Süddeutschland. Bis Kriegsende mussten dort tausende Häftlinge Zwangsarbeit leisten.
Am 30. April 1945 gegen elf Uhr morgens befreite die 7. US-Armee Rainbow Division das Lager. Was die Amerikaner auf dem Gelände vorfanden, war ein Bild des Schreckens. Der Überlebende Marcel-G. Rivière beschreibt in seinen Erinnerungen: „In den Blöcken der Schwerkranken versuchen die Häftlinge aufzustehen. Die meisten fallen, regungslos, einige erschöpft vor Freude. Als ein paar völlig bestürzte und vor diesem schrecklichen Bild sprachlose US-Soldaten diese Blöcke betreten, finden sie ein überwältigendes Strammstehen lebender Skelette vor.“
Transitort Allach – Umnutzungen und Nachnutzungen in der Nachkriegszeit
Das ehemalige KZ-Außenlagergelände Allach war in der Nachkriegszeit ein Ort des Transits, dessen schnell wechselnde Bewohnerschaft und die unterschiedlichen Nutzungsformen sehr verdichtet einen Teil der westdeutschen Nachkriegsgeschichte widerspiegeln. Verschiedene historische Schichten legten sich in einer relativ kurzen Zeit über diesen Ort. Unter den befreiten Lagerinsassen stellten, mittlerweile von den westlichen Alliierten zu Displaced Persons (DPs) erklärt, die Polen die größte Gruppe. Deren Rückführung, wie auch vieler anderer osteuropäischer Gruppen war problematisch. Für viele war die Tatsache der polnischen Grenzverschiebung nach Westen und die Machtübernahme durch die Kommunisten nicht zu akzeptieren und eine Rückkehr undenkbar. Auch galten in der Sowjetunion Menschen, die die Deportationen überlebt hatten, automatisch als Kollaborateure der Deutschen und ihnen drohte bei einer Rückkehr der Gulag oder Haft.
Vorerst wurden die Allacher DPs weitestgehend auf andere bayerische Lager verteilt, denn spätestens ab Herbst 1945 wurde der östliche Teil des Lagers von den Amerikanern als Kriegsgefangenenlager genutzt. Der westliche Teil, in dem die sogenannten Pferdestallbaracken standen, wurde bereits im September 1945 von den Amerikanern abgerissen.
Die Entscheidung der Alliierten, Deutschland zu entmilitarisieren und wirtschaftliche Betriebe für Reparationsleistungen zu demontieren, traf auch das Allacher BMW-Werk. Die Kriegsgefangenen wurden als Arbeitskräfte im Karlsfeld Ordnance Depot (KOD) eingesetzt, zu dem das gegenüberliegende BMW-Werk mittlerweile umfunktioniert worden war. Solche Ordnance Depots waren Lagerplätze oder Sammelstellen für Militärmaterial, die von den Besatzungsmächten dringend benötigt wurden. Das riesige Gelände der BMW eignete sich hervorragend für diese Zwecke.
Die Kriegsgefangenen brachten die Baracken in einen annehmbaren Zustand. Neben den baulichen Veränderungen verwandelten die Kriegsgefangenen die Baracken auch in kleine Handwerksläden: „(…) common kitchen, two washhouses, a hutmen with tailor’s, cobbler’s, joiner’s, carpenter’s, locksmith’s shops, and turnery etc. The hutments are 43 m long, 10 m broad and 3 m high. Wooden partitions form rooms, holding 10 men each. Double-decker beds with mattresses and three blankets. Heating and lighting are excellent. (…) There are 100 taps with running water for the morning wash.”
Ab September 1948 kam es abermals zu einer Umnutzung des Geländes: die Staatliche Erfassungsgesellschaft für öffentliches Gut (StEG) übernahm sowohl das im ehemaligen Außenlager lagernde Material als auch die verbliebenen Steinbaracken im östlichen Teil des Lagers. Die StEG war ein weiteres Produkt der Nachkriegszeit. Ihre Aufgabe war die Verwertung von noch vorhandenen brauchbaren Gütern der Wehrmacht und später auch der alliierten Streitkräfte. Der gute Zustand, in den die Kriegsgefangenen das ehemalige KZ-Außenlager versetzt hatten, existierte nicht mehr: „Das Gelände ist ohne Wasserleitung und ohne Strom (…) Fast alle Hallen sind ohne Fensterscheiben und Türen.“ Ob die Baracken geplündert wurden oder die Amerikaner die vorigen Einrichtungen wie etwa Strom, Heizung und funktionierende Wasserleitungen sowie Fenster und Türen wieder ausgebaut hatten, bleibt unklar. Diesmal machte die StEG das Lager wieder nutzbar. Strom- und Wasserleitungen wurden wieder instandgesetzt, Toiletten eingebaut und eine Bürobarracke eingerichtet.
Nachdem die StEG 1950 ihr Lager schloss, wurden im selben Jahr wieder Menschen auf dem Gelände untergebracht. In den Baracken 1-4, die in dem Winkel der heutigen Granat- und Smaragdstraße damals noch existierten, entstand ein Flüchtlingslager. Im Lager München 54 Regierungslager Ludwigsfeld, so die offizielle Bezeichnung, lebten vor allem zahlreiche Vertriebene aus dem östlichen Europa. In den restlichen Baracken 5 – 17 wurde das Bundesauswandererlager München-Karlsfeld ausgebaut. Die USA sahen die hohe Zahl der Vertriebenen, die nach Kriegsende in das besetzte Deutschland strömten, anfangs ausschließlich als deutsches Problem. Sie erhielten keinen DP-Status und wurden daher auch nicht von internationalen Hilfsorganisationen unterstützt. Mit der Erweiterung des Displaced Persons Act Public Law Nr. 774 vom 16. Juni 1950 änderten die USA ihre restriktiven Einreisebestimmungen auch für Vertriebene und entschieden, knapp 55.000 von ihnen in die USA aufzunehmen.
Für ungefähr ein Jahr diente nun ein Teil des östlichen Außenlagergeländes als Durchgangslager für Ausreisende. Der Aufenthalt im Lager zog sich meist über Wochen, manchmal über Monate hin. Die einzige Abwechslung im Lager boten neben Englischkursen auch Vorbereitungskurse für die Ausreise: „Information USA, American Song Hour, Women’s Hour and Films concerning life in the United States (…).“ Neben dem erneuten Umbau der Baracken zu Wohnräumen war die größte Umrüstungsmaßnahme auf dem Gelände ein Anbau an der Nordfassade der ehemaligen Sanitärbaracke (Baracke 7). Während dort eine Küche, ein Waschraum und Duschen untergebracht wurden, beherbergte der Anbau den Speisesaal. Das Auswandererlager wurde bereits im April 1952 wieder geschlossen, da die USA ihr German expellee program für das sie gezielt fehlende Arbeitskräfte rekrutiert hatten, wieder einstellten. Insgesamt gab es für eine kurze Zeit nur drei solcher Bundesauswandererlager in Deutschland.
Nach der Schließung des Bundesauswandererlagers standen die Baracken für zwei Jahre leer obwohl bereits eine weitere Gruppe nach Westdeutschland strömte, die sogenannten Sowjetzonenflüchtlinge. Die bayerische Regierung, die das Areal nun verwaltete, stellte trotz akuter Wohnungsnot zu dieser Zeit erst im Januar 1954 Überlegungen an, diese Baracken zu nutzen: „Ein noch längeres Leerstehenlassen des Bundesauswandererlagers Karlsfeld wird kaum zu verantworten sein (…).“ Im April 1954 begann die Belegung des Lagers und der Name wurde von Bundesauswandererlager München-Karlsfeld in Notunterkunft Ost geändert.
Ein neues Viertel entsteht – die Neue Siedlung Ludwigsfeld
Direkt daneben, dort wo einst sogenannte Pferdestallbaracken des KZ-Außenlagers gestanden hatten, entstand 1952 eines der größten, bayerischen Bauprojekte für die Unterbringung von ehemaligen DPs: die Neue Siedlung Ludwigsfeld. Nachdem die Verwaltung der DPs 1951 von den Amerikanern auf die Deutschen übergegangen war, und sie somit fortan als „heimatlose Ausländer“ bezeichnet wurden, fiel auch die Unterbringung in die Verantwortlichkeit der deutschen Regierung. Diese errichtete nun 690 Wohnungen für jene Displaced Persons, die noch in Bayern verblieben waren. In 35 Blöcken entstanden Zwei- bis Vierzimmerwohnungen, acht Räume standen für Ladenlokale zur Verfügung und eine Wohnung diente als Polizeirevier.
Bereits vor der Fertigstellung des Projekts kam es jedoch zu Verteilungskämpfen um den neuen Wohnraum. Somit erhoben Mitarbeitende im direkt danebengelegenen BMW-Werk ebenfalls Anspruch auf die entstehende Wohnsiedlung. Viele von ihnen waren Vertriebene, die in weiteren Barackenlagern rund um das BMW-Werk lebten, aber auch ehemals Kriegsgefangene blieben bei BMW weiterhin beschäftigt.
In der neu angelegten Siedlung kamen nun knapp acht Jahre nach Kriegsende Menschen verschiedener Herkunft und mit unterschiedlicher Kriegserfahrung zusammen: ehemalige Zwangsarbeiter:innen und KZ-Häftlinge, ehemalige Kriegsgefangene sowie deutsche Vertriebene aus den unterschiedlichsten Ländern. Bereits im März 1953 waren fast alle Wohnungen belegt und die Regierung von Oberbayern erfasste in einem Belegungsschlüssel die Nationalitäten und Religionen der Bewohner:innen. Demnach waren unter den 2.908 Bewohner:innen 19 Nationalitäten vertreten, die identifiziert werden konnten. Das Zusammenwohnen verlief nicht reibungslos, wie der Zeitzeuge H.T. erzählte, der in dem Flüchtlingslager aufwuchs und heute noch in der Siedlung Ludwigsfeld lebt:
„In der Kneipe, da gings schon rund, da waren dann zum Beispiel Leute an einem Tisch gesessen, zum Beispiel die Turkmenen damals, die waren ja wirklich fremdartig für uns (…). Und dann kommen ehemalige...da waren ja einige Nazis noch hier. Es gab ja auch hier in der Siedlung die Deutschen. Die haben dann am Tisch „die Fahne hoch“ gesungen. Und dann hatte man Zwangsarbeiter (…) also das war schon nicht ohne. Es gab Messerstechereien, ja. (…) Sonst hat man sich gemieden.“
Die sozialen Herausforderungen der Siedlung wurden aber nicht nur durch politisch konträr zueinanderstehende Schicksale der einzelnen Personen ausgelöst. Hinzu kam noch die Tatsache, dass die ehemaligen DPs, die in der Siedlung untergebracht worden waren, sogenannte hard core-Fälle waren, also zu dem Teil der DPs gehörten, die nicht auswandern wollten oder konnten, aus gesundheitlichen oder politischen Gründen. Dementsprechend trifft es zu, wenn eine Zeitzeugin die Siedlung in der Anfangszeit als „Seuchensiedlung“ bezeichnete. Der Großteil der Untergebrachten, waren Menschen, die durch Krieg und Krankheit schwer gezeichnet waren und zudem kaum etwas besaßen.
Die geographische Randlage erklärte sich die Ludwigsfelder Bewohnerschaft später damit, dass sie „weit genug entfernt, um möglicherweise die deutsche Bevölkerung vor den ‚Exoten‘, ‚Slawen‘ und den ‚TBC-Kranken‘ zu schützen“ angesiedelt wurden. Tatsächlich war die Angst vor Ansteckung ein Grund für die Ansiedelung der ehemaligen Displaced Persons in peripheren Gebieten. Daneben war die Unterbringung auf ehemaligem Lager- oder Militärgelände, das meist außerhalb lag, auch ganz pragmatischer Natur, gab es dort bereits die Infrastruktur und den nötigen Platz für eine schnelle Unterbringung. Die Mehrheitsbevölkerung hatte aber durchaus auch Ressentiments gegenüber den Displaced Persons, rassistische und antisemitische Vorurteile waren nicht über Nacht verschwunden. Die Neue Siedlung Ludwigsfeld bekam schnell die abwertende Bezeichnung „Mau-Mau-Siedlung“, die bis heute dem Stadtteil anhaftet. Das danebenliegende Flüchtlingslager wurde Anfang Januar 1969 geschlossen und bis auf die ehemalige Sanitärbaracke vollständig abgerissen.
Was bleibt? – Die Erinnerung an das KZ-Außenlagergelände und seine Nachkriegsgeschichte
Im öffentlichen Diskurs und in der Forschung wurde die (Nachkriegs)geschichte des ehemaligen KZ-Außenlagergeländes, bis auf wenige Ausnahmen, lange Zeit vergessen. Das bildet sowohl die kaum vorhandene Literatur als auch der Umgang der Behörden mit Ludwigsfeld bis heute ab. Wie ein roter Faden zieht sich das Phänomen des Vergessens durch dieses Kapitel Münchner (Nachkriegs)geschichte. Erst 2017, als bei Grabungen auf dem Gelände die Gebeine von zwölf NS-Opfern geborgen wurden, rückte die Geschichte des Ortes in den öffentlichen Diskurs. Die Grabungen selbst begannen bereits 2016, nachdem ein Feldmochinger Bezirksausschussmitglied und Stadtteilhistoriker anhaltend behauptet hatte, es befänden sich noch die sterblichen Überreste von 300 Personen auf dem Gebiet.
Die Stadt München gab mit Beginn der Grabungen eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, um die Möglichkeiten eines Erinnerungsortes in Allach auszuloten. Zwischenzeitlich beschloss ein Zusammenschluss verschiedener Institutionen, darunter die KZ-Gedenkstätte Dachau und das NS-Dokumentationszentrum München, die Skelette der zwölf NS-Opfer, die auf dem Gelände gefunden wurden, in einer multireligiösen Zeremonie auf dem Waldfriedhof in Dachau zu beerdigen. Daraufhin erstattete die Lagergemeinschaft Dachau Anzeige wegen Störung der Totenruhe.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, dass 1948 vier Orte existierten, an denen die Toten von Allach zerstreut waren: der Leitenberg bei Dachau, das ehemalige KZ-Außenlagergelände Allach, der Feldmochinger Friedhof sowie der Waldfriedhof in Dachau. In den 1950er Jahren fanden Umbettungen statt, sodass die meisten Toten, darunter zahlreiche jüdische Häftlinge aus Allach, heute auf dem Leitenberg liegen. Dort dominiert eine christliche Gedenkkultur, obwohl viele Tote keine Christen waren, was in besonderem Maße auf das KZ-Außenlager Allach zutrifft, das auch als „Judenlager“ bezeichnet wurde. Bis auf eine kleine Gedenktafel, die eine Privatperson initiierte, weist nichts auf die Allacher Toten hin.
Die Lagergemeinschaft fühlte sich in die Entscheidungsfindung rund um den Umgang mit den Toten nicht eingebunden und setzte durch die Anzeige ein medienwirksames Signal. Aus erinnerungskultureller Sicht kann man sagen, dass erneut Allacher Opfer von ihrem ursprünglichen Ort entfernt wurden und abermals versäumt wurde, diesen Ort zu kennzeichnen. Danach ruhte das Thema und die Diskussion, die 2017 um die würdige Erinnerung an die Geschichte des Ortes aufflammte.
Die Neue Siedlung Ludwigsfeld, die einst als Siedlung für die zurückgebliebenen DPs entstand, existiert heute noch. Viele der dort lebenden Menschen sind Nachfahren der einst dort angesiedelten Menschen, weshalb Ludwigsfeld nach wie vor eine ungewöhnlich heterogene Bewohnerschaft auf kleinstem Raum vereint. Das Gefühl des Ausschlusses aus der (Münchner) Gesellschaft, das von Beginn an bestand, setzte sich über die Jahrzehnte fort. „Wir sind irgendwie übrig geblieben hier draußen“, kommentierte dies ein Bewohner im Jahr 2000. Dieses Übriggebliebensein führte im Umkehrschluss zu einer starken kollektiven, lokalen Identität der Bewohnerschaft.
Bei mehreren Besuchen, die ich während meiner Forschungsarbeit über die Siedlung 2019 unternahm, wurde mir in Interviews das gewisse „Ludwigsfelder Feeling“ genannt, womit ein besonderer Zusammenhalt und eine besondere Vertrautheit mit den Biografien der anderen umschrieben wird. Seit Investoren die Siedlung für sich entdeckt haben und es zu Neubebauungen kam, wandelt sich das Viertel allmählich. Im Juli 2022 stimmte der Münchner Stadtrat einer weiteren Bebauung der Siedlung mit knapp 2000 Wohnungen zu. Neben der Angst vieler alteingesessener Bewohner:innen um den Verlust ihrer lokalen Identität, stellt sich darüber hinaus die Frage, ob weitere Überformungen der historischen Orte stattfinden werden. Oder, ob die Aufwertung des Viertels möglicherweise mit einem Wandel der Erinnerungskultur einhergeht.
Welche Spuren an das einstige KZ-Außenlager und die unmittelbare Nachkriegszeit gibt es also heute noch in Ludwigsfeld und wie wird an diese Geschichte erinnert? Das größte erhaltene Relikt ist die bereits erwähnte, ehemalige Baracke in der Granatstraße 10. Es handelt sich dabei um ein im Sommer 1944 aus Schlackesteinen errichtetes einstöckiges Gebäude, das ab November 1944 als Sanitärbaracke genutzt wurde. Im Bundesauswandererlager wurde sie weiterhin als Sanitärbaracke verwendet. Die Erweiterung der Baracke, die als Kantine für die Auswanderer gebaut wurde, diente danach zeitweilig als Saal für Filmveranstaltungen oder Tanzabende.
Die Baracke wie auch die Siedlung gehören der Wohnungsgesellschaft Ludwigsfeld, Investoren aus der Patrizia AG, die dem Bund die Immobilien 2007 abkaufte, da die Stadt die Siedlung nicht kaufen wollte. Die Baracke ist an die Stadt verpachtet. Heute existieren verschiedene Bereiche innerhalb des Gebäudes, die zum Großteil vom TSV Ludwigsfeld genutzt werden: Im nördlichen Bereich, bei der früheren Kantinenküche, richtete der Sportverein sein Vereinsheim ein. Im mittleren Abschnitt befinden sich die Umkleidekabinen der Mannschaften und die Duschen. Der südliche Bereich wird bis heute als Sammellager genutzt. An der Westseite der Baracke befindet sich das einzige aktive Erinnerungszeichen an das KZ-Außenlager. Hier hängen zwei Erinnerungstafeln auf Deutsch und Französisch, die bei einem Festakt am 2. Mai 1997 an dem Gebäude angebracht wurden.
Mittlerweile veranstaltet der Bezirksausschusses 24 Feldmoching-Hasenbergl jährlich eine Gedenkveranstaltung an der Baracke. Tatsächlich war es dem Engagement der Ludwigsfelder:innen zu verdanken, dass die Gedenkplaketten realisiert wurden. Die von ihnen gegründete Interessengemeinschaft Ludwigsfeld (IGLU) war es auch, die die Anbringung der Gedenktafeln anregte.
Weitere erhaltene Überreste aus der Zeit des KZ-Außenlagerkomplexes sind nicht gekennzeichnet. Das augenfälligste Relikt, das noch erhalten ist, da es sich zentral in der Siedlung befindet, ist die von den heutigen Bewohner:innen als „Rollschuhplatte“ bezeichnete und benutzte Fläche. Es ist das Fundament einer der Holzbaracken, die die Amerikaner 1945 abrissen. Auf der asphaltierten Fläche befinden sich Bänke und eine Tischtennisplatte. Alljährlich findet hier das sogenannte Siedlungsfest statt.
Der ehemalige Ludwigsfelder Bewohner Ewgenij Repnikov erwirkte 2007, dass die Sanitärbaracke sowie 2009 die Fundamente einer Steinbrücke, die über das durch Ludwigsfeld fließende Schwabenbächl führte und über die die KZ-Häftlinge zu ihrer Arbeit in das BMW-Werk gingen, unter Denkmalschutz gestellt wurden. Neben der russisch-orthodoxen Kapelle – in Ludwigsfeld gibt es aufgrund der heterogenen Bewohnerschaft fünf Gotteshäuser – befinden sich die Fundamente eines ehemaligen Wachgebäudes der SS, in unmittelbarer Nähe zu den ebenfalls erhaltenen Streifenfundamenten der ehemaligen Entlausungsbaracke. Ein weiteres kleineres Bauwerk, das aus der Zeit des Lagerbetriebs übriggeblieben ist, ist eine Transformatorenstation. Während der Zeit des KZ-Lagers lieferte sie Strom für den Elektrozaun, heute dient sie der allgemeinen Stromversorgung.
Die Beispiele zeigen, wie die Bewohner:innen des Ortes einen sehr pragmatischen Umgang mit der Topographie des Ortes pflegen. Die Nutzung des Fundaments einer Baracke, in der Menschen unter erbärmlichen Umständen wohnen mussten, zum Rollschuhfahren empörte viele Menschen. Andererseits: wie soll man an so einem Ort des Verbrechens leben? Da die heutigen Bewohner:innen größtenteils selbst noch Nachkommen der Menschen sind, die im Zweiten Weltkrieg verfolgt und verschleppt worden waren, kann man den pragmatischen Umgang mit der Topographie auch als Selbstermächtigung über diesen Ort sehen.
Ein anderer Teil der Bewohnerschaft wusste wiederum lange Zeit nichts über die Geschichte des Ortes. Seitens der Bewohner:innen kann man hier mit Harald Welzer von einer „reflexiven Erinnerungskultur“ sprechen: „Erinnerung schreibt sich immer nach Erfordernissen der Gegenwart um, und das Gedenken folgt diesen Umschriften in gemessenem Abstand.“ Die Gründung von IGLU 1993 und ihre Initiative eine Gedenkplakette anzubringen, fällt folgerichtig in die Zeit des deutschlandweiten erinnerungskulturellen Umbruchs, in der die Erinnerung an die Schoa stärker in den Vordergrund rückte.
Mit den Erweiterungsplänen der Siedlung Ludwigsfeld kann man neuerdings auf der Seite des Münchner Rathauses lesen: „Ein sorgfältiger Umgang mit den vorhandenen Spuren sowie die Schaffung eines Gedenkorts werden bei den weiteren Planungen berücksichtigt.“ In den veröffentlichten Unterlagen des Siegers des Architekturwettbewerbes sieht das Strukturkonzept auch „Räume für Kultur/Gedenken/Vereine“ vor. An wen oder was an diesem Gedenkort gedacht werden wird, und wie weit die Geschichte des Ortes und die Schicksale ihrer Menschen weitererzählt wird, wird sich in der Realisierung zeigen.
Zitierweise: Piritta Kleiner, Orte des Ankommens (IV): Das ehemalige KZ-Außenlagergelände in Allach – ein vergessener Ort der (Nach)kriegsgeschichte, in: Deutschland Archiv, 19.07.2024, Link: www.bpb.de/550519. Der Beitrag ist Teil einer Serie "Orte des Ankommens", erstellt in Kooperation des Fachgebietes Städtebauliche Denkmalpflege und Urbanes Kulturerbe der Technischen Universität Berlin, dem Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung Erkner und der Stiftung Berliner Mauer 2023/24, herausgegeben von Stephanie Herold und Małgorzata Popiołek-Roßkamp. Anlass war eine Tagung zum 70. Jahrestag der Gründung des Externer Link: Berliner Notaufnahmelagers Marienfelde am 14. April 1953. Alle Beiträge im Deutschland Archiv sind Recherchen und Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar und dienen als Mosaikstein zur Erschließung von Zeitgeschichte. (hk)
Piritta Kleiner arbeitet seit 2020 am Museum Friedland und kuratiert dort aktuell die neue Dauerausstellung, die 2025 eröffnen wird. Davor arbeitete sie als freie Kuratorin und wissenschaftliche Autorin unter anderem für die KZ-Gedenkstätte in Dachau. Von 2010 bis 2017 realisierte sie den Erinnerungsort Olympia-Attentat München 1972 sowie Ausstellungen über jüdische Displaced Persons und russischsprachige Juden am Jüdischen Museum in München. Ihr Studium der Volkskunde/Europäischen Ethnologie, Theaterwissenschaften und Neueren Deutschen Literatur absolvierte sie in Leipzig, München und Linköping (Schweden).