"Ungehindert abreagieren"
Hooliganismus in der späten DDR im Spannungsfeld von Anstandsnormen, Sozialdisziplinierung und gesellschaftlichen Randlagen
Christoph Lorke
/ 23 Minuten zu lesen
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Ausschreitungen randalierender Fans waren seit den 1980er-Jahren in einem wachsenden Maße auch bei Sportveranstaltungen in der DDR zu beobachten. Eine Annäherung an den Hooliganismus in der DDR, die sowohl die Perspektive der Staatsmacht als auch die soziale Bedeutung dieses gesellschaftlichen Phämonens zu berücksichtigen versucht.
Einleitung
Seit dem Ende der 1970er-Jahre ließ sich europaweit ein Phänomen feststellen: Bei Sportveranstaltungen, besonders im Fußball, mehrten sich Ausschreitungen randalierender "Fans". Ausgehend vom Westen des Kontinents, wie zunächst England und später der alten Bundesrepublik, schwappten gewaltsame Verhaltensweisen von Fußballfans bald zunehmend in die sozialistischen Staaten über, die auch hier zu illegitimen, teils staatsfeindlichen Gewaltritualen führten. Auch wenn es bereits früher Krawalle bei Fußballspielen in der DDR gegeben hatte, so ist eine Häufung ab Mitte der 1980er-Jahre virulent, wurden vermehrt Vorgänge des "feindlich-negativen Fußballanhangs" registriert. Kunde hiervon geben Quellen verschiedener Provenienz, unter anderem die in jener Zeit deutlich intensivierte Beschäftigung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) mit diesen Fangruppen.
So befasste man sich im Zeitraum 1981–1988 mit dem "rowdyhaften Fußballanhang" des staatsnahen BFC Dynamo (Berlin); zur gleichen Zeit kam es zur Bildung einer Arbeitsgruppe der Abteilung XX/2 der Bezirksverwaltung Berlin des MfS zur Überwachung des Fan-Geschehens beim Stadtrivalen 1. FC Union Berlin. Die insbesondere in den Jahren 1982–1989 entstanden Diplom- und sonstigen wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten zum Thema verweisen auf einen offenbar als bedeutsam empfundenen Handlungsbedarf. In den Augen der Staatsmacht handelte sich bei dieser Randgruppe innerhalb der Fußballanhängerschaft um eine Subkultur mit einem inhärenten gefährlichen politischen Potential.
Was heute als skurril-unwesentliche Fußnote der DDR-Geschichte erscheinen mag, ist jedoch nicht zuletzt als ein kaum zu unterschätzender zeitgenössischer Reflex deutsch-deutscher und europäischer Entwicklungen zu verstehen. Denn weit weniger als von der Staats- und Parteiführung gewünscht gelang es, die Menschen in der "geschlossenen" DDR-Gesellschaft von Einflüssen westlicher Jugendkultur abzuschirmen. Ziel der dokumentierenden Behörden war es stets, "abweichendes Verhalten" von Jugendlichen zu erfassen und diese zu einer "allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeit" umzuformen, notfalls durch Kriminalisierung gar gänzlich auszugrenzen.
Im Folgenden soll auf der Grundlage generalstaatsanwaltschaftlicher Unterlagen aus dem Bundesarchiv ein Schlaglicht auf die Funktionalität des Hooliganismus in der späten DDR insbesondere aus der Perspektive der Staatsmacht geworfen werden. Das so gewonnene Bild versteht sich als komplementäre Ergänzung nicht nur zu den rezenten Bemühungen der (Sport-)Historiografie zur Erhellung der Thematik, sondern auch zu den vorliegenden Selbstaussagen Beteiligter und vermittelt dadurch weiterführende Einblicke in Perzeption, Argumentations- und Handlungspraktiken übergeordneter staatlicher Stellen in ihrer Konfrontation mit gesellschaftlichen Randerscheinungen.
Einen instruktiven übergreifenden Ansatz zur Interpretation von Hooliganismus liefert der Ethnologe Roland Girtler. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei Fußballanhängern ganz unabhängig vom Kulturkreis schlichtweg um Manifestationen einer "Unanständigkeit" handele, die "in einem massiven Gegensatz zu den allgemein akzeptierten Regeln einer Gesellschaft" stünden. Demnach waren gewalttätige Fußballanhänger auch in der späten DDR – so die These der folgenden Ausführungen – ein weiterer antithetischer Gegenpart zu der eingeforderten "angemessenen" Lebensführung im Sinne des "Sozialismus", der sich in Erscheinungen wie bloßer Gewalttätigkeit, dem Skandieren antisemitisch-neonazistischer Parolen und sonstiger Provokation äußern konnte. Mit Thomas Lindenberger kann für die sozialhistorische Bedeutung einer solchen gesellschaftlichen Randlage ähnlich wie bei "Asozialen" für "die Legitimationspraxis der SED-Herrschaft" eine "unverzichtbare symbolische Bedeutung" angenommen werden. Als Negativfolie fungierten auch Hooligans als Kontrast zur übrigen sozialistischen Gesellschaft, an ihr orientierten sich Fingerzeig- und Reparaturversuche des Systems, an ihr definierten sich Verhalten und Lebensweise des gemeinen Arbeiters und Angestellten im "real existierenden Sozialismus".
Aporien der Postmoderne – oder: Hooliganismus in der späten DDR
Ab Mitte der 1980er-Jahre wurden zunehmend Ausschreitungen in und um Fußballveranstaltungen in der DDR-Oberliga registriert. Am 30. Oktober 1985 wurde daher eine Tagung einberufen, die sich explizit mit den Fangruppierungen und den damit verbundenen Problemen beschäftigte. Zugegen waren höhere Mitarbeiter bzw. Funktionäre der Volkspolizei (VP), der Staatsanwaltschaft sowie von Freier Deutscher Jugend (FDJ) und Freiem Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB). Besonders auffällig und quasi "Spitzenreiter" bei Randalen waren in der laufenden Saison 1985/86 Anhänger des 1. FC Union Berlin. Aber auch Fans des 1. FC Magdeburg, der BSG Chemie Leipzig, des BFC Dynamo und des 1. FC Lokomotive Leipzig waren bei Gastauftritten ihrer Mannschaften besonders oft an Ausschreitungen und Verwüstungen beteiligt.
Demgegenüber fielen die Anhänger der Vereine ASK Vorwärts Frankfurt (Oder), Stahl Riesa oder des 1. FC Karl-Marx-Stadt durch verhältnismäßig wenig "zugeführte Personen" auf.
"Natürlich", so VP-Generalmajor Friedhelm Rausch in seinem Referat auf besagter Tagung, seien die Vorkommnisse in und um Stadien der DDR "keinesfalls zu vergleichen […] mit der grausamen Eskalation von Gewalt und Brutalität im öffentlichen Leben und besonders im Zusammenhang mit dem Fußball kapitalistischer Länder." In diesem üblichen Hinweis auf die omnipräsente Referenzgesellschaft Bundesrepublik und die – quantitativ wie qualitativ – angeblich ungleich schlimmeren Ausschreitungen dort widerspiegelt sich eine typische Argumentationsstrategie der Negierung sozial-negativer Tatbestände in der DDR. Der Generalmajor musste dennoch im Duktus gewisser Rat-, wenn nicht sogar Fassungslosigkeit eingestehen, dass sich im Fußballbetrieb der DDR-Oberliga die Störungen in den Stadien trotz jener "Wesensfremdheit" vermehrt hatten. Waren in der Saison 1983/84 noch 30 Prozent der Spiele von "Störungen" betroffen gewesen, so waren es 1985/86 bereits 43 Prozent, wobei die Zahl solcher Vorfälle vor bzw. nach den Spielen mit 46,8 Prozent im Vergleich zur Vorsaison etwa gleich hoch war. Demgegenüber seien durch die einzelnen Clubs kaum Stadionverbote ausgesprochen worden und auch die Volkspolizei habe nur wenig Personen zu "gemeinnützige[r] Arbeit" herangezogen. Ein weiteres Problem stellten Ordner der Vereine dar: So musste nach der Saison 1984/85 etwa ein Drittel der Ordnungskräfte Dynamo Dresdens von ihrer Funktion entbunden werden, "weil sie nicht entsprechend den Erfordernissen ausgewählt wurden […], negativ gegenüber unserem Staat eingestellt oder vorbestraft waren."
Auch in der Folgesaison begleiteten regelmäßig "Störungen" die Spiele der DDR-Oberliga. In der Spielzeit 1986/87 wurden insgesamt 960 "Störungen der öffentlichen Ordnung" registriert, davon 407 in den Stadien selbst, 282 in den Stadtgebieten der jeweiligen Spielorte und 250 auf dem Gelände der Deutschen Reichsbahn. Konstatiert wurde zudem eine Zunahme der Schwere und Intensität der "Störungen" im Vergleich zu früheren Spielzeiten. Alles in allem wurden 985 Personen festgenommen. In ähnlicher Weise wie in der Bundesrepublik konzentrierten sich auch in der DDR aggressive Handlungen auf die An- und Abreise. Sachbeschädigungen wie das Zerschlagen von Scheiben, das Zerstören von Lampen, das Zerschlitzen der Sitzbänke in S-Bahnen oder D-Zügen, das Abreißen und Benutzen der Feuerlöscher standen neben Trunkenheit und öffentlichem Urinieren auf der Tagesordnung. Nicht selten wurden unbeteiligte Passanten Opfer von Misshandlungen. Für eine Reihe mitreisender Anhänger galt anscheinend der Ausspruch: "Auswärtsspiel. Das Höchste im Leben eines Fußballfans." Diese ritualisierte Gewalt in der "dritten Halbzeit" (Klaus Farin), verbunden mit der krawallartigen Anreise und dem Aufbruch in den Heimatort, waren keineswegs nur bei Fußballspielen der DDR-Oberliga anzutreffen. Bei Begegnungen in sozialistischen "Bruderländern" waren mitunter gar deutlich heftigere Ausschreitungen seitens mitgereister Anhänger keine Seltenheit.
Ohne das Phänomen des Hooliganismus in der späten DDR in seiner gesamtgesellschaftlichen Bedeutung überstrapazieren zu wollen, scheinen die vermehrten Ausschreitungen doch auch den gemeinen Fußball-Zuschauer nicht völlig unberührt gelassen zu haben. Ein Indikator hierfür ist der Rückgang der Zuschauerzahlen im Verlauf der 1980er-Jahre: Lag der Zuschauerschnitt in der Saison 1983/84 noch bei 12.071 Zuschauern, sank er auf 9.103 (1986/87), um in der letzten vollständigen Saison 1988/89 wieder geringfügig auf 10.208 Zuschauer pro Spiel anzusteigen.
Blickt man auf die Beschreibung von "Vorfällen" bei Auswärtspartien des 1. FC Union Berlin, wird die Ohnmacht übergeordneter Stellen gegenüber solchen Verhaltensweisen besonders deutlich. So wurde seitens der Generalstaatsanwaltschaft der DDR vermerkt: "Alle abgerissenen Gegenstände werden in der Regel während der Fahrt aus dem Zug geworfen, woraus sich weitere Gefahren ergeben. In zwei Fällen wurde in einem D-Zug während der Fahrt vorsätzlich die Notbremse gezogen. Die Handlungen erfolgen überwiegend unter erheblicher alkoholischer Beeinflussung." Als zentrales Motiv der Täter wurde neben der Wut über ein verlorenes Spiel, schlichtem Austoben und Abreagieren vorrangig die "Freude am Angstauslösen bei Angehörigen der Volkspolizei, Reisenden oder Eisenbahnern" hervorgehoben. Da gleichermaßen Reisende und Repräsentanten des Staates wie die Transportpolizei zur Zielscheibe der Angriffe wurden, scheint es prima vista plausibler, von nicht zielgerichteter Gewalt anstelle oppositioneller Manifestation zu sprechen. Andererseits finden sich ebenfalls Verhaltensweisen, die als quasi-oppositionelle Handlungen gedeutet werden können: In der bereits erwähnten Saison 1986/87 gingen beim letzten Oberliga-Fußballspiel, dem Ost-Berliner Stadtderby zwischen dem BFC Dynamo und dem 1. FC Union, einem Bericht folgend "die Ausfälle soweit, daß Volkspolizisten angespuckt wurden, mit drohenden Fäusten vor einem Polizeirevier von ca. 20 bis 30 Männern uriniert wurde und offen in Sprechchören aufgefordert wurde, daß es auch einmal anders kommt und die 'Bullen' dann gejagt werden."
Dass Vorkommnisse wie diese selbst in der geschlossenen staatssozialistischen Öffentlichkeit bisweilen hohe Wellen schlugen, bezeugen nicht nur eine Reihe von Zeitungsartikeln und Leserbriefen, sondern etwa auch das Grundsatzdokument der FDJ und des Deutschen Fußballverbandes der DDR (DFV) zur gemeinsamen Arbeit mit Fußball-Fans. In diesem als "FDJ-Aufgebot DDR 40" bezeichneten Schreiben wurde der herausragende Stellenwert der Sportart Fußball für die DDR betont. Diese befriedige neben sportlichen vor allem "allgemeine Interessen des kulturellen Lebens und der Freizeitsphäre". Daher müsse man auf "das Drittel aller Jugendlichen der DDR" besondere Aufmerksamkeit legen, das "sich als Fußballfans bezeichne[t] und den Fußball als ihre Freizeitbeschäftigung Nr. 1"ansieht. Gemeinsam mit allen beteiligten Institutionen und Verantwortlichen sollten indes alle Bemühungen darauf gerichtet werden, dass "asoziales Verhalten, Rowdytum und Alkoholmißbrauch nicht zum 'Erscheinungsbild' der Fans gehören." Vielmehr müsse man auf verschiedenen Wegen für "hohe Ordnung, Sicherheit und Disziplin" eintreten. Wie diese Bemühungen auszusehen hätten, davon zeugen etwa die phrasenhaft-bürokratischen Vorschläge in jenem Grundsatzprogramm: Nicht nur die "erzieherische Arbeit in den Klubs" sollte verbessert und die Vorbildwirkung der Spieler, Trainer und Funktionäre erhöht werden; zuvörderst seien jegliche Störer namentlich zu erfassen und zu melden. Die verantwortliche Bezirksstelle des Jugendreisebüros "Jugendtourist" sollte für die Sicherheit während der An- und Abreise verantwortlich sein. Die bis ins Jahr 1988 besonders in den Fokus zuständiger Stellen geratenen Union-Anhänger verpflichteten sich in einem "Statut des Fanclubs des 1. FC Union Berlin" nicht nur zur "Einhaltung der Stadionordnung", sondern auch zur "kritische[n] Auseinandersetzung mit Fehlverhalten", wobei "uneinsichtige Störer" aus dem jeweiligen Fanclub ausgeschlossen werden sollten. Als Anreiz wurde die Auszeichnung als "vorbildlicher Fanclub des 1. FC Union Berlin" ins Leben gerufen, um die sich jeder Fanclub bewerben konnte. Als Preise waren sozialintegrative Maßnahmen wie kostenlose Fahrten, ein gemeinsames Foto mit der Oberliga-Elf, die Vermittlung einer Jugendtourist-Reise, die Vorstellung des Fanclubs in der Presse oder die Verleihung einer Ehrenfahne an die Anhängerschaft vorgesehen.
Wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen auch verwiesen diese Kontroll- und Disziplinierungsversuche auf das übergeordnete Ziel sozialistischer Erziehung: Die Formierung der "allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeit", der Versuch, insbesondere die "Unerreichbaren der sozialistischen Gesellschaft" wenn schon nicht ideologisch beeinflussen zu können, dann wenigstens deren "überschüssige Energie" mit größtmöglichem Einsatz zu kanalisieren. Hinzu gesellte sich eine offenkundige "Aversion vor dem Mob", die in vielerlei Hinsicht in der "Fortsetzung des älteren, kleinbürgerlichen Wertekanons" und deren Vorstellungen von Arbeitsdisziplin und einer Disziplinierung des Körpers und der Affekte geprägt war. Der "neue Mensch" im Sozialismus kasteite sich zum Wohle des Kollektivs; im Kontrast dazu mussten Hooligans der späten DDR durch ihr wild-"unanständiges", teilweise als "unzivilisiert-andersartig" wahrgenommenes Treiben nicht nur abstoßend und gefährlich zugleich wirken, sondern sie verkörperten funktional einen Gegenpol zum "guten", da demütigen, disziplinierten und rechtschaffenen Industriearbeiter im "entwickelten Sozialismus".
Am Rande der Gesellschaft: Zur Sozialstruktur der Täter
Im Untersuchungszeitraum war bei einigen Spielen eine zweistellige Zahl von "Zuführungen" durch die Volkspolizei an der Tagesordnung. Zu einem größeren Teil endeten diese mit Verwarnungen und Ordnungsgeldern. Nur eine Minderheit wurde strafrechtlich tatsächlich zur Verantwortung gezogen, insbesondere wenn Handlungen wie Körperverletzungen oder ein Wiederholungsfall nachgewiesen werden konnten. Die meisten Strafen wurden für das Delikt Körperverletzung verhängt; zudem finden sich Taten, bei denen "Rowdytum" (§ 215 StGB der DDR), Widerstand gegen staatliche Maßnahmen", "Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit" und "Öffentliche Herabwürdigung" geahndet wurden. Rund ein Fünftel der Angeklagten war nach § 215 wenigstens einmal vorbestraft, es handelte sich also um Wiederholungstäter nach einem zumeist gleichen Tatbestand. Der umfassende Einsatz und "entschiedene Kampf" gegen jenes sogenannte "Rowdytum" wurde von den zuständigen Behörden als "eine notwendige Aufgabe der sozialistischen Lebensweise" verstanden.
Die straffällig gewordenen jungen Erwachsenen mussten nach Verbüßung ihrer Haft teils harte Auflagen erfüllen, so durften sie die Spiele ihres Vereins nicht besuchen oder mussten gar für einige Jahre in anderen Städten der DDR leben. Gleichwohl wurden Jugendliche wegen vergleichsweiser Bagatelldelikte zu langen Haftstrafen verurteilt, wobei möglicherweise die Stellung der Eltern eine nicht unbedeutende Rolle für einen letzten Ausschlag beim Strafmaß gespielt haben mag. § 215 war laut Giselher Spitzer ein Druckmittel gegenüber jugendlichen Straftätern, die sich "häufig ohnehin am Rande der Gesellschaft befanden oder beruflich auf einer Stufe standen, auf der Drohungen mit sozialem Abstieg gar nicht verfingen." In den ausgewerteten Akten finden sich Geldstraften von 1.000 Mark (für Beschädigungen im Zug), Haftstrafen über zwei Monate (für das Betreten des Spielfeldes), vier Monate (für den tätlichen Angriff auf einen Ordner), sechs Monate (für die Beleidigung eines Ordners), acht Monate (für die Beleidigung eines Volkspolizisten) sowie – die höchste im Quellbestand dokumentierte Strafe – zweieinhalb Jahren Haft zuzüglich Geldstrafe für tätliche Angriffe und Spielfelderstürmung bei einem Spiel des Halleschen FC Chemie im tschechoslowakischen Ostrau.
Staatlicherseits wurden die Täter nach bestimmten Kriterien charakterisiert, die in vielen Bereichen implizit auf teils krasse soziale Problemlagen innerhalb der DDR hindeuten, in den meisten Fällen eine Gemengelage aus mangelhafter Schulbildung, ungünstigen sozioökonomischen Verhältnissen, kaum ausgeprägten Fähigkeiten zur Selbstkontrolle, Vernachlässigung durch die Eltern in zumal un- und angelernten Arbeiterhaushalten, "ungünstiger Freizeitgestaltung" und anderem mehr. So stellte die Generalstaatsanwaltschaft in einem Schreiben über
Fußball-Anhänger des 1. FC Union Berlin fest, dass von 21 Fans, gegen die vom Transportpolizei-Amt Berlin Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden, 98 Prozent bereits "mangelhafte schulische Leistungen" vorwiesen. Und weiter heißt es: "Ihre Entlassung aus der Schule erfolgte aus der 8. Klasse." Unverhohlen wurde dadurch ein kausaler Zusammenhang zwischen ungünstigen Bedingungen im Elternhaus und späterer Straffälligkeit konstruiert, was gleichwohl die ratlose Verkennung der zuständigen Behörden offenbart. Im Ergebnis machten die Betroffenen also später genau das, was die Gesellschaft von ihnen erwartete – sie wurden straffällig. Schon allein die Auswahl von Kriterien zur Bestimmung jener Lebenslagen verweist somit einerseits auf eine Argumentation im Sinne einer self-fulfilling prophecy. Die hier beobachtbaren Zuschreibungen und ihre Folgen lassen sich mit dem labeling approach (Etikettierungsansatz) fassen. In diesem soziologisch-theoretischen Ansatz wird Devianz als Resultat von Zuschreibungen verstanden, durch die bestimmte Verhaltensweisen als abweichend und normwidrig angesehen werden, auch wenn diese realiter gar nicht zutreffen mussten. Andererseits bestätigen diese Befunde aber auch die Annahmen des englischen Soziologen Eric Dunning, der unter anderem die hohe Arbeitslosigkeit und das Abgleiten in eine "neue Armut" bestimmter sozialer Schichten mit verantwortlich für das verstärkte Aufkommen randalierender Fans in Großbritannien machte. Auch wenn man in der DDR nicht ohne Weiteres von "Armut" sprechen kann, so verweisen die geschilderten, teils prekären sozialen Verhältnisse doch auf einen großen Anteil "abgehängter" Bevölkerungsteile unter den Hooligans, bei denen weniger die sozialistischen Moralvorstellungen als vielmehr andere (Männlichkeits-)Normen galten und ausgelebte Aggressionen in Nischenbereichen der Gesellschaft zu – im Alltag sonst verwehrten – Ansehen und Prestige führen konnten.
Ähnliche Zuschreibungen lassen sich auch für die Elternhäuser konstatieren: Diese hätten zum großen Teil "ernsthafte Erziehungsschwierigkeiten." Bei etwa 80 Prozent aller Täter wurden die Eltern geschieden, als sich die Kinder im schulpflichtigen Alter befunden hätten. Ferner hätten sie bereits im Jugendalter zu "Aufsässigkeit und Herumtreiberei" geneigt. Mitglied in der paramilitärischen Gesellschaft für Sport und Technik (GST) seien viele "nur deshalb, weil man dort eine Fahrerlaubnis machen kann." Tageszeitungen würden kaum gelesen, vielmehr sei "das regelmäßige Sehen von Westfernsehen […] 'Mode'." Auf die Sportart bezogen seien "Fußballregeln […] kaum bekannt", stattdessen besuche die Mehrzahl der Täter die Fußballspiele des 1. FC Union allein deshalb, so die Staatsanwaltschaft mehrdeutig, "weil man sich dort ungehindert abreagieren kann." All diese Ausführungen muten wie der Versuch an, das gesellschaftlich benötigte Bild des unerwünschten Fußballfans zu konstruieren. Das so geschaffene Porträt eines sozial-deformierten, ungebildeten, kriminellen, nicht selten als "asozial" titulierten und damit anti-sozialistischen jungen Menschen musste dann mittels entsprechender Maßnahmen und Erziehungsarbeit wieder korrigiert werden.
Statistisch ergab die Auswertung weitere interessante Befunde. Auf Grundlage der Anklageschriften der Bezirksstaatsanwaltschaften für die gesamte DDR ergibt sich nach eigenen Berechnungen eine Zahl von 75 verurteilen männlichen Personen für den Zeitraum 1986–1989. Das deutliche Schwergewicht der Taten lag auf den Jahren 1988 (45,3 Prozent) und 1989 (34,7 Prozent bis August 1989). Das Durchschnittsalter der Täter betrug zum Zeitpunkt der Tat 21,5 Jahre. Der älteste war 33, der jüngste Täter 17 Jahre, gut 80 Prozent waren zwischen 17 und 27 Jahren alt. In ausnahmslos allen Fällen waren die Täter ledige junge Männer ohne Kinder. Beruflich waren die meisten als Arbeiter in größeren Volkseigenen Betrieben angestellt (Elektromonteur, Heizer, Schlosser, Stellwerker, Maurer, Lackierer usw.); in einem Fall handelte es sich um einen Unteroffizier-Schüler der NVA in Zivil.
Auch über Wechselwirkungen deutsch-deutscher "Abgrenzung und Verflechtung" (Christoph Kleßmann) liefert der zitierte Bericht erhellende Aufschlüsse: Im Fan-Lager der Unioner sei "die westliche Dekadenz […] vorherrschend, was sich auch in den Sprechtexten der Anhänger des 1. FC Union" widerspiegele. Behörden erfassten unterschiedliche Sprüche, die sich allesamt gegen Polizei und Staat richteten: "30 m im Quadrat, Minenfeld und Stacheldraht. Ihr wißt doch wo ich wohne – ich wohne in der Zone.", "Der Tag wird einmal kommen, da sperren wir die Bullen ein, dann wird Großdeutschland wieder eine freie Heimat sein.", "Was ist Deutschlands größte Schande, das ist die Terletzki-Bande.", oder: "Es gibt nur zwei Mannschaften an der Spree, Union und Hertha BSC." Gerade die offen bekundete Sympathie mit dem Westverein Hertha BSC Berlin musste den zuständigen Behörden ein Dorn im Auge sein. Es war für DDR-Bürger nicht ungewöhnlich, Anhänger eines "Zweitvereins" aus der Bundesliga zu sein; gerade Fans von Union hatten aufgrund der geografischen Nähe immer auch eine gewisse Affinität zu Hertha. In der Folge führte eine solche offen zur Schau getragene "double identity" häufig dazu, dass man mit einem Hertha-Aufnäher bereits verdächtig war, was für erhebliches Provokationspotential bei Polizei und Staatssicherheit und für deren Argwohn sorgte.
Dass sich die geschilderten Zuschreibungspraktiken keineswegs nur hinter verschlossenen Türen und unter Aktendeckeln manifestierten, zeigt ein Beispiel in der auflagenstärksten DDR-Wochenzeitung, der "Wochenpost", vom Januar 1988: Auf dem Höhepunkt gewalttätiger Ausschreitungen erschien in der Serie "Im Gerichtssaal notiert" das prototypische Täterporträt eines brutalen Fußballfans: Der 20-jährige "Michael", der "nur" den Abschluss der siebten Klasse vorweisen könne und anschließend eine Teillehre als Gleisbauer bei der Reichsbahn begonnen habe, sei mit "schwarzer Lederjacke" vor dem Staatsanwalt erschienen. Mit weiteren "Belegen" wie Alkoholkonsum, "Zeitvergeudung in der Freizeit" und "ein paarmal unentschuldigte[m] Fehlen" am Arbeitsplatz versuchte der Artikel daneben deutlich zu machen, dass der derart Charakterisierte neben seinen Gewalttätigkeiten bei Fußballspielen auch in anderen Bereichen seines Lebens Schwierigkeiten habe. Summa summarum repräsentieren solche Sichtweisen nicht nur den Versuch, bestimmte Moralvorstellungen über ein populäres Medium in die Haushalte zu tragen, um auf diese Weise Zustimmung zu mobilisieren und zur Harmonisierung und dem inneren Zusammenhalt der Gesellschaftsstruktur beizutragen; sie stehen ferner nachdrücklich für die Unfähigkeit, Ursachen für gesellschaftliche Prozesse in der sozialen Wirklichkeit der DDR selbst zu suchen.
"Mannbarkeitsrituale"? Neo-Nazismus und Antisemitismus im Stadion
Konnten Ausschreitungen körperlicher Art noch mit jugendlicher "Verirrung" erklärt werden, so fiel dies bei verbalen Entgleisungen ungleich schwerer, zumal bei neo-nazistischen und antisemitischen Sprachhandlungen. Zum einen sind bei DDR-Fußballspiele der 80er-Jahre regelmäßig staatsfeindliche Äußerungen festzustellen, wobei "Stasi raus!"-Rufe erst ab der Saison 1987/88 nachzuweisen sind und damit auf eine frappierende Analogie zu dem Orwellschen double-speak deuten, also den verschiedenen sprachlichen Repräsentationen nach innen und außen. Zum anderen scheint der latente und offene (Neo-)Faschismus wie Antisemitismus eine Konstante in der "Fan"-Welt des Fußballs zu sein. Rechtsradikale Parolen bei Fußballveranstaltungen nahmen in der DDR seit Beginn der 80er-Jahre erkennbar zu und standen damit in enger Verbindung mit gesellschaftsweit zu beobachtenden Vorkommnissen.
Einige wenige Beispiele von Äußerungen mit eindeutig rechtsradikaler Konnotation allein aus den Jahren 1987–1989 dokumentieren die Bandbreite dieses "rituellen Lärms", die Roland Girtler als typisch mit der Fußballanhängerschaft in Verbindung stehende Männlichkeits- bzw. "Mannbarkeitsrituale" bezeichnete. Für derartige Handlungen in der DDR tritt freilich noch ein profundes Provokationspotential hinzu: Bei einem Spiel in Halle am 17. Oktober 1987 – am selben Tag wurde die Berliner Zionskirche von Skinheads gestürmt und zahlreiche Besucher eines dortigen Punkkonzerts zum Teil schwer verletzt – wurden Ordner als "SS-Schweine" beschimpft, mehrere Anhänger zeigten den "Hitler-Gruß" und riefen "Heil Hitler". Nach den Spielen Carl Zeiss Jena gegen Lok Leipzig sowie
Rot-Weiß Erfurt gegen den FC Magdeburg am 3. Dezember 1988 kam es in Großkorbetha bei Halle zu einem Zusammentreffen Leipziger und Magdeburger Radikaler, die den gleichen Zug nutzen mussten. Eine Aufteilung beider Lager durch die begleitende Polizei misslang und in der Folge beschimpften beide Fangruppen die Sicherungskräfte in Halle als "Judenschweine". Am 24. Februar 1989 traten rund 100 BFC-Anhänger, "in klassischer Montur mit Bomberjacke und Schnürstiefeln", am Hallenser Hauptbahnhof mit "Hitler-Gruß" und "Wir sind Deutsche"-Rufen in Erscheinung. Vor dem Spiel Dynamo Dresden gegen den HFC Chemie am 12. August 1989 stellten die Sicherheitskräfte über längere Zeit antisemitische Gesänge fest wie: "Judensäue im Sachsenland, heut' werdet ihr abgebrannt."
Auch Gesänge wie: "Gib Gas, wenn der BFC durch die Gaskammer jagt" oder "Zyklon B für BFC", in denen sich die Ablehnung des "Mielke-Klubs" mit antisemitisch-neofaschistischen Rufen mischten, oder auch "Deutschland den Deutschen", waren bei Fußballspielen mitnichten Raritäten. Gerade die durch die Staatsnähe hervorgerufene breite Ablehnung des BFC, die sich unter anderem darin zeigte, dass man "Schiebereien" zugunsten des Lieblingsvereins von Stasi-Minister Erich Mielke zu beobachten können glaubte und der BFC Dynamo daher mit einiger Berechtigung als der am wenigsten beliebte Fußballklub der DDR gelten kann, verweisen auf die besondere Brisanz solcher öffentlicher Äußerungen. Das Resultat dieser Koinzidenz aus gesellschaftlichen Tabus wie Gewalt, alkoholisierten Jugendlichen, tatsächlich oder vermeintlich problematischen Soziallagen und – zumindest unterschwelligen – rechtsradikalen Implikationen war im Übrigen nicht nur auf den Fußballsport beschränkt. Dies belegt ein Vorfall am 19. Januar 1988 in Weißwasser: Bei einem Eishockeyspiel der SG Dynamo Weißwasser fielen Sprüche wie: "Ihr Judenschweine, schert Euch heim nach Berlin", sowie mehrmals das Wort "Jude". Täter wurden nur selten identifiziert bzw. strafrechtlich verfolgt. Auf die praktischen Schwierigkeiten einer solchen Fahndung verweisen die Erhebungen von Jutta Braun und Hans Joachim Teichler, zumal solche Gesänge nicht nur von einigen wenigen vorgetragen wurden, sondern gelegentlich von mehreren Tausend Anhängern.
Gerade das anonyme Schreien aus einer Masse heraus traf und verletzte die Staatsmacht an einer besonders verwundbaren Stelle, da Sprechchöre wie diese dem Selbstverständnis des "antifaschistischen" Staates diametral entgegenstanden. Wie ein solches Verhalten der Fans zu werten ist, bleibt indessen fraglich. Vermutlich findet sich der Tabubruch als reine Provokation neben tatsächlich vorhandenem neo-nazistischen Tendenzen und Antisemitismus, vielfach wird wohl (auch) ein Kokettieren mit rechtem Pathos aus politisch-ideologischen Gründen ausschlaggebend gewesen sein. Die Interpretationsangebote sind ebenso mannigfaltig wie in der Fan- und Fachwelt umstritten: Beteiligte sahen in diesem subkulturellen Phänomen ernsthafte Rechtsradikalität und tatsächlich vorhandene ideologische Manifestation bei Einzelnen, häufig verbunden mit einer jeweils latenten bis offenen Fremden- und Ausländerfeindlichkeit. Walter Süß dagegen vermutet in den Fan-Milieus der DDR gar eine "Vorreiterrolle" für den späteren organisierten Rechtsextremismus, da es außerhalb der Fanclubs kaum Strukturen gab, welche Treffen mit Gleichgesinnten ermöglicht hätten. Das Umfeld von Fußballspielen der DDR-Oberliga indes bot hierfür eine geeignete Plattform. Oder verbargen sich hinter solchen Handlungen in Verbindung mit passenden Skinhead-Outfits lediglich "Provokationen", um durch aufrührerisch-rebellisches Gebaren schlichtweg "aufzufallen", ähnlich alternativen Verhaltensweisen wie in der Punk-Bewegung? Handelt es sich bei derartigen Erscheinungen gar um anthropologische Konstanten, die – zunächst völlig unabhängig von dem gesellschaftlichen System – beinahe schon zwangsläufig in modernen Industriegesellschaften auftauchen müssen?
Eine überzeugende Deutung solchen Verhaltens bietet wiederum Girtler: Im Stadion bestehe die Chance für den jungen Menschen, zu einer "positiven Identität" zu gelangen und insbesondere durch Siege der eigenen Mannschaft ein stolzes Selbstverständnis entwickeln zu können – besonders dann, wenn die soziale Situation unbefriedigend sei. Vermittels "Mannbarkeitsritualen", im Sinne des französischen Kulturanthropologen Arnold van Gennep auch als Übergangsriten ("rites des passages") auszulegen, gelangte der Einzelne durch Spott- und Hassgesänge sowie mit außerhalb des Sagbarkeitsregimes (Michel Foucault) der DDR liegenden, politisch regelwidrigen und die Selbstlegitimation des Staates konterkarierenden Aussagen gegenüber gegnerischen Fans, der Polizei, oder auch Staatsführung allgemein zu höherem Ansehen innerhalb seiner Gruppe. Fußballspiele wurden offenkundig – und dies ist keineswegs nur ein Spezifikum der DDR – als ein aufregendes Gemeinschaftserlebnis voller "männlichkeitsorientierter Zeremonien", als Gegensatz zum oft tristen Schul- und Arbeitsalltag verstanden. Wie auch immer die Antwort auf die oben gestellte Frage ausfällt, festzustehen scheint nur, dass sich in beiden deutschen Staaten im Verlauf der 1980er-Jahre ein auffällig-gewaltbereites Klientel herausschälte und zur neuen Herausforderung im geteilten, wie auch kurz darauf im wiedervereinigten Deutschland wurde.
Schlussbemerkung
Was sagen die skizzierten Entwicklungen aus über die DDR-Gesellschaft kurz vor ihrem Zusammenbruch? Jugendliche sahen sich in der DDR einem besonderen Spannungsfeld ausgesetzt: Es ging auf der einen Seite um politischen Konformismus, um unbedingte Unterordnung, dezidierte Erwartungen an Richtigkeit der Lebensführung und um eine fremdbestimmte Biografie. Andererseits existierte eine deutliche Orientierung an westlichen Trends im Bereich der Konsumwelt, Freizeit, Mode, Musik und auch dem Fußball. Dieser verhieß einen einigermaßen ideologiefreien Raum fernab sozialistischer "Anständigkeit". Auch wenn man einen Kulturtransfer nicht auf eine bloße Übernahmepraxis reduzieren und die Eigenheiten einer diktatorisch verfassten Gesellschaft und ihren jeweiligen systemspezifischen Lebenswelten nicht verkürzen sollte, lassen sich doch erstaunlich parallel laufende kulturelle Erscheinungen festhalten: Viele junge Menschen suchten – hüben wie drüben – im Fußball ihre "Nische"; gerade in der DDR sehnten sie sich nicht selten nach einem "Ausbruch aus dem stinklangweiligen Alltag".
Wie die staatsanwaltschaftlichen Überlieferungen verdeutlichen, stand die Staats- und Parteiführung diesen "unanständigen" Erscheinungen mit einer gewissen Hilflosigkeit gegenüber. Hooligans wurden als "wesensfremde" Erscheinungen perzipiert und mit entsprechenden negativen Images stilisiert. Dieser ohnmächtig-verfehlte Umgang mit abweichendem Verhalten verstellt dabei den Blick auf die eigentlichen Ursachen: In den vollen Stadien und unter Einfluss von Alkohol gab es für eine Anzahl junger Menschen Ablenkung vom Betrieb; das berauschende Gefühl des Singens von Verbotenem, von sonst undenkbaren Slogans verlieh dem Einzelnen eine ungekannte Stärke und war offenbar eine einfache Möglichkeit, gegen die Spannungs- und Reizlosigkeit, gegen Indoktrination, Gängelung und Kontrolle, gegen die Enge und Provinzialität im "entwickelten Sozialismus" zumindest im Kleinen aufzubegehren. Mit dem Aussprechen von Untersagtem und mit der offenen Gewaltanwendung verletzte man nicht nur gezielt ein Tabu in einer stark reglementierten Gesellschaftsordnung, man durchkreuzte die propagierten Ziele der Staats- und Parteiführung und schuf somit einen Akt "herrschaftsfreier Kommunikation". Sportereignisse wie Fußballspiele boten nicht nur den Schutz der Masse, Einzelne konnten sich so wenigstens teilweise der Kontrolle der Staatsmacht entziehen. Ausschreitungen verbaler wie körperlicher Natur zeugten nicht zuletzt von grenzüberschreitenden Strömungen, die mit all ihren geschilderten Implikationen keineswegs vor der Mauer Halt machten und lange nach deren Fall bis heute nachwirken.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
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