Geschichtspolitik gestern und morgen: Eine Kontroverse anno 2022
Zur Debatte um mein Buchprojekt "Getrübte Erinnerungen" über aktuelle Konflikte der DDR-Aufarbeitung. Eine Stellungnahme.
Rainer Eckert
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Die Sicht Rainer Eckerts auf den Umgang mit seinem Buchprojekt "Getrübte Erinnerungen", den Stil seiner Kritiker und seine Lehren für die Weiterarbeit an seinem Manuskript.
Am 28. Oktober 2022 wandte sich der Bundespräsident in einer lange erwarteten „Blut- und Tränenrede“ an die Deutschen. Er rechnete mit der bisherigen deutschen Außenpolitik gegenüber Russland ab, nannte die heutige Moskauer Führung das „Böse“ und stimmte die Nation auf eine Periode der Konfrontation ein. Gleichzeitig betonte er, dass der Kampf gegen den Klimawandel für die Zukunft der Menschheit entscheidend bleiben werde und dass eine Zweiteilung der Welt zu verhindern sei.
Das alles kam spät, war jedoch richtig. Anderes hätte hinzugefügt werden können: Der Kampf gegen Epidemien, gegen weltweiten Hunger und gegen Wasserknappheit sowie gegen Terrorismus. Das alles wirft natürlich die Frage auf, auf welcher politischen, geistigen, wissenschaftlichen und emotionalen Basis das erfolgen soll und kann. Dafür wird es keine die gesamt Welt umspannende einheitliche Antwort geben, eine für den Westen natürlich schon. Dabei wird es künftig auch darauf ankommen, die Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus, und dazu gehören der Kommunismus und die SED-Diktatur, weiterhin als einen zentralen Bestandteil des demokratischen historischen Bewusstseins der Bundesrepublik nicht nur zu betrachten, sondern auch entsprechend damit umzugehen.
In meinem Text „Getrübte Erinnerungen“ ging es mir vor allem um dieses Thema, um die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur in den letzten Jahren in Deutschland und die Didkurse, die es über einzelne Aspekte davon gab. Aber immer wieder ist zu bedenken, dass Widerstand und Revolutionen gegen totalitäre Diktaturen ein gesamteuropäisches Thema sind: Kurz gesagt geht es um eine gemeinsame Tradition des Westens von Zivilcourage. In Deutschland sollte dabei ein „Revolutionsstolz“ auf 1989 eine Voraussetzung für die Stabilisierung der Demokratie und den Kampf gegen links- und rechtsradikale Verführer sein. Diese sind nicht „das Volk“, und für unsere Angelegenheiten in einem weitgehend vereinten Europa und einer eng zusammengerückten Welt sind wir selbst verantwortlich. Wenn wir an den Idealen der Friedlichen Revolution festhalten, werden wir dafür gut gerüstet sein.
Ausbleibende Kritik am Manuskript
Bei der Verhinderung der Auslieferung des meines Wissens nach bereits gedruckten Buches im Spätsommer 2022 schien jedoch etwas anderes ausschlagegebend. Ich hatte im August 2021 mein Manuskript bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur eingereicht und einen Druckkostenzuschuss beantragt. Dieser wurde mir im Dezember 2021 für die Publikation im Mitteldeutschen Verlag gewährt – ohne dass es inhaltliche Anmerkungen oder Kritik gegeben hätte.
Da der Umfang des Buches erheblich stieg und auch Papier- und sonstige Kosten für die Produktion des Buches erheblich höher als geplant ausfielen, stellte ich im Mai 2022 einen Antrag auf Erhöhung des Druckkostenzuschusses. Bis auf einen Restbetrag, den ich selbst getragen hätte, wurde am 1. Juni 2022 auch diese Erhöhung umstandslos bewilligt. Auch das erfolgte ohne inhaltliche Kritik, auch nicht vom "mitteldeutschen verlag", der das Manuskript Anfang 2022 erhalten hatte, eine erste Lektorierung im Februar vorlegte und das Lektorat endgültig im Mai abgeschloss. Mindestens der Geschäftsführer, der Cheflektor und eine weitere Lektorin hatten sich hier damit beschäftigt. Inhaltliche Kritik, die Änderungen nahelegen würde, gab es mir gegenüber nicht, bis auf die Anmerkung der Lektorin, dass ich verschiedentlich sehr hart urteilen würde und mir damit sicher keine Freunde mache.
Eine "gewollte intellektuelle Kontroverse"
Das war allerdings auch nicht meine Absicht, sondern ich wollte mit kritischen Ausführungen eine Diskussion über den Stand der „Aufarbeitung“ der SED-Diktatur, ihre Erfolge und Defizite und künftige Aufgaben auslösen und einfach meine Sichtweise schreiben am Ende eines langen Berufswegs auf diesem Feld. Die Gefahr einer juristischen Auseinandersetzung sah ich nicht. Eine intellektuelle Kontroverse war dagegen jedoch gewollt, sollte aber erst nach dem Erscheinen des Buches beginnen. Dieses verschob der "mitteldeutsche verlag" aus Kapazitätsgründen immer wieder. Schließlich lagen die Druckfahnen vor und das fertige Buch sollte am 17. August ausgeliefert werden. Doch es kam anders: vollkommen überraschend kündigte der Verlag meinen Autorenvertrag “außerordentlich“.
Im Vorfeld hatte es, bei Abwesenheit des Geschäftsführers des Verlages, noch telefonisch Kontakt zu seinem Stellvertreter gegeben. So erfuhr ich, dass der Verlag ohne Absprache mit mir das Manuskript meines Buches vor seinem Erscheinen als PDF-Datei an Journalisten weiter gegeben hatte, um so frühzeitige Rezensionen anzuregen. Eigentlich im Verlagsgeschät ein normaler Vorgang. Aber ein Journalist oder eine Journalistin gab offenbar ein Exemplar der Datei an Prof. Ines Geipel weiter. Über sie hatte ich geschrieben, dass ich persönlich Zweifel an Details der von ihr selbst verbreiteten Lebensgeschichte hätte, schilderte Auseinandersetzungen mit Kritikern von ihr, die im November 2021 bis zu einer Entscheidung des Berliner Kammergerichts gegen Geipel führten, und hatte mich kritisch mit von ihr in Büchern, Aufsätzen und mündlich vorgetragenen Auffassungen über die Ostdeutschen und die Lage in den „Neuen Bundesländern“ auseinander gesetzt.
Mit den Opfern des Dopings im DDR-Sport hatte ich mich nicht direkt beschäftigt und auch nicht mit Geipels Leistungen als Sportlerin. Geipel reagierte mit Beschwerden beim "mitteldeutschen verlag" und bei der Bundesstiftung Aufarbeitung, die mir der Verlag zur Verfügung stellte.
Ich reagierte darauf mit einer schriftlichen Stellungnahme, die der Verlag an die Bundesstiftung weiterreichte, und wies die Vorhaltungen Geipels – bis auf eine zu korrigierende Jahreszahl - zurück. Dabei argumentierte ich, dass es zu meinen inhaltlichen Ausführungen kaum Kritik gegeben habe und meine Ausführungen zu Geipels Autobiographie deutlich als subjektive Meinungsäußerungen gekennzeichnet seien. Dabei stützte ich mich auf das erwähnte Urteil des Kammergerichtes und auf die im Grundgesetz verankerte Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit. Aber eine inhaltlich überzeugende Antwort auf meine Ausführungen erhielt ich weder vom Verlag noch von der Bundesstiftung.
Stattdessen erreichte mich auf meine Nachfrage über den Verlag ein Problemkatalog der Bundesstiftung Aufarbeitung vom 11. August 2022 mit „bestimmten Formulierungen“ in meinem Buch. Das Papier ging an den Verlag, also nicht an mich, ich erfuhr nur zufällig davon und bekam es auf Nachfrage aus Halle zugesandt. Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass ein mit der Sache bis dahin nicht vertrauter Mitarbeiter versucht hatte, aus meinem Manuskript alle nur irgendwie kritikmöglichen Stellen herauszusuchen. Da der Text der Bundesstiftung bereits davor vorgelegen hatte, war allein schon das ein ungewöhnlicher Vorgang. Im Einzelnen war an verschiedenen Stellen die jeweils „schärfste“ Interpretationsmöglichkeit herausgesucht worden, aus einer von mir angewandten Möglichkeitsform wurde eine Behauptung, anderes stammte nicht von mir oder ich zitierte aus weiteren Quellen. Einiges war ganz einfach meine Meinung, die ich auch begründen konnte. Anderes war ungewollt komisch, so wenn kritisch angemerkt wurde, dass Detlef Pollacks Thesen (zur Friedlichen Revolution) „hoch umstritten“ seien und Klaus Wolfram aus meiner Sicht „absurde Aussagen“ machte. Gerade darum ging es ja in zwei Kapiteln meines Buches.
Ich konnte nur feststellen, dass Wissenschaft so funktioniert: man stellt eine These auf, begründet sie und andere stimmen zu oder widerlegen eine solche Meinung. Anders kann eine freie Wissenschaft einfach nicht forschen und publizieren. Meine Antwort auf diesen „Problemkatalog“ wurde weder vom Verlag noch von der Bundesstiftung angefordert und so übergab ich sie später meinem Anwalt.
Der Stellvertreter des Geschäftsführers des "mitteldeutschen verlages" äußerte sich zu diesen Vorwürfen gelassen. Ich selbst hoffte selbst in dieser Situation noch auf eine gütliche Einigung und die fristgerechte Auslieferung des Buches – ja eigentlich hielt ich dies für selbstverständlich. Danach hätte dann der Druckkostenzuschuss bei der Bundesstiftung Aufarbeitung angefordert werden können.
Doch es kam anders. Zuvor gab es neben Geipel, offensichtlich nach breit gestreuter Weitergabe der PDF mit meinem Buch, weitere Beschwerden, zum Beispiel von Hubertus Knabe und Siegfried Reiprich, was ich allerdings erst durch den Schriftverkehr des von mir am 27. August 2022 beauftragten Kölner Medienanwalt, Dr. Lucas Brost, mit dem Anwalt der Gegenseite erfuhr. Den genauen Inhalt dieser Beschwerden kenne ich bis heute nicht, da der Verlag mir jegliche Auskunft verweigert. Auch keine Beschwerdeführer wendeten sich direkt an mich. Da ich bei Geipel, Knabe und Reiprich – außer einigen persönlichen Erinnerungen - nur Dinge zusammenfassend beschrieb, die durch die Presse gegangen waren oder vor Gerichten behandelt wurden, waren diese Beschwerden Meinungsäußerungen und für die Veröffentlichung meines Buches irrelevant.
Anders lag die Sache bei der Beschwerde des Leipziger Bürgerrechtlers Uwe Schwabe, mit dem ich 20 Jahre lang eng befreundet gewesen bin und der mein Kollege im Zeitgeschichtlichen Forum war, darüber, dass ich ohne ihn vorher zu fragen aus dem Briefverkehr zwischen uns zitiert hatte. Da es hier ausschließlich um inhaltliche Fragen der Leipziger Geschichtspolitik ging und die Briefe an mich gerichtet waren, sah ich dabei kein Problem – ein juristisches jedenfalls auf keinen Fall. Schwabe, dem ich im Vorfeld zweimal gesagt hatte, dass ich an einem Buch zur deutschen Geschichtspolitik der letzten Jahre arbeiten würde, sah das anders, nahm gegen mein Buch Stellung und drohte offenbar dem Verlag wohl auch mit einer einstweiligen Verfügung.
Zusammengefasst war es meines Erachtens also so, dass sich Persönlichkeiten, die mit ihrer Darstellung in „Getrübte Erinnerungen“ nicht einverstanden sind, mit Beschwerden beziehungsweise Drohungen an den Verlag und die Bundesstiftung Aufarbeitung wandten. Die Bundesstiftung könnte dann, wie ich aus dem Verlag hörte, Bedenken geäußert haben ein Manuskript zu fördern, dass sich kritisch mit Personen auseinandersetzt mit denen sie verbunden sei. Dieses „Problem“ versuchte der Verlag dann, so sehe ich das, aus der Welt zu schaffen. Allerdings war mein Manuskript davor – wie ausgeführt - alle Stufen der Begutachtung ohne grundsätzliche inhaltliche Einwände durchlaufen.
Inhaltlich äußerte sich mir gegenüber, bis auf zahlreiche Unterstützer nachdem das Nichtausliefern meines Buches öffentlich geworden war, weder die Beschwerdeführer noch der "mitteldeutsche verlag" oder die Bundesstiftung Aufarbeitung. Beim Verhalten des Verlages sind noch zwei unterschiedliche Verfahrensweisen erwähnenswert. Während der Abwesenheit des Geschäftsführers, Roman Pliske, gab es noch telefonischen Kontakt mit mir und die Hoffnung wuchs, eine akzeptable Lösung zu finden. Nach der Rückkehr Pliskes nach dem Ende einer Erkrankung wurde jedoch der persönliche Kontakt abgebrochen. Stattdessen schaltete der Verlag einen Anwalt ein, um die urheberrechtlichen Vorwürfe durch Durchsicht der Fußnoten zu klären. Das Ergebnis war für den Verlag schnell klar, er würde in einem Urheberrechtsprozess verlieren und es erfolgte die außerordentliche Kündigung meines Autorenvertrages.
Als Begründung war angeführt, dass ich den Verlag nicht über urheberrechtliche oder Persönlichkeitsrechts relevante Probleme in meinem Text informiert habe. Das konnte ich jedoch nicht, da ich – wie bereits erwähnt - solche juristischen Probleme nicht sah und nicht für möglich hielt. So blieb mir nur der – ergebnislose – Protest gegen diese - aus meiner Sicht - Unterdrückung meines Buches. Deshalb schrieb ich am 6. September 2022 an den Geschäftsführer des Verlages, dass ich die außerordentliche Kündigung ausdrücklich zurückweisen würde. Zwar hatte ich in meinem Buch aus an mich gerichteten Briefen zitiert beziehungsweise. diese als Beleg für meine Ausführungen in Fußnoten angeführt, doch ging ich davon aus, dass diese mein Eigentum seien und ich so ohne Verletzung von Persönlichkeits- oder Urheberrechten verfahren dürfe.
Inhaltlich ging es ausschließlich um wissenschaftliche oder geschichtspolitische Zusammenhänge. Weder von der Bundesstiftung noch vom Verlag war in diesem Zusammenhang auf mögliche Probleme hingewiesen worden. Um eine juristische Auseinandersetzung zu vermeiden bat ich in diesem Zusammenhang um Vorschläge, wie die Veröffentlichung meines Buches erreicht werden könne. Es erfolgte nichts.
Gegenüber dem Verlag versuchte ich dann noch einmal schriftlich zu erfahren, wer mir denn konkret was vorwerfen würde. Das wurde mit dem Argument abgelehnt, dass man in einem schwebenden juristischen Verfahren keine Auskünfte geben könne. Dagegen meldete sich die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur schriftlich bei mir um mir mitzuteilen, dass der Druckkostenzuschuss verfallen sei, da mein Buch nicht in der bewilligten Frist erschienen sei. Das empfand ich als absurd, da ich alle Bewilligungskriterien fristgerecht erfüllt hatte und mein redigiertes Konzept druckfähig seit Mai 2022 beim Verlag vorlag. Auch gegen diese Entscheidung legte ich schriftlich Protest ein und auch dieser wurde Wochen später von einer Sachbearbeiterin – da der Zuwendungsbescheid an den Mitteldeutschen Verlag und an eine Laufzeit bis zum 31. August 2.022 gebunden sei, die der Verlag nicht einhielt - abgelehnt. Einen persönlichen Kontakt gab es nicht. Da ich als stellvertretendes Mitglied aller bisherigen fünf Stiftungsräte, also der obersten Instanz der Bundesstiftung Aufarbeitung, angehört habe und auch heute noch im aktuellen Stiftungsrat Mitglied bin, empfand ich das schon als befremdlich.
Nach dem Stopp der Auslieferung meines Buches, ich besitze nicht einmal ein Belegexemplar, dagegen wurde das PDF von „Getrübte Erinnerungen“ offensichtlich immer weiter gereicht und wohl auch erbittert diskutiert. Darüber bin ich aber nur aus dritter Hand informiert, da sich bis heute kein einziger Kritiker persönlich bei mir gemeldet hat. Diese Kontroverse scheint noch lange nicht an ihr Ende gekommen zu sein.
Dagegen zwang mich das Schweigen von Verlag und Bundesstiftung mich durch meinen Medienanwalt vertreten zu lassen. Dieser versuchte eine außergerichtliche Einigung – bei Aufrechterhaltung der Meinung, dass es keinen ausreichenden Grund für eine außerordentliche Kündigung durch den "mitteldeutschen verlag" gäbe - etwa durch Schwärzung kritisierter Formulierungen zu erreichen. Dazu zählte ein mehrseitiges Angebot möglicher Änderungen.
Der Anwalt der Gegenseite lehnte alles mehrfach ohne für mich überzeugende Begründung ab – und meinte, die Lösungsvorschläge seien lediglich „subjektive Interessen“, und blieb bei der Kündigung des Autorenvertrages – zumal die Bundesstiftung Aufarbeitung ja ihren Druckkostenzuschuss widerrufen hätte. Auch sei der Verlag an keinerlei Neufassung meines Buches interessiert. Als vorerst letzter Schritt folgte dann der Versuch meines Rechtsbeistandes erneut zu erfahren, wer mir denn nun konkret was vorwerfen würde. Das würde mir bei der Überarbeitung des Buches zur Veröffentlichung in einem anderen Verlag weiter helfen.
Aber auch dies führte zu nichts, da der Anwalt der Gegenseite argumentierte, dass es auf „Details einzelner Äußerungen“ nicht mehr ankommen würde. In Umkehrung der Verhältnisse argumentierte er, dass es meine Pflicht gewesen wäre auf urheber- oder persönlichkeitsrechtlich problematische Sachverhalte hinzuweisen. Das konnte ich nicht, da ich solche ja nicht sah.
Deshalb habe der Verlag das Vertrauen zu mir verloren und den Autorenvertrag gekündigt. Genau umgekehrt war es richtig: das Lektorat hätte Probleme erkennen müssen und mich darauf hinweisen. Was hier zu lesen war empfand ich als eine perfide Umdeutung des wirklichen Geschehens.
Die Rezension Ilko-Sascha Kowalczuks
Gleichzeitig begann die öffentliche Diskussion über mein nicht veröffentlichtes Buch mit einem Externer Link: Beitrag von Ilko-Sascha Kowalczuk im Deutschlandarchiv. Das war besonders wichtig, weil es die Auseinandersetzung aus dem subkutanen Bereich in die Öffentlichkeit hob – vor allem in deren Teil, den ich in meinem Buch angesprochen hatte. Ganz zu Recht verwies Kowalczuk auf die absonderliche Situation, dass ein Buch zwar gedruckt vorliegt aber nicht ausgeliefert wird. Ich denke, dass so etwas in einer freien und demokratischen Gesellschaft unmöglich sein sollte. Das wirft natürlich die berechtigte Frage auf, warum der Verlag zu dieser Entscheidung kam und die Bundesstiftung Aufarbeitung dann wegen Fristüberschreitung den Druckkostenzuschuss strich.
Kowalczuk hielt fest, dass ich weder auf mich noch auf andere sonderlich Rücksicht nehmen würde und es mir um Inhalte und um die Darlegung meiner Wahrheit ginge. Er schilderte den Inhalt von „Getrübte Erinnerung“ und den Prozess der laufenden Auseinandersetzung um seine Veröffentlichung. Dabei kam er zu dem Schluss, dass es sich um ein aus seiner Sicht inakzeptables Vorgehen, um einen Fall von „cancel culture“ handeln würde.
Zwar geht er auch von persönlichen schmerzhaften Erfahrungen bei meiner Beschäftigung mit der „Aufarbeitung Szene“ aus, doch hält er mir zugute, dass ich mir die Erinnerung an Opposition und Widerstand gegen die SED-Diktatur, an die Friedliche Revolution und an die Opfer dieser Diktatur auf die Fahnen geschrieben habe. Das traf in seiner Sicht auf eine kleine Szene beharrlichen „DDR-Aufarbeiter“ zu, die für ihn sektenähnliche Züge angenommen hätte und von unversöhnlichen persönlichen Auseinandersetzungen untereinander gekennzeichnet sei. Dies sehe ich genauso und in diese Wunde habe ich meinen Finger gelegt.
Dabei ging es mir jedoch nicht um einzelne Persönlichkeiten oder Vorkommnisse sondern um die Darstellung von Gesamtzusammenhängen, die nur den wenigsten bekannt sind. Ob „Getrübte Erinnerungen“ eine Rechtfertigungsschrift ist, erscheint mir weiter diskussionswürdig. Jedenfalls ist die Einschätzung aus meiner Sicht richtig, dass mir eine „Chronik der Aufarbeitung“ gelungen ist, die zeigt, dass die Auseinandersetzung mit der kommunistischen Diktatur immer gefährdet ist und trotzdem unbedingt fortgesetzt werden muss. Das ist meine Sicht und andere haben natürlich das Recht diese abzulehnen und zu kritisieren. Aber gibt es dieses Recht aus meiner Sicht erst nach dem Erscheinen des Buches und hat nichts mit dem Versuch zu tun, gerade dies zu verhindern.
Dagegen bin ich gerne bereit, Bezüge auf einen persönlichen Brief- beziehungsweise E-Mail-Verkehr zu löschen und habe dies ja dem Verlag auch angeboten. Allerdings, wie bereits geschildert, ohne Erfolg, stattdessen gab es quasi eine Kommunikationsverweigerung. Etwas anderes sind die von mir beschriebenen Diskurse. Diese sind durch jahrelange publizistische und juristische Auseinandersetzungen bekannt, nur sind die aus meiner Sicht noch nie so ausführlich im Zusammenhang dargestellt worden.
"Spannend und verstörend"
Aus gänzlich anderer, viel persönlicherer, Sicht als Kowalczuk nahm Anja Reich in der Berliner Zeitung das Thema auf.Vgl. Anja Reich in der Berliner Zeitung vom 6.10.2022, Sie ging detailliert auf meine gegenwärtige Lebenssituation und meine Biographie ein. Dann wandte sie sich meiner Kritik an Hubertus Knabe und Ines Geipel sowie meiner Auseinandersetzung mit rechtsradikalen Tendenzen bei einigen Opfern der SED-Diktatur zu. Auch die Auswahl eines Beauftragten/einer Beauftragten für die Opfer der SED-Diktatur thematisierte sie. Schließlich meinte sie, dass sich „Getrübte Erinnerungen“ spannend und verstörend lesen würde – wie das Tagebuch einer Familie, die sich einmal sehr liebte, deren Liebe und Zusammenhalt jedoch 33 Jahre später verloren gegangen ist.
Auch darüber müsste weiter gesprochen werden wie auch über die Sicht Reichs, dass ich das „Zeugnis einer großen Tragödie“ vorgelegt hätte. Weiter folgt die Schilderung meiner Auseinandersetzung mit dem "mitteldeutschen verlag". Aus meiner Sicht ist diese inzwischen weitgehend erledigt und für mich bleibt die Frage, warum ein Verlag seinen langjährigen Autor nicht verteidigt, sondern schweigt und dessen Autorenvertrag kündigt. Diese Frage wird bleiben und ob sie jemals beantwortet wird ist offen.
Und dann folgte schließlich am 20. Oktober 2022 ein Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der neben der Schilderung des Konfliktes um „Getrübte Erinnerung“ und die Darstellung seines Inhaltes einen Schwerpunkt auf den Konflikt mit Geipel legte.Vgl. Kevin Hanschke in der FAZ vom 20.10.2022, Auch Kevin Hanschke argumentiert hier, dass ich nur Tatsachen zusammengefasst hätte und es keinen Grund für die Unterbindung der Auslieferung meines Buches gäbe. Da er vom "mitteldeutschen verlag" keine Auskünfte bekam, stützte er sich stark auf Kowalczuks Auffassung, dass es sich hier um einen bisher einmaligen Fall von „Cancel-Kultur“ in der „SED-Aufarbeitungslandschaft“ handeln würde, die zerstritten und verfeindet sei. Diese Auffassung teile ich und gehe von einer leider durch persönliche Eitelkeiten zerfressenen Aufarbeitungslandschaft aus, und gegenüber meinem Buch von Meinungszensur. Dies aufgreifend meinte Hanschke zu Recht, dass hier das Persönliche politisch sei. Darüber wie es weiter gehen soll wagte er keine Prognose, stellte aber durchaus berechtigt fest, dass „das nicht-gedruckte Buch, das normalerweise außerhalb von Fachkreises nur wenig nationale Öffentlichkeit bekommen hätte, die Gemüter nicht nur von Historikern und Publizisten“ erregt. Dem kann ich nur zustimmen, würde aber „Aufarbeiter“ und Opfer der SED-Diktatur hinzufügen.
Darauf reagierte Ines Geipel in der Frankfurter Allgemeinen mit einem Leserbrief.Vgl. FAZ vom 2.10.2022, https://www.faz.net/aktuell/politik/briefe-an-die-herausgeber/leserbriefe-vom-24-oktober-2022-18408622.html, letzter Zugriff am 14.11.2022 Sie ging nicht auf mein Buch als solches ein, sondern spitzte alles auf das Thema DDR-Doping, das in „Getrübte Erinnerungen“ jedoch nur eine marginale Randrolle spielt, zu. Dabei argumentierte die Autorin an der Sache vorbei wenn sie den Eindruck erweckte, es ginge auch bei mir um die Verharmlosung des Schicksals der Opfer von Sportdoping in der DDR. Das hatte ich weder geschrieben noch im Sinn gehabt. Und auch, dass sie alle Kritik gegen sich als Lügen abtat gab mir zu denken.
Widersprochen wurde Geipel durch ihre alten Partner im Anti-Doping-Kampf und heute erbitterten Kritiker Uwe Trömer und Henner Misersky in einen offenen Brief an die Leipziger Medienstiftung Uwe Trömer: Erich Loest Preis 2023/Kritik an der Verleihung, 24. Oktober 2022, im Archiv des Vf. und durch einen Leserbrief an die Frankfurter Allgemeine. Beide wiesen Geipels Ausführungen und die Schilderung ihres Lebensweges entschieden und gut begründet zurück. Dabei stützt sich Trömer als ehemals 2. Vorsitzender des Dopingopfervereins und Vizeweltmeister im Radsport bei seinem Protest gegen die in Leipzig geplante Verleihung des „Erich-Loest-Preises“ an Geipel auf das letztinstanzliche Urteil des Berliner Kammergerichts vom 28. Oktober 2021 und bezeichnete sie erneut als aus seiner Sicht „Hochstaplerin und wortgewandte Lügnerin“.
Dann folgte in der Internet-Zeitschrift des Berliner „Bürgerkomitees 15. Januar“ ein Beitrag von Joachim Goertz, der Kowalczuks Auffassung vom „sektenhaften Zustand der Aufarbeitungsszene“ für richtig hielt aber meine Kritik an verschiedenen „Aufarbeitern“ nicht teilte, da er sie anders kennengelernt hätte. Goertz, Joachim: Kontroversen zum Buchprojekt von Rainer Eckert: „Getrübte Erinnerungen“, 2022, in: http://h-und-g.info/default-title-2/goertz. Letzter Zugriff am 14.11.2022 Auch an anderen Punkten widersprach er mir, meinte aber trotzdem, dass ich „einen wertvollen Beitrag zur Debatte um das Erbe von 1989 und dessen Aneignung“ vorgelegt hätte.
Zur Buchkritik von Jochen Staadt
Und schließlich veröffentlichte auch Externer Link: Jochen Staadt am 11.11.2022 eine Rezension meines Buches im Deutschlandarchiv. Es ist schon erstaunlich mit welchem Furor er in seiner - aus meiner Sicht - Schmähschrift gegen „Getrübte Erinnerungen“ argumentiert, den wirklichen Inhalt meines Buches übergeht er und welche Fehler ihm dabei unterlaufen beziehungsweise welche Unterstellungen und Beleidigungen er aus meiner Sicht zu Papier bringt. Das beginnt damit, dass er den Untertitel meines Buches falsch zitiert und aus der Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur die mit der SED macht. Dazu kommt, dass er mir einen „Tunnelblick“ vorwirft und meint, ich würde mich gegen alle wenden, die mir „in die Quere gekommen“ sind. Das ist erstaunlich weil es mit verschiedenen Persönlichkeiten in der Auseinandersetzung mit der DDR keinerlei Kontroversen gibt. Dass ich viele Entwicklungen, Personen und Einrichtungen mit denen ich mich auseinandersetze positiv bewerte kommt ihm nicht in den Blick.
Und wenn ich aus Papieren etwa der Kommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ zitiere, wirft er mir „Gemeinplätze zur Volksbildung“ vor. Anderes hat er überlesen oder auch nicht begriffen, so dass ich, mit wenigen historischen Rückblicken, nur die Jahre von 2015 bis 2022 behandele. Deshalb geht es an der Sache vorbei verschiedene Namen von Persönlichkeiten aufzulisten, die in den letzten 33 Jahren eine Rolle bei der Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur spielten. Dass ich fast alle von ihnen gut kenne weiß auch Staadt, aber ihm scheint entgangen zu sein, dass sie in den letzten Jahren geschichtspolitisch keine herausragende Rolle gespielt haben – oder schrecklicher Weise bereits verstorben sind. Vielleicht hat das damit zu tun, dass Staadt meint, ich würde von mir denken, ich wäre ein Akteur im Streit „um die historische Deutungshoheit“. Also bin ich es in seinen Augen wohl eher nicht. Hier kann sich jeder seine eigene Meinung bilden. Geradezu absurd ist es, wenn Staadt ausführt, dass der Mitteldeutsche Verlag und die Bundesstiftung Aufarbeitung gewissermaßen die „Notbremse“ gezogen hätten. Dabei verschweigt er vor allem, dass mein Manuskript schon lange vorlag, begutachtet war, für förderungswürdig befunden und obwohl gedruckt nicht ausgeliefert wurde.
Außerdem moniert er, dass im meinem Buch „viel gekämpft“ werden würde. Aber so war es nun einmal: von der Gedenkstätte Hohenschönhausen, über die Auflösung der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD, über die Gestaltung der Geschichtspolitik in Leipzig bis hin zur Überführung der Stasiunterlagen in das Bundesarchiv gab es erbitterte Auseinandersetzungen, in meiner Sicht Kämpfe. An vielem war ich selbst direkt beteiligt, Jochen Staadt dagegen nicht – vielleicht liegt hier der Grund für seine Fehlinterpretationen. Auf vieles andere möchte ich hier nicht eingehen, das würde einfach zu weit gehen und ich überlasse es der weiteren Diskussion. Aber ein Punkt liegt mir hier noch am Herzen. Das ist die Entwicklung von ehemaligen Bürgerrechtlern zu Propagandisten der extremen Rechten in Deutschland. Hier führt Staadt eine Leipziger „Revolutionsikone“, den Pfarrer Christoph Wonneberger, an. Ja, Wonneberger war ein mutiger Kämpfer gegen die Diktatur und einer der Väter der Friedlichen Revolution. Aber er hat sich inzwischen auf die Seite vonder Corona-Leugnern und Querdenkern gestellt und deren große, letztlich gegen unsere Demokratie gerichtete, Kundgebung und Demonstration in der Leipziger Innenstadt mitorganisiert und hier auch öffentlich gesprochen. Und ich bleibe dabei, damit hat er – nicht nur in meinen Augen – „sein Ansehen als Kämpfer gegen die Diktatur verspielt“.
Bei Staadt geht es dann so weiter und mit Eifer hat er in „Getrübte Erinnerungen“ nach kritischen Äußerungen über Persönlichkeiten gesucht. Dabei geht es ihm nicht darum, ob meine Einschätzungen richtig sind, sondern er reißt sie aus ihrem Zusammenhang und verfälscht sie um so möglichst viele Ressentiments bei verschiedenen Personen gegen meinen Text zu mobilisieren. Und so kommt er zu dem Schluss, ich hätte den „verbitterten Rückblick eines Gedenkmanagers“ vorgelegt, der sich „zu wenig beachtet fühlt“. Dass es mir bei meiner Analyse der Gedenkpolitik um die Gewinnung eines Ansatzes für deren Neugestaltung mit neuen Ideen, Einrichtungen und Persönlichkeiten geht, was ich breit ausführe, hat er überlesen oder wahrscheinlicher ist, dass er es verschweigt, weil es nicht in das Muster seiner Polemik passt.
Und dann kommt der Autor doch noch auf die „westdeutsche Linke und die 1968er“, ein Umfeld, dass er ja als zumindest zeitweiliger Maoist sicher gut kennt. Und hier ist richtig, ich wollte in der DDR mithelfen, einen demokratischen Sozialismus zu errichten, dafür war ich auch von der Staatssicherheit politisch verfolgt und von der Humboldt-Universität relegiert worden, und nach dem Sturz der Berliner Mauer ging es mir um eine Wiedervereinigung einer demokratisierten DDR mit der Bundesrepublik auf gleicher Augenhöhe. Beides scheiterte und in vielen Fällen erwies es sich auch als Irrtum zu glauben, dass die „Alt- 68er“ des Westens das gleiche Ziel wie wir im Osten hatten. Das war eine Enttäuschung, aber eine erfolgreiche Revolution gegen eine Diktatur ist nun einmal nicht das gleiche wie der erfolglose Kampf gegen eine Demokratie.
"Eine Stütze des Regimes"
Aber eigentlich scheint es Staadt bei der Kritik an meinem Buch jedoch um das Kapitel „Ines Geipel und das Doping“ zu gehen, das im Buch allerdings keine so große Rolle spielt. Interessant ist dabei, dass Staadt eins zu eins die gleichen Argumente gebraucht wie Geipel bei ihrer Beschwerde gegen mein Buch bei Verlag und Bundesstiftung vom August des Jahres. Der Rezensent schlägt hart zu, geht aber an der Sache vorbei. So behauptet er, ich würde mir „ohne jeden Skrupel“ die „Deutungshoheit“ über Geipels Leben „herausnehmen“, sie ungeprüft schmähen und mich „geradezu fanatisch in solche Schmähungen“ „verbeißen“. Das Gegenteil ist der Fall. Über Geipels Leben stelle ich keine Tatsachenbehauptungen auf, sondern äußere Zweifel an der von ihr immer wieder erneut erzählten Lebensgeschichte. Und in der Tat, an eine Verstümmelung der Athletin durch die Staatssicherheit bei einer Blinddarmoperation kann ich nicht glauben.
Dass sie über Ungarn in den Westen geflohen ist, zweifle ich dagegen nicht an, sondern nur, dass sie am 28. August an der Grenze unter einem Stacheldrahtzaun hindurch gekrochen sei. Am 19. August hatten hunderte Ostdeutsche beim „Paneuropäischen Picknick“ die Grenze die Grenze überquert und die endgültige Grenzöffnung war abzusehen – rund 200.000 Ostdeutsche warteten in Ungarn auf diesen Tag, und es war dann die Nacht vom 10. zum 11. September. Außerdem waren in der DDR Oppositionelle zur Gründung von Parteien und regimekritischen Gruppen übergegangen und die ersten großen Demonstrationen standen bevor – hier wäre es möglich gewesen, sich zu engagieren. Dann behauptet Staadt, ich würde „wahrheitswidrig“ schreiben, dass Geipel „bis zum Schluss in der SED gewesen“. Aber genau das ist richtig. Ihr Ausschluss aus der SED erfolgte im Herbst durch ihre Jenaer Parteigruppe erst als bekannt wurde, dass sie in den Westen geflohen war. Geipel war SED-Mitglied, Leistungssportlerin und privilegierte Germanistikstudentin in Jena. So gehört sie für mich auch zu den „Stützen des Regimes“.
Auf eigene Forschungen zum Themen „Ines Geipel und das Doping“ kann ich nicht zurückgreifen, so stütze ich mich auf öffentlich zugängliche Unterlagen, Artikel, Offene Briefe und vor allem das Urteil des Berliner Kammergerichtes. Das Doping im DDR-Sport spielt in meinem Text nur im Zuge der Schilderung der Auseinandersetzungen mit Geipel eine Rolle und ihre Sportkarriere beurteile ich nicht. Dagegen setze ich mich mit verschiedenen von Geipel vertretenen Auffassungen, als „steile Thesen“, in meinem Text auseinander. Darauf geht Staadt allerdings nicht ein. Zu den von mir kritisierten Thesen Geipels gehört die, dass der Osten ein „reines Opferkollektiv“ sei, das seinen „inneren Hitler“ nicht überwunden habe. Schon die ständige Kennzeichnung der Ostdeutschen als „Kollektiv“ ist falsch, es gibt unter ihnen ganz unterschiedliche Auffassungen zu den verschiedenen Themen. So existiert in den „Neuen Bundesländern“ auch kein „Schweigekollektiv“ und sie sind auch nicht vollkommen identitätslos beziehungsweisezw. ohne historische Identität.
Auch ging die SED-Diktatur in einer Revolution unter und es ist aus meiner Sicht nicht so, wie Geipel meint, dass die DDR „implodierte“. Da sind wir einfach unterschiedlicher Auffassung, aber das ist doch legitim. Auch von der angeblichen Gewaltlust der Ostdeutschen kann ich unter meinen Landsleuten nicht mehr spüren als auch bei den Menschen im Süden oder Westen Deutschlands. Und schließlich greift Staadt immer wieder Ilko-Sascha Kowalczuk an. Richtig ist dabei, dass dessen Auffassungen eine wichtige Rolle in meinem Buch spielen. Das liegt jedoch nicht in Freundschaft begründet sondern darin, dass Kowalczuk einer der produktivsten deutschen Historiker ist und immer wieder auf Defizite bei der „Aufarbeitung“ der SED-Diktatur hinweist. Doch geht es darum nicht zuerst, sondern darum, dass er aus meiner Sicht sinnvolle und umsetzungswürdige Vorschläge zu deren Beseitigung unterbreitet.
Immerhin kommt Staadt schließlich zu dem Schluss, dass mein Buch bei einem „geeigneteren Verlagsunternehmen“, wobei offen bleibt was das bedeuten soll, als ein „Schaustück besonderer Art“ veröffentlicht werden sollte, da es ja in Deutschland Meinungsvielfalt gäbe. Allerdings müsse ein Lektor, in seiner Sicht wohl eher ein Zensor, dafür sorgen, dass Aussagen, die „andere herabwürdigen“ und „Fake News“ beseitig werden. Das zielt wohl wieder zuerst auf Geipel und hier habe ich, wie ausgeführt, außer einer Jahreszahl nichts zu korrigieren. Und auch Staadt hat nicht zu bestimmen, was in Deutschland veröffentlicht wird.
Insgesamt ist besonders Staadts Stellungnahme eine verspielte Chance der inhaltlichen Kritik und Auseinandersetzung mit meinen Aussagen und Thesen. Ich werde die Bemühungen um die Veröffentlichung meines Buches jedoch nicht aufgeben und habe inzwischen das Manuskript entsprechend überabeitet. Das bedeutet, dass die ja nur wenigen strittigen Stellen entfernt sind, einige Urteile milder ausfallen und auch alle urheberrechtlich mit Schwabes Briefverkehr mit mir verbundenen Aussagen oder Fußnoten habe ich gestrichen. So wird es bei einen Neudruck auch keine Schwärzungen mehr geben. Auf einen neuen Druckkostenzuschuss kann ich wohl trotzdem nicht hoffen. Das Erscheinen meines Buches wird dadurch jedoch nicht verhindert werden. Was dagegen künftig auf jeden Fall verhindert werden muss ist, dass die Auslieferung eines bereits gedruckten Buches durch darin Kritisierte unmöglich gemacht wird. Das ist meine Kritik.
Zur Kritik Ines Geipels
„Wortgewaltig“ kommt schließlich auch noch die Schriftstellerin Ines Geipel zu Wort und stellt fest: „Nein, ich bin keine Lügerin, Betrügerin, Täuscherin“. Und dann folgt auch gleich die Bregründung für diese Feststellung: „Punktum“ und ein Verweis auf eine Staatssicherheitsakte, die Operative Personenkontrolle „Ernesto“, die meines Erachtens der Forschung jedoch nicht zugänglich ist. Und dann kommen langatmige Ausführungen zum Streit um die Doping-Opfer-Hilfe (DOH), die ich weder beurteilen kann noch will. In meinem Buch „Getrübte Erinnerungen“ spielen sie auch keine Rolle.
Stattdessen ist mir wichtig, dass Geipel aus meiner Sicht als SED-Mitglied, Leistungssportkader und privilegierte Germanistikstudentin in Jena eine Stütze der Diktatur war. Ich stand als Gegner dieses Regimes auf der anderen Seite – im Text von Geipel wird dagegen der Eindruck vermittelt, dass das Gegenteil richtig wäre, so erscheint sie als die aufrechte und mutige Aufklärerin der Diktaturvergangenheit während auf der anderen Seite deren Verharmloser und Schönredner stehen würden. Das ist grundsätzlich falsch, vielmehr ist es so, dass Geipel mit ihrer Verteufelung von Ostdeutschen und des Osten Deutschlands sowie der bisherigen Auseinandersetzung mit der DDR einer wirklichen Aufklärung deutscher Diktaturgeschichte schadet. Darum geht es bezogen auf Geipel in meinem Buch, dazu aber kein Wort.
Geipel geht dann aufs Ganze und behauptet, dass zumindest bei der Darstellung der Doping-Geschichte des DDR-Sports eine Umdeutung mit aller Gewalt und Raffinesse betrieben würde. In ihrer Sprache: alles soll „abgeräumt“ werden. Schuld daran seien die „Kampagnisten“, die die alte Ohnmacht der Opfer und die alte Macht der Täter aufrechterhalten wollen. Wahrscheinlich gehöre ich in ihrer Sicht auch mit dazu. Allerdings habe ich zu diesem Thema weder geforscht noch mich geäußert
Das führt dann zu „Getrübte Erinnerung“. Vorher führt Geipel aber noch aus, dass bewusst „Legenden“ und „Finten“ gebaut und dass mit „gezielter Camouflage, Doppelstrategien, kollusiven Zusammenspiel“ gearbeitet werden würde. Zwar verstehe ich nicht so recht, was sie damit meinen könnte, doch führt sie ja auch gleich aus, dass sie sich „nicht auf diese Ebene begeben“ würde und auch keine „Fanatikerin, Hysterikerin, Furie“ sei.
Dann kommt sie auf meinen Text zu sprechen, im dem sie übrigens nur eine kleine Nebenrolle spielt, und es neben der Kritik an der „Aufarbeitungslandschaft“ um die große Frage von deren zukünftiger Gestaltung geht. Statt sich damit zu beschäftigen, fragt sie sich besorgt, ob mein Buch „lanciertes Futter für die nächste Attackenrunde“ liefert soll und ob ich überhaupt wusste, welche „Funktion sein Kapitel über mich (also Geipel) haben sollte“. Das ist unfreiwillig geradezu zu komisch, da mich niemand zum Schreiben zwang beziehungsweise anregte und ich auch mit niemand über meine Einsichten und Erkenntnisse sprach.
Der Vorwurf des "Wissenschaftstrumpismus"
Und dann schildert sie ihr Vorgehen gegen mein Buch mit seinen angeblich „zahllosen Falschdarstellungen“. Angeblich sei mein Text über sie „grundfalsch“ und eine „Verleumdung“ der Tatsachen, also „Wissenschaftstrumpismus“. Was sie inhaltlich anführt scheint mir allerdings belanglos, wichtig ist etwas anderes.
Es geht darum, dass sie augenscheinlich zu denen gehörte, die mein Buch im „mitteldeutschen verlag“ stoppen wollten und mit ihr „an die zwanzig Personen“, sie sich wegen Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte an den mitteldeutschen verlag wandten. Das Merkwürdige daran ist, dass der Verlag nur wenige PDF-Dateien an ausgesuchte Journalisten weitergab von denen ein Journalist oder eine Journalistin ihr offenbar mein Manuskript zuspielte.
Da sich ja nach ihren Worten innerhalb weniger Tage angeblich rund zwanzig Menschen beim Verlag gemeldet hatten, müssen es wenigsten diese bekommen und in Windeseile gelesen haben. Das erscheint mir anhand des 650-seitigen Manuskripts unmöglich oder nur dann möglich, wenn es orchestriert und organisiert wurde. Da der Verlag sich weiterhin konsequent weigert, Auskunft darüber zu geben wer sich und warum geäußert hat, bleiben mir nur die Angaben in dem bereits erwähnten Schreiben des Verlagsanwalts.
Mein Fehler gegenüber Uwe Schwabe
Hier ist nur Uwe Schwabe als der genannt, der sein Urheberrecht wegen meines Bezugs auf von ihm stammende E-Mails an mich verletzt sah. Das hatte mich überrascht, da ich diese an mich gerichteten Mails als mein Eigentum und zur Verwendung frei betrachtete und es nur um inhaltliche Probleme der Leipziger geschichtspolitischen Auiseinandersetzungen ging.
Nunmehr habe ich den Eindruck, dass Schwabe nicht wollte, dass ich über seine Rolle dabei meine Meinung öffentlich mache und dies mit juristischen Mitteln zu verhindern suchte.
Vielleicht war es mein Fehler, vor der Veröffentlichung nicht nochmal mit ihm darüber zu reden. Aber er sprach über sein Vorgehen vorher auch nicht mit mir. Sicher war beides nicht glücklich, zu meinen Folgerungen daraus später.
Und dann geht es immer wieder – wie auch bei Staadt – mit geradezu enervierenden Härtnäckigkeit gegen Ilko-Sascha Kowalczuk. Zweifellos gehört Kowalczuk zu den Geipel-Kritikern aber auch zu denen die die klarste Kritik an der „Aufarbeitungsszene“ als solcher und die wichtigsten Vorschläge für ihre Zukunft unterbreiten – wie ich ja schon bei meinen Anmerkungen zu Staadt ausführte. Zur Bedeutung des wissenschaftlichen Werk des Historikers bei Geipel kein Wort, stattdessen wirft Geipel ihm vor, er würde sich zu den „Vielberufenen“ zählen, die „in diesem Land“ glauben entscheiden zu können, wer „Opfer ist und wer nicht“. Das begründet sie damit, dass Kowalczuk – wie ich meine zu Recht – Zweifel an ihrem Opferstatus hegt.
"Politkampagne"??
Und dann holt Geipel noch einmal zum „finalen Schlag“ gegen mich aber auch gegen Kowalczuk und andere ihrer Kritiker aus und stellt die rhetorische Frage was eine „Politkampagne“ sei. Die Antwort liefert sie gleich selbst: „ein Destruktionsraum, eine Zerstörung, eine versuchte Ausstoßung. … Indem man Falsches so lange wiederholt, bis es nach allseits Bekannten klingt. Indem man gezielt Tatsachen und Meinungen verwechselt“.
Wessen Vorgehen meint sie damit? Ihr eigenes gegen mein Buch oder die Kritik anderer an sich selbst? Großzügig führt sie dann aus, dass ja ein anderer Verlag mein Buch veröffentlichen könnte. Allerdings schränkt sie das gleich wieder ein, da mein Text ein „aussichstloses Niveau der Geschichtsschreibung“ offenbare sowie ohne „analytischen Zugriff“, ohne „Fragestellung zur Genese der Aufarbeitung“, ohne „übergreifende Erkenntnis“ und ohne „Ausdimensionierung“ sei. Das verstehe wer wolle, dann führt sie jedoch an, was sie auszumachen glaubt: „Gehechel, Missmut, Gucklochbilder“. Nur weil es um Kritik geht, die sie nicht auszuhalten vermag?
„Aufarbeitung sei etwas", so meint sie, "bei der das Feld und dessen Akteure vor allem klein gemacht und entwertet werden können und man nicht vor gravierenden Persönlichkeitsverletzungen zurückzuschrecken braucht“. Meint sie das wirklich? Anderes erwähnt sie nicht, beispielsweise dass Sie ihre Klage gegen die kritischen Äußerungen etwa des Sporttrainers Henner Misersky im November 2021 in einer Verleumdungsklage weitgehend verlor.
Irritierend ist für mich des Weiteren, dass ich eine ganze Reihe namhafter Aufklärer über die SED-Diktatur nennen könnte, die Geipels Eindruck von der „DDR-Aufarbeitung“ nicht teilen, der aus meiner Sicht eher einer Schimpftirade gleicht.
Um zum Schluss meint sie dann, dass sich „tatsächlich an der DDR-Aufarbeitende“ dieses Themas annehmen sollten. Wen meint sie, wer entscheidet was ein "tatsächlich an der DDR-Aufarbeitender ist? Nur diejenigen sein, die Ines Geipels Art der Geschichtsschreibung teilen? Lebt Geschichtsschreibung in einer aufgeklärten Demokratie mit gelebter Wissenschaftsfreiheit aber nicht gerade vom ausgetragenen Diskurs, von vielerlei Meinungen, Quelleninterpretationen, ja "Historkerstreit"? Keiner von uns hat die Wahrheit gepachtet, aber jede/r versucht ihr so nahe wie möglich zu kommen, aus individueller Perspektive.
Inzwischen ein überarbeitetes Manuskript
Insgesamt betrachte ich Staadts und Geipels Stellungnahmen als verspielte Chancen der inhaltlichen Kritik und Auseinandersetzung an und mit meinen Aussagen und Thesen. Ich werde die Bemühungen um die Veröffentlichung meines Buches jedoch nicht aufgeben und habe, wie schon gesagt, inzwischen das Manuskript entsprechend überarbeitet. Das bedeutet, dass die ja nur wenigen strittigen Stellen entfernt sind, einige Urteile milder ausfallen und auch alle mit Uwe Schwabes Briefen beziehungsweise E-Mails verbundenen Aussagen oder Fußnoten, aus denen ich ohne Rückfrage zitiert hatte, habe ich gestrichen - lieber will ich mit ihm über meine Ansichten und Einschätzungen sachlich streiten, als in einem unnötigen und langwierigen juristischen Konflikt.
So wird es bei einem Neudruck auch keine Schwärzungen geben. Auf einen Druckkostenzuschuss kann ich wohl trotzdem nicht hoffen, ich werde vieles selbst tragen müssen. Aber das Recht auf Meinungsfreiheit ist mir das Wert. "Leipzig im Herzen" war mein erster Arbeitstitel - aus gutem Grund.
Das Erscheinen meines Buches verschiebt sich dadurch nur. Was dagegen künftig auf jeden Fall verhindert werden muss ist, dass die Auslieferung eines bereits abgenommenen und gedruckten Buches durch darin Kritisierte unmöglich gemacht wird.
Zitierweise: Rainer Eckert, "Geschichtspolitik gestern und morgen: Eine Kontroverse anno 2022", in: Deutschland Archiv, 14.11.2022, Link: www.bpb.de/515265. Alle Beiträge auf Externer Link: www.deutschlandarchiv.de sind Recherchen und Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar.
Prof. Dr. Rainer Eckert, geb. 1950, ist Historiker und Politikwissenschaftler und leitete 1997 bis 2015 das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig. Seine Forschungsschwerpunkte sind u. a. die Geschichte des Nationalsozialismus, Opposition und Widerstand in der DDR, die Geschichte der Friedlichen Revolution und Probleme der Geschichtspolitik. Er ist Mitglied zahlreicher wissenschaftspolitischer Gremien. Zuletzt erschienen von ihm im Mitteldeutschen Verlag „SED-Diktatur und Erinnerungsarbeit im vereinten Deutschland. Eine Auswahlbibliografie“ (2029) und „Leben im Osten. Zwischen Potsdam und Ost-Berlin 1950–1990. Biografische Aufzeichnungen“ (2021).
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