Wie viel DDR-Regierungskriminalität kam vor Gericht?
Von der keinesfalls einfachen juristischen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Eine Bilanz von Christoph Schaefgen
Christoph Schaefgen
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Christoph Schaefgen war in den 90er-Jahren Generalstaatsanwalt der für die Verfolgung von DDR-Regierungskriminalität neu errichteten Staatsanwaltschaft II beim Landgericht Berlin, die auch versuchte, gegen Todesschützen und ihre Befehlsgeber an der Mauer zu ermitteln. Dort galt in der DDR die Devise: "Besser der Flüchtling ist tot als dass die Flucht gelingt". Die DDR-Regierungskriminalität hatte aber noch viele weitere Facetten und BürgerInnen hatten manges Rechtsstaatlichkeit kaum Chancen sich dagegen zu wehren.
I. Einführung
Nur wenige Jahre nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft entstand im Osten Deutschlands ein neuer totalitärer Staat, diesmal auf der Grundlage der kommunistischen Ideologie, die Deutsche Demokratische Republik (DDR). Dieser Staat führte im Laufe seiner fast 40-jährigen Geschichte zwar keinen Vernichtungskrieg. Das Herrschaftssystem im Inneren war aus meiner Sicht aber eine dem Nationalsozialismus sehr ähnliche Diktatur. Geheimpolizei und eine gleichgeschaltete Justiz waren auch für sie charakteristisch. Ihr Spezifikum war eine mörderische Grenze mitten durch Deutschland. Anders als im Rechtsstaat sah die Verfassung der DDR keinen gegen staatlichen Einfluss geschützten Grundrechtsbereich vor. Dort waren zwar auch Rechte der Bürger festgeschrieben. Diese waren aber nicht als individuelle Freiheitsrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat zu verstehen, sondern als Mitwirkungs- und Gestaltungsrechte am Aufbau der neuen Staats- und Gesellschaftsordnung.
Die immanente Schranke der so verstandenen Grundrechte bildeten die „gesellschaftlichen Interessen“, die von der Sozialistischen Einheitspartei Deutschland (SED) kraft ihres Erkenntnis- und Führungsmonopols verbindlich interpretiert wurden. Von Beginn an und bis zum Ende der DDR haben deren Machthaber die Bevölkerung daran gehindert, ihr Leben nach eigenen Vorstellungen zu Gestalten, und durch den Bau der Mauer auch eingesperrt. Mit Gewalt, die nicht vom Willen des Volkes abgeleitet war und auf der Unfehlbarkeit der Partei als Führerin der Arbeiter- und Bauernklasse beruhte, haben sie ihr Ziel, auf deutschem Boden einen ersten antifaschistischen und sozialistischen Staat zu errichten, mit menschenverachtenden Methoden durchzusetzen versucht. Jeder, der sich in dieser Gesellschaft mit einem Leben in der ihm verbliebenen privaten Nische nicht einverstanden erklärte, wer abweichendes Gedankengut vertrat und dies auch zeigte, wer das Land verlassen wollte, wurde drangsaliert, kriminalisiert, der Freiheit beraubt und auch – wie an der Grenze geschehen – getötet. Allgemeine, allen zivilisierten Völkern gemeinsame Rechtsgrundsätze, deren Überschreiten staatliches Handeln zum Unrecht werden lässt, existierten für die Führung der DDR faktisch nicht.
II. Erscheinungsformen des Staatsunrechts in der DDR
Zur Durchsetzung ihrer Ziele bedienten sich die Herrschenden der Institutionen, durch die das staatliche Gewaltmonopol seinen Ausdruck findet, der Justiz, der Polizei (auch der Geheimpolizei) und des Militärs. Demgemäß beschäftigte sich die Strafjustiz nach der Wiedervereinigung vorwiegend:
1. mit dem Vorgehen der Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gegen sogenannte Verräter und Feinde der DDR außerhalb, aber auch innerhalb eines justizförmigen Verfahrens,
2. mit dem Verhalten der Justiz gegenüber „inneren und äußeren Feinden“ in politischen Prozessen und
3. mit den Gewalttaten – den Tötungsverbrechen – an der früheren innerdeutschen Grenze.
Weitere Dinge, die strafrechtlicher Untersuchung bedurften, kamen im Laufe der Zeit hinzu. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind zu nennen:
die Misshandlung von Häftlingen in Strafanstalten, die zwar nicht systematisch erfolgten, deren Verfolgung aber gezielt verhindert wurde
das System der Häftlingsfreikäufe
die Übergriffe von Polizei und Staatssicherheit auf die Demonstranten am 7. und 8. Oktober 1989
die Zwangsaussiedlungen von DDR-Bürgern aus den Grenzgebieten 1952 und 1961
die Zwangsadoptionen
die geplante Einrichtung von Internierungslagern für politisch missliebige Personen
die Niederschlagung des Aufstandes am 17. Juni 1953
der Einmarsch der Nationalen Volksarmee in die CSSR am 21. August 1968
die staatlich gelenkte Vergabe von anabolen Substanzen vorwiegend an jugendliche und heranwachsende Leistungssportler:innen ohne medizinische Indikation und Aufklärung über die Wirkungen (Doping)
die Wahlfälschungen
die Versorgungskriminalität der Nomenklaturkader und das Geschäftsgebaren der Kommerziellen Koordinierung unter Leitung von Alexander Schalck-Golodkowski.
Eine nähere Beschreibung all dieser Formen von staatlich begangenem oder begünstigtem Unrecht würde den hier gesetzten Darstellungsrahmen sprengen. Jedoch sind zu den eingangs genannten drei Bereichen des Systemunrechts, die auch den Schwerpunkt der justiziellen Aufarbeitung bildeten, einige Erläuterungen notwendig, um die Dimensionen und die Schwere der Verletzungen deutlich zu machen.
II.1. Praktiken des MfS
Das MfS, „Schild und Schwert der Partei", das am Ende der DDR ca. 90.000 offizielle und doppelt so viele inoffizielle Mitarbeiter hatte, schreckte vor nichts zurück, um Personen, die aus seiner Sicht der DDR geschadet haben oder noch gefährlich werden konnten, auszuschalten. Hierzu wurden Pläne geschmiedet, die auf vorausgegangenen Beobachtungen der Lebensweise, des Umfeldes und von Besonderheiten in der Person des Opfers beruhten, an deren Ausarbeitung viele Angehörige des MfS beteiligt waren und mit deren Durchführung sich die Leitung des Ministeriums einverstanden erklärt hat.
Im Jahre 1975 flüchtete beispielsweise der NVA-Soldat W. W. in die Bundesrepublik, nachdem er zwei DDR-Grenzsoldaten getötet hatte. W. wurde deswegen durch ein Gericht der Bundesrepublik zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Ungeachtet dessen wurden im MfS in einem Operativvorgang mit der Bezeichnung „Terrorist“ Pläne geschmiedet, W. in der Bundesrepublik zu ermorden. In einer sogenannten Realisierungskonzeption, die verschiedene Alternativen zur Erreichung dieses Ziels aufführte, hieß es unter anderem:
„Habhaftwerden des ‚Terrorist’ und Vortäuschung eines Selbstmordes ...“
oder
„Habhaftwerden des ‚Terrorist’ durch Erschießen mittels einer Handfeuerwaffe Beretta – schallgedämpft – auf dem Anmarschweg Wohnung–Arbeitsstelle und nachfolgende Beseitigung von Spuren zu dieser Handlungsweise ...“
In einem anderen Plan zur „Liquidierung“ eines bestimmten ehemaligen Mitarbeiters des MfS, der in die Bundesrepublik geflüchtet war, ist zu lesen:
„Das Gelände ist geeignet, den ‚Verräter‘ unschädlich zu machen und ihn entweder im Teich zu versenken oder, wenn erforderlich, von dort aus weiter zu transportieren.“
Beziehungsweise: „Bedingt durch das starke Körpergewicht des (Verräters) und andere für eine Rückführung ungünstige Faktoren wird vorgeschlagen, die für ihn vorgesehene Strafe unmittelbar an seinem jetzigen Wohnort zu vollziehen und ihn physisch zu vernichten.“
Mehr als 50 derartige Fälle sind bekannt geworden. Eine wichtige Zielgruppe waren insoweit nach dem Mauerbau Angehörige von Fluchthelferorganisationen. Auch die Entführung/Verschleppung von Agenten westlicher Geheimdienste, aber auch von Angehörigen des Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen, von politischen Flüchtlingen und missliebigen Journalisten, die mundtot gemacht werden sollten – vorwiegend aus dem Westteil Berlins nach Ostberlin –wurde in der Zeit von 1949 bis 1964 vom MfS generalstabsmäßig vorbereitet.
Es wurden Festnahmepläne entwickelt, die auch den Segen der Hausspitze des MfS hatten. Das Ministerium für Staatssicherheit kannte drei verschiedene Methoden der Entführung: Entweder wurden die Opfer unter einem Vorwand – meist unter Einschaltung von Verwandten und Freunden – in Grenznähe oder in die DDR gelockt, oder sie wurden durch Verabreichung von Betäubungsmitteln in Kaffee oder Weinbrand handlungsunfähig gemacht und dann mit einem Auto in den Osten gebracht, oder sie wurden zusammengeschlagen und dann im Kofferraum von Autos in die DDR verbracht. Mehr als 500 derartiger Fälle beschäftigten die Staatsanwaltschaft im, Westen zwischen 1950 und 1989.
An strafwürdig erscheinenden innerstaatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung von sogenannten „negativ-feindlichen Kräften“ sind die seit Anfang der 50er-Jahre vom MfS organisierte flächendeckende Überwachung des Fernsprech-, Brief- und Paketverkehrs und das Anbringen von Abhöranlagen zu erwähnen.
Was die Postkontrolle betrifft, so diente diese nicht nur der nachrichtendienstlichen Kontrolle der Denk- und Handlungsweise der Bürger der DDR. Den Mitarbeitern des MfS nur intern kundgetane Zielstellung war auch die Stärkung der Volkswirtschaft der DDR.Darin lag die Aufforderung, Geld und Wertgegenstände aus Briefen und Paketen im grenzüberschreitenden Postverkehr unter dem juristischen Vorwand, deren Ein- oder Ausfuhr verstoße gegen devisen- und zollrechtliche Bestimmungen, zu entnehmen.
Diese wurden verwertet und der Erlös dem Staatshaushalt zugeführt, ohne dass der Absender oder der vorgesehene Empfänger der Sendung vorher gehört oder auch nur unterrichtet wurden. Die Postsendungen wurden vernichtet, alle Spuren beseitigt. Wie wenig diese Praxis den Schutz der Rechtsordnung der DDR im Auge hatte und wie stark der fiskalische Effekt der Aktion im Vordergrund stand, macht der Umstand deutlich, dass auch fehlgeleitete Postsendungen, also Sendungen, die offensichtlich nur irrtümlich in den Postverkehr der DDR gelangt waren, grundsätzlich aufgrund höchster Anordnung dem Postverkehr entzogen und der Verwertung des Inhalts zugeführt wurden. Allein zwischen 1984 und 1989 verschaffte sich die DDR durch die Plünderung von Postsendungen rund 32 Millionen D-Mark.
Die subtilsten, aber auch perfidesten Formen und Methoden staatlichen Terrors, um oppositionelle Bewegungen schon im Keim zu ersticken, hatte das MfS in seiner Richtlinie Nr. 1/76 entwickelt. Sie regelte die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung, deren Ziel „die Zersplitterung, Lähmung, Desorganisierung und Isolierung feindlich gesinnter negativer Kräfte“ war.
Danach galten als „bewährte anzuwendende Formen der Zersetzung“:
1. die systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes, des Ansehens und des Prestiges auf der Grundlage miteinander verbundener wahrer, überprüfbarer und diskreditierender sowie unwahrer, aber glaubhafter, nicht widerlegbarer und damit ebenfalls diskreditierender Angaben,
2. die systematische Organisierung beruflicher und gesellschaftlicher Misserfolge zur Untergrabung des Selbstvertrauens einzelner Personen,
3. die zielstrebige Untergrabung von Überzeugungen im Zusammenhang mit bestimmten Idealen, Vorbildern und ähnlichem und die Erzeugung von Zweifeln an der persönlichen Perspektive,
4. das Erzeugen von Misstrauen und gegenseitigen Verdächtigungen innerhalb von Gruppen, Gruppierungen und Organisationen.
„Bewährte Mittel und Methoden der Zersetzung“ waren:
1. das Heranführen bzw. der Einsatz von IM, legendiert als Kuriere der Zentrale, Vertrauenspersonen des Leiters der Gruppe, übergeordnete Personen, Beauftragte von zuständigen Stellen aus dem Operationsgebiet oder andere Verbindungspersonen;
2. die Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, Telegramme, Telefonanrufe, kompromittierender Fotos, etwa von stattgefundenen oder vorgetäuschten Begegnungen;
3. die gezielte Verbreitung von Gerüchten über bestimmte Personen einer Gruppe, Gruppierung oder Organisation.
Diese Handlungsanweisung war keine abschließende Regelung. In der Richtlinie hieß es vielmehr:
„Diese Mittel und Methoden sind entsprechend den konkreten Bedingungen des jeweiligen operativen Vorgangs schöpferisch und differenziert anzuwenden, auszubauen und weiter zu entwickeln.“
Dies konnten sie und taten sie. Der Bürgerrechtler Wolfgang Templin, Mitbegründer der Oppositionsgruppe „Initiative Frieden und Menschenrecht“, erinnert sich an die ihm widerfahrenen Repressionen Mitte der 80er-Jahre:
„Erst läutete ständig das Telefon. Dann standen täglich fremde Menschen vor meiner Tür. Sie wollten Münzen, Bilder und Schmuck ankaufen, boten mir ihre Autos zu hohen Preisen an. Dauernd klopften Bauarbeiter an, die ich bestellt haben sollte, damit sie an meinem Wochenendhaus bauen. Später kamen Stiegen von lebenden Hühnern, Kartons mit Kondomen und Baumaschinen per Bahnpost.“
Nach dieser Richtlinie ist das MfS tausendfach vorgegangen. Durch diese „leise Form des Terrors“ sind menschliche Bindungen und Menschen seelisch zerstört und psychische Verwüstungen angerichtet worden.
II 2. Das Wirken der DDR-Justiz
In der DDR wurden schätzungsweise 150.000 bis 200.000 Menschen aus politischen Gründen verurteilt und eingesperrt. In 72 Fällen wurde die Todesstrafe verhängt und in 52 Fällen auch vollstreckt. Die Justiz der DDR war mit der demokratischer Rechtsstaaten nicht zu vergleichen. Die Richter waren Parteifunktionäre. In der einschlägigen Fachliteratur der DDR ist zum Begriff und Instrumentalcharakter des Rechts nachzulesen:
„Die sozialistische Gesetzlichkeit ist eine wichtige Methode der Diktatur des Proletariats ..., die dazu beiträgt, ... die ... Verhältnisse der sozialistischen Ordnung zu entwickeln ... und damit die Funktionen des sozialistischen Staates erfolgreich auszuüben. In diesem Prozess wächst ständig ihre Bedeutung als grundlegende Methode der Machtausübung und damit zur einheitlichen Verwirklichung der in den Beschlüssen der Partei wissenschaftlich begründeten objektiven Erfordernisse. Einhaltung der Gesetze und ihre parteiliche Anwendung im Interesse der sozialistischen Gesellschaft bilden eine Einheit. Parteilichkeit und Gesetzlichkeit stehen nicht in einem alternativen oder einander ergänzenden Verhältnis zueinander. Die sozialistische Gesetzlichkeit ist Ausdruck der Parteilichkeit.“
Waren es in den Anfangsjahren Einzelweisungen der Partei, so waren es später in der Verfassung der DDR vorgesehene Richtlinien und Beschlüsse des Präsidiums des Obersten Gerichts, aber auch mit dem Generalstaatsanwalt der DDR und dem Zentralkomitee (ZK) der SED (Abteilung Staat und Recht) abgestimmte, nicht veröffentlichte und geheime Orientierungen, die Anspruch auf Verbindlichkeit erhoben und den Richtern das Handeln vorgaben. In Schulungsveranstaltungen für Leitungskräfte der Justiz wurde kein Hehl daraus gemacht, dass in der Rechtsverwirklichung das Primat der Politik zu gelten hatte.
Markante Stationen dieser 40-jährigen, nicht an Wahrheit und Gerechtigkeit orientierten, von der SED gesteuerten und instrumentalisierten politischen Justiz, die sich durch den undurchsichtigen Begriff der „sozialistischen Gesetzlichkeit“ ein fadenscheiniges juristisches Mäntelchen umhängte, waren:
die sog. Waldheimer Prozesse, in denen 1950 innerhalb von vier Monaten durch von der SED ausgesuchte Richter und Staatsanwälte mehr als 3.400 Menschen unter Missachtung aller elementaren Verfahrensrechte im Viertelstundentakt zu schwersten Strafen – in 32 Fällen zum Tode – verurteilt wurden,
die nach stalinistischem Vorbild in den 50er-Jahren durchgeführten Schau- und Geheimprozesse zur Säuberung des Staats- und Parteiapparats, aber auch Prozesse gegen Wirtschaftsfunktionäre und Manager privatwirtschaftlicher Unternehmen, Handwerker und Bauern, die der Umgestaltung von Staat und Gesellschaft im Wege standen.
die Aburteilung von Regimegegnern und Abweichlern als „Agenten des Monopolkapitalismus“, aber auch vermeintlichen Spionen und Agenten im klassischen Sinne, die in vielen Fällen zu überaus harten Freiheitsstrafen und auch zum Tode verurteilt worden sind.
Strafprozesse gegen Angehörige der studentischen, religiösen und intellektuellen Opposition.
nach dem Mauerbau, vorwiegend nach der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte von Helsinki 1975 die Verfahren gegen ausreisewillige DDR-Bürger und Bürgerinnen; zahlenmäßig stellten sie nach 1989 den größten Anteil der Ermittlungsverfahren wegen Rechtsbeugung.
II.3. Das Geschehen an der früheren deutsch-deutschen Grenze
Die Grenze, die quer durch Deutschland führte, war 1.333 km lang. Die Grenze um Berlin hatte eine Länge von 155 km und die Mauer, die Berlin innerstädtisch teilte, erstreckte sich über 43 km. Das SED-Politbüro gestaltete in der Aufbauphase zwischen 1952 und insbesondere1961/62 durch eine Vielzahl von ausführlichen und detaillierten Entscheidungen das Grenzregime. Es schuf die Rahmenbedingungen zur Abriegelung der Grenze zur Bundesrepublik Deutschland.
Zeitgleich baute das Politbüro den Nationalen Verteidigungsrat als ein staatlich legitimiertes Stellvertreterorgan auf, mit dem es über ein zuverlässiges und steuerbares Gremium verfügte, das für Grenzsicherungsfragen zuständig war. Der Nationale Verteidigungsrat setzte das vom Politbüro begonnene Werk durch Perfektionierung der Grenzsicherungsanlagen fort. Grundlegende Entscheidungen durch das Politbüro waren erst in den Jahren 1971und 1973 im Zusammenhang mit der Verminung der Grenze und der Installation von Selbstschussanlagen wieder erforderlich.
Danach fasste das Politbüro bis zu seiner Auflösung keine grundsätzlichen Beschlüsse zur Grenzsicherung mehr, entschied aber aus Anlass der Parteitage regelmäßig über die Fortführung des praktizierten Grenzregimes, indem es den „Klassenauftrag" definierte und in diesem Sinne die das Grenzsystem tragenden staatlichen Organe anwies. Die Formulierung enthielt hierbei für diese Organe stets den Auftrag, weiterhin die Souveränität der DDR, ihre territoriale Integrität, die Unverletzlichkeit ihrer Grenzen und ihre staatliche Sicherheit zu gewährleisten. Dies hieß für die Grenztruppen – und das wurde von diesen auch so verstanden –, weiter so zu handeln wie bisher, also keinen unkontrollierten Grenzübertritt zuzulassen und die Schusswaffe auch unter Inkaufnahme tödlicher Verletzung gezielt gegen sogenannte Grenzverletzer anzuwenden, wenn es keine andere Möglichkeit gab, einen Grenzdurchbruch zu verhindern. Dieser „Klassenauftrag" bewirkte also für den Zeitraum bis zum nächsten Parteitag das Aufrechterhalten der bis dahin praktizierten Grenzsicherung.
Das Ministerium für nationale Verteidigung erließ jährlich einen vom 30.11. bis zum 1.12. des Folgejahres geltenden Befehl, der die Aufgabe der Sicherung der Grenze für die kommenden 12 Monate zum Gegenstand hatte. Gerichtet war der Befehl an den Chef der Grenztruppen, dem diese zuletzt in einer Stärke zwischen 40.000 und 50.000 Mann unterstanden. Dieser gab einem diesem Befehl entsprechenden eigenen Befehl heraus, der an die Kommandeure der Grenzkommandos Nord, Süd und Mitte gerichtet war und den diese durch entsprechende Befehle an die ihnen unterstellte Ebene, die Kommandeure der einzelnen Grenzregimenter, umsetzten. Dabei wurden die die Grenze betreffenden Aufgaben für die in den einzelnen Abschnitten eingesetzten Truppen unter Beachtung der dort herrschenden Bedingungen weiter präzisiert.
Diese Befehle wurden anschließend durch die Kommandeure der einzelnen Grenzregimenter wiederum in Form eigener Befehle bis zu den untersten Einheiten der Grenztruppen weitergegeben. Die Befehle enthielten ins Einzelne gehende, bindende Anweisungen an die nachgeordneten Stellen zur Ausbesserung oder zur Neuanlegung von Minenfeldern sowie zur Nachrüstung von Selbstschussanlagen und regelmäßig die Anordnung, „Grenzdurchbrüche nicht zuzulassen“.
Bis in das Jahr 1989 hinein wurde seit 1949 an der innerdeutschen Grenze, die seit Herbst 1961 bis 1982 zunächst durch Erdminen und seit 1971 zusätzlich auch durch Splitterminen (SM 70) „geschützt" war, von Seiten der DDR auf Deutsche geschossen. Mindestens 232 Menschen, davon 109 an der Berliner Mauer, wurden durch Schusswaffengebrauch und 33 Menschen durch Minen und Selbstschussanlagen getötet. Mehrere hundert Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Selbst in der nüchternen, auf das strafrechtlich Wesentliche konzentrierten Sprache einer Anklageschrift – die das, was die Opfer während und nach der Tat durchlitten haben, in seinem ganzen Ausmaß nicht einfangen kann – kommt das erbarmungslose und grausame Vorgehen und die Perversität des Einsatzes von Kriegswaffen gegen unbewaffnete Zivilisten noch zum Ausdruck. Dafür beispielhaft zwei Fälle, in denen die Flucht durch Minen und Schusswaffeneinsatz verhindert wurde:
1. Fall:
Am 14. Dezember 1971 flüchteten der 21-jährige Lothar J. und seine Ehefrau, die 20-jährige Jutta J., gemeinsam mit ihrer elf Monate alten Tochter Heike über das Minenfeld Nr. 27 von Ost nach West. Hierbei trat Jutta J. auf eine Mine, durch deren Detonation ihr das rechte Bein in Höhe des Oberschenkels vollständig abgerissen wurde. Ihr linkes Bein wurde im Bereich der Wade so weit abgetrennt, dass es nur noch durch Hautfetzen mit dem übrigen Körper verbunden blieb.
2. Fall:
Am 16. Februar 1977 versuchte der am 21. Februar 1958 geborene Dietmar S. durch Flucht über die Berliner Mauer im Norden Berlins nach Berlin-Reinickendorf zu gelangen. Gegen 7.07 Uhr näherte er sich aus der Siedlung Schönwalde kommend den Sperranlagen. Beim Überwinden des Grenzsignalzauns löste er Alarm aus. Unmittelbar darauf bewegte er sich laufend zum Kfz-Sperrgraben. Der eingesetzte Grenzposten gab zunächst einen Warnschuss ab. Dieter S. sprang aus dem Sperrgraben in Richtung Grenze. Dabei wurde er von zwei Grenzposten durch kurze Feuerstöße unter Beschuss genommen. Insgesamt wurden 91 Schuss abgegeben. Durch mehrere Schüsse wurde der Flüchtende in Kopf, Brust und Unterleib getroffen. Auf dem Transport zum Armeelazarett erlag er seinen Verletzungen.
Die – meist jungen – Menschen, die im Kugelhagel der Grenzsoldaten starben oder von Minen zerfetzt wurden, waren keine Verbrecher, die die Kontrolle an einem normalen Grenzübergang scheuen mussten und deshalb den gefährlichen Weg über die grüne Grenze suchten. Es waren verzweifelte Menschen, die von ihrem Staat gefangen gehalten wurden, ohne ein Leben nach ihren Vorstellungen führen zu können und die „ihre Konzeption des guten und richtigen Lebens, wie immer diese aussah, selbst um den Preis ihres Todes realisieren wollten“.
Der Einsatz der Schusswaffe durch die Grenzsoldaten war anfangs nur durch zentrale Dienstvorschriften geregelt und erst seit 1982 durch das sog. Grenzgesetz (GrenzG). Die Tötung Fluchtwilliger wurde immer dann als gerechtfertigt angesehen, wenn die Tötung das letzte Mittel zur Verhinderung der Republikflucht war. Nach §27 Abs. 2 GrenzG war die Anwendung der Schusswaffe gerechtfertigt, „ um die unmittelbar bevorstehende Ausführung oder Fortführung einer Straftat zu verhindern, die sich den Umständen nach als ein Verbrechen darstellt". Nach § 213 StGB-DDR war der ungesetzliche Grenzübertritt strafbar und in „schweren Fällen“, ein Verbrechen. Nach der Tatbestandsfassung und Interpretation in Rechtsprechung und Kommentierung in der DDR war kaum eine Begehungsweise denkbar, die nicht als besonders schwerer Fall betrachtet werden konnte. Dabei war nach §27 Abs.5 GrenzG“ bei der Anwendung der Schusswaffe das Leben der Personen nur „nach Möglichkeit zu schonen".
Im Ergebnis wurde dieser Bestimmung in der Praxis der DDR ein eindeutiger Sinn beigelegt: „Keiner darf durchkommen". Das Ziel, den Grenzübertritt um jeden Preis zu verhindern, blieb bei der gebotenen Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Schusswaffeneinsatzes im Rahmen von § 27 Abs. 3 GrenzG unberührt. Verhältnismäßigkeit bedeutete nur: Es ist zunächst zu warnen. Bei Erfolglosigkeit der Warnung ist fluchtunfähig zu schießen. Wenn dies nicht gelingt, ist auch die Tötung als letztes Mittel zulässig. In keinem Fall sind gegen die Schützen Gerichtsverfahren durch die Justiz der DDR eingeleitet worden, auch dann nicht, wenn diese den ihnen erteilten Befehl zweifelsfrei überschritten und gestellte Flüchtlinge regelrecht exekutiert haben. Vielmehr wurde jeder Schütze belobigt und ausgezeichnet, das Geschehen selbst gegenüber den Angehörigen und Bekannten des Toten häufig vertuscht. Bei der Grenzsicherung galt die Devise: "Besser der Flüchtling ist tot als dass die Flucht gelingt".
Strafrechtlich verfolgt wurden nach 1989 nicht nur und nicht in erster Linie die Schützen und Pioniere, die die Minen verlegt haben, sondern auch und insbesondere die Befehlsgeber in allen militärischen und politischen Hierarchieebenen bis hinauf zu den Mitgliedern des Politbüros.
III. Strafrechtliche Bewertung
Dieses staatliche Handeln war nach dem Rechtsverständnis der alten BRD Unrecht, in weiten Teilen auch strafbares Unrecht in Form von Mord, Totschlag, Körperverletzung, Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung. Während des Bestehens der DDR hatte die bundesrepublikanische Justiz aber faktisch keine Möglichkeit, dies zu verfolgen, weil die Täter ihren Wohnsitz in der DDR hatten. Die Justiz musste sich auf das Sammeln von Informationen und die Sicherung von Beweisen durch die nach dem Mauerbau geschaffene zentrale Erfassungsstelle in Salzgitter beschränken. „Wir werden nichts vergessen und es wird auch nichts verjähren“, wurde der DDR- Führung mahnend bei der feierlichen Einrichtung dieser Stelle entgegengerufen.
In den Augen der DDR-Führung war ihr Handeln notwendig zur Durchsetzung der sozialistischen Ideologie in diesem Teil Deutschlands und damit legitim. Es galt das Motto: „Wo gehobelt wird, da fallen Späne.“ Die Eingriffe in die Rechte der Bürger:innen waren aus ihrer Sicht normal, wenn nicht sogar legal. Erst nach der Wende im Herbst 1989 setzte bei den Strafverfolgungsbehörden der DDR ein Umdenken ein. Nicht nur die Fälschung der Kommunalwahlen im Mai 1989 und das Bekanntwerden der persönlichen Bereicherung großer Teile der entmachteten Elite führten zur Einleitung von Strafverfahren.
Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen Erich Honecker wurde auch die Rechtmäßigkeit des Schusswaffengebrauchs an der Grenze in Zweifel gezogen. Erich Mielke wurde unter anderem wegen der repressiven Maßnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit gegenüber der eigenen Bevölkerung in Untersuchungshaft genommen. Die Protagonisten dieser als Friedliche Revolution bezeichneten Umgestaltung der Gesellschaft, die zunächst an den Runden Tischen und später in der Volkskammer saßen, wollten keine Rache und Abrechnung mit dem alten System, sie wollten nicht Gleiches mit Gleichem vergelten und verzichteten deshalb auf Tribunale und kollektive Abstrafungen. Gleichwohl wollten sie, dass den Opfern des Systems Gerechtigkeit und Genugtuung widerfährt und dass die Täter auch bestraft werden, jedoch nur mit den Mitteln des Rechts und durch die Justiz.
Mit dem Beitritt der DDR zur BRD am 3. Oktober 1990 erhielt die nunmehr gesamtdeutsche Justiz den Auftrag, das Handeln der Führung und der Funktionäre der DDR ausnahmslos strafrechtlich zu durchleuchten. Der Anwendungsbereich der Rechtsordnung der alten Bundesrepublik wurde auf das ehemalige Gebiet der DDR ausgedehnt.
Für Straftaten, die vor dem Beitritt begangen worden waren, war eine Übergangsregelung getroffen worden, auf die in anderem Zusammenhang noch näher einzugehen sein wird. Eine Ausnahme von dem Legalitätsprinzip, oder anders ausgedrückt, eine Amnestie für strafbares Handeln von Staatsorganen der DDR, war nicht vorgesehen. Hieran war in der DDR nie und in der alten Bundesrepublik nur zeitweilig und begrenzt auf die gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtete Spionagetätigkeit der DDR gedacht worden.
Derartige Bestrebungen waren aber bald an der mangelnden Akzeptanz in der Bevölkerung beider Teile Deutschlands gescheitert. Das Strafrecht wurde für das Gelingen des Einigungsprozesses, die Aussöhnung von Tätern und Opfern sowie die Bildung und Festigung von Vertrauen in den Rechtsstaat als unverzichtbar angesehen. Andererseits war bei allen Verantwortlichen auch das Bewusstsein vorhanden, dass das Strafrecht im Einigungsprozess zwar eine wichtige, aber nicht die Hauptrolle spielen konnte. Es war abzusehen, dass die Strafjustiz allenfalls auf einen Teil des Unrechts reagieren konnte.
Neben die strafrechtliche Aufarbeitung mussten die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer, die Wiedergutmachung von erlittenen Vermögensschäden, aber auch die historische und politische Aufarbeitung treten.
In diesem letztgenannten Zusammenhang sind die beiden Enquête-Kommissionen des Deutschen Bundestages zur Geschichte und zur Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit zu nennen, aber auch die Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der Deutschen Demokratischen Republik, die kraft Gesetzes der historischen und politischen Aufarbeitung Priorität vor der juristischen einzuräumen hatte. Mit Hilfe der dort aufbewahrten Akten wurden die notwendigen personellen Überprüfungen und Erneuerungen in der öffentlichen Verwaltung durchgeführt.
Durch die Öffnung und Zugänglichmachung der Akten für die betroffenen Bürger und Bürgerinnen, die Medien und die Wissenschaft wurde und wird noch heute ein ganz wesentlicher Beitrag zur Erhellung der Vergangenheit geleistet. Die Strafverfolgung ist nur Teil eines Bündels von Maßnahmen zur Aufarbeitung der Vergangenheit; sie spielte in dieser konzertierten Aktion nicht die erste Geige.
Am 3. Oktober 1990 übernahm eine kleine, aus sechs Staatsanwälten bestehende Berliner Arbeitsgruppe die Ermittlungsakten des Generalstaatsanwalts der DDR. Damit begann die gesamtdeutsche Strafverfolgung der Staatskriminalität der DDR. Diese Arbeitsgruppe, die im Laufe der Zeit personell verstärkt und 1994 in eine eigene, zweite Staatsanwaltschaft beim Landgericht (LG) Berlin umgewandelt wurde, blieb für die in Berlin begangenen Taten und damit auch für die Verfolgung der Spitzenfunktionäre in Partei und Staat zuständig. Für die Verfolgung der in den Bezirken der DDR verübten Taten wurden in den neuen Ländern Schwerpunktstaatsanwaltschaften gebildet.
Das Hauptgewicht der Ermittlungen lag jetzt, anders als vor dem 3. Oktober in der DDR, in der Aufklärung der staatlichen Eingriffe in Leben, Gesundheit und Freiheit der Menschen durch das Militär bei der Grenzsicherung, die Justiz durch die systemstabilisierende Rechtsprechung und die Staatssicherheit durch Auftragsmorde, Entführungen und flächendeckende Überwachungsmaßnamen zur Aufrechterhaltung des SED-Regimes.
Generell war den Strafverfolgungsbehörden ein breites Betätigungsfeld zur Aufarbeitung des Systemunrechts überlassen worden. Kein Hoheitsakt der ehemaligen DDR war der gerichtlichen Überprüfung auf strafrechtliche Relevanz entzogen, kein Repräsentant der DDR konnte sich auf persönliche Immunität berufen. Die Strafverfolgung unterlag einer Beschränkung nur im Rahmen der Verjährung. Insoweit wurde durch die Rechtsprechung und den Gesetzgeber klargestellt, dass die Verjährung während der Existenz der DDR geruht hatte, weil eine Strafverfolgung von Systemunrecht nach dem Willen der Staats- und Parteiführung der DDR in dieser Zeit nicht stattgefunden hatte. Durch zwei weitere Verjährungsgesetze wurde der Eintritt der Strafverfolgungsverjährung um drei beziehungsweise fünf Jahre hinausgeschoben.
Die Täter konnten sich auch nicht auf von der DDR erlassene Amnestien berufen, auch nicht darauf, dass sie als Repräsentanten eines anderen Staates, dessen Hoheitsakte nicht justiziabel wären, gehandelt hatten. Mit dem Untergang des Staates der DDR waren diese Privilegien erloschen. Man kann also sagen, dass grundsätzlich jede Tat bestraft und jeder Funktionsträger der ehemaligen DDR zur Verantwortung gezogen werden konnte. Das war eine gute Ausgangslage.
IV. Die Rahmenbedingungen im Einzelnen und Ergebnisse
Eine effiziente Kriminalitätsbekämpfung mit den Mitteln des Strafrechts erfordert aber mehr und generell dreierlei:
1. eine klare Rechtslage
2. eine gute Beweislage und
3. eine Justiz mit einer der Aufgabe angemessenen Organisation und Personalausstattung.
In keinem dieser drei Bereiche waren die Voraussetzungen optimal.
Die Strafverfolgung erfolgte dezentral. Zuständig waren nach dem Tatortprinzip mit Schwerpunkt in Berlin nicht nur einzelne Landesstaatsanwaltschaften in den fünf neuen Bundesländern, sondern auch, soweit Agententätigkeit und damit zusammenhängende Straftaten in Betracht kamen, der Generalbundesanwalt. 1990/91 war die Errichtung einer zentralen Verfolgungsbehörde oder die Erweiterung der Zuständigkeit des Generalbundesanwalts erwogen worden. Der Gedanke wurde aber ebenso schnell, wie er aufgekommen war, wieder verworfen, und zwar mit Rücksicht auf die föderale Struktur der Bundesrepublik und die Länderzuständigkeit für die Strafjustiz. Die Beibehaltung der aufgespaltenen Ermittlungszuständigkeit hat der Sache nicht genutzt, sondern eher geschadet:
Durch die Schaffung einer zentralen Strafverfolgungsbehörde wäre nicht nur der Charakter dieser Tätigkeit als „gesamtdeutsche Aufgabe“ besser zum Ausdruck gekommen, es hätte auch durch die Zuweisung von Planstellen die Möglichkeit bestanden, personelle Kontinuität in der Sachbearbeitung zu erreichen. Die Entscheidung für die Strafverfolgung durch die Länderstaatsanwaltschaften in Berlin und im sogenannten Beitrittsgebiet brachte es mit sich, dass diese durch die westdeutschenBundesländer personell unterstützt werden mussten.
Beamtenrechtlich war dies nur auf Zeit und mit Einverständnis des betroffenen Beamten möglich. Die Bereitschaft von berufserfahrenen und gut qualifizierten Staatsanwälten, sich nach Berlin abordnen zu lassen, war nach der Anfangsphase nicht mehr sehr groß, weil der finanzielle Anreiz durch Kürzung der damit verbundenen Zulage immer geringer wurde. Noch prekärer war die Personallage beim Berliner Landgericht. Viele der dort erhobenen Anklagen konnten nicht zeitnah, sondern häufig wegen Überlastung der zuständigen Strafkammer erst nach mehreren Jahren verhandelt werden. Erst 1995, nach langwierigen, schwierigen Verhandlungen, insbesondere, was die Beteiligung des Bundes anbetraf, kam eine Einigung über die Finanzierung von 28 Richterstellen beim Landgericht Berlin zustande.
Und nun zu dem rechtlichen Instrumentarium, das der Justiz an die Hand gegeben worden ist, um das Staatsunrecht in der früheren DDR strafrechtlich zu verfolgen und zu ahnden: der bereits früher erwähnten Übergangsregelung. Der Gesetzgeber hat sich in einer Anlage zum Einigungsvertrag für eine Anwendung des § 2 des Strafgesetzbuchs auf die vor dem Beitritt begangenen Straftaten in der DDR entschieden.
Damit ist die Strafjustiz auf den mühsamen Weg verwiesen worden, eine alternative Strafbarkeitsprüfung nach dem zur Tatzeit geltenden und dem heute geltenden Recht vorzunehmen und dann, wenn nach beiden Rechtslagen eine Strafbarkeit gegeben war, auf den Täter das Recht anzuwenden, das für diesen das günstigere war. Durch diese Regelung wurde dem Rückwirkungsverbot des Art.103 Abs. 2 GG Rechnung getragen.
War die Tat am Tatort nach dem zur Tatzeit geltenden Recht nicht strafbar, dann konnte dieser Zustand nachträglich nicht zu Lasten des Täters geändert werden. War die Tat nach dem zum Zeitpunkt der Aburteilung geltenden Recht nicht mehr strafbar, dann musste trotz Strafbarkeit zum Tatzeitpunkt der Täter ebenfalls freigesprochen werden. Diese Regelung, deren Prinzip für Rechtsänderungen innerhalb eines Rechtssystems nicht konfliktträchtig ist, wirft erhebliche Probleme auf, wenn sie auch bei der Beurteilung von strafrechtlich relevant erscheinenden Verhaltensweisen in einem anderen Rechtssystem mit einer anderen Werteordnung und Schutzrichtung der Norm herangezogen werden soll. So musste in allen Fällen, in denen die Strafnorm nicht dem individuellen Rechtsgüterschutz diente, wie zum Beispiel bei der Wahlfälschung und der Rechtsbeugung, zunächst geklärt werden, ob der Unrechtskern der zur Tatzeit geltenden Norm durch die Gesetzesänderung unberührt geblieben ist, ob also die sogenannte Unrechtskontinuität gegeben war.
Die größten Schwierigkeiten traten bei der Beantwortung der Frage auf, was das zur Tatzeit geltende Recht der DDR war und welche Maßstäbe zu dessen Ermittlung heranzuziehen waren. Hiervon hing die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Grenzsoldaten und der Befehlsgeber für die Toten und Verletzten an der Grenze sowie der Angehörigen der DDR-Justiz für Todesurteile und Freiheitsentziehung durch Richterspruch ab.
Mit dem Grenzgesetz hatte die DDR sich eine gesetzliche Grundlage für die Eingriffe in Leben und Gesundheit der sogenannten „Grenzverletzer“ geschaffen. Das begrifflich schwammige, durch unbestimmte Rechtsbegriffe gekennzeichnete politische Strafrecht der DDR, durch das die Ausübung der Freiheitsrechte – wie des Rechts auf Ausreise, auf Meinungsäußerung, auf Versammlung und Demonstration – kriminalisiert wurde, ermöglichte es der DDR-Justiz, hart gegen regimekritische Bürger:innen und Ausreisewillige vorzugehen.
Waren diese zur Tatzeit geltenden Gesetze der DDR bei der Würdigung des Verhaltens der Täter unter strafrechtlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigen?
Diese Frage ist in der Rechtswissenschaft sehr unterschiedlich beantwortet worden. Im Hinblick auf politische Täter diktatorischer Regime haben viele das Rückwirkungsverbot für schlechthin nicht anwendbar gehalten. Da das Rückwirkungsverbot die Beschränkung der Machthaber bezwecke, um die Bürger:innen eines Staates vor Willkür zu schützen, könnten sich die Mächtigen des Staates nicht genau auf jenes Instrument berufen, das die Unterworfenen vor ihnen schützen soll. Auch wurde argumentiert, Art.103 Abs. 2 GG verlange keine Bindung an fremdes Recht, sondern nur an Strafgesetze, die der Rechtsstaat selbst erlassen habe.
Auf der anderen Seite wurde aber auch vertreten, dass die geschriebene Rechtslage der DDR „beim Wort“ zu nehmen sei und die Strafverfolgung sich dementsprechend auf Exzessfälle zu beschränken habe. Noch weiter gingen andere Autoren, nach deren Ansicht eine Strafverfolgung ausnahmslos gegen das Rückwirkungsverbot verstoße, weil bei der Ermittlung des zur Tatzeit geltenden Rechts nicht auf den Wortlaut der Gesetze, sondern auf die faktisch gelebte Verfassung, auf die Rechtswirklichkeit, abzustellen sei, nach der aber der Einzelne völlig rechtlos gewesen sei.
Der BGH knüpfte im Rahmen von Strafverfahren wegen der Tötung von Flüchtlingen an der Grenze an seine damals zur Verfolgung von NS-Verbrechen entwickelten Grundsätze an. Damals hatte er unter Rückgriff auf die sogenannte Radbruch‘sche Formel erklärt: „Anordnungen, die die Gerechtigkeit nicht einmal anstreben, den Gedanken der Gleichheit bewusst verleugnen und die allen Kulturvölkern gemeinsame Rechtsüberzeugungen, die sich auf den Wert und die Würde der menschlichen Persönlichkeit beziehen, deutlich missachten, schaffen kein Recht, und ein ihn entsprechendes Verhalten bleibt Unrecht."
Diesen Gedanken griff der BGH wieder auf, ohne damit diese Handlungen mit den nationalsozialistischen Massenmorden gleichzusetzen. „Gleichwohl bleibt die damals gewonnene Einsicht gültig, dass bei der Beurteilung von Taten, die im staatlichen Auftrag begangen worden sind, darauf zu achten ist, ob der Staat die äußerste Grenze überschritten hat, die ihm nach allgemeiner Überzeugung in jedem Land gesetzt ist."
Als Prüfungsmaßstab wurde der internationale Stand des Menschenrechtsschutzes angesehen, wie er in internationalen Menschenrechtspakten und in der UN-Menschenrechtserklärung von 1948 seinen Ausdruck gefunden hat. Diese Prüfung fiel hinsichtlich der Tötungshandlungen an der Grenze „wegen der überragenden Bedeutung des Rechtsgutes des menschlichen Lebens“ zugunsten der Gerechtigkeit aus, sodass trotz der entgegengesetzten damaligen Rechtspraxis in der DDR eine Verfolgung und Ahndung dieser schwersten Menschenrechtsverletzung unter dem strafrechtlichen Gesichtspunkt des Totschlags möglich war.
In einem Grundsatzurteil vom 3.11.1992 hat der BGH erklärt, dass § 27 Abs. 2 des Grenzgesetzes, so, wie er von der Staatspraxis verstanden worden ist – der Schutz der Grenze hat Vorrang vor dem Schutz des menschlichen Lebens – wegen Verletzung der in den Art. 6 und 12 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte garantierten Menschenrechte auf Ausreise und Leben die Anerkennung als Rechtfertigungsgrund versagt werden muss.
Die Auffassung, dass Art. 103 Abs. 2 GG keine Bindung an diejenige Gesetzesinterpretation gebietet, die zur Tatzeit in der Staatspraxis Ausdruck gefunden hat, ist vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 24.10.1996 bestätigt worden, und zwar mit einer den Gegebenheiten – dem durch den Einigungsvertrag erteilten Auftrag zur Verfolgung von Staatsunrecht in einem anderen System – Rechnung tragenden Einschränkung des Rückwirkungsverbots für schwerste Menschenrechtsverletzungen, deren Strafbarkeit durch Rechtfertigungsgründe ausgeschlossen wird. Schließlich hat auch der unter anderem von Egon Krenz nach seiner Verurteilung angerufene Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem einstimmig (17 Richter) gefundenen Urteil vom 22.3.2001 einen Verstoß gegen Art. 7 Abs.2 MRK (europäische Menschenrechtskonvention) verneint. Diese Rechtsprechung, durch die dem Recht des Staates zur Regelung seiner inneren Angelegenheiten Grenzen gesetzt werden, kann als bahnbrechend und wegweisend auch für den künftigen strafrechtlichen Umgang mit dem Missbrauch des staatlichen Gewaltmonopols bezeichnet werden. Die Justiz des vereinten Deutschlands ist zur „Schrittmacherin des Menschenrechtsschutzes" geworden.
Die höchstrichterliche Rechtsprechung führte dazu, dass die für die Tötung der Flüchtlinge Verantwortlichen auch bestraft werden konnten. Wegen der Tötungen an der innerdeutschen Grenze sind gegen mehr als 450 Personen Anklagen wegen vollendeten oder versuchten Totschlags erhoben worden. 267 Angeklagte sind auch verurteilt worden.
Die Mitglieder des Politbüros und des nationalen Verteidigungsrates, die das todbringende Grenzregime organisiert hatten, sind durch die erstmals von der Rechtsprechung praktizierte Figur des „Täters hinter dem Täter“ wegen ihrer Tatherrschaft durch Organisationsgewalt als (mittelbare) Täter und nicht nur als Anstifter verurteilt worden. Gegen sie und andere hohe militärische Befehlsgeber sind Freiheitsstrafen von bis zu siebeneinhalb Jahren verhängt worden. Die auf Befehl handelnden Schützen, denen zumeist ein vermeidbarer Verbotsirrtum zugutegehalten werden konnte, kamen durchweg mit zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen davon.
Die allen zivilisierten Völkern gemeinsame Grundüberzeugung vom allgemeinen Tötungsverbot veranlasste die Rechtsprechung auch, die von der DDR-Justiz verhängten Todesurteile nur dann als gesetzmäßig hinzunehmen, wenn die Ahndung schwersten Unrechts und schwerster Schuld in Rede stand. Weil die Justiz der DDR auch Todesstrafen in Fällen ausgesprochen und vollstreckte hatte, in denen durch die zu ahndende Straftat – meist Sabotage oder Spionage – kein gravierender Schaden entstanden war, wurden die dafür verantwortlichen Richter und Staatsanwälte auch wegen Rechtsbeugung und Totschlags verurteilt.
Es hat erst einer zweiten Diktatur auf deutschem Boden und deren justiziellen Aufarbeitung bedurft, bis die Richter des BGH die Gelegenheit bekamen, sich von der skandalösen Rechtsprechung ihrer Vorgänger zu den Todesurteilen der NS-Richter zu distanzieren und diese zu revidieren: „Der durch Rechtsblindheit infolge politischer Überzeugung und Willfährigkeit gegenüber den politischen Machthabern abgestumpfte Richter handelt gleichwohl vorsätzlich und unterliegt auch keinem zur Strafmilderung Anlass gebenden Irrtum.“ Richter und Staatsanwälten, die an – rechtsstaatswidrigen – Verurteilungen zu Freiheitsstrafen mitgewirkt hatten, konnten dagegen wegen des Rückwirkungsverbotes kaum strafrechtlich belangt werden. Zwar sah der Bundesgerichtshof, dass die Vorschriften des politischen Strafrechts der DDR, die den meisten Verurteilungen zugrunde lagen, mit den Menschenrechten auf Ausreise-, Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit unvereinbar waren. Die Verletzung dieser Rechte wurde aber als nicht so weitgehend angesehen, dass sie jenes Maß an Unerträglichkeit erreichte, das zur Unverbindlichkeit gesetzten Rechts führen muss. Diesen tangierten Menschenrechtspositionen kam nicht die elementare Bedeutung der Unantastbarkeit menschlichen Lebens zu.
Die Folge war, dass bei der strafrechtlichen Beurteilung der Rechtsprechung in der DDR die aus der Perspektive des Rechtsstaates als Unrecht zu bewertenden Normen des politischen Strafrechts der DDR so behandelt werden mussten, als wären sie Recht. Wegen des Verbots rückwirkender Gesetzesanwendungen musste die Gesetzesinterpretation darüber hinaus nach den in der DDR praktizierten Auslegungskriterien erfolgen. Es war zu beachten, dass durch die Rechtspflege der Entwicklung der DDR und ihrer Staats- und Gesellschaftsordnung Vorrang vor dem Individualrechtsgüterschutz eingeräumt wurde. Die Justizpraxis der DDR, durch die das auch in der DDR-Verfassung verankerte Recht der Meinungsfreiheit auf staatskonforme Meinungen reduziert und das Menschenrecht auf Ausreise praktisch auf null zurückgeführt wurde, war daher einer strafrechtlichen Ahndung weitgehend unzugänglich.
Die Bestrafung von Richtern und Staatsanwälten der DDR war auf Fälle beschränkt, in denen die Rechtswidrigkeit der Entscheidung so offensichtlich war, dass sie sich als Willkürakt darstellte. Rechtsbeugung kam nach dieser Rechtsprechung nur dann in Betracht, wenn Straftatbestände unter Überschreitung des Wortlautes oder unter Ausnutzung ihrer Unbestimmtheit derart überdehnt worden waren, dass eine Bestrafung, zumal mit Freiheitsstrafe, als offensichtliches Unrecht anzusehen war, wenn die Strafe in einem offensichtlichen Missverhältnis zu der Handlung gestanden hat, und wenn die Art und Weise der Durchführung von Verfahren nicht der Verwirklichung von Gerechtigkeit, sondern der Ausschaltung des politischen Gegners oder einer bestimmten politischen Gruppe gedient hatte.
Weil der Bundesgerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes die von den ehemaligen Justizfunktionären der DDR vorgenommene extensive Auslegung der ohnehin schon offenen Tatbestände des politischen Strafrechts in der Anwendung auf Dissidenten, Oppositionelle und Ausreisewillige als „noch nachvollziehbar“oder „noch vertretbar“ hinnahm, ist es so gut wie gar nicht zu Verurteilungen wegen der Überschreitung der Wortlautschranke gekommen.
Fast nur Fälle, in denen die verhängte Sanktion nach Art oder Höhe in einem unerträglichen Missverhältnis zu der abgeurteilten Straftat stand, führten zu Verurteilungen. In sich konsequent ist hierbei die Berücksichtigung von erschwerenden Strafzumessungsgesichtspunkten aus der Sicht der damaligen Richter und Staatsanwälte. Aber unter dem Befriedungsaspekt sind die diesbezüglichen Ausführungen des Bundesgerichtshofs, mit denen dann in den meisten Fällen die Strafen als noch hinnehmbar begründet wurden, geradezu kontraproduktiv und die Opfer kränkend.
So wird die Vorbereitung einer Demonstration für die Ausreisefreiheit aus Sicht der DDR als für die öffentliche Ordnung besonders gefährlich und deshalb strafschärfend bewertet, ebenso die Uneinsichtigkeit, die darin liegt, dass jemand es auf seine Verhaftung anlegt habe, um seinen Ausreisewunsch durchzusetzen, ferner der wiederholte Rechtsbruch, etwa die wiederholten Versuche der Republikflucht. Je widerständiger sich der DDR-Bürger oder die -Bürgerin im Unrechtsstaat DDR verhielten, umso härter durfte die Strafe sein.
Der Bundesgerichtshof selbst hebt den unbefriedigenden Aspekt seiner Rechtsprechung hervor, wenn er sagt, dass „massive Reaktionen der DDR-Justiz gerade auf besonders mutiges und aktiv auf die Durchsetzung von Freiheitsrechten gerichtetes Verhalten wegen des nach rechtsstaatlichen Prinzipien gebotenen Abstellens auf die Sicht des DDR-Rechts eher selten zur Annahme von Rechtsbeugung führen werde, weil die DDR-Justiz gerade solches Verhalten von Menschen mit Zivilcourage aus ihrer Sicht zu Recht besonders fürchten musste.“ Dies ist eine schlechte Botschaft für Demokratiebewegungen in anderen Diktaturen. Von den insgesamt 181 verurteilten Richtern und Staatsanwälten wurde die überwiegende Zahl wegen Rechtsbeugung in diesem Kontext verurteilt und zwar fast ausschließlich zu Freiheitsstrafen auf Bewährung. Hier ist die Justiz weit unter ihren Möglichkeiten geblieben. Genauso gut, wie der BGH eine Gesetzesanwendung als noch vertretbar oder die Höhe einer Strafe als noch hinnehmbar bewertete, hätte auch die gegenteilige Entscheidung getroffen werden können. Denn plausible Abgrenzungskriterien wurden nicht genannt und sind für diesen Bereich auch schwer zu entwickeln. Man muss in diesem Zusammenhang aber auch sehen: Außer Deutschland hat sich außer Südafrika 1996 mit der "Wahrheits- und Versöhnungskommission" bisher kein Land nach einem Systemumbruch der Aufgabe gestellt, das Justizunrecht des überwundenen Regimes intensiver aufzuarbeiten.
Der schonende, ja skrupulöse Umgang mit der DDR-Justiz entspricht der Haltung der sogenannten zivilisierten Welt gegenüber der Kriminalisierung des Gebrauchs von insbesondere politischen Freiheitsrechten durch eine gesteuerte Justiz in nicht rechtsstaatlich verfassten Staaten. Dieses Phänomen wird nur selektiv zur Kenntnis genommen, wenn das Justizopfer prominent und einer breiten Öffentlichkeit bekannt ist.
Der letzte Aufsehen erregende Fall war die Verurteilung des chinesischen Anwalts und Bürgerrechtlers Zu Zhiyong im Januar 2022 zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren, weil er in mehreren kleinen Protestaktionen in verschiedenen Orten in China gefordert hatte, dass die staatlichen Funktionäre zur besseren Bekämpfung der Korruption ihre Vermögenverhältnisse offen legen sollten.
Auch dann wird keine Kritik geübt, die auf einer festen, ethischen, am Wert der Menschenrechte orientierten Position basiert. Vielmehr sind Zweckmäßigkeitserwägungen und diplomatische Rücksichtnahme die bestimmenden Faktoren. Die Staaten verschanzen sich hinter dem völkerrechtlichen Gebot der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates und beschränken sich auf humanitäre Hilfe in Einzelfällen. Präventiv wird nichts getan, der Opfer allenfalls nach einem Systemwechsel gedacht. Das muss sich ändern. Justizverbrechen müssen auch als solche benannt und stärker geächtet werden.
Der Kern des Problems liegt aber nicht in einer fehlerhaften Rechtsanwendung im Einzelfall. Er liegt vielmehr in der Kriminalisierung des Gebrauchs von bürgerlichen Freiheitsrechten mittels formeller Gesetze und deren Durchsetzung mithilfe einer regimetreuen Justiz. Eine Norm, durch die diese staatliche Repression im Gewand der „Rechtsprechung“ unter Strafe gestellt wird, existiert, soweit ich sehe, nicht. Von ihr ist das humanitäre Völkerrecht, das in UN-Resolutionen und Konventionen seinen Niederschlag findet, noch sehr weit entfernt. Dies hat sicherlich auch damit zu tun, dass die UN-Mitgliedstaaten mehrheitlich Diktaturen sind.
In welche Richtung die Entwicklung der Rechtsprechung gehen muss, hat der BGH auch aufgezeigt, wenn er generell in Bezug auf die Anwendung des Strafrechts sagt, dass Rechtsbeugung in den Fällen in Betracht kommt, in denen die Auslegung einer Strafnorm zum Nachteil des Beschuldigten offensichtlich die äußerste Grenze hinnehmbarer Rechtsanwendung berührt, gleichwohl aber eine im vorgesehenen Strafrahmen besonders schwerwiegende Rechtsfolge verhängt wird, und dass bei bloßen Meinungsäußerungsdelikten dem Staat in der Rechtsfolgenbemessung engere Grenzen gezogen sind als bei Delikten, die über eine bloße Meinungsäußerung hinausgehen. Die im Auftrag des MfS erfolgten Anschläge auf das Leben und die Entführungen von „Feinden der DDR“, deren rechtliche Einordnung problemlos war, konnten zum größten Teil aus tatsächlichen Gründen nicht geahndet werden. Von den über 500 Verdachtsfällen, die überwiegend Entführungen von West nach Ost betrafen, konnten nur wenige Fälle aufgeklärt und noch lebenden Personen zugeordnet werden. Die meisten Täter dieser überwiegend in den 50-er-Jahren ausgeübten Praktiken waren bereits verstorben. Die Unterlagen über die Planung und Ausführung der Taten waren nach Ablauf der Aufbewahrungsfristen oder gezielt während der Wende vernichtet worden.
Überwiegend rechtliche Schwierigkeiten stellten sich den Bemühungen entgegen, die Repressionsmaßnahmen des MfS, die unterhalb eines Eingriffs in Leben, Gesundheit und Freiheit lagen, strafrechtlich zu fassen und angemessen zu ahnden. Die Vorstellung, Taten und Täter des MfS über den Auffangtatbestand der Bildung und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung bestrafen zu können, ließ sich nicht verwirklichen, da das MfS keine „gesetzeswidrigen Ziele" im Sinne des § 218 StGB/DDR verfolgte.
Strafrechtliche Reaktionen auf die über 40 Jahre flächendeckend betriebene Telefonüberwachung und Postkontrolle, auf die Beschlagnahme von Wertgegenständen in Postsendungen und die ohne gesetzliche Grundlage und nur auf den Befehl Mielkes erfolgten Hausdurchsuchungen hatten die Täter kaum zu befürchten, weil das Vorgehen weitestgehend weder nach Ost- noch nach Westrecht strafbewehrt oder aber nur nach einer dieser beiden Rechtsordnungen strafbar war und deshalb straflos bleiben musste.
Eine Sanktionierung der ungesetzlichen Überwachung von Telefonanschlüssen und die Aufzeichnung von Gesprächen, die nach bundesrepublikanischem Recht strafbar sind, scheiterte daran, dass das Recht der DDR eine dem § 201 StGB entsprechende Vorschrift nicht kannte.
Umgekehrt erfüllte die Entnahme von Geld und Wertgegenständen durch Angehörige des MfS aus Postsendungen eindeutig den Tatbestand des „Diebstahls persönlichen oder privaten Eigentums“ nach § 177 StGB/DDR, denn auch die Drittzueignung – hier eine Bereicherung des Staates – war nach dieser Vorschrift strafbar.
Dagegen konnte dieses Verhalten nicht zugleich auch unter den allein in Betracht kommenden Tatbestand der Unterschlagung des § 246 StGB/BRD subsumiert werden, weil Begünstigter der Tat nicht der einzelne Täter, sondern der Staat war und eine Drittzueignung damals noch nicht strafbar war. Die Folge war die Straflosigkeit dieser unrechtmäßigen staatlichen Bereicherung. Die Überwachungs- und Zersetzungsmaßnahmen waren allenfalls unter die im Recht der Bundesrepublik als Privatklage- und Antragsdelikte klassifizierten Tatbestände der Beleidigung, der üblen Nachrede, der Sachbeschädigung, des Hausfriedensbruchs und der Verletzung des Briefgeheimnisses rechtlich einzuordnen.
Aus dem zur Verfügung stehenden Strafrahmen – bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe – wird schon deutlich, dass diese Straftatbestände das von Staats wegen auf die Zerstörung von Persönlichkeiten und beruflichen Existenzen angelegte, gravierende und massenhafte Unrecht nicht wirklich abdecken und dass sie deshalb nur als sehr unbefriedigende „Lückenfüller“ angesehen werden können.
Hier wurden die Unzulänglichkeit der Rechtslage und die Hilflosigkeit des Rechtsstaates besonders deutlich. Der Totalitarismus der Gewaltherrschaft wird auf die Bedeutung einzelner konkreter Handlungen der Alltagskriminalität reduziert. Es ist nicht auszuschließen, dass die Opfer vor der Ohnmacht des Rechtsstaates kapituliert haben und deshalb die erforderlichen Strafanträge kaum gestellt haben.
Anklagen und Urteile waren auch dann, wenn Strafanträge gestellt worden waren, kaum möglich, weil es unter Beweisgesichtspunkten schwierig war, diese Handlungsweisen einzelnen Personen auf der Ebene der Befehlsgeber zuzuordnen, und weil den Untergebenen, bei denen der Tatnachweis einfach war, der Schuldausschließungsgrund des Handelns auf Befehl zugutekam.
Es konnten so nur 69 Angehörige des MfS verurteilt werden.
V. Schlussbetrachtung
Für die meisten Opfer bzw. deren Hinterbliebene ist die deutsche Strafjustiz bei der Aufarbeitung des DDR-Unrechts weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Für sie sind zu wenige Täter verurteilt und zu milde Strafen ausgesprochen worden. Diese Enttäuschung ist angesichts der Zahlenbilanz nachvollziehbar: In nur 753 Fällen endeten die Verfahren mit einer Verurteilung der Angeklagten. In nur 46 Fällen wurden Freiheitsstrafen verhängt, die – wenigstens teilweise – zu verbüßen waren. Ist die Aufarbeitung deshalb gescheitert? Eine abschließende Bewertung sollte Anderen, die mehr zeitliche und persönliche Distanz haben, überlassen bleiben. Schon heute kann aber gesagt werden:
Es war richtig, sich für Strafverfolgung und gegen eine Amnestie zu entscheiden. Nicht überall in der Welt, man möchte fast sagen: in den wenigsten Staaten, wurde nach einem Systemumbruch auf das in Diktaturen begangene Unrecht mit dem Strafrecht reagiert, in keinem Land so stark wie in Deutschland; es hieß deshalb auch, Deutschland habe einen Sonderweg beschritten.
In den lateinamerikanischen Militärdiktaturen, in Chile, Argentinien, Brasilien, Uruguay und Bolivien, haben Amnestiegesetze verhindert, dass die Verantwortlichen vor Gericht gestellt wurden. Dies war der Preis für den Übergang in die Demokratie. Die Militärherrscher ermöglichten den friedlichen Übergang in die Demokratie nur gegen Zusicherung von Straffreiheit. Wie wenig innerer Friede durch diese Lösung geschaffen worden ist, zeigen die Reaktionen von Gegnern und Gegnerinnen und Befürworterinnen und und Befürwortern einer strafrechtlichen Verfolgung des chilenischen Diktators Pinochet in Großbritannien und Spanien Ende des vergangenen Jahrhunderts und die Notwendigkeit, in den meisten dieser Länder Wahrheitskommissionen zur Aufdeckung der Diktaturverbrechen einzusetzen.
In den postkommunistischen Staaten Ost- und Mitteleuropas fand eine justizielle Aufarbeitung des kommunistischen Unrechts so gut wie gar nicht oder nur punktuell, bezogen auf bestimmte Ereignisse und Epochen, statt. Dies war weniger eine Folge einer bewussten Entscheidung, eine historische Periode abzuschließen, als vielmehr dem Umstand geschuldet, dass die Kommunisten nach dem Systemwechsel eine starke politische Kraft geblieben waren und dass eine personelle Erneuerung in Verwaltung, Polizei und Justiz nicht stattgefunden hatte.
In allen Fällen waren die politischen Kräfteverhältnisse in Vergangenheit und Gegenwart die bestimmenden Faktoren für die Intensität im späteren Umgang mit dem staatsgesteuerten Unrecht. In der Bundesrepublik waren diese Kräfteverhältnisse anders als in den zuvor genannten Ländern.
Die ehemaligen Machthaber im Staats- und Parteiapparat der DDR waren von der Bevölkerung aus dem Amt gejagt und entmachtet worden. Im großen Maße konnte ein Elitenwechsel stattfinden, da im Westen Deutschlands ein hohes Potential an unbelastetem und kompetentem Personal zur Verfügung stand, um das Rechts- und Verwaltungssystem der alten Bundesrepublik auf das Gebiet der ehemaligen DDR zu übertragen. Die alten Machthaber hatten beim Aufbau des neuen Systems nichts mehr zu sagen und waren überflüssig geworden. In Deutschland konnte deshalb auch eine umfassende strafrechtliche Aufarbeitung des SED-Unrechts in Angriff genommen werden.
Der von der Bundesrepublik eingeschlagene Weg war aus meiner Sicht der richtige. Im Rechtsstaat ist die Ahndung von Rechtsverstößen der Normalfall. Die Reaktion des Strafrechts auf Rechtsverstöße ist der Versuch, den Rechtsfrieden, der durch den Rechtsbruch verletzt worden ist, wiederherzustellen. Eine Amnestie setzt demnach voraus, dass durch die Strafverfolgung in den von der Amnestie betroffenen Fällen das Rechtsgefühl der Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen verletzt würde. Die Loyalität der Bevölkerung zum geltenden Recht muss durch die Verfolgung auf eine Zerreißprobe gestellt werden, die Strafverfolgung muss den Rechtsfrieden stören. So aber war die Situation zu keinem Zeitpunkt. Dies haben Umfragen ergeben.
Die Opfer, ein wesentlicher Teil der Bevölkerung, aber nicht nur die, wollten, dass die Verletzung ihrer elementaren Rechte von der Justiz aufgedeckt, als Rechtsbruch klassifiziert und gesühnt wird. An dieser Grundhaltung hat sich während des gesamten Aufarbeitungszeitraumes, in dem auch ständig in der Öffentlichkeit eine Amnestiedebatte geführt wurde, nichts geändert.
Auch eine Teilamnestie hinsichtlich der Praktiken des MfS und der DDR-Justiz, die sich erst nach einem langen juristischen Klärungsprozess als in weiten Teilen als strafrechtlich nicht fassbar herausstellte, verbot sich damals. Die juristische Lösung war die sauberste. Nur durch sie ist der Anschein vermieden worden, dass strafbares Unrecht unaufgeklärt bleiben, dass darüber der Mantel des Vergessens und des Schweigens ausgebreitet werden sollte.
Von einer Amnestie wäre keine friedensstiftende Wirkung ausgegangen; andererseits hat die Strafverfolgung auch keinen erkennbaren nachhaltigen Unfrieden gestiftet. Die Behauptung, zwischen den beiden in unterschiedliche militärische und ideologische Blöcke eingebundenen Teilen Deutschlands habe ein kalter Bürgerkrieg stattgefunden, und nunmehr habe die siegreiche mit der besiegten Partei abgerechnet und damit das Zusammenwachsen der beiden Teile Deutschlands behindert, ging an den Realitäten vorbei.
Die strafrechtliche Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit hatte einen Ost-West-Bezug nur hinsichtlich der Spionage der DDR im Westen und der Tätigkeit der altbundesrepublikanischen Nachrichtendienste in der ehemaligen DDR. Der Strafanspruch der DDR gegen die West-Spionage ist durch die Wiedervereinigung weggefallen, während den Agenten des DDR-Geheimdienstes weiterhin Strafverfolgung durch die bundesrepublikanische Justiz drohte.
Die Gefahr, dass die unterschiedliche Bewertung ein und desselben, nicht auf einem allgemeinen sozialethischen Unwerturteil begründeten Verhaltens auch in breiten Kreisen der Bevölkerung unverstanden bleiben müsse und der Herstellung der inneren Einheit im Wege stehe, ist durch einen Beschluss des Bundesverfassungsgericht vom 15. März 1995 gebannt worden. Dadurch ist die Strafverfolgung im Wesentlichen auf die Bestrafung von Bundesbürgern, die im Dienste des MfS standen, beschränkt worden.
In Wirklichkeit war die justizielle Aufarbeitung ein Teil der Auseinandersetzung weiter Teile der ihrer Menschenrechte beraubten Bevölkerung Ostdeutschlands mit ihren damaligen Machthabern und deren Handlangern im Staats- und Parteiapparat. Es ging also um die Frage, ob das Strafrecht ein taugliches Mittel war, diese beiden Parteien wieder zusammenzuführen, oder ob das Strafrecht die Spaltung vertiefte und das Vertrauen in den Rechtsstaat schwächte. Von der interessierten Täterseite wurde so getan, als wäre mit ihnen als Täter von einzelnen Unrechtshandlungen, die ihnen in einem streng rechtsstaatlichen Verfahren nachgewiesen worden waren, stellvertretend die gesamte Bevölkerung der ehemaligen DDR vor Gericht gestellt worden, und zwar aus einer westdeutschen Siegerposition heraus, mit Hilfe einer nur von Westjuristen besetzten Justiz. Dies ist eine Fälschung der Geschichte, mit der suggeriert wird, die Bevölkerung der DDR habe hinter den Unrechtstaten gestanden und die DDR-Führung habe im Namen des Volkes gehandelt.
Die Ereignisse vom Herbst 1989 erinnern daran, dass es anders war; dass sich das Volk aus der staatlichen Umklammerung und Unterdrückung befreit hat und die Bevölkerung der DDR den Umgang mit der Vergangenheit bestimmt hat, wozu auch der Einsatz des Strafrechts gehören sollte. Diesen Willen galt es zu respektieren. Er entsprach dem Selbstverständnis der Bundesrepublik. „Man kann nicht die Idee der Menschenrechte zur Grundlage des Staatswesens machen und gleichzeitig Personen, die sie mit Füßen getreten haben, straflos ausgehen lassen“, hat Alt-Bundespräsident Roman Herzog im März 1996 vor der Enquête-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“ erklärt.
Die Täter sind bei der juristischen Aufarbeitung des SED-Unrechts gut weggekommen. Sie waren Nutznießer der Prinzipien, die das rechtsstaatliche Strafverfahren auszeichnen, des Rückwirkungsverbots, der Unschuldsvermutung, des Gebots der Achtung der Menschenwürde. Nicht Sympathie für die Täter, nicht gewollterTäterschutz, sondern die Treue zum Rechtsstaat ließen die Justiz so handeln, wie sie gehandelt hat.
Die Opfer mussten in ihren Erwartungen an den Rechtsstaat enttäuscht werden, weil das deutsche Strafrecht –aus gutem Grunde – täterzentriert ist.
Die deutsche Strafjustiz hat einen ehrlichen, streng an rechtsstaatlichen Prinzipien ausgerichteten Versuch unternommen, alle Erscheinungsformen des kommunistischen Unrechts in der DDR mit strafrechtlichen Mitteln aufzuarbeiten. Dies wird als rechtskulturelle Leistung Anerkennung finden.
Die schwersten Verbrechen, die Tötungshandlungen an der innerdeutschen Grenze, durch die das kommunistische Regime in der DDR sein inhumanes Gesicht am deutlichsten gezeigt hat, konnten geahndet werden. Über die abgeurteilten Fälle hinaus sind grundsätzliche Aussagen dazu gemacht worden, wo die Grenzen einer Diktatur für Eingriffe in die Menschenrechte liegen.
Aber auch die Defizite des Strafrechts wurden sichtbar. Zurzeit wird den unter totalitärer Herrschaft lebenden Menschen lediglich strafrechtlicher Schutz gegen staatliche, nur dem Machterhalt dienende Eingriffe in das Leben und die körperliche Unversehrtheit gewährt. Schutzbedürftig, aber weitgehend gegen Eingriffe ungeschützt, sind noch die bürgerlichen Freiheitsrechte, ohne die ein selbstbestimmtes Leben nicht geführt werden kann.
Der Journalist Heribert Prantl hat schon damals, am 1. September 1999, in einem Kommentar aus Anlass der Auflösung der für die Verfolgung von DDR-Regierungskriminalität zuständigen Staatsanwaltschaft II in Berlin bilanzierend bemerkt:
„Die Berliner Prozesse beinhalten eine neue Lehre, die das Völkerrecht noch lernen muss. Die Vorenthaltung von elementaren Grundrechten ist kriminell."
Dem ist auch heute noch zwingend recht zu geben.
Der Autor arbeitete ab 1967 in verschiedenen Funktionen beim Kammergericht Berlin, zuletzt als Vertreter des Generalstaatsanwalts. Am 3. Oktober 1990 übernahm er eine mit der strafrechtlichen Verfolgung der sogenannten DDR-Regierungskriminalität befasste Arbeitsgruppe. Ab Oktober 1994 war er Generalstaatsanwalt der für die Verfolgung der DDR-Regierungskriminalität neu errichteten Staatsanwaltschaft II beim Landgericht Berlin. Am 1. Oktober 1999 wurde er zum Leiter der Zentralen Stelle Berlins zur Begleitung der Aufarbeitung des DDR-Unrechts ernannt. Am 1. Juli 2000 ging er in den Ruhestand. Er ist seitdem Autor zahlreicher Fachaufsätze zum Thema Aufarbeitung des DDR-Unrechts.
Zitierweise: Christoph Schaefgen, "Wie viel DDR-Regierungskriminalität kam vor Gericht? - Von der keinesfalls einfachen juristischen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Eine Bilanz". In: Deutschland Archiv, 23.02.2022, Link: www.bpb.de/505484/. Alle Texte im Deutschland Archiv sind Recherchen und Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar.
Christoph Schaefgen arbeitete ab 1967 in verschiedenen Funktionen beim Kammergericht Berlin, zuletzt als Vertreter des Generalstaatsanwalts. Am 3. Oktober 1990 übernahm er eine mit der strafrechtlichen Verfolgung der sogenannten DDR-Regierungskriminalität befasste Arbeitsgruppe. Ab Oktober 1994 war er Generalstaatsanwalt der für die Verfolgung der DDR-Regierungskriminalität neu errichteten Staatsanwaltschaft II beim Landgericht Berlin. Am 1. Oktober 1999 wurde er zum Leiter der Zentralen Stelle Berlins zur Begleitung der Aufarbeitung des DDR-Unrechts ernannt. Am 1. Juli 2000 ging er in den Ruhestand. Er ist seitdem Autor zahlreicher Fachaufsätze zum Thema Aufarbeitung des DDR-Unrechts.
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