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Vor 60 Jahren: Martin Luther King predigt in Ost-Berlin | Deutschland Archiv | bpb.de

Deutschland Archiv Neu im DA Schwerpunkte Erinnern, Gedenken, Aufarbeiten 1848/49 in der politischen Bildung Vier Ansichten über ein Buch, das es nicht gab "Es war ein Tanz auf dem Vulkan" Föderalismus und Subsidiarität „Nur sagen kann man es nicht“ Wenn Gedenkreden verklingen Zeitenwenden Geschichtsklitterungen „Hat Putin Kinder?“, fragt meine Tochter Wolf Biermann über Putin: Am ersten Tag des Dritten Weltkrieges Der Philosoph hinter Putin „Putin verwandelt alles in Scheiße“ Das Verhängnis des Imperiums in den Köpfen Ilse Spittmann-Rühle ist gestorben Der Friedensnobelpreis 2022 für Memorial Rückfall Russlands in finsterste Zeiten Memorial - Diffamiert als "ausländische Agenten" Die Verteidigung des Erinnerns Russlands Attacken auf "Memorial" Der Fall Schalck-Golodkowski Ende des NSU vor zehn Jahren 7. Oktober 1989 als Schlüsseltag der Friedlichen Revolution Die Geschichte von "Kennzeichen D" Nachruf auf Reinhard Schult Leningrad: "Niemand ist vergessen" Verfolgung von Sinti und Roma Zuchthausaufarbeitung in der DDR - Cottbus Sowjetische Sonderhaftanstalten Tage der Ohnmacht "Emotionale Schockerlebnisse" Ein Neonazi aus der DDR Akten als Problem? Eine Behörde tritt ab Ostberlin und Chinas "Großer Sprung nach vorn" Matthias Domaschk - das abrupte Ende eines ungelebten Lebens Ein Wettbewerb für SchülerInnenzeitungen Totenschädel in Gotha Bürgerkomitees: Vom Aktionsbündnis zum Aufarbeitungsverein Westliche Leiharbeiter in der DDR Hohenzollern und Demokratie nach 1918 (I) Hohenzollern und Demokratie nach 1918 (II) Auf dem Weg zu einem freien Belarus? Erstes deutsch-deutsches Gipfeltreffen im Visier des BND Neue Ostpolitik und der Moskauer Vertrag Grenze der Volksrepublik Bulgarien Die Logistik der Repression Schwarzenberg-Mythos Verschwundene Parteifinanzen China, die Berlin- und die Deutschlandfrage 8. Mai – ein deutscher Feiertag? China und die DDR in den 1980ern 1989 und sein Stellenwert in der europäischen Erinnerung Stasi-Ende Die ungewisse Republik Spuren und Lehren des Kalten Kriegs Einheitsrhetorik und Teilungspolitik Schweigen brechen - Straftaten aufklären Welche Zukunft hat die DDR-Geschichte? Die Deutschen und der 8. Mai 1945 Jehovas Zeugen und die DDR-Erinnerungspolitik Generation 1989 und deutsch-deutsche Vergangenheit Reformationsjubiläen während deutscher Teilung 25 Jahre Stasi-Unterlagen-Gesetz Kirchliche Vergangenheitspolitik in der Nachkriegszeit Zwischenbilanz Aufarbeitung der DDR-Heimerziehung Der Umgang mit politischen Denkmälern der DDR Richard von Weizsäckers Rede zum Kriegsende 1985 Die Sowjetunion nach Holocaust und Krieg Nationale Mahn- und Gedenkstätten der DDR Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Die Entmilitarisierung des Kriegstotengedenkens in der SBZ Heldenkult, Opfermythos und Aussöhnung Durchhalteparolen und Falschinformationen aus Peking Buchenwald und seine fragwürdige Nachgeschichte Grenzsicherung nach dem Mauerbau Einmal Beethoven-Haus und zurück Das Bild Walther Rathenaus in der DDR und der Bundesrepublik Alles nach Plan? Fünf Gedanken über Werner Schulz „Wie ein Film in Zeitlupe“ "Ich hatte Scheißangst" Ein Nazi flieht in die DDR Der 13. Februar 1945 im kollektiven Gedächtnis Dresdens Vor 50 Jahren im September: Zweimal Deutschland in der UNO Der Mann aus dem inneren Zirkel DDR-Vermögen auf Schweizer Konten Nicht nur Berlin Moskauer Hintergründe des 17. Juni Opfer einer "Massenpsychose"? Der Wolf und die sieben Geißlein Der Prager Frühling 1968 und die Deutschen Operativer Vorgang „Archivar“ 9. November 1989. Der Durchbruch 9. November 1918. „Die größte aller Revolutionen“? Der vielschichtige 9. November Biermann in meinem Leben Ein Wolf im Museum Entmutigung & Ermutigung. Drei Stimmen zu Biermann Spurenverwischer Kleinensee und Großensee Tod einer Schlüsselfigur Das besiegte Machtinstrument - die Stasi Anhaltende Vernebelung Die RAF in der DDR: Komplizen gegen den Kapitalismus Einem Selbstmord auf der Spur Druckfrisch Ehrlicher als die meisten Die Stasi und die Bundespräsidenten Das Einheits-Mahnmal Bodesruh D und DDR. Die doppelte Staatsgründung vor 75 Jahren. Chinas Rettungsofferte 1989 für die DDR Wessen wollen wir gedenken? 1949: Ablenkung in schwieriger Zeit 1949: Staatsgründung, Justiz und Verwaltung 1949: Weichenstellungen für die Zukunft Walter Ulbricht: Der ostdeutsche Diktator Die weichgespülte Republik - wurden in der DDR weniger Kindheitstraumata ausgelöst als im Westen? Friedrich Schorlemmer: "Welches Deutschland wollen wir?" Vor 60 Jahren: Martin Luther King predigt in Ost-Berlin Der Händedruck von Verdun Transformation und Deutsche Einheit Die sozialpsychologische Seite der Zukunft Zwölf Thesen zu Wirtschaftsumbau und Treuhandanstalt Die andere Geschichte der Umbruchjahre – alternative Ideen und Projekte 32 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen Wiedervereinigt auf dem Rücken von Migranten und Migrantinnen? Film ohne Auftrag - Perspektiven, die ausgegrenzt und unterschlagen wurden Geheimdienste, „Zürcher Modell“ und „Länderspiel“ 50 Jahre Grundlagenvertrag Drei Kanzler und die DDR Populismus in Ost und West Akzeptanz der repräsentativen Demokratie in Ostdeutschland Zusammen in Feindseligkeit? Neuauflage "(Ost)Deutschlands Weg" Ostdeutsche Frakturen Welche Zukunft liegt in Halle? Anpassungsprozess der ostdeutschen Landwirtschaft Daniela Dahn: TAMTAM und TABU Wege, die wir gingen „Der Ort, aus dem ich komme, heißt Dunkeldeutschland” Unternehmerischer Habitus von Ostdeutschen Teuer erkauftes Alltagswissen Trotz allem im Zeitplan Revolution ohne souveränen historischen Träger Mehr Frauenrechte und Parität Lange Geschichte der „Wende“ Eine Generation nach der ersten freien Volkskammerwahl Unter ostdeutschen Dächern Die de Maizières: Arbeit für die Einheit Schulzeit während der „Wende” Deutschland – Namibia Im Gespräch: Bahr und Ensikat Gorbatschows Friedliche Revolution "Der Schlüssel lag bei uns" "Vereinigungsbedingte Inventur" "Es gab kein Drehbuch" "Mensch sein, Mensch bleiben" Antrag auf Staatsferne Alt im Westen - Neu im Osten Die Deutsche Zweiheit „Ein echtes Arbeitsparlament“ Corona zeigt gesellschaftliche Schwächen Widersprüchliche Vereinigungsbilanz Schule der Demokratie Warten auf das Abschlusszeugnis Brief an meine Enkel Putins Dienstausweis im Stasi-Archiv Preis der Einheit Glücksstunde mit Makeln Emotional aufgeladenes Parlament Geht alle Macht vom Volke aus? Deutschland einig Vaterland 2:2 gegen den Bundestag "Nicht förderungswürdig" Demokratie offen halten Standpunkte bewahren - trotz Brüchen Die ostdeutsche Erfahrung Kaum Posten für den Osten Braune Wurzeln Wer beherrscht den Osten „Nicht mehr mitspielen zu dürfen, ist hart.“ Ein Ost-West-Dialog in Briefen Stadtumbau Ost Ostdeutschland bei der Regierungsbildung 2017 Die neue Zweiklassengesellschaft DDR-Eishockey im Wiedervereinigungsprozess Die SPD (West) und die deutsche Einheit Die Runden Tische 1989/90 in der DDR Die Wandlung der VdgB zum Bauernverband 1990 Transatlantische Medienperspektiven auf die Treuhandanstalt Transformation ostdeutscher Genossenschaftsbanken Demografische Entwicklung in Deutschland seit 1990 Parteien und Parteienwettbewerb in West- und Ostdeutschland Hertha BSC und der 1. FC Union vor und nach 1990 25 Jahre nach der Wiedervereinigung Ostdeutsches Industriedesign im Transformationsprozess Wende und Vereinigung im deutschen Radsport Wende und Vereinigung im deutschen Radsport (II) Kuratorium für einen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder Europäische Union als Voraussetzung für deutschen Gesamtstaat Welche Zukunft braucht Deutschlands Zukunftszentrum? Ein Plädoyer. (K)Einheit Wird der Osten unterdrückt? Die neue ostdeutsche Welle Die anderen Leben. Generationengespräche Ost "Westscham" Sichtweisen Die innere Einheit Wer beherrscht den Osten? Forschungsdefizite rechtsaußen Verpasste Chancen? Die gescheiterte DDR-Verfassung von 1989/90 Einladung in die bpb: 75 Jahre Bundesrepublik Zu selbstzufrieden? Eine Phantomgrenze durchzieht das Land Noch mehr Mauer(n) im Kopf? Überlegenheitsnarrative in West und Ost Mehr Osten verstehen Westkolonisierung, Transformationshürden, „Freiheitsschock“ Glücksscham "In Deutschland verrückt gemacht" Berlin – geteilte Stadt & Mauerfall Berliner Polizei-Einheit Die Mauer. 1961 bis 2023 The Wall: 1961-2021 - Part One The Wall: 1961-2021 - Part Two "Es geht nicht einfach um die Frage, ob Fußball gespielt wird" Mauerbau und Alltag in Westberlin Der Teilung auf der Spur Olympia wieder in Berlin? Der Mauerfall aus vielen Perspektiven Video der Maueröffnung am 9. November 1989 Die Mauer fiel nicht am 9. November Mauersturz statt Mauerfall Heimliche Mauerfotos von Ost-Berlin aus Ost-West-Kindheiten "Niemand hat die Absicht, die Menschenwürde anzutasten" Berlinförderung und Sozialer Wohnungsbau in der „Inselstadt“ Wie stellt der Klassenfeind die preußische Geschichte aus? 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Oktober gefeiert? "Ich wünsch mir, dass die Mauer, die noch immer in vielen Köpfen steht, eingerissen wird" Immer noch Mauer(n) im Kopf? Zeitenwende Ist der Osten ausdiskutiert? Der Mutige wird wieder einsam Das Jahr meines Lebens Basisdemokratie Lehren aus dem Zusammenbruch "Wir wollten uns erhobenen Hauptes verabschieden" Für die gute Sache, gegen die Familie DDR-Wissenschaftler Seuchenbekämpfung Chemnitz: Crystal-Meth-Hauptstadt Europas Keine Ahnung, was als Nächstes passieren wird Allendes letzte Rede Friedliche Revolution Gethsemanekirche und Nikolaikirche Das Wirken der Treuhandanstalt Gewerkschaften im Prozess von Einheit und Transformation Zusammenarbeit von Treuhandanstalt und Brandenburg Privatisierung vom DDR-Schiffbau Die Leuna-Minol-Privatisierung Übernahme? Die Treuhandanstalt und die Gewerkschaften: Im Schlepptau der Bonner Behörden? 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Es gibt keinen Dritten Weg" Frauenbild der Frauenpresse der DDR und der PCI Regionales Hörfunkprogramm der DDR DDR-Zeitungen und Staatssicherheit Eine Chronik von Jugendradio DT64 Die "neue Frau": Frauenbilder der SED und PCI (1944-1950) „Streitet, doch tut es hier“ Olympia in Moskau 1980 als Leistungsschau für den Sozialismus Wo Kurt Barthel und Stefan Heym wohnten Migration Fortbildungen als Entwicklungshilfe Einfluss von Erinnerungskulturen auf den Umgang mit Geflüchteten Friedland international? 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Vor 60 Jahren: Martin Luther King predigt in Ost-Berlin

Constance Bürger

/ 10 Minuten zu lesen

Am 4. April 1968 wurde in Memphis, Tennessee, der US-amerikanische Baptistenpastor und Bürgerrechtler Martin Luther King jr. erschossen. Vier Jahre zuvor, am 13.9.1964 hatte er heimlich in Ost-Berlin gepredigt, eingereist mit einer Kreditkarte als Ausweis, nachdem er noch zuvor die Mauer besucht hatte, dort waren zuvor Schüsse gefallen, die einen Flüchtling aus der DDR verletzten. Kings Einfluss war immens - mit Langzeitwirkung auch auf die Friedliche Revolution in der DDR 25 Jahre später, während der ebenfalls auf Kings Philosophie gesetzt wurde: "Widerstand ja, aber keine Gewalt".

Der US-amerikanische Bürgerrechtler Dr. Martin Luther King, den Berlins Regierender Bürgermeister Willy Brandt eingeladen hatte, am Vormittag des 13. 9.1964 auf der Westseite der Mauer am Potsdamer Platz. (© picture-alliance/AP)

Die vor 60 Jahren diensthabenden DDR-Grenzer am Grenzübergang Checkpoint Charlie in Berlins Mitte arbeiteten zunächst streng nach Vorschrift und verweigerten drei Besuchern aus dem Westen strikt die Einreise von West- nach Ost-Berlin, denn einer von ihnen, ein US-Amerikaner, hatte angeblich seinen Ausweis vergessen und wurde sogleich zurückgewiesen.

Es war am 13. September 1964 um 19.40 Uhr. Mit dieser Zeitangabe hält ein Bericht aus der "Hauptabteilung Paßkontrolle" des MfS fest, dass dann etwas Außergewöhnliches geschah:

"Als alle drei Bürger nach Westberlin zurückgehen wollten, erkannte der Unterleutnant Lindemann den Dr. King. Er hielt die drei Personen auf [...]. Danach befragt, ob der Dr. King irgend einen anderen Pass bei sich trage, wies er einen Scheckausweis der USA vor (ähnlich wie die Identitätskarte. Auf dem Ausweis sind die gesamten Personalien des Dr King angegeben, der Ausweis ist gesiegelt und vom Dr. King unterzeichnet ...".

Ausschnitt aus einer Akte der DDR-Grenztruppen vom Abend des 13. September 1964 mit einer Kopie von Martin Luther Kings American Express-Karte, die ihm damals als Ersatzausweis half. Seinen richtigen Reisepass hatte Stunden zuvor die US-Botschaft in Verwahrung genommen, damit King nicht nach Ost-Berlin reisen kann. (© Sonderausstellung Ev. Sophienkirche Berlin)

Auf diese Weise gelang eine kleine politische Sensation. Dr. Martin Luther King, der auf Einladung von Willy Brandt in West-Berlin weilte und dort eine Predigt und eine Gedenkrede auf den ermordeten US-Präsident John F. Kennedy hielt, konnte nun plötzlich doch nach Ost-Berlin einreisen, um dort ebenfalls zu predigen und zwar gleich gleich in zwei Kirchen hintereinander. Da die Marienkirche am Alexanderplatz umgehend überfüllt war und viele Neugierige draußen vor der Tür bleiben mussten, fragte der prominente Gast seine kirchlichen Gastgeber: "Is there nearby another church?", wie sich die Augenzeugin Monika Meyer-Probst heute noch erinnert. Es sei ein "unvergessliches Erlebnis" gewesen, schrieb die Rostockerin dem Deutschlandarchiv diese Woche, "diesem kleinen großen Mann" von der Empore aus "bei seiner Friedensbotschaft" mit seiner "eindringlichen Stimme" zu verfolgen, sie habe noch Jahre danach ihren Enkelinnen so oft davon erzählt, dass sie ihr extra ein Portrait von Dr. King zum Aufhängen abmalten.

Ausführlich schildert das Geschehen an jenem 13. September 1964 eine Reportage von Constance Bürger, die wir nachfolgend dokumentieren, der Text ist dem Externer Link: Evangelischen Sonntagsblatt entnommen, das noch weiter Zeugen und Zeitzeuginnen von damals befragt hat, die als Jugendliche Augen- und Ohrenzeuge wurden, darunter auch der später DDR-Außenminister Markus Meckel, der damals als Zwölfjähriger Martin Luther King sogar die Hand schütteln konnte. Bei Externer Link: Gedenkveranstaltungen Mitte September 2024 in der Berliner Marien- und Sophienkirche hielt Meckel auch eine der Gedenkreden, außerdem die Leitende Geistliche der UCC (United Church of Christ New York), Marsha Williams. Ebenso kamen Menschenrechtlerinnen aus Belarus zu Wort, darunter Tatsiana Khomich, die Schwester der inhaftierten Aktivistin und Künstlerin Maria Kalesnikava, mit einem ergreifenden Interner Link: Hilferuf sowie die Menschenrechtlerin Olga Karatch mit einer Interner Link: Situationsbeschreibung.

60 Jahre danach: Genkgottesdienst an Martin Luthe King in der Berliner Sophienkirche mit der New Yorker Baptistenpredigerin Rev. Marsha Williams, die im Sinne Kings aufforderte "be your brothes's keeper". (© bpb / holger kulick)

Erinnerungen an den 13.9.1964:

"Am 13. September 1964 macht sich Sabine Rackow auf den Weg von Berlin-Schöneweide, wo sie lebt, zum Alexanderplatz. Dort ist die 27-jährige Chemikerin mit Freunden aus ihrer früheren Evangelischen Studierendengemeinde verabredet. Sie wollen in der St.-Marienkirche Martin Luther King im Gottesdienst hören. Der US-amerikanische Bürgerrechtler und Baptistenprediger ist zu dieser Zeit auf dem Höhepunkt seiner Popularität: Wenige Wochen zuvor wurde per Gesetz die Rassentrennung in den USA aufgehoben; einige Wochen später wird verkündet, dass ihm der Friedensnobelpreis verliehen werden soll.

"Wir wurden an der Marienkirche jedoch abgewiesen und sollten nach Hause gehen", erinnert sich Sabine Rackow heute. Die Menschenmenge ist unüberschaubar. Um 20 Uhr soll der Gottesdienst beginnen. Schon eine Stunde davor ist die Kirche überfüllt.

Sabine Rackow ist eine von etwa 3.000 Menschen, die an diesem Sonntagabend auf Martin Luther King warten. Als der Bürgerrechtler ankommt, umringen sie das Auto, wollen ihn berühren oder ein Autogramm ergattern. Generalsuperintendent Gerhard Schmitt (1909-2000), leitender Kirchenvertreter für Ost-Berlin und Brandenburg, und Pastor Rolf Dammann (1924-2014), Generalsekretär des Bunds Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in der DDR, begrüßen King. In der Kirche harren 1.500 Menschen aus, unter ihnen viele junge Menschen und auch Kinder, so wie der damals 12-jährige Markus Meckel, späterer letzter Außenminister der DDR und Mitglied des Bundestags. Viele Erinnerungen an den King-Besuch hat Markus Meckel nicht mehr, dafür war er zu jung. Aber die volle Kirche und die vielen Menschen sind ihm gut im Gedächtnis geblieben. Nach dem Gottesdienst reicht er King vor der Kirche die Hand.

60 Jahre danach: Die Zeitzeugen Markus Meckel (l.) und Michael Markus Schulz (r.) am 13.9.2024 in der Berliner Sophienkirche. (© bpb / Holger Kulick)

Der Besuch im damaligen Ost-Berlin war Kings erster und einziger hinter dem Eisernen Vorhang – für Michael Markus Schulz eine Besonderheit. Er ist Mitbegründer des Externer Link: Martin Luther King Memorial Berlin Komitees und selbst Zeitzeuge von 1964. "King besuchte die Front zwischen Ost und West, dort, wo der Kalte Krieg direkt aufeinanderprallte", sagt er.

Weder die evangelische Kirche noch der DDR-Staat hatten King offiziell nach Ost-Berlin eingeladen. Jedoch waren die Baptisten aus den USA und Deutschland seit Jahrzehnten eng verbunden. Außerdem stand Heinrich Grüber (1891-1975), Propst der Marienkirche, seit 1963 mit King in brieflichem Kontakt. Er lud ihn nach Ost-Berlin ein, konnte jedoch selbst nicht an dem Gottesdienst teilnehmen: Seit August 1961 wurde ihm die Einreise verwehrt.

Eine Absage des Besuchs stand jedoch im Raum. Kirchenleitende Vertreter hatten Wochen zuvor diskutiert, ob der Gottesdienst stattfinden solle. Einige stimmten dagegen. Allen Warnungen zum Trotz übernahm Generalsuperintendent Gerhard Schmitt die Verantwortung für den Gottesdienst und die möglichen gesellschaftspolitischen Konsequenzen, die solch ein Besuch mit sich bringen könnte. Die Marienkirche war zu dieser Zeit ohne geistliche Leitung: Propst Heinrich Grüber durfte nicht einreisen, ein Pfarrer war 1963 geflohen, und ein anderer saß im Gefängnis, weil er Menschen zur Flucht verholfen hatte.

Predigt vor etwa 20.000 Christen

Auf offizielle Einladung von Willy Brandt (1923-1992), damals Regierender Bürgermeister von West-Berlin, reiste Martin Luther King im September 1964 nach West-Berlin. Das Programm umfasste mehrere offizielle Punkte: King trug sich unter anderem in das Goldene Buch der Stadt Berlin ein. Er eröffnete das erste internationale Jazzfestival Deutschlands und sprach bei der Gedenkfeier für den verstorbenen US-Präsidenten John F. Kennedy, wo auch ein schwarzer Gospelchor aus den USA sang. Zum "Tag der Kirchen", dem traditionellen Treffen der evangelischen Gemeinden Berlins, predigte King in der Waldbühne vor etwa 20.000 Christinnen und Christen. Der "Tag der Kirchen" stand unter dem Motto "Überall ist Kain und Abel". Martin Luther King hielt hier die gleiche Predigt wie später in der Marienkirche und Sophienkirche. Danach überreichte ihm Otto Dibelius (1880-1967), damaliger Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, die Ehrendoktorwürde der Theologischen Hochschule Berlin.

Der US-Bürgerrechtler Martin Luther King jr. am 13. September 1964 neben Berlins damaligem Regierenden Bürgermeister, Willy Brandt (SPD). King predigte damals auch in zwei Kirchen in Ost-Berlin. (© picture-alliance/AP)

In den Morgenstunden des 13. September kam es zu einem Zwischenfall an der Berliner Mauer. Ein 21-Jähriger wollte von Ost-Berlin in den Westen fliehen, wurde jedoch angeschossen. Ein US-Grenzsoldat riskierte sein eigenes Leben, um den Mann zu retten: Er kletterte auf die Mauer, warf ein Seil nach unten zu dem Angeschossenen und zog ihn hoch. Damit die DDR-Soldaten sich zurückziehen, warf er eine Tränengasgranate. US-Soldaten und West-Berliner Polizei gaben ihm Feuerschutz. Der Mann überlebte. Willy Brandt überreichte dem US-Soldaten später die Ehrenbürgerurkunde, und auch der US-Stadtkommandant ehrte ihn für seinen Einsatz.

"Eine göttliche Fügung"

Sobald Martin Luther King von dem Vorgang erfuhr, fuhr er zum Ort des Geschehens. Auch die Presse war dort, King gab Interviews, unter anderem Radio Free Europe, einem US-Sender, der noch heute insbesondere in europäischen Ländern ausgestrahlt wird, die mit eingeschränkter Pressefreiheit zu kämpfen haben.

Später besuchte King den Angeschossenen im Krankenhaus. Kurz darauf entzog ihm die US-Botschaft seine Ausweisdokumente. Denn die Befürchtung, dass es zu politischen Verwicklungen kommen könnte, war groß. "Eine göttliche Fügung", so Michael Markus Schulz, ermöglichte das Unmögliche: Die DDR-Grenzposten lassen, wie eingangs geschildert, Martin Luther King am Abend mit seiner American-Express-Kreditkarte als Ausweisdokument am Checkpoint Charlie einreisen.

Viele DDR-Bürgerinnen und Bürger verehrten Martin Luther King: Er kämpfte mit friedlichen Mitteln gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Sie kannten ihn und die Bürgerrechtsbewegung in den USA aus westlichen Radiosendern und dem Fernsehen. Er gab ihnen Hoffnung in einer Zeit, in der sie nur wenig davon spürten. Der Bau der Mauer war drei Jahre her. Das Gefühl der Ohnmacht und Abgeschiedenheit bestimmte noch immer die Gefühlslage.

Am Abend des 13.9.1964 zu Gast erst in der Marienkirche auf dem Alexanderplatz, dann in der Sophienkirche in der Großen Hamburger Straße. Für beide Predigten war nur durch Flüsterpropaganda geworben worden - trotzdem waren beide Gotteshäuser im Nu überfüllt.

Seine Predigten in der Marienkirche und Sophienkirche sind für die Anwesenden Trost und Ermutigung. King hält sie auf Englisch, der US-amerikanische Pfarrer Ralph Zorn, der sonst für GIs in West-Berlin predigt, übersetzt. Der Bürgerrechtler überbringt Grüße von den Brüdern und Schwestern aus West-Berlin sowie den USA. "Das schaffte eine Verbundenheit zu diesen Menschen", sagt Michael Markus Schulz. King betont die Geschwisterlichkeit aller Menschen – in Nord, Süd, Ost und West: "Hier sind auf beiden Seiten der Mauer Gotteskinder, und keine durch Menschenhand gemachte Grenze kann diese Tatsache auslöschen." King spricht über die Rassentrennung und den schwierigen Weg des Neuanfangs. Er erzählt von Rosa Parks und ihrem passiven Widerstand gegen die Unterdrückung der Schwarzen: Sie löste den 361 Tage währenden Busboykott in Montgomery aus, wodurch Rassendiskriminierung in den USA öffentlich wurde. Auch die Menschen in der DDR sind in einer Situation, die friedlichen Widerstand fordert, sagt King.

Zentrale Figur der Gewaltlosigkeit

Er spricht von einem gemeinsamen Glauben:

Zitat

"Es gibt eine gemeinsame Menschlichkeit, die uns für die Leiden untereinander empfindlich macht. In diesem Glauben können wir aus dem Berg der Verzweiflung einen Stein der Hoffnung schlagen. In diesem Glauben werden wir miteinander arbeiten, miteinander beten, miteinander kämpfen, miteinander leiden, miteinander für die Freiheit aufstehen in der Gewissheit, dass wir eines Tages frei sein werden."

"Mit seiner tiefen christlichen Überzeugung hat er uns Zuversicht gegeben", sagt Markus Meckel. Martin Luther King wird für ihn eine zentrale Figur der Gewaltlosigkeit: Er stehe dafür, dass jede Bürgerin und jeder Bürger selbst aktiv werden muss, um Veränderungen auf den Weg zu bringen. Dies sei eine Orientierung für viele Menschen zu DDR-Zeiten gewesen, so Markus Meckel.

Kings Appell für Gewaltfreiheit und passiven Widerstand begleiteten Michael Markus Schulz ein Leben lang. Der gebürtige Berliner demonstrierte mit 300 jungen Menschen am Staatsfeiertag der DDR, dem 7. Oktober 1966, in der Karl-Marx-Allee gegen das Verbot von Populärmusik aus dem Westen. Für zwei Tage wurden daraufhin alle inhaftiert. 1968 fuhr er zu den Demonstrationen des Interner Link: Prager Frühlings. Dort sang er mit den Protestierenden "We shall overcome", eines der prägenden Lieder der US-Bürgerbewegung rund um King. Michael Markus Schulz verweigerte als junger Mann den Militärdienst sowie den Dienst als Bausoldat. Ihm drohten zwei Jahre Zuchthaus. Er flüchtete mit seiner Ehefrau über die bulgarisch-türkische Grenze in den Westen, half später auch anderen Menschen zur Flucht. Heute lebt er in Hamburg.

"Martin Luther King war unser großes Vorbild"

Für ihn ist Martin Luther King ein Friedensstifter. "Martin Luther King war unser großes Vorbild", erzählt er heute. Am 13. September 1964 besuchte er mit seiner Mutter den Gottesdienst in der Marienkirche. Schon zwei Wochen vorher hatte sein Pastor Rolf Dammann offiziell in der Bibelstunde der baptistischen Kirchengemeinde Bethel in Berlin-Friedrichshain, an der auch Schulz’ Mutter teilnahm, den Besuch angekündigt. Am nächsten Tag sagte er zu Michael Markus Schulz und den anderen Kindern im Religionsunterricht: "Haltet euch dieses Wochenende frei."

2005 gründete Michael Markus Schulz gemeinsam mit Michael Schmitt, Sohn des damaligen Generalsuperintendenten Gerhard Schmitt, das Martin Luther King Memorial Berlin Komitee. Sie wollen das Erbe von Martin Luther King weitergeben und insbesondere an seinen Berlin-Besuch erinnern. Sie informieren darüber auf ihrer Externer Link: Homepage, bieten eine Wanderausstellung an sowie Vorträge. Denn der Besuch in Ost-Berlin und seine Bedeutung sei den wenigsten Menschen überhaupt bekannt, so Schulz. An Orten, die Martin Luther King auf seiner damaligen Berlin-Reise besuchte, initiiert das Martin Luther King Memorial Berlin Komitee Gedenktafeln – so auch an der Sophienkirche.

Die Gechichte der Verfolgung von Markus Michael Schulz in der DDR, dargestellt in einer Wanderausstellung über den Einfluss von Martin Luher KIng auf die Bürgerrechtsbewegung in der DDR. Schulz dazu: "Aus seinen Reden haben wir das Mittel des passiven Widerstans ganz deutlich herausgelesen und dann auch gelebt". (© bpb / holger kulick)

Eine zweite Kirche öffnet sich für Martin Luther King

Aufgrund des großen Andrangs für den Gottesdienst am 13. September 1964 in der Marienkirche kündigt Generalsuperintendent Gerhard Schmitt vor dem Hauptportal der Marienkirche am Berliner Alexanderplatz spontan einen zweiten Gottesdienst für 22 Uhr in der Sophienkirche an. Sabine Rackow läuft mit ihren Freunden zu Fuß zur etwa 15 Minuten entfernten Sophienkirche. "Wir waren begeistert, dass Martin Luther King auch nach Sophien kam", erinnert sie sich heute. Gemeinsam mit mehreren jungen Menschen wartet sie in einer langen Schlange, um in die Kirche zu gelangen. Sie findet Platz auf der Empore; der untere Teil ist komplett überfüllt.

In der Sophienkirche schaut sie direkt auf Martin Luther King, blickt ihm ins Gesicht. Er bekräftigt sie durch seine Worte, entschlossen und mutig ihren Weg weiterzugehen: Sabine Rackow hatte gerade einen Neuanfang hinter sich. Nachdem sie zwei Jahre zuvor acht Monate im Stasi-Untersuchungsgefängnis in Berlin-Pankow und zwei Monate im Frauengefängnis in Berlin-Friedrichshain inhaftiert war, kam sie gerade aus Dresden, wo sie als Laborantin arbeitete, nach Berlin zurück. Trotz einiger Rückschläge hat sie es geschafft, ihren Berufswunsch zu verwirklichen und ihre Diplomarbeit in Chemie abzuschließen.

"Seine Worte damals waren tröstlich". Und sie hatten Langzeitwirkung. "Er hat uns ermuntert und ermutigt, nicht zu resignieren und aufzugeben", sagt Sabine Rackow heute."

Als Kirche im Osten restlos überfüllt war. Erinnerungsplakette an eine Predigt Martin Luther Kings in der Berliner Sophienkirche im September 1964. (© bpb / Holger Kulick)

So endet der Bericht von Constance Bürger. Zwar sprach der US-amerikanische Baptistenpastor und Bürgerrechtler damals in seiner Predigt ausführlich vom Kampf der Schwarzen um Gleichberechtigung in den Südstaaten der USA. Zur Situation im geteilten Berlin könne er wenig sagen, betonte er, zog dann aber doch eine Parallele:

„Gerade wie wir beweisen müssen, dass wir die Prüfstelle für das Zusammenleben der Rassen sind, trotz ihrer Unterschiede, so prüft ihr die Möglichkeit der Koexistenz für zwei Ideologien, die um die Weltherrschaft konkurrieren. Wenn es überhaupt Menschen gibt, die beständig empfindlich sein sollten wegen ihrer Bestimmung, dann sollten es die Menschen in Berlin sein, in Ost und West.“

Und auf einem Gedenkschild, dass inzwischen auf Initiative von Michael Schulz an der Marien- und auch Sophienkirche angebracht ist, prangt eins der Schlüsselzitate aus Kings Predigten, damals auch formuliert in Richtung DDR-Regierung:

Zitat

„Auf beiden Seiten der Mauer leben Gottes Kinder, und keine durch Menschenhand gemachte Grenze kann diese Tatsache auslöschen.“

Die Gemeinde antwortete ihm damals mit dem Gospel „Let my people go.“

Zitierweise: Constance Bürger, „Vor 60 Jahren: Martin Luther King predigt in Ost-Berlin", in: Deutschland Archiv Online, 13.09.2024 Link: www.bpb.de/519736. Erstveröffentlicht im September 2019 im Themenheft "Martin Luther King" des Berliner Wichern-Verlags, Ausgabe 2019-04 (Externer Link: www.wichern.de/produkt/thema-martin-luther-king/) und am 13.9.2019 im Evangelischen Sonntagsblatt. Alle Beiträge im Deutschlandarchiv sind Recherchen und Sichtweisen der jeweiligen Autoren und Autorinnen, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar. (hk)

Ergänzend:

Interner Link: Martin Luther Kings "I have a dream". bpb, 28.3.2018

(© bpb, Foto: picture alliance,AP Images)

Fussnoten

Fußnoten

  1. Quelle: Constance Bürger im Themenheft "Martin Luther King" des Berliner Wichern-Verlags, Ausgabe 2019-04 (https://www.wichern.de/produkt/thema-martin-luther-king/) und Ev. Sonntagsblatt vom 13.9.2019, https://www.befg.de/aktuelles-schwerpunkte/nachrichten/artikel/vor-55-jahren-martin-luther-kings-ueberraschende-predigt-in-ost-berlin. Letzter Aufruf 13.9.2024.

Weitere Inhalte

Die Journalistin Constance Bürger studierte European Studies (B.A.) in Maastricht und Internationale Politik in London (M.A.). Ihr Weg führte sie außerdem für längere Zeit nach Kanada und Israel. Sie absolvierte einen einmonatigen Volontärskurs an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin und ist seit 2015 als Redakteurin für "Die Kirche" tätig. Der nachfolgende Text ist in weiten Teilen dem "Evangelischen Sonntagsblatt" entnommen.