Sportnation Bundesrepublik Deutschland?
Manfred Ewald lässt grüßen
"Das Thema der Freiheit … kann in Zeiten fortschreitender Globalisierung Orientierung auch für den Sport geben", so DOSB-Präsident Thomas Bach. Doch welche Freiheit ist damit gemeint: Freiheit, sich nicht der Vergangenheit zu stellen, den Breitensport zu vernachlässigen oder beim Kampf um Medaillen nahezu jedes Mittel gelten zu lassen?Die Pressemitteilung des Deutschen Olympischen Sportbundes nach dem "ausführlichen Meinungsaustausch" zwischen Bundespräsident Joachim Gauck und DOSB-Präsident Thomas Bach im Schloss Bellevue Anfang Mai des Olympiajahres 2012 verlautbarte die übliche Geschäftsmäßigkeit. Im Mittelpunkt des Gesprächs habe die "gesellschaftspolitische Bedeutung des Sports mit seinen vielfältigen Aufgaben" gestanden; es folgte sodann eine Aufzählung von Themen, die bei ähnlich bedeutenden Gelegenheiten vom deutschen Sportpräsidenten gebetsmühlenartig vorgetragen werden und gegen deren Bedeutung für die sportive Gesellschaft ohnehin kein halbwegs vernünftiger Mensch etwas haben kann: Integration, Bildung, Gesundheit, Integration, Sportentwicklung, internationale Zusammenarbeit, Kampf gegen Doping, Widerstand gegen Rechtsextremismus. Nichts Neues, nichts Überraschendes, es war der Griff in den üblichen Warenkorb.

"Härtester Konkurrenzkampf der olympischen Geschichte"?
Das DOSB-Kommuniqué berichtet ebenfalls davon, dass man die deutschen Erfolgsaussichten bei den bevorstehenden Olympischen Sommerspielen in London erörtert habe, und zwar "ausführlich". Und dann offenbart das sonst so dröge DOSB-Papier doch noch etwas Verblüffendes. Nein, nicht dass Gauck die deutsche Olympiamannschaft besuchen werde, ist das Besondere, das Einzigartige liegt im – so wörtlich – "zu erwartenden härtesten Konkurrenzkampf der Olympia-Geschichte", bei dem der Bundespräsident Vor-Ort-Unterstützung leisten werde. Dadurch, so Bach, "gewinnt das Motto 'Wir für Deutschland', unter dem unsere Olympiamannschaft auftritt, eine ganz besondere Bedeutung.""Der zu erwartende härteste Konkurrenzkampf der olympischen Geschichte" – so soll es also in London sein, und wir mittendrin? Die Deutschen als Turm in der olympischen Schlacht? Das klingt nicht gut und kann böse Erinnerungen wecken.

Die deutschen Sportführer haben den Weckruf ausgegeben, jetzt müssen nur noch die Sportlerinnen und Sportler folgen. Alles schon mal dagewesen – Olympia der Kampfplatz, an dem sich nicht nur die besten Sportler der Welt begegnen, sondern auch Regierungs-, Wirtschafts- und Sozialsysteme im Wettbewerb stehen. Zwar waren mit dem Fall des Eisernen Vorhangs die Machtblöcke pulverisiert worden, aber dem "Friedensfest" Olympischer Spiele ist davon nichts anzumerken. Dabei ist es schwer nachvollziehbar, warum ausgerechnet der Sport in jener Nation, deren Blessuren eines politisch total überhöhten Spitzensports heute noch immer nicht ganz vernarbt sind, den Kampf um olympisches Gold schon wieder auf die Spitze treibt. Manfred Ewald lässt grüßen?
"Der Kampf um die Medaillen wird härter, dieser Kampf ist mit nichts vorher vergleichbar", sagt Sportfunktionär Bach. Seine Parolen sind im Lauf seiner Amtsjahre an der Spitze der deutschen Sport-Dachorganisation immer martialischer geworden, auch nationaler. Dazu kommen unbelegte Behauptungen, die eindeutig als Forderung an die Haushalter im politischen Berlin gerichtet sind: China, USA, Russland, Großbritannien, Japan, Südkorea, bei den anderen Nationen "war noch nie so viel Geld im Spiel wie jetzt".
Medaillen und Gerechtigkeit
Wer erinnert sich eigentlich noch an Bundeskanzler Helmut Schmidt und seine Rede vor der Versammlung des deutschen Sports 1975 in der Frankfurter Paulskirche? Schmidt sagte damals, die Anzahl von Medaillen sage nichts aus über die Freiheit und die Gerechtigkeit in einer Gesellschaft. Was damals so richtig war wie heute, scheint nichtsdestotrotz völlig verdrängt. Die Bundesrepublik Deutschland, Politik und Sport, haben in einem knallharten Schulterschluss einen anderen Weg eingeschlagen.Bezeichnend dafür der Auftritt des Generaldirektors des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Michael Vesper, im Deutschen Bundestag im Vorfeld der Olympischen Winterspiele 2010 in Vancouver.

Die Olympia-Bilanz in den Medien hingegen fiel weniger unkritisch aus. Die "Frankfurter Allgemeine" konstatierte: "Mit den 128 Medaillen, die er als Leistungsbilanz Deutschlands anführt, stellt sich der einstige Grünen-Minister Vesper wie selbstverständlich in die Tradition von DDR und Hitler-Deutschland". Das war ein völlig berechtigter Hinweis, denn die DDR hatte 39 Olympiasiege beigesteuert, und bei den Nazi-Winterspielen 1936 in Garmisch-Partenkirchen hatte es zweimal Gold gegeben.
Dermaßen bloßgestellt, zeigte der DOSB die üblichen Reaktionsmuster, wenn er attackiert wird, zumal von einer Seite, die er in früheren Jahren eher hinter sich wusste. In einem Leserbrief an die "FAZ", der im Namen des gesamten DOSB-Präsidiums abgegeben und im eigenen Pressedienst komplett abgedruckt war, hagelte es unsachliche Gegenangriffe und persönliche Unterstellungen: Es sei irritierend, "wenn gerade Sportjournalisten offensichtlich den Sinn des Leistungssports verkennen und seine Förderung auf zynische Art und Weise angreifen", hieß es da. Und schließlich stand da dann noch ein Satz drin, so kolossal wie die chinesische Mauer: "Der olympische Gedanke ist die Seele des Sports" – gerade so, als kämen die Jubelmeldungen, der deutsche Sport habe die Führung in der ewigen Wintersport-Medaillenwertung übernommen, von den inkriminierten Journalisten und nicht aus der Machtzentrale des Sportbundes.