Friedrich II. – Friedrich der Große
Die DDR und der Preußenkönig
Die offizielle Sicht der DDR auf Friedrich II. und Preußen war keineswegs eine Einbahnstraße. Rigide Ablehnung alles Preußischen bestimmte die Ära Ulbricht. Entscheidenden Anstoß gab das Kontrollratsgesetz 46 über die Auflösung Preußens. Impulse für eine differenziertere Betrachtung brachte das Buch von Ingrid Mittenzwei über Friedrich II. Honecker bezeichnete den König schließlich sogar als Friedrich den Großen.
Dabei muss beachtet werden, dass Preußen und Friedrich der Große als die bekannteste Persönlichkeit der preußischen Geschichte auch in den Beurteilungen der Zeitgenossen und Nachgeborenen nicht voneinander zu trennen sind – zumindest in den Einschätzungen der radikalen deutschen Kommunisten bis heute. Schließlich kann die unterschiedliche Bezeichnung Friedrich II. oder Friedrich der Große bis in unsere Gegenwart die unterschiedliche Bewertung dieses Monarchen ausdrücken.
I.
Der einvernehmliche Konsens der Anti-Hitler-Koalition des Zweiten Weltkrieges und Siegermächte über Preußen wurde durch deren Memorandum vom 8. August 1946 im Alliierten Kontrollrat zusammengefasst: "Es muss nicht eigens betont werden, dass Preußen in den letzten 200 Jahren eine Bedrohung für die Sicherheit Europas dargestellt hat. Der Fortbestand des preußischen Staates, und sei es nur in der Gestalt seines Namens, könnte später zum Ausgangspunkt revanchistischer Bestrebungen des deutschen Volkes werden, würde militaristischen Ambitionen in Deutschland Vorschub leisten und den Wiederaufstieg eines autoritär geprägten, zentralistischen Deutschlands begünstigen. Das muss im Interesse aller unbedingt verhindert werden."[1] Es war also folgerichtig, dass das Kontrollratsgesetz Nr. 46 vom 25. Februar 1947 die Auflösung des preußischen Staates verfügte: "The Prussian State which from early days has been a bearer of militarism and reaction in Germany has de facto ceased to exist."[2]Dieser politischen Initialzündung bedurften die deutschen Kommunisten in ihrem Einflussbereich, der sowjetisch besetzten Zone (SBZ), nicht. Bereits im August 1945, wenige Wochen nach der bedingungslosen Kapitulation, verfügte das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Deutschlands die Enteignung der Großgrundbesitzer, der "Junkerkaste" sowie der Großindustriellen. Sie galten schon immer als Träger von Militarismus und Chauvinismus und schließlich auch des Nationalsozialismus, ihre Beseitigung war eine Voraussetzung für die Ausrottung des preußischen Militarismus. Der gesamte Grundbesitz von über 100 Hektar wurde entschädigungslos enteignet. Der offizielle Slogan dieser Bodenreform lautete "Junkerland in Bauernhand", zu hören war aber auch: "Rottet dieses Unkraut aus".[3]
Dieses Ereignis dokumentiert, wer bereits unmittelbar nach Kriegsende neben der Siegermacht Sowjetunion in diesem Teil Deutschlands auf deutscher Seite die politische Macht besaß. In der Konsequenz hieß die Linie, dass in der SBZ/DDR die Herrschaftszeichen des "reaktionären Preußentums" keinen Platz im öffentlichen Raum haben durften. Es begann eine spektakuläre "Bilderstürmerei": Die bekanntesten Beispiele sind der

Zahlreiche Persönlichkeiten, zum Beispiel Denkmalpfleger und Kunsthistoriker, protestierten gegen diese Politik. Ihnen ist es zu verdanken, dass zwar die Demontage des berühmten Reiterstandbildes Friedrichs des Großen von Christian Daniel Rauch Unter den Linden nicht unterblieb, doch wurde es in einer abgelegenen Stelle des Parks von Sanssouci versteckt und dadurch vor dem Einschmelzen bewahrt. Einer der Initiatoren dieser Aktion war der damalige Kulturminister der DDR, Hans Bentzien (SED). Sein Vorgehen beweist, dass die radikale Preußenablehnung à la Ulbricht selbst von führenden Genossen nicht geteilt wurde.
Überliefert sind außerdem nicht wenige stumme Proteste in der Bevölkerung, wie das Beispiel der Einwohner von Letschin, einem Dorf im Oderbruch, zeigt. 1905 hatten die Bewohner des Ortes ein Denkmal Friedrichs des Großen als Dank für die Trockenlegung des Bruchs errichtet. In DDR-Zeiten wurde es versteckt und dadurch vor dem Einschmelzen bewahrt, 1990 wieder aufgestellt.
Bekannte Künstler und Autoren hingegen, wie Bernhard Heisig, Heiner Müller oder Peter Hacks, lehnten eine positive Würdigung der Persönlichkeit Friedrichs des Großen grundsätzlich ab. Die Schriftstellerin Gisela Heller, die später "ihre Wende nach der Wende" erlebte, schildert folgende Begebenheit: "Potsdamer FDJler zimmern einen Sarg und schreiben drauf: Hier ruhen die letzten Hoffnungen der Kriegsbrandstifter auf einen alten Geist von Potsdam und wollen ihn an der Langen Brücke in die Havel versenken. Doch der Sarg sinkt nicht und schwimmt weiter. Schon feixen einige unverhohlen. Die FDJler werden nervös …, da geht die Kiste doch noch unter. Ein alter Genosse tröstet sie: laßt man gut sein, das entspricht genau den historischen Lehren. Der alte Geist von Potsdam geht nicht so schnell unter, er versinkt langsam."[4]
II.
Die Linie Walter Ulbrichts wurde zunächst auch von seinem Nachfolger, Erich Honecker, fortgesetzt. Sie wurde von ihm noch insofern verstärkt, als vorerst jeder Bezug auf die deutsche Nation getilgt wurde. Hatte etwa die Verfassung von 1968 im Artikel 1 die DDR einen "sozialistischen Staat deutscher Nation" genannt, so tauchte in der Novelle von 1974 der Begriff "deutsche Nation" nicht mehr auf. Auch der Text der Nationalhymne der DDR, in der es hieß: "Deutschland, einig Vaterland", durfte fortan nicht mehr gesungen werden. Es sollte radikal mit der Vergangenheit gebrochen werden, um im Sinne der Ideologie des Marxismus-Leninismus eine neue Werte- und Gesellschaftsordnung aufzubauen: die DDR – den "ersten Arbeiter-und-Bauernstaat auf deutschem Boden".Der Versuch der DDR-Führung, auf dem Umweg über die Auslöschung des gesamtdeutschen Bewusstseins zu einem eigenen Staatsvolk mit eigener (nationaler) Identität zu kommen, scheiterte an der Tatsache der gespaltenen Nation. Schließlich verkündete Honecker selbst die offizielle Sprachregelung: Staatangehörigkeit DDR, Nationalität deutsch. Es entwickelte sich – vornehmlich bei Historikern, Kulturpolitikern der Partei, aber auch in der interessierten Öffentlichkeit – eine Diskussion über ein sozialistisches Geschichtsbewusstsein, über ein nationales Erbe, das sich der "fortschrittlichen Traditionen der deutschen Geschichte" annehme. Dieser Wandel war kein plötzlicher Bruch, sondern eher ein Prozess, der immer wieder kollidierte mit den radikalen Positionen der Ulbricht-Linie und ihrer Anhänger.
So wurde nun die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR als eine Organisation charakterisiert, in der preußische Traditionen von Anbeginn an einen zentralen Platz eingenommen hätten. Als Belege hierfür dienten die Stiftung des Scharnhorst-Ordens 1966 – also noch während der Ulbricht-Ära –, der Angehörigen der NVA, der Grenztruppen, der Zivilverteidigung und des Ministeriums für Staatssicherheit für Verdienste um die Stärkung der Landesverteidigung der DDR verliehen werden konnte, oder die Pflege traditionellen militärischen Brauchtums wie des Große Zapfenstreich, des Großen Wachaufzuges Unter den Linden oder des berühmten Stechschrittes. Der Begriff "die Roten Preußen" für die DDR und ihre Armee machte die Runde.
Dies als Rezeption Preußens zu bezeichnen, geht indes zu weit. Vielmehr zielte diese Art militärischer Übungen auf die NVA selbst, disziplinierende militärische Verhaltensweisen umzusetzen, wobei die Ausstrahlung auf die übrige Bevölkerung durchaus beabsichtigt war. Daraus entwickelte sich dann aber eine Traditionslinie, die ganz im Sinne der SED lag, die an die deutsch-russische Waffenbrüderschaft in den Befreiungskriegen gegen Napoleon anknüpfte, an die Reformer August Neidhardt von Gneisenau und Carl von Clausewitz, nach denen sogar Kasernen benannt wurden. Die "fortschrittlichen militärischen Traditionen der Geschichte des deutschen Volkes" wurden in der DDR fortan gepflegt.
III.
Eine geschichtspolitische Wende, die diesen Namen auch verdient, setzte in den Achtzigerjahren ein. Fast zu derselben Zeit, als der (West-)Berliner Senat Pläne präsentierte, 1981 im Martin-Gropius-Bau eine große Preußen-Ausstellung zu veranstalten – die in der westdeutschen Öffentlichkeit dann auf große Resonanz stieß –, wählte Honecker erstmals am 4. Juli 1980 in einem Interview mit dem britischen Zeitungsverleger Robert Maxwell die Bezeichnung Friedrich der Große.[5] Die setzte sich allerdings in der DDR nie ganz durch; die meisten Historiker und Publizisten blieben bei Friedrich II.Dieser Wandel wurde offensichtlich durch zwei in beiden Teilen Deutschlands Aufsehen erregende Ereignisse: die Biografie Ingrid Mittenzweis über "Friedrich II. von Preußen" (1979), in der die Historikerin ein differenziertes Bild des Herrschers zeichnete, sowie die als sensationell empfundene

Dieser Rückgriff auf die deutsche Geschichte macht deutlich, dass die ursprüngliche, von Ulbricht vertretene Position, die DDR unter Abbruch aller Traditionslinien als völlige Neuentwicklung eines sozialistischen deutschen Staates hinzustellen, gescheitert ist. Die SED hatte sich endgültig auf die nach ihrer Interpretation fortschrittlichen und positiven Traditionen der deutschen Geschichte und Kultur besonnen. Ein wesentlicher Bezugspunkt hierfür war die differenzierter gewordene Einschätzung Friedrichs des Großen. Er blieb zwar der Aggressor und Militarist, er blieb ein Vertreter seiner Klasse, der bestrebt war, die feudalen Verhältnisse zu erhalten und zu stabilisieren, der aber auch fortschrittliche und positive Entwicklungen vorantrieb, wie die Reduzierung der bäuerlichen Leibeigenschaft, die Förderung heimischer Manufakturen, den inneren Landesausbau – Beispiele Oder-, Warthe- und Netzebruch –, religiöse Toleranz, Anstöße zu einer Justizreform, die Pflege der Schulen in den Dörfern, die Unterstützung der Landwirtschaft, etwa den Getreide- und Kartoffelanbau. Nicht zu vergessen die berühmten "preußischen Tugenden", die Friedrich vielen Zeitgenossen selbst vorlebte. Gewiss, so kann eingewendet werden, dienten all diese Punkte zur Stabilisierung der eigenen Herrschaftsgrundlagen, wie Marxisten es begründen; aber sie enthielten im Keim bereits Wegmarken zur Überwindung der feudalen Ordnung. Wenige Jahre nach Friedrichs Tod brach die Französische Revolution viele Fesseln der alten Gesellschaftsordnung. Zur Würdigung des preußischen Königs gehörten in der DDR fortan aber auch seine musischen, philosophischen und literarischen Interessen, wenngleich er kein Gespür für die literarische Landschaft in den deutschen Ländern hatte.
Insgesamt kam die Diskussion über die Bewertung Friedrichs des Großen aufgrund der Thesen von Ingrid Mittenzwei[6] zu dem Fazit, dass der Preußenkönig an seine Klasse und an die Zeit, in der er herrschte, gebunden war, dass er allerdings weit über den anderen Herrschern des 18. Jahrhunderts stand. Aus der anfangs einseitig ablehnenden Betrachtung hatte sich seit diesen Ereignissen ein differenziertes Bild des Monarchen entwickelt, das bis zum Ende der DDR Bestand hatte.
Diese Sichtweise widerspiegelte sich auch in den Schulbüchern für Geschichte. So heißt es im Lehrbuch für die 7. Klasse, 1989 im Ost-Berliner Verlag Volk und Wissen erschienen: "Friedrich II. war eine widersprüchliche Persönlichkeit. Während er im Inneren einige Reformen durchsetzte, lief seine Außenpolitik darauf hinaus, Preußen durch Eroberungen zu stärken … Vor allem der Siebenjährige Krieg und die Teilnahme an den Teilungen Polens offenbarten die Eroberungspolitik des preußischen Militärstaates."[7] Hier gibt es durchaus Berührungspunkte mit dem Friedrich-Bild in der Bundesrepublik. Es kann in der DDR sogar von einer gewissen Preußen-Renaissance gesprochen werden, denkt man beispielsweise an das große Echo der aufwändigen Ausstellung "Friedrich und die Kunst", die 1986 im Potsdamer Neuen Palais gezeigt wurde. Anlass war der 200. Todestag Friedrichs.
Ebenfalls in der Linie, sich über Preußen hinaus dem Erbe der ganzen deutschen Geschichte zu widmen, stehen die Martin-Luther-Ehrung 1983, die Würdigung der Reformation als "frühbürgerliche Revolution" und die große Bismarck-Biografie des Nestors der Geschichtswissenschaft der DDR, Ernst Engelberg. Der erste Band "Bismarck – Urpreuße und Reichsgründer" erschien 1985, der zweite "Bismarck – das Reich in der Mitte Europas" 1990. Parallel dazu zeigte das DDR-Fernsehen den Dreiteiler "Bebel und Bismarck". Die "Berliner Zeitung", das "Organ" der SED für die "Hauptstadt der DDR", kommentierte am 21. November 1985 die Beschäftigung mit Otto von Bismarck wie folgt: "Persönlichkeit und Werk des preußischen Ministerpräsidenten und ersten deutschen Reichskanzlers gehören zum historischen Erbe, dem wir uns als Ganzes zu stellen haben. … Kein Geringerer als W. I. Lenin unterstrich, dass Bismarck mit der preußisch-deutschen Reichsgründung von 1870/71 auf eine Art, auf Junkerart, ein historisch fortschrittliches Werk vollbracht hat."

Beleg hierfür ist die Biografie von Ingrid Mittenzwei. Die zu erwartende These, dass der preußische König der Verursacher einer negativen preußischen und deutschen Polenpolitik bis Mitte des 20. Jahrhunderts gewesen sei, findet sich darin nicht.[8] Damit entspricht Mittenzwei dem allgemeinen Trend der Geschichtswissenschaft in ganz Deutschland, welche die polnisch-preußisch/deutsche Beziehungsgeschichte bis heute nicht gebührend würdigt. Es ist Klaus Zernack und Hans-Jürgen Bömelburg, beide in der deutsch-polnischen Schulbuchkommission aktiv, zu verdanken, dieses Defizit in der historischen Sichtweise systematisch aufzudecken.[9] Das begonnene Projekt eines gemeinsamen deutsch-polnischen Geschichtsbuches kann mit Sicherheit mittel- und langfristig stärker den Blick auf dieses Desiderat und damit nach Osten wenden.
IV.
1987 wurde im geteilten Berlin in zwei getrennten Feiern das 750. Gründungsjubiläum der Stadt begangen. Dies führte offensichtlich bei Honecker zu Überlegungen, die auf der Hohenzollernburg Hechingen in Baden-Württemberg befindlichen Sarkophage Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs des Großen nach Potsdam zurückzuführen. Im Zuge der letzten Kriegswochen und nach dem 8. Mai 1945 waren die Särge aus der Potsdamer Garnisonkirche über Marburg nach Hechingen gebracht worden. Friedrich selbst hatte in seinem Testament angeordnet, ihn auf den Terrassen von Sanssouci zu beerdigen.Der damalige Chef des Hauses Hohenzollern, Prinz Louis Ferdinand, hatte bereits 1952 seine grundsätzliche Bereitschaft verkündet, die Sarkophage wieder nach Potsdam zurückzuführen – allerdings unter der Voraussetzung, dass Deutschland wiedervereinigt sei. Das war der DDR-Führung bekannt, hinderte aber Honecker nicht daran, Prinz Louis Ferdinand offiziell zu den Jubiläumsfeierlichkeiten 1987 in die Hauptstadt der DDR, nach Ost-Berlin, einzuladen. Hans Bentzien, schon lange nicht mehr Kulturminister, sondern seinerzeit Generalintendant des DDR-Fernsehens, überbrachte die Einladung. Der Prinz lehnte auf Anraten von Bundeskanzler Helmut Kohl ab, weil ein propagandistischer Missbrauch seines Besuches befürchtet wurde.
Allerdings kam es in jenem Jahr noch zu einer privaten Reise Louis Ferdinands nach Potsdam. Der Zusammenbruch der DDR machte es schließlich möglich, dass mit 205 Jahren Verspätung die Verfügung Friedrichs des Großen, seine sterblichen Überreste auf der Terrasse von Sanssouci zu bestatten, eingelöst wurde. Das geschah am 17. August 1991.