Architektur als Medium der Vergesellschaftung
Der Beitrag der Bau- und Planungsgeschichte zu einer Gesellschaftsgeschichte der DDR
Architektur formt das materielle Rückgrat der Gesellschaft und bildet einen essenziellen Identifikationsfaktor. Die Bau- und Planungsgeschichte leistet einen wichtigen Beitrag zu einer Gesellschaftsgeschichte der DDR, indem sie Einblicke in kollektive Identitäten, planerische und architektonische Gestaltungsmöglichkeiten sowie bürgerschaftliche Aneignungsprozesse eröffnet.Die Geschichte eines Landes setzt sich aus dem Zusammenspiel vieler kleiner Geschichten zusammen; sie wird von Personen, Orten, Ereignissen, aber auch von der materiellen Umwelt geprägt. Und sie wird in ihren unterschiedlichen Zeitabschnitten von verschiedenen Forschungseinrichtungen untersucht. Bei der historiografischen Analyse der DDR bringen dabei neben den großen Forschungsstellen auch Institute ihre disziplinäre Sicht in den Diskurs ein, die sich mit einem zunächst eher sektoral zugeschnittenen Zugriff mit Teilsegmenten von Geschichte und Gesellschaft Ostdeutschlands beschäftigen. Dabei arbeiten sie aber durchaus mit dem Anspruch, einen eigenen Beitrag zu einer differenzierten Gesellschaftsgeschichte der DDR zu liefern.
Mit diesem Themenschwerpunkt, der von einer solchen Forschungseinrichtung, der Historischen Forschungsstelle des Leibniz-Instituts für Regionalgeschichte und Strukturplanung (IRS) in Erkner,[1] gestaltet wurde, wird in der vorliegenden Ausgabe des "Deutschland Archivs" ein Teilsegment der Historie – nämlich die Bau- und Planungsgeschichte – akzentuiert und auf ihre Aussagekraft für eine differenzierte Gesellschaftsgeschichte der DDR befragt. Den Ausgangspunkt bildete die jüngste Veranstaltung der Konferenzreihe "Werkstattgespräche zur Planungsgeschichte der DDR"[2], die seit inzwischen mehr als 15 Jahren ein offenes Forschungsforum zur Bau-, Architektur- und Planungsgeschichte Ostdeutschlands bietet – ein Themenfeld, dessen Potenziale für die Untersuchung der DDR-Geschichte längst nicht erschöpfend ausgelotet sind.
Die aktuelle Forschungslage oder: Warum es (immer noch) spannend und wichtig ist, die Geschichte der DDR zu erforschen und zu vermitteln

Ähnlich wie in der Öffentlichkeit besteht auch in der geschichtswissenschaftlichen Forschung nach wie vor ein starkes Interesse an der DDR-Geschichte.[5] Mittlerweile wird diese zumindest quantitativ in ähnlichem Umfang erforscht wie die Bundesrepublik.[6] Allerdings wird die DDR-Geschichte gerade in den wichtigen Überblicksdarstellungen zur deutschen Nachkriegsgeschichte immer noch eher als "Mythos im Zeichensystem der Bundesrepublik"[7], also als Ergänzung bzw. Anhängsel, als "falsches Modell", als Negativfolie und letztlich als historische "Fußnote" zur zweifelsohne "geglückten" (Demokratie-)Geschichte der Bundesrepublik[8] präsentiert. Zudem wird die Geschichte des "anderen" deutschen Staates oft nur für sich und aus sich selbst heraus betrachtet – und gerade nicht als integraler Bestandteil der deutschen Nachkriegsgeschichte.[9]


