Die Transitautobahn A 24 zwischen Hamburg und Berlin
Eine deutsch-deutsche Bau- und Beziehungsgeschichte
Die Autobahnstrecke A24 zwischen Hamburg und Berlin war in den 1980er-Jahren ein sehr spezifischer Ort deutsch-deutscher Beziehungen. Planung, Bau und Nutzung der A24 von den 1970er-Jahren bis in die 1990er-Jahre wird nun in einem zeithistorischen Forschungsprojekt untersucht.In der zeitgeschichtlichen Erforschung der 1970er- und 80er-Jahre ist die Autobahnforschung bisher wenig präsent, während für die Autobahngeschichte bis in die Nachkriegszeit etliche verkehrs- und kulturgeschichtliche Studien vorliegen. Die Vorgeschichte des Autobahnbaus in der Weimarer Republik[2] ist – nach einer Konzentration auf die Erforschung der Reichsautobahnen bis in die frühen 1990er-Jahre – inzwischen Gegenstand mehrerer Untersuchungen.[3] Für die 1930er-Jahre stand neben der Erforschung der Gesamtkonzeption "Reichsautobahn"[4] und Einzeluntersuchungen zu Reichsautobahn-Strecken[5] bisher vor allem die von den Nationalsozialisten propagierte "Inszenierung der Landschaft"[6] im Vordergrund der kunstgeschichtlichen[7], aber auch kulturgeschichtlichen Forschung.[8] Für die Erforschung der Autobahnen in der Bundesrepublik und in der DDR verlagerte sich der Schwerpunkt der Untersuchungen auf den Konnex von Motorisierung und Wiederaufbau[9] sowie auf die mit dem Autobahnbau verbundene Infrastrukturplanung.[10] Hinzu kommen einzelne Aspekte wie Autokonsumkultur[11] sowie Verkehrssicherheit und Autokritik[12]. Auch die Transitbestimmungen, der Grenzübergang Marienborn und die Überwachung durch die Staatssicherheitsorgane auf den DDR-Autobahnen der 1950er- und 60er-Jahre sind beforscht – zu nennen ist insbesondere die einzige Studie zu den DDR-Autobahnen von Axel Dossmann.[13] Blickt man auf die Jahre nach der Ölkrise 1973/74, findet sich jedoch nur wenig Forschungsliteratur. Ebenfalls kaum beachtet sind die Architekturen der Autobahn wie Raststätten, Grenzübergänge, Parkplatzanlagen und Tankstellen.[14]
Im Folgenden sollen am Beispiel eines neuen Projektes zur Autobahnverbindung zwischen Hamburg und Berlin in Form eines Werkstattberichtes Perspektiven auf erweiternde Fragestellungen zur Verkehrs- und Autobahnforschung aufgezeigt werden.[15] Die Erforschung des speziellen deutsch-deutschen "Erfahrungsraums" Autobahn zwischen den beiden größten Städten der Bundesrepublik kann in mehrfacher Hinsicht einen interessanten Beitrag zur jüngsten Zeitgeschichte leisten. Denn einerseits soll in Erweiterung der viel diskutierten These einer "asymmetrisch verflochtenen Parallelgeschichte" (Christoph Kleßmann)[16] der Aspekt der Verflochtenheit betont werden: Die 239 Kilometer der A 24, die 1982 eröffnet und zum größten Teil durch bundesdeutsche Mittel finanziert wurde, verlaufen auf beiden Staatsgebieten und boten an Grenzübergangsstellen, Raststätten, Intershops (Läden, in denen westliche Konsumartikel gegen Devisen verkauft wurden), Tankstellen und Parkplätzen besondere Berührungspunkte zwischen Ost und West. Gleichzeitig soll auf der Vergleichsebene stärker als bisher üblich eine Symmetrie in der Darstellung der beiden deutschen Nachkriegsgeschichten angestrebt werden. Dazu ist es im Anschluss an kulturwissenschaftliche Ansätze zum Beispiel notwendig, kulturelle Praktiken in der DDR nicht nur mit Blick auf die Überwachungspraktiken an der Grenze zu untersuchen.
Die Analyse deutsch-deutscher Beziehungen an der Autobahn rückt eine bisher wenig bekannte, alltagsgeschichtliche Perspektive auf die DDR der 1980er-Jahre in den Vordergrund, wobei die Autobahn als Raum verstanden wird, in dem sich deutsch-deutsche Begegnungen zwischen Reisenden aus Ost und West, Berufspendlern aus West-Berlin, Grenzbeamten, Passkontrolleuren, Tankwärtern, Raststätten-Mitarbeitern, Intershop-Besuchern aus Ost und West sowie Volkspolizisten abspielten.[17] Dabei geht es um die Frage, ob tatsächlich nur die erwartbaren gegenseitigen deutsch-deutsch Stereotype – Stichwort "Angstraum Transit" aus der Perspektive des Westens – bestätigt wurden oder ob auf der Autobahn andere Formen der Kommunikation sowie gegenseitiger Beobachtung und damit andere Bilder über "die Anderen" jenseits der Grenze möglich waren.
Die Studie setzt in den 1970er-Jahren ein und ist auf drei Ebenen angesiedelt: Erstens werden die politischen Annäherungs- und Aushandlungsprozesse zwischen der Bundesrepublik und der DDR untersucht. Ausgangspunkt bildeten unter anderem die neue Ostpolitik Willy Brandts, aber auch praktische Fragen wie die Abwicklung des Transitverkehrs, die in den 1970er-Jahren neu ausgehandelt und im Transitvertrag von 1971 festgeschrieben wurden. Dieser bildete die Grundlage für Verhandlungen um den Neubau der A 24 bis 1978 sowie der Durchführung des Baus bis 1982, der auf der zweiten – baugeschichtlichen – Ebene der Studie rekonstruiert wird. Drittens stehen erfahrungsgeschichtliche Aspekte im Vordergrund – hier wird die Nutzung und Wahrnehmung der Autobahn durch Interviews mit verschiedenen Nutzergruppen dokumentiert. Dabei lautet eine der Hauptfragen, welche Bilder diese Begegnungen vom jeweils "Anderen" diesseits und jenseits der deutsch-deutschen Grenze schufen.
Annäherungsperspektiven aus Ost und West nach 1945


Auch in der Bundesrepublik gingen die Autobahnplanungen zunächst an einer Verbindung von Hamburg nach Berlin vorbei. Der Bundesminister für Verkehr Hans-Christoph Seebohm – von 1949 bis 1966 im Amt – mahnte zwar 1951 anlässlich der Bauausstellung "Constructa" in Hannover, "ein gesundes und leistungsfähiges Verkehrswesen" sei "eine unerlässliche Voraussetzung für jeden wirtschaftlichen Wiederaufstieg".[19] Ein Jahr später aber legte Seebohm eine Studie zur Fernverkehrsstraßenplanung vor, in der die Verbindung Hamburg–Berlin durch eine Autobahn lediglich in die Dringlichkeitsstufe II eingeordnet wurde. Stattdessen bekamen die Ergänzung und der Ausbau der Nord-Süd-Verbindung in Westdeutschland von Hamburg bis nach Basel in seinem Gutachten "Straßenplanung und Forschung" die höchste Dringlichkeitsstufe.[20] Die von Hamburg ausgehenden Verbindungen werden nur in Richtung Westen nach Bremen und in Richtung Süden nach Hannover geplant. Eine Verbindung nach Berlin ist zwar in der Karte angedeutet, im Gutachten selbst wird sie jedoch nicht thematisiert.
Anbahnung von Beziehungen durch eine Autobahn
Dass die Verbindung zwischen Hamburg und Berlin in der Verkehrsplanung der Bundesregierung fehlte, wurde in der Presse der Bundesrepublik immer wieder thematisiert. In den späten 1960er- und in den 70er-Jahren berichteten Tageszeitungen hier in regelmäßigem Abstand über das Problem des sogenannten Berlin-Verkehrs[21], und auch der Bundestags-Ausschuss für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen beriet mehrmals über den Transitalltag und seine Bestimmungen.[22] Auch die Bundesregierung beschäftigte sich mit dem Transitverkehr, speziell wenn es um die Verkehrsverbindungen im Zonenrandgebiet ging. In der Kabinettssitzung am 21. Juli 1965 setzte Bundesverkehrsminister Seebohm sich für eine langfristige Förderung des Zonenrandgebiets ein. Insbesondere hielt er es für notwendig, "die Frachthilfe auszubauen und möglichst weitgehend mit billigen Krediten und Abschreibungsmöglichkeiten zu kombinieren".[23]Überhaupt schien seit Mitte der 1960er-Jahre auf beiden Seiten eine neue Bereitschaft spürbar zu sein, den mühsamen deutsch-deutschen Transitalltag durch Gespräche und neue Vereinbarungen zu erleichtern, wie die vielfach zitierte Rede von Egon Bahr "Wandel durch Annäherung" 1965 zeigt. Dennoch verwies auch Bahr auf die Grenzen der Annäherung, insbesondere in Bezug auf eine mögliche Anerkennung der DDR: "Niemand von uns erkennt das Ulbricht-Regime an, wenn er in Töpen, in Marienborn oder in Lauenburg Wegegebühr zahlt und seinen Personalausweis im Schlitz verschwinden läßt, hinter dem er überprüft wird. Daß wir einer Reihe von Kategorien von Menschen empfehlen, den Luftweg zu benutzen, weil die anderen Wege eben nicht frei von Zugriffsmöglichkeiten des Ulbricht-Regimes sind, ist auch keine Anerkennung."[24] Die politische Linie der neuen Ostpolitik, der die sozialliberale Koalition ab 1969 folgte, zielte auf eine staatsrechtliche statt einer völkerrechtlichen Anerkennung – und somit auf eine Annäherung durch Gesprächsrunden zu den deutsch-deutschen Beziehungen. Grundlegende Fragen wie Handelsbeziehungen und Transitregelungen wurden 1971 im Transitabkommen und 1972 im Grundlagenvertrag behandelt. Für die Planung der A 24 stellen diese Vereinbarungen den entscheidenden Wendepunkt dar.
Bis in die 1970er-Jahre war in der westdeutschen Presse immer wieder über willkürliche Gebührenerhebungen an Grenzübergängen seitens der DDR-Organe berichtet worden. Die DDR verdiente tatsächlich gut daran und versuchte von dem vereinbarten Sondertarif abzuweichen, indem sie die Gebühren nach Nutzlast berechnete. Am 16. Februar 1970 berichtete die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" über Vorfälle an der Grenzübergangsstelle Marienborn, an der Spezialfahrzeuge wie Milch- und Tanktransporter auf der Strecke Helmstedt–Berlin sonst mit einem Pauschalpreis von 15 Mark bzw. mit Anhänger 30 Mark zu rechnen hatten. Nun sollten sie 50 bis 85 Mark zahlen.[25] Diese Unregelmäßigkeiten sollten durch eine verbindliche, im Transitabkommen verankerte Gebührenordnung abgestellt werden.

Der Aushandlungsprozess dieses ersten Regierungsabkommens zwischen beiden deutschen Staaten war mühsam gewesen, zugleich wurden jedoch große Hoffnungen in die Vereinbarung gesetzt: "Zu überwinden waren, neben rein sachlichen Schwierigkeiten, starke Barrieren des Mißtrauens. In dem Maße, wie sich das Abkommen in der Praxis bewährt, wird es zum Abbau des Mißtrauens zwischen den beiden deutschen Staaten in Deutschland beitragen. […] Für sich genommen ist das Abkommen darüberhinaus ein Zeichen der Ermutigung und der Hoffnung. Die Aussichten für praktische Verbesserungen in Deutschland sind jetzt realer."[27] In der Praxis wurden die prognostizierten positiven Folgen des Transitabkommens zumindest teilweise subjektiv spürbar. So berichtete der "FAZ"-Korrespondent Peter Jochen Winters 1972 von Testbesuchen an verschiedenen Grenzübergängen wie Heerstraße/Staaken im Berlin-Verkehr, in Helmstedt/Marienborn oder in Herleshausen/Wartha: "… immer erlebte ich die gleiche freundliche und zuvorkommende Behandlung durch die DDR-Grenzorgane, immer wurden die Formalitäten innerhalb weniger Minuten abgewickelt, und niemals interessierte sich einer der DDR-Zollbeamten für den Inhalt meines Kofferraums oder meines Gepäcks, selbst wenn das Auto bis obenhin vollgeladen war."[28] Vorher hätten die Kontrollen um Stunden länger gedauert und man sei stets der Willkür der DDR-Grenzposten ausgeliefert gewesen. Die gesetzlichen Regelungen des Transitabkommens aber verhinderten dies nun, so Winters in der "FAZ". Noch knapp zehn Jahre zuvor hatte es den Anschein gehabt, als seien die Autobahnen umkämpftes Gebiet im Kalten Krieg; Berichte über einen reibungslosen Reiseverkehr sind kaum zu finden.
Das Transitabkommen sorgte zweifellos für eine Normalisierung im deutsch-deutschen Reiseverkehr, die auch am Anstieg des Transitverkehrsaufkommens abzulesen ist: 1965 reisten im Berlin-Transit über die Grenzübergangsstelle (in der Amtssprache der DDR kurz: GÜSt) Drewitz 1.468.185 PKW, 1988 schon 5.601.198 PKW.[29] Die Diskussionen um weitere Autobahnbauten, etwa zur Entlastung der Transitstrecke Hannover–Berlin, nahmen nun in der Bundesrepublik Anfang der 1970er-Jahre Fahrt auf. Immer noch führte der Transitverkehr zwischen Hamburg und Berlin über eine Fernstraße. Dieser Transitweg war für die DDR-Behörden schwer kontrollierbar und für die Reisenden aus Westdeutschland und West-Berlin unwägbar; für beide Seiten war deshalb eine Autobahn wünschenswert.
Erste Vorschläge zum Bau einer Autobahn zwischen der Hansestadt und Berlin hatte der Hamburger Wirtschaftssenator Helmuth Kern schon in den späten 1960er-Jahren unterbreitet.[30] Anlässlich seiner Messe-Besuche in Leipzig diskutierte er jedoch zunächst über den Streckenverlauf Hamburg-Rostock-Berlin. Erst in den frühen 1970er-Jahren mehrten sich die Schlagzeilen über eine direkte Autobahn-Verbindung zwischen Hamburg und Berlin.

Die deutsch-deutschen Verhandlungen begannen 1974, nachdem die Verkehrsminister der betroffenen Bundesländer auf einer gemeinsamen Konferenz einen Appell an den Bundesverkehrsminister gerichtet hatten, diesbezügliche Gespräche mit der DDR aufzunehmen. Die Kosten schätzte das Bundesverkehrsministerium auf bis zu 50 Millionen DM pro Autobahnkilometer. In West-Berlin musste ein Anschluss an die DDR-Strecke Berlin–Wittstock geschaffen und in Schleswig-Holstein eine Trasse von Hamburg bis zur innerdeutschen Grenze gebaut werden.
Zeitgleich mit den Verhandlungen begann in den westlichen Bundesländern aber auch ein Streit über die Trassenführung. Laut Bundesfernstraßengesetz obliegt zwar die Zuständigkeit für die Planung der Bundesfernstraßen dem Bundesministerium für Verkehr, die Verwaltungszuständigkeit wird jedoch den Ländern übertragen, die parallel zu denen des Bundes eigene verkehrspolitische Interessen durchsetzen wollten. Das Land Niedersachsen befürwortete eine Trassenführung durch das Wendland, während Schleswig-Holstein für einen Anschluss an die A 1 zwischen Hamburg und Lübeck kämpfte.[34]
Hinzu kamen zivilgesellschaftliche Proteste. Diese Streitigkeiten führten zu stark asymmetrischen Bauverläufen: Während in der DDR unmittelbar nach Ende der Verhandlungen 1978 mit dem Bau der Strecke begonnen wurde, debattierten in der Bundesrepublik Umweltschützer und Politiker weiterhin über die Trassenführung. Unter der Überschrift "Bis jetzt stimmt's nur auf dem Papier" berichtete zum Beispiel das "Hamburger Abendblatt" 1979 über die Proteste von Umweltschützern gegen die Trassenführung durch den Sachsenwald und über die Weigerung der Familie Bismarck, Bauland zur Verfügung zu stellen.[35] Die Diskussionen wurden schließlich durch eine Direktive des Bundesverkehrsministeriums beendet. Inzwischen hatte die DDR den östlichen Teil der Strecke von Berlin bis Wittstock bereits fertiggestellt.
Der Beschluss über den Bau der A 24 wurde in der westdeutschen Presse wohlwollend aufgenommen. Das "Handelsblatt" bezeichnete die neue Autobahn als ein "Geschenk für Hamburg".[36] Das Geschenk war jedoch nicht billig: Bis zur Fertigstellung der Autobahn 1982 investierte die Bundesrepublik 1,25 Milliarden DM. Das SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" sah im Bau der A 24 einen wichtigen Schritt im Entspannungsprozess zwischen den beiden deutschen Staaten.[37] Ganz ähnlich sahen das die westeuropäischen Nachbarn. Die englische "Times" gab schon einen Tag vor dem Abschluss der Verhandlungen eine Einschätzung ab: "The agreement is also seen as yet another bond between East and West Germany. It is another stabilizing element which could ensure that cooperation and dialogue would continue even if the atmosphere between Washington and Moscow suddenly became stormy or strained."[38]
Bis 1982, innerhalb von vier Jahren, wurden die fehlenden Streckenteile auf Seiten der Bundesrepublik und der DDR gebaut. Das 76 Kilometer lange Teilstück von Berlin bis Wittstock war bereits 1978 zur Komplettierung der Autobahnverbindung Berlin–Rostock fertiggestellt worden. Es fehlten nun auf dem Gebiet der DDR noch 125 Kilometer zwischen Wittstock und Zarrentin, deren Bau das Autobahnbaukombinat bis zum Sommer 1982 durchführen konnte.[39] Auf der Westseite bangte man allerdings, ob der vereinbarte Zeitraum bis zur Fertigstellung der Trasse im November 1982 tatsächlich eingehalten werden könne. Das "Hamburger Abendblatt" befürchtete im Oktober 1980, es "könnte für Bonn eine peinliche Situation entstehen, wenn die neue Autobahn auf der östlichen Seite des Grenzzauns endet."[40] Auch die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtete über das "deutsch-deutsche Autobahn-Kuriosum", verwies allerdings auf die Unterschiede des Autobahnbaus in Ost und West: "Während in der DDR Rodungs- und Bautrupps seit gut anderthalb Jahren – natürlich unbehelligt von Protesten aus der Bevölkerung – die Trasse vorantreiben, hagelte es im Holsteinischen von Beginn an Proteste gegen die 'Nordtrasse'. Klagen vor dem Verwaltungsgericht und Baustopps waren die Folge."[41] Die Umweltaktivisten konnten sich nicht durchsetzen, ihre Klagen wurden abgewiesen und der Bau fortgesetzt.[42] Auf dem mit 44,2 Kilometer kürzesten Stück der Strecke konnte dabei bis zum Sachsenwald auf die baulichen Relikte der bis 1941 in Teilen fertiggestellten Reichsautobahnstrecke Hamburg–Berlin zurückgegriffen werden. Die Brücken des als Gebietsarchitekt Nordwest eingesetzten Hamburger Architekten Konstanty Gutschow sowie die Trassenführung der damaligen Projektierung wurden übernommen.[43]
Verbindungsbahn in Zeiten unterkühlter deutsch-deutscher Beziehungen
Am 20. November 1982 wurde die A 24 dem Verkehr übergeben und die B 5 bzw. Fernstraße 5 (Hamburg–Lauenburg–Boizenburg–Nauen–Berlin) für den Transitverkehr gesperrt.[44] Die Strecke wurde von Bundesverkehrsminister Werner Dollinger und vom Verkehrsminister der DDR, Otto Arndt, eröffnet. Dollinger und Arndt näherten sich an der Grenzübergangsstelle von Westen (Gudow) und Osten (Zarrentin), um die Strecke zu eröffnen. Anschließend lud Arndt Dollinger zu einem Mittagessen in die Raststätte Stolpe/Mecklenburg ein. Otto Arndt betonte – so zitierte ihn das "Neue Deutschland" drei Tage später –, "daß es bei strikter Achtung der Grundsätze der Souveränität, der Gleichberechtigung, der territorialen Integrität, der Nichteinmischung und des gegenseitigen Vorteils möglich ist, für alle Beteiligten vorteilhafte Regelungen zu verwirklichen."[45]Etwas weniger bürokratisch und in euphorischer Erwartung der neuen Transitverbindung klangen die Kommentare in der westdeutschen Presse: "Geburtstag einer Autobahn. Am Sonnabend rücken Hamburg und Berlin näher zusammen";[46] die Autobahn sei "kulturgeschichtlich (…) ein Schritt zur Erschließung der letzten Terra Incognita auf deutschem Boden".[47] Neben dieser positiven Begrüßung der Autobahn wurden vor allem Tipps zur Benutzung gegeben, etwa die Einhaltung des Tempolimits von 100 Stundenkilometern, Angaben zu Tank- und Raststätten, der Hinweis, die Strecke auf keinen Fall zu verlassen, und Verhaltensregeln im Fall einer Panne bzw. eines Unfalls.[48]

Architekturen an der Autobahn
Nicht nur die Beschilderung war Ausgangspunkt einer "emotionalen" Begegnung von Ost und West. Gerade Grenzübergänge, Tankstellen, Raststätten und Parkplätze fungierten als Bühne für eine bisher noch wenig untersuchte deutsch-deutsche Kommunikation bzw. dienten der gegenseitigen Beobachtung. Diese Orte sollen nun exemplarisch aus erfahrungsgeschichtlicher als auch bautypologischer Perspektive vorgestellt werden.Der Grenzübergang – Architekturen der Kontrolle
Die deutsch-deutschen Grenzübergänge an der Autobahn, in der DDR als "Grenzübergangsstelle" (GÜSt) bezeichnet, unterscheiden sich zunächst nicht von anderen Grenzarchitekturen in Europa. Kennzeichnend für alle Grenzübergänge ist, dass PKW und LKW sich ihm im Schritttempo nähern, das Einordnen in verschiedene Warteschlangen und die Kontrollbaracken der Grenzbeamten. Zu einer spezifischen Architektur der Kontrolle wird die GÜSt erst durch die offensichtliche Präsenz der Staatssicherheitsbehörden, die zusätzlichen Absicherungen wie Wachtürme und spezielle Grenz- und Sperrzäune.


Die abgeschottete Strecke – Autobahn als exterritoriales Gebiet
Den Transit-Reisenden aus Westdeutschland war es verboten, die Autobahn außerhalb der vorgesehenen Haltepunkte, wie zum Beispiel der Raststätte Stolpe/Mecklenburg, zu verlassen. So wurde die A 24 zu einer Art exterritorialem Gebiet, in dem der Verkehr tunnelartig durch die DDR geleitet wurde. Die DDR-Sicherheitsbehörden konnten nun das Fahraufkommen und die Reisenden besser als auf der bisherigen Transitstrecke B 5 genauestens kontrollieren und die DDR-Bürger von den Autobahnnutzern fernhalten. "Der Westen flitzt jetzt vorbei", ist denn auch die treffendste Schlagzeile, die in der "Westdeutschen Zeitung" zur Eröffnung der A 24 publiziert wurde.[51]
Wenn es zu Begegnungen an der Strecke kam, dann standen sich westdeutscher Transitreisender und DDR-Volkspolizist gegenüber. Ein wiederkehrendes Ärgernis waren aber nicht nur die Kontrollen an den Grenzübergangsstellen, sondern auch das Tempolimit auf allen DDR-Autobahnen, das von den an der Strecke zahlreich postierten "Vopos" kontrolliert wurde. Offensichtlich galt diese Verkehrsregelung jedoch nicht für alle Nutzer der Autobahn. Unter dem Titel "Was Dollinger in der 'DDR' erlebte" kolportierte das Hamburger Abendblatt kurz nach Eröffnung der Strecke die Eindrücke des Bundesverkehrsministers bei der ersten Befahrung der A 24: "'Ich fühle mich bestärkt, auf bundesdeutschen Autobahnen keine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung einzuführen.' […] Während der Fahrt von der Raststätte Stolpe […] nach Berlin sei er in seiner Meinung bestätigt worden, dass Tempo 100 ermüdend wirke und zu gefährlichen Überholvorgängen führe. […] Obwohl sich Dollinger strikt an die von der 'DDR' vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit hielt, wurde sein Dienstwagen überholt – von einer schweren Regierungs-Limousine mit Ostberliner Kennzeichen. In ihr saß 'DDR'-Verkehrsminister Otto Arndt. Als er Dollinger überholte, winkte er seinem Gesprächspartner aus Bonn zum Abschied freundlich zu."[52] Die Position Dollingers gegen ein Tempolimit auf bundesdeutschen Autobahnen sollte sich bei allen Nachfolgern im Amt halten. Bundesverkehrsminister Günther Krause sorgte schließlich für das endgültige Ende des allgemeinen Tempolimits und hob die Regelung auch für alle ehemaligen DDR-Autobahnen zum 1. Januar 1992 auf.
Raststätte/Intershop/Tankstelle – Architekturen der Begegnung
Wenngleich selbst die raren Kontaktmöglichkeiten an der Strecke in Raststätten, Tankstellen, Intershops und Parkplätzen durch die DDR-Staatssicherheitsbehörden streng überwacht wurden, waren sie dennoch deutsch-deutsche Begegnungs- und Kommunikationsorte, die von der zeithistorischen Forschung bisher wenig beachtet wurden. Diese nur sehr schwer zu rekonstruierenden Begegnungen und gegenseitigen Beobachtungen sollen über Interviewreihen beleuchtet werden.[53] Durch ein breitgestreutes Sample an Nutzern der Autobahn A 24 sollen Kommunikation und Nicht-Kommunikation, Beachtung sowie Beobachtung, aber auch das gegenseitige Übersehen unter dem Zeichen der Überwachung als Teil des deutsch-deutschen Autobahnalltags beschrieben werden.[54] Der Befragung liegt sowohl eine Ortstypologie als auch eine Nutzertypologie zugrunde, die eine systematische Analyse deutsch-deutscher Erfahrungen an der Autobahn ermöglichen sollen.Die Nutzer teilen sich in drei Kategorien: Erstens "professionelle Nutzer" wie Bundesgrenzschutzbeamte, DDR-Passkontrolleinheiten, Bauarbeiter, Mitarbeiter der Staatssicherheit, Volkspolizisten. Einen zweiten Nutzertyp bilden Personen, die in der Nähe der Strecke wohnten und in Raststätten, Tankstellen und Intershops arbeiteten. Reisende aus Ost und West sowie Berufspendler aus der Bundesrepublik, die ihre spezifischen Erfahrungen auf der Transitautobahn machen, bilden die dritte Kategorie.
Die Ortstypologie orientiert sich am Verlauf der A 24. Zunächst mussten die Reisenden die Kontrollen der GÜSt passieren und kamen mit den DDR-Passkontrolleinheiten (PKE) und Zollkontrolleuren in Kontakt.[55] Der erste Untersuchungsort wird deshalb der Grenzübergang sein. Die Strecke selbst – abgeschirmt und kontrolliert nicht nur durch die Volkspolizei, sondern auch die Staatssicherheit – ist der zweite Untersuchungsort im Projekt:[56] Was passierte im Fall von Tempoüberschreitungen? Wie wurden Pannen und Autounfälle gehandhabt? Raststätten, Tankstellen und Intershops – besonders die Raststätte Stolpe/Mecklenburg – bilden als Ensemble den dritten Untersuchungsort.[57] Welche Beobachtungen machten Reisende aus Ost und West, die Raststättenmitarbeiter, die Intershop-Besucher, die Tankwarte, die dort stationierte Volkspolizei und die Mitarbeiter der Staatssicherheit? Welche Bilder, Stereotype und Ansichten wurden bestätigt oder bildeten sich an Autobahn-Raststätten? Als letzter und vierter Ort sollen Vorkommnisse auf Parkplätzen untersucht werden. Trotz des Verbots, sich auf Parkplätzen zu verabreden und zu treffen, gab es dort deutsch-deutsche Begegnungen, ja wurde der Parkplatz teilweise gezielt als Übergabeort genutzt.
Zusätzlich sollen auf der baugeschichtlichen Ebene Typen der Autobahn-Raststätten als Teil der DDR-Architektur näher untersucht werden.
Konversionen und Umnutzung:
Der Funktionswandel der A 24 aus der Perspektive der Hansestadt Hamburg
Nach 1989 begann die Konversion der Grenzanlagen an den Transitautobahnen. An der A 24 wurden am 1. November 1990 die Zollanlagen am ehemaligen Grenzübergang Gudow abgebaut. Der Ab- und Umbau kostete eine Million DM. Die Anlagen selbst wurden jedoch nicht verschrottet, sondern recycelt und an den EU-Außengrenzen zu Polen und Dänemark wieder aufgebaut.[58] Auch andere "Immobilien" an der Strecke benötigten eine neue Nutzung. Die Unterkunft der Nationalen Volksarmee (NVA) auf der Rastanlage Stolpe/Mecklenburg wurde – wie das Kontrollgebäude der ehemaligen Grenzübergangsstelle Gudow – zum Motel umgebaut.
Auch die Raststätten an der A 24 veränderten sich. Im März 1987 vergab die Gesellschaft für Nebenbetriebe der Bundesautobahnen (GfN) die erste Konzession an die Fast Food-Kette McDonalds. Entlang der A 24 zog die Hamburger-Kette jedoch erst 1993 mit einer Filiale an der Raststätte Linumer Bruch ein. Das "Hamburger Abendblatt" bemerkte sogleich den Vorteil, dass die Reisenden ihre Fahrt gar nicht mehr unterbrechen müssen.[59] Eine Stärkung war nun im Vorbeifahren möglich, also immer mehr Rasten im Fahren, statt Rasten und Fahren. Die wichtigste Veränderung für die Autobahn-Raststätten auf ostdeutschem Gebiet war jedoch die Eingliederung in die GfN, die 1990 zwischen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und DDR-Staatssekretär Günther Krause verhandelt wurde. Seit 1994 firmieren alle deutschen Autobahn-Raststätten unter dem Dach der "Tank und Rast", einer GmbH, die als Nachfolgerin der GfN agiert.
Neben diesen institutionellen Veränderungen, die sich als Teil der deutschen Einigung vollzogen, definierte sich der Wirtschaftsraum Hamburg aber auch insgesamt neu.[60] Am 28. April 1995 berichtete das "Hamburger Abendblatt": "Hamburgs Firmen ziehen ostwärts". Allein durch den Kaffee-Händler Tschibo, der bei der Autobahn-Abfahrt Zarrentin ein großes Logistik-Zentrum baute, erwartete sich die Region einen wirtschaftlichen Aufschwung. In Zarrentin wurde 1995 das größte Gewerbegebiet Mecklenburg-Vorpommerns geplant: Eine halbe Milliarde DM wurde investiert (fast die Hälfte der Kosten, welche die Bundesregierung für die Gesamtstrecke von Hamburg nach Berlin aufgebracht hatte), 2.000 Arbeitsplätze sollten geschaffen werden. Neben Tschibo baute ein Hamburger BMW-Händler eine Autodemontage und einen Schrottplatz, außerdem siedelten sich eine Hamburger Spedition, ein Fleischverarbeiter und die Reformhauskette "Neuform" dort an.
Aber nicht nur in Zarrentin entstanden große Gewerbebiete, die die Flächen an der Autobahn zu einem attraktiven Standort machten. Auch andere Flächen an der A 24 wie in Hagenow wurden – insbesondere vor dem Hintergrund steigender Gewerbemieten im Großraum Hamburg – nun als Wirtschaftsraum genutzt: "Hamburger bringen Geld und Stellen", fasste das "Hamburger Abendblatt" diesen Funktionswandel an der Autobahn nach Berlin zusammen.[61]
Autobahn als Verbindungsbahn in den deutsch-deutschen Beziehungen
Während des 30-jährigen Bestehens der Autobahnstrecke hat sich ein fundamentaler Bedeutungswandel vollzogen. Vom Bau und der Nutzung in den 1980er-Jahren bis zu ihrer Konversion zur gesamtdeutschen Autobahn in den 1990er-Jahren lässt sich die A 24 als Grenz- und Überwachungsraum wie auch als sehr spezifischer Wirtschafts- und Erlebnisraum charakterisieren.Der Bedeutungswandel der A 24 lässt sich auf verschiedenen Ebenen beschreiben. Auf der lokal- bzw. regionalgeschichtlichen Ebene bedeutete die 1982 eröffnete Autobahnstrecke für die beiden Ausgangs- und Zielstädte Berlin und Hamburg zunächst einmal einen verbesserten Transit. Nach dem Abbau der innerdeutschen Grenze bildete die A 24 dann für beide Städte den Weg zu potentiellen neuen Wirtschaftsräumen in den östlichen Bundesländern Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, aber auch die Bedeutung als Tourismusraum hat zugenommen. Auf der nationalen Ebene war die A 24 einerseits als symbolische Verbindung West-Berlins mit West-Deutschland von großer Bedeutung. Als Lebensader für die Inselstadt spielte die A 24 (neben anderen Transitverbindungen) zudem eine wichtige Rolle für den Gütertransport. Andererseits war die A 24 ein Devisentunnel zwischen den beiden deutschen Staaten. So erhielt die DDR zuzüglich der Visa-Gebühren und der Einnahmen aus dem Zwangsumtausch weitere Milliarden an Transitgebühren, die die Bundesrepublik als Jahrespauschale zahlte. Auf der internationalen Ebene schließlich kann die A 24 als Beispiel für die Auseinandersetzungen bzw. Annäherungen zwischen den beiden Blöcken gesehen werden. Der Bau der Strecke war keine rein innerdeutsche Angelegenheit, sondern wurde gerade im Ausland – quasi als Temperaturmesser der sich ständig wandelnden deutsch-deutschen Beziehungen – im größeren Kontext des Ost-West-Gegensatzes interpretiert. Anders ist es nicht zu erklären, wie stark die internationale Presse auf den Bau und die Eröffnung der A 24 reagierte.
Neben dieser politik- und wirtschaftsgeschichtlichen Bedeutung hat die Geschichte der A 24 vor allem eine immense erfahrungsgeschichtliche Bedeutung. Besonders die in den 1980er-Jahren unternommenen Versuche einer Normalisierung der deutsch-deutschen Beziehungen können am Beispiel der A 24 plastisch untersucht werden. Einerseits betonten die Verkehrsminister beider Länder, die Autobahn sei ein wichtiger Schritt der Annäherung, gleichzeitig widersprachen die Kommunikationsformen an den Grenzübergängen aber diesem Willen nach einer Anbahnung gütlicher Beziehungen: die Autobahn also als deutsch-deutscher Erinnerungsort, der sowohl von staatlichen Wunschvorstellungen als auch von den Wahrnehmungen und Narrativen der unterschiedlichen Nutzer der Autobahnstrecke geprägt wurde und Zeugnis ablegt.[62] An dieser Stelle schließen neben baugeschichtlichen Fragen, etwa zu Raststättentypen und Grenz(übergangsstellen)architektur in der DDR der 1980er-Jahre, auch planerische Fragen nach der Kontinuität von Landschaftskonzepten in der Autobahnplanung im 20. Jahrhundert an. Auf diese Weise kann eine Kulturgeschichte der A 24 aufgespannt werden, die einerseits an die bisherigen Forschungen der Verkehrs- und Umweltgeschichte anknüpft, diese aber gezielt um politik-, mentalitäts-, kultur-, sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Aspekte erweitert – und so gleichzeitig auch einen Beitrag zur jüngsten deutsch-deutschen Zeitgeschichte leistet.