Dresden
Vom schnellen Scheitern der sozialistischen Städtebaukonzepte.
Der Weg zurück zur historischen Stadt
Die sozialistische Umgestaltung des Dresdner Stadtzentrums – von dichten Strukturen zu modernen Stadtlandschaften – war wegen der damit verbundenen Zerstörung vieler identitätsstiftender Bauwerke von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Daher wurden bereits während der DDR-Zeit die entscheidenden Weichen zur Rekonstruktion der historischen Bauten und Quartiere gestellt.Denn die Dresdner Denkmalpfleger[1] haben durchgängig mit Hartnäckigkeit und Vehemenz für den Erhalt der für das Stadtbild wichtigen Bauten und Ruinen gekämpft. Sogar das Dresdner Schloss, die einstige Residenz der Wettiner, hat sämtliche Abriss-Kampagnen der SED-Funktionäre zur Beseitigung der "feudalen Baukultur" überstanden. Parallel dazu verklärte sich die weitestgehend verschwundene, in Anlehnung an Fritz Löfflers gleichnamigen Bestseller "Das alte Dresden"[2] genannte, historische Stadt in der Erinnerung der Bevölkerung durch die traumatische Kriegszerstörung sowie die von vielen bewusst als politisch-motivierte zweite Zerstörungswelle wahrgenommene Großflächen-Enttrümmerung der Nachkriegszeit zu einer Idealstadt der barocken Bauten. Vor allem bei jenen Schichten, die der Dresdner Soziologe Karl-Siegbert Rehberg als "Refugiums-(Bildungs-)Bürgertum" bezeichnet hat, die "als Vetomacht nicht ganz auszuschalten" waren,[3] blieben die überlieferten Qualitäten des "alten Dresden" durchgängig präsent. Viele unterstützten die Versuche der Denkmalpfleger, wenigstens die herausragendsten Bauwerke (vor allem Zwinger, Oper, Schloss und die drei großen Kirchen der Altstadt) als Leit-Ruinen zu erhalten und sie auch schrittweise wiederaufzubauen. So entstand ein "symbolischer Ortsbezug" der die verbliebenen Bauten und Ruinen zu "Stellvertretern für das Verlorene"[4], zu räumlichen Ankerpunkten für die nicht mehr vorhandene Stadtstruktur machte.
Parallel zur einsetzenden Kritik an den immer unwirtlicher werdenden Trabantensiedlungen des staatlichen Wohnungsbauprogramms kam es bereits ab den 1970er-Jahren zu einer zunehmenden Wertschätzung der Urbanität der Innenstadtquartiere sowie der identitätsstiftenden Wirkung der historischen Kulturbauten. Die grundlegenden Entscheidungen zum langfristigen Wiederaufbau von Schloss[5] und Frauenkirche fielen bereits in den 1980er-Jahren. Auch die ersten städtebaulichen Konzeptionen zur kleinteiligen Nachverdichtung der innerstädtischen Freiflächen stammen aus dieser Zeit. Nur weil der interne Fachdiskurs seit Jahren eine Rückkehr zu einer an überlieferten Vorbildern orientierten Stadtstruktur anvisiert und dafür auch bereits die planerischen Grundlagen geschaffen hatte, konnte nach 1989 die Rekonstruktion von Teilen der alten Stadt sofort beginnen.
Die Vorgeschichte – die sozialistische Stadtumgestaltung
Nach den Zerstörungen durch die Luftangriffe setzte in Dresden bereits in den ersten Nachkriegsjahren eine überaus effektive Großflächenenttrümmerung ein, der große Bereiche der Altstadt, darunter auch viele wiederaufbaufähige Gebäude, zum Opfer fielen.[6] Der für seine klaren Ansagen bekannte Oberbürgermeister Walter Weidauer ("Das sozialistische Dresden braucht weder Kirchen noch Barockfassaden." ) wurde zur Symbolfigur für eine radikale, ideologisch motivierte Umgestaltung der Stadt, da sich nahezu das gesamte Stadtzentrum während seiner Amtszeit in eine "tabula rasa" verwandelte. Der Wiederaufbau kam jedoch nur schleppend voran. So mutierte das Areal für lange Zeit zu einer riesigen, optisch auch weiterhin durch die alten Asphaltstraßen gegliederten Grassteppe.
Dresdens Selbstverständnis als Kunst- und Kulturstadt wird neben den Kunstschätzen entscheidend durch die historischen Bauten der Altstadt sowie die oft als "Canaletto-Blick" bezeichnete Silhouette am Elbufer bestimmt. Die neue politische Führung hatte aufgrund ihrer antibürgerlichen Ressentiments jedoch kein Interesse daran, diese Gebäude wiederaufzubauen. Deshalb muss die Entscheidung der UdSSR 1955, die als Kriegsbeute in unterschiedliche Museen gelangten Kunstwerke der Dresdner Gemäldegalerie (darunter auch Raffaels "Sixtinische Madonna") wieder zurückzugeben, "gewirkt haben wie die Rückkehr der verlorenen Seele".[8] Denn schon am Tag der Veröffentlichung dieses Entschlusses beschloss die Regierung der DDR den Wiederaufbau der Gemäldegalerie. Die feierliche Wiedereröffnung mit den "durch die Rote Armee geretteten"[9] Kunstwerken war der Höhepunkt der 750-Jahr-Feier Dresdens im Jahr 1956. Bereits beim Festumzug zeigte sich aber, dass eine ideologische Umdeutung der Stadtgeschichte und auch eine Deklassierung der Augusteischen Ära (die als die glanzvollste Epoche der Elbestadt gilt) nicht so einfach waren. Zu den zentralen Motiven des Umzuges sollten August der Starke auf seinem Thron, "geschoben von der in schwerer Fron arbeitenden Bevölkerung" sowie sein Sohn, August III., mit dem Kanzler Heinrich von Brühl beim Ausgeben des "durch das Auspressen der Bevölkerung" erhaltenen Geldes für Gemälde gehören. Die Darsteller des Volkes waren aber gar nicht erst erschienen.[10]
Gleichzeitig setzte sich durch den raschen Wiederaufbau der Gemäldegalerie, des von Gottfried Semper entworfenen Teils des Zwingers, in der Architekten- und Planer-Szene die Hoffnung durch, dass noch weitere hochrangige Gebäude provisorisch wiederhergestellt oder sogar wiederaufgebaut werden würden, wenn man eine Nutzung dafür finden könnte. Durch geschicktes Taktieren gelang es unter anderem, dass das Verkehrsmuseum im Johanneum untergebracht und das Georgentor als "Baustelleneinrichtung" für das für den Kulturpalast zuständige Baukombinat wiederaufgebaut wurde.[11] Um auch das Schloss zu erhalten, zog die örtliche Bezirksgruppe des Bundes der Architekten (BdA/DDR) in einen weniger beschädigten Seitenflügel ein, setzte in Eigeninitiative das Grüne Gewölbe notdürftig instand und deklarierte den Pretiosensaal zum "gesellschaftlichen Zentrum" für Vorträge, Konzerte und Architekturausstellungen.[12]
"Dresden – moderne sozialistische Großstadt"
Weitestgehend unbeeindruckt vom lokalen Subkontext wurden in der DDR die Leitlinien für die Stadtgestaltung zentral vorgegeben. In einer kurzen stalinistischen Phase in den frühen 1950er-Jahren wurden der Dresdner Altmarkt und die Ernst-Thälmann-Straße (heute Wilsdruffer Straße) in stark vergrößerten, auf Stand- und Fließdemonstrationen zugeschnittenen Dimensionen im Stil der "Nationalen Traditionen", die an der Elbe natürlich barock interpretiert wurden, neu errichtet.[13] Nach der aus ökonomischen Gründen unter der Devise "Besser, billiger und schneller bauen" ab 1955 propagierten Wende zum industriellen Bauen fiel es den Chefideologen jedoch schwer, die daraus resultierende Architekturästhetik mit spezifisch "sozialistischen" Merkmalen auszustatten, ohne sich zu sehr der im Westen etablierten Moderne anzunähern. Denn diese galt im Zuge der als "Formalismus-Debatte" bezeichneten Kampagne gegen die amerikanischen Einflüsse auf die Kultur als verpönt. Daher kam der Wiederaufbau des Dresdner Stadtzentrums erst einmal zum Erliegen.Ab 1953 waren verschiedene mehr oder weniger an den Warschauer Kulturpalast erinnernde Hochhaus-Varianten für das als Krönung des Altmarktes vorgesehene "Haus der sozialistischen Kultur" durchgespielt worden.[14] Als parallel zur 1. Theoriekonferenz der Deutschen Bauakademie 1961 endlich die Entscheidung zugunsten eines verglasten Flachbaus fiel (dem späteren "Kulturpalast"), setzte sich mit dem Programm "Dresden – moderne sozialistische Großstadt", das ab 1962 in Angriff genommen wurde,[15] auch an der Elbe die Moderne schlagartig durch. Dresden sollte ein völlig neues Profil als wissenschaftlich-technisches Zentrum der Elektronik und Elektrotechnik bekommen. Daher gehörte zur städtebaulichen Neustrukturierung des Zentrums neben der Ansiedlung eines Robotron-Großforschungszentrums am Pirnaischen Platz auch ein großzügiges, mit Hochhäusern flankiertes Netz aus Verkehrstangenten. Parallel dazu sollte die seit der Stadtgründung etablierte Hauptverkehrsachse zu einem "gesellschaftlichen Erlebnisweg"[16] in Form einer vom Hauptbahnhof zum Platz der Einheit (heute Albertplatz) reichenden Fußgängerzone umgestaltet werden.


Die Prager Straße
Dank umfassender Trümmerberäumung und "Vergesellschaftung" des Bodens konnte mit der neuen Prager Straße ab 1965 eine städtebauliche und architektonische Großvision in Form einer 700 Meter langen und mehr als 60 Meter breiten, präzise durchkomponierten modernen Stadtlandschaft entstehen. Die 240 Meter lange Wohnzeile trennte die Fußgängerzone von der neuen Nord-Süd-Tangente und gab dem Ensemble ein Rückgrat. Auf der gegenüberliegenden Seite markierte das großformatige Wandbild "Dresden grüßt seine Gäste" am Restaurant "Bastei"
Mit der Ära Honecker hatte sich die "sozialistische Stadt" der Moderne jedoch erledigt. Der Wohnungsbau hatte Vorrang, das Centrum-Warenhaus blieb jahrelang im Rohbaustadium stecken und wurde erst 1978 fertiggestellt. Ein weiterer, die Prager Straße zum Altmarkt hin abschließender Hochhauskomplex mit Interhotel und einem als Tagungszentrum fungierenden "Haus des Lehrers" wurde nicht mehr realisiert und hinterließ auch weiterhin riesige freie Flächen im Zentrum der Stadt.[20]
Trotz der klaren Vorgaben mit vielen industriell hergestellten Bauteilen (umgesetzt vor allem bei den Hotels) zeigen sich bei der Prager Straße auch die in diesen "goldenen Jahren" der DDR noch vorhandenen Spiel- und Freiräume bei der künstlerischen Umsetzung der Bauten. Die aus dem Typ P 27 entwickelte Wohnzeile atmete den Geist der Wohnmaschinen Le Corbusiers: Kleine verglaste Ladenpavillons schoben sich im Erdgeschossbereich zwischen die Pilotis und vernetzten das Gebäude im Einkaufsgeschehen der Fußgängerzone. Der auf dem Dach gelegene Sportraum fungierte mit der sich daran anschließenden Dachterrasse als offener Gemeinschaftsbereich. Der Betonzylinder des Rundkinos stammte aus einem Serienprogramm des Industriebaus, die spannungsreiche Fassadengestaltung aus vertikalen, weiß emaillierten Stahlblechtafeln und einem horizontal davor hängenden, filigranen Stahlstabwerk machten aus dem freistehenden Rundbau jedoch ein architektonisches Kunstwerk. Der Gaststättenkomplex "International" beeindruckte mit einem Faltdach, und das Centrum-Warenhaus hatte dank seiner kristallinen Aluwabenfassade den Charme der weltraum-begeisterten Sixties.
Die "Straße der Befreiung" in der Inneren Neustadt
Aufgrund des ambitionierten Wohnungsbauprogrammes wurde das Bauwesen der DDR in der Ära Honecker immer mehr auf die Anwendung von Typenprojekten, vor allem auf die meist nur "WBS 70" genannte Wohnungsbauserie 70 umgestellt. Auch auf der Neustädter Elbseite waren in den ersten Nachkriegsjahren viele historische Bauten einschließlich des Rathauses gesprengt worden, um Platz für neue städtebauliche Strukturen zu schaffen. Diese abgeräumten Flächen lagen ebenfalls jahrzehntelang brach.
Damit hatten die Planer ein ganz im Zeitgeist liegendes Ensemble geschaffen. Denn sie hatten mit der Köpckestraße aus einer kleinteiligen Struktur geschwungener Gassen eine vierspurige Verkehrsachse geformt und mit der Straße der Befreiung eine neue imposante Fußgänger-Magistrale errichtet, die die barocken, auf den Platz der Einheit als "Point de vue" ausgerichteten Blickachsen aufnimmt und so optisch bereits von Weitem das Ende des "gesellschaftlichen Erlebnisweges" markiert. Außerdem war es ihnen durch den Wiederaufbau in Plattenbauweise gelungen, sämtliche Merkmale der Bürgerstadt (individuell gestaltete, meist auf schmalen Parzellen stehende und senkrecht gegliederte Bauten) durch eine neue "sozialistische" Architektursprache (Typenbauten als Symbol für die angestrebte soziale Gleichheit) zu ersetzen.
Obwohl der Einkaufsboulevard auch von den Einheimischen gut angenommen wurde – er wird in Anlehnung an ein Kügelgen-Zitat zum historischen Straßenzug bis heute als "schönste und freundlichste Straße" Dresdens bezeichnet –, bilden die integrierten barocken Bürgerhäuser die Keimzelle der sich seit der "Wende" ausbreitenden Bestrebungen, die Plattenbauten nach und nach durch historisierende Neubauten zu ersetzen. Dies lenkt den Blick auf die "Anschlussprobleme" zwischen dem Ensemble und seinem historischen Umfeld. Da das Typensystem nicht auf die Parzellenstruktur modifizierbar war, wird der Boulevard durch zwei weitestgehend geschlossene Gebäudezeilen flankiert, die historische Querstraßen überbauen und den Zugang in die dahinter liegenden Viertel nur durch Aussparungen im Erdgeschossbereich ermöglichen.
Dies war zu DDR-Zeiten sicherlich erwünscht. Denn die Plattenbauten schotteten die Fußgängerzone – ähnlich wie in einem Potemkinschen Dorf – von dem dahinter liegenden, völlig ruinösen Quartier um die Rähnitzgasse und die (damals in Friedrich-Engels-Straße umbenannte) Königstraße ab. Bereits in den 1970er-Jahren entstanden erste Modernisierungskonzepte für dieses Areal, wurden aber nicht realisiert. Daher hatte sich in den seit Jahren als Sanierungskandidaten gehandelten – und deshalb auch nach und nach entmieteten – barocken Bauten eine jugendliche Subkultur des "Schwarzwohnens" etabliert, durchmischt mit systemkritischen Künstlerkreisen, darunter die Obergrabenpresse um A. R. Penck. Als die seit langem geplante "Komplexsanierung" ab 1988 endlich in Gang kam, waren viele der Bauten bereits so abbruchreif, dass einzelne Gebäude wie das Café Donnersberg bis auf die Gewölbe abgetragen und in enger Anlehnung an den Vorgängerbau in einer Mischung aus Backstein und Stahlbeton wiederaufgebaut wurden. Nach 1989 wurde das gesamte Quartier dann aufwändig saniert, stadträumlich abgetrennt ist es aber weiterhin.
Die Große Meißner Straße 15 und das Hotel "Bellevue"
Parallel zur Rekonstruktion der Semper-Oper sollte für die zu erwartenden Touristenströme ein neues Fünf-Sterne-Interhotel als Devisenbringer entstehen. Dafür wurde 1980 ein Ideenwettbewerb für den als "Canaletto-Blick" bekannten Elbufer-Bereich zwischen Blockhaus und Japanischem Palais ausgeschrieben.[22] Dieses prominente Areal entwickelte sich bereits in der Nachkriegszeit zum Politikum. Denn hier befanden sich auf vielen schmalen, sich bis in die Elbwiesen erstreckenden Parzellen historisch gewachsene Strukturen, die an der leicht geschwungenen Großen Meißner Straße einen der "kostbarsten Straßenzüge der barocken Stadt"[23] bildeten
Da die kleinteiligen Strukturen rund um den Neustädter Markt auch weiterhin eine großzügige Neugestaltung des Areals behinderten, setzten bereits kurz nach 1945 erste Versuche der Stadtverwaltung ein, den Straßenzug von der Liste der erhaltenswerten Bauten zu streichen. Als dies aufgrund des Widerstandes der Denkmalpflege nicht gelang, wurden die ausgebrannten Ruinen der Häuser 3–13 trotzdem 1950 wegen fingierter "Einsturzgefahr" ad hoc abgerissen. Dies löste eine Protestwelle unter Bürgern und Fachleuten über diese "sinnlose Zerstörungswut"[24] aus. Die daraufhin einsetzenden Untersuchungen ergaben, dass die kurzfristig über die Pfingstfeiertage erfolgte Anmeldung der nicht näher genannten "Maßnahmen" (Landeskonservator Hans Nadler bot sogar an, die Sprengkapseln eigenhändig zu entfernen) nur den Zweck hatte, "den Einspruch der Denkmalpflege gegen diese Sprengung wie auch die Möglichkeit, die künstlerisch wertvollen Reliefplatten und andere Architektureinzelheiten musealen Wertes zu bergen"[25], auszuschalten. Um aufgrund der anhaltenden Proteste trotzdem einen Schuldigen präsentieren zu können, wurde der Leiter der örtlichen Denkmalpflege entlassen. Die Stelle wurde anschließend gestrichen[26], und die Mittel wurden so stark reduziert, dass statt der Ruinensicherung nur noch eine – meist ehrenamtliche – Inventarisierung des geborgenen Denkmalgutes möglich war.[27]

Da beim Ideenwettbewerb viele der beteiligten Planungskollektive (auch die Hälfte der Preisträger) nachgewiesen hatten, dass eine Integration der Altbausubstanz möglich sei, votierte das Preisgericht aus denkmalpflegerischen Gründen für einen Erhalt, denn "mit der Einbeziehung dieses wertvollen historischen Gebäudes besteht die Möglichkeit, dem Hotel einen spezifischen und einmaligen Charakter zu geben, der gleichzeitig die günstige Einbeziehung in die vorhandene Bebauung der Umgebung vermittelt".[28] Diese Umgebung war mit Blockhaus, Japanischem Palais und dem genau gegenüber liegenden, zwar stark heruntergekommenen, aber immerhin noch vorhandenen Quartier rund um die Königstraße größtenteils barock. Selbst bei der Straße der Befreiung hatte man die Rekonstruktion einer Handvoll eher einfacher barocker Bürgerhäuser euphorisch gefeiert.

Die Kajima Corporation hatte mit dem Internationalen Handelszentrum an der Berliner Friedrichstraße (1976–1978) sowie dem Fünf-Sterne-Devisenhotel "Merkur" in Leipzig (1978–1981) bereits zwei vergleichbare Projekte realisiert, beide als knapp 100 Meter hohe Hochhäuser. Auch in Dresden kursierten zeitweilig Entwürfe für ein ähnlich imposantes Interhotel an der Prager Straße, sie wurden aber nicht realisiert. Mittlerweile hatte sich auch der Zeitgeist verändert – weg von der Ostmoderne hin zur "Pflege des kulturellen Erbes". Die Verhandlungen für das Interhotel am Elbufer liefen intern über den staatlichen Importausschuss in Berlin mit dem Ziel eines Vertragsabschlusses zum 18. Dezember 1981 ab.[31] Der Presse wurde bereits im Vorfeld jegliche Berichterstattung untersagt, und die Redakteure wurden über den Wert des historischen Regierungsgebäudes in der Großen Meißner Straße gezielt falsch informiert. Denn die Öffentlichkeit sollte ausgeschlossen und vor vollendete Tatsachen gestellt werden.[32]
Bereits für den 23. Dezember 1981 war die Sprengung angesetzt worden, da der Stadtarchitekt das Votum für den Erhalt der Altbauten gar nicht weitergereicht hatte.[33] Die Sprenglöcher waren schon gebohrt, als eine Gruppe von Dresdner Denkmalpflegern und namhaften Bürgern durch anhaltende Proteste bis zu den höchsten Stellen zuerst einen Aufschub des Abrisses und schließlich auch den Erhalt des geschichtsträchtigen Baudenkmals durchsetzen konnten.[34] Angeblich soll SED-Chef Honecker die Entscheidung sogar persönlich getroffen haben.[35] Mitte Januar kam endlich das erlösende Schreiben aus Berlin: Die alten Gebäude sollten in Gänze erhalten werden und die Architekten des Dresdner VEB Gesellschaftsbau die Projektierung für den Umbau der Altbauten sowie die Freiflächengestaltung übernehmen, die später in Anlehnung an barocke Formen erfolgte.[36] Die kurzfristig durchgeführten denkmalpflegerischen Untersuchungen brachten in mehreren Räumen wertvolle Ausmalungen und Architekturdetails zutage. Beim ersten Baggerhub für das neue Hotel am 15. März 1982 war neben SED-Bezirkschef Hans Modrow auch der japanische Großindustrielle Eishiro Saito anwesend, und die Ansprache "erinnerte daran, daß gerade die Dresdner vieles Gemeinsame mit den Bürgern von Hiroshima und Nagasaki für die Erhaltung des Friedens verbindet".[37]
Auch die Lokalpresse freute sich: "Das fünfgeschossige Gebäude – also kein Hochhaus als Dominante – erhält der Dresdner Bautradition folgend eine für die Bezirksstadt typische Sandsteinfassade und ein mit Kupfer eingedecktes Mansarddach."[38] Der ehemalige Kanzleibau, die einzige noch erhaltene barocke Doppelhofanlage Dresdens, wurde als zentraler Teil in den Neubau integriert und zum Restaurantbereich umgestaltet. Die Einweihung des Interhotels "Bellevue" fand parallel zur medienwirksam inszenierten Wiedereröffnung der Semper-Oper am 13. Februar 1985 statt, dem 40. Jahrestag ihrer Zerstörung. Das "Bellevue" war danach jahrelang das erste Haus am Platz. "Die Bürgerinitiative von 1981/82 war der erste große Sieg über Funktionärsentscheidungen in Dresden."[39]
Die Frauenkirche
Trotz der Kriegszerstörungen und der staatlich verordneten Wiederaufbauplanungen hat die Dresdner Denkmalpflege immer versucht, die wichtigsten Baudenkmale als "Leit-Ruinen" für einen späteren Wiederaufbau zu erhalten. Um die Überreste der Frauenkirche vor dem Abtransport zu retten und gleichzeitig auch eine unsensible Überbauung des ansonsten freigeräumten Neumarktes zu verhindern, betonte der damalige Chefkonservator Hans Nadler immer wieder, dass es kein geeigneteres Mahnmal gegen den Krieg geben könnte. Daraufhin wurde der Altarbereich eingemauert und der Trümmerberg mit Rosen bepflanzt.Denn Dresden spielte während des Kalten Krieges eine zentrale Rolle in der Erinnerungspolitik der DDR.[40] Durch das Aufgreifen des bereits durch die Nazi-Presse etablierten Topos des "angloamerikanischen Bombenterrors" sowie die Verbreitung völlig überhöhter Opferzahlen[41] wurde die Elbestadt mithilfe eines riesigen Propaganda-Apparates gezielt zum "Deutschen Hiroshima"[42] stilisiert. Die staatlich inszenierten Massenveranstaltungen[43] an den Jahrestagen der Luftangriffe etablierten zusammen mit verschiedenen Bestsellern[44] die Zerstörung Dresdens als schrecklichen Höhepunkt des Bombenkrieges. Als am 13. Februar 1982 etwa eintausend Jugendliche aufgrund eines spontanen Aufrufes ("Lasst Euch von der Polizei nicht provozieren. Bringt Kerzen und Blumen mit. Dann singen wir 'We shall overcome' und gehen nach Hause"[45]) trotz staatlicher Repressalien zur Ruine der Frauenkirche zogen und sich dort mit ihren brennenden Kerzen schweigend versammelten, etablierten sie – als Gegenbewegung zu den Propagandaveranstaltungen – ein für Dresden typisches Ritual der schweigenden Trauer und gaben der entstehenden Friedensbewegung wichtige Impulse.[46] Die Rede von Bundeskanzler Helmut Kohl am 19. Dezember 1989 vor der Kirchenruine, in der er "die Einheit unserer Nation" als sein persönliches Ziel betonte, lud die symbolische Bedeutung des Ortes zusätzlich auf.[47]
Schon die ersten Skizzen zum Wiederaufbau des Neumarktes aus den 1970er-Jahren zeigen – obwohl zu diesem Zeitpunkt eine Rekonstruktion weder politisch gewollt noch überzeugend möglich gewesen wäre – im Zentrum des Ensembles eine wiedererrichtete Frauenkirche. Bereits Anfang 1982 lautete ein offizielles Fazit der Teilnehmer des 3. Internationalen Entwurfsseminars für das Rekonstruktionsgebiet Neumarkt, dass die Ruine auch weiterhin erhalten werden soll, um eine Rekonstruktion für die "Generationen nach uns, die sich dann andere Möglichkeiten und Mittel erarbeitet haben werden, offen zu halten."[48] Die in den "Grundsätzen für die weitere Arbeit" – die nach 1989 als Grundlage für das städtebaulich-gestalterische Leitbild des gesamten Areals fungierten – enthaltene Formulierung "Der Wiederaufbau der Frauenkirche als entscheidender Akzent der historischen Stadtsilhouette und Hauptdominante des Neumarktensembles wird für die Zukunft berücksichtigt",[49] passierte dann auch den Stadtrat. Die "Gesellschaft zur Förderung des Wiederaufbaus der Frauenkirche" war der erste Verein, der nach der "Wende" in Dresden neu gegründet wurde. 1992 beschloss die Stadtverordnetenversammlung nach heftiger Diskussion den Wiederaufbau, die Kirche wurde daraufhin 1996–2005 rekonstruiert und gilt seitdem als Symbol für eine gelungene Wiedervereinigung.
Die post-sozialistische Stadtumgestaltung
Mit dem politisch-gesellschaftlichen Umbruch von 1989/90 setzte eine rasante und auch radikale Welle post-sozialistischer Stadtumgestaltungsversuche in Dresden ein. Vor allem die ideologisch kontaminierten Zeichen dieser Epoche sollten möglichst schnell aus dem Stadtbild verschwinden.Den Schriftzug "Der Sozialismus siegt", der am Hochhaus am Pirnaischen Platz angebracht war, hatte der reformfreudige Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer schon 1987 entfernen lassen. Da sich bereits kurz nach der Fertigstellung des etwa zehn mal 30 Meter großen Wandbildes "Der Weg der roten Fahne" von Gerhard Bondzin (1969) am Kulturpalast kleine Betonplättchen gelöst hatten, wurde es nach der "Wende" mit einem Baunetz verhangen, um die auf dieser Touristenroute zum Schloss flanierenden Passanten vor herunterfallenden "Platten" (und auch derart heroisch-monumentalen Darstellungen) zu schützen. Das 1974 am Wiener Platz aufgestellte Lenin-Denkmal wurde 1992 demontiert und das vom Hauptbahnhof aus als optischer Auftakt für die Prager Straße fungierende Wandbild am ehemaligen Restaurant "Bastei" von mehreren Seiten so durch Neubauten umstellt, dass es sich jetzt – dem direkten Blick entzogen – in einem Hinterhof-ähnlichen Zwischenbereich zwischen zwei Geschäftshäusern befindet.

Anfang des 20. Jahrhunderts war die Altstadt, vor allem der Bereich zwischen Prager Straße und Altmarkt sowie entlang des Ringes (Waisenhaus- und Ringstraße), das Zentrum des regen Dresdner Geschäfts- und Amüsierbetriebs. Viele der dort angesiedelten Warenhäuser, Cafés, Variétes und Kinos setzten Maßstäbe[50], die während der gesamten DDR-Zeit in der Elbestadt nicht wieder erreicht wurden. So hatte beispielsweise die Familie Renner nach und nach alle zwölf Bürgerhäuser an der Südseite des Altmarktes aufgekauft und betrieb dort (auch weiterhin hinter historischen Fassaden) während der Weimarer Republik mit mehr als 1.000 Mitarbeitern einen innen hochmodernen Einkaufstempel mit vier über Rolltreppen verbundenen Etagen,[51] der in seinen Dimensionen durchaus auch mit heutigen Shopping-Malls vergleichbar wäre.
Neben der (städte)baulichen Umgestaltung sollte der sozialistische Bruch mit der bürgerlichen Stadt – vor allem in der Anfangszeit der DDR – auch durch einen völlig neuen Charakter des Zentrums (dem "bestimmenden Kern der Stadt") zum Ausdruck kommen.[52] Dieses sollte damals bewusst "weder ein Handelszentrum mit einer Menge zusammengedrängter Warenhäuser noch ein Vergnügungszentrum mit eleganten Restaurants, Varietés usw., noch ein Finanzzentrum mit Banken und Verwaltungsgebäuden der Konzerne" sein. Daher wurden die etablierten Einkaufs- und Vergnügungsmeilen wie die Prager Straße und die Hauptstraße (die "Allee" mit den Linden in der Neustadt) bereits in den Anfangsjahren der DDR radikal beseitigt. Aufgrund der ideologischen Unklarheiten bezüglich der Form und Gestaltung der neuen Zentren (später dann auch aufgrund der geringen Ressourcen der DDR) lagen diese überaus prominenten Areale in Dresden jedoch lange Zeit brach. An der Prager Straße wurde erst ab 1965 mit den ersten Bauten begonnen, an der Straße der Befreiung ab 1974. Dies schürte die Sehnsucht vieler Dresdner nach der Rückgewinnung ihrer "alten Stadt", so dass sie den modernen Neubauten bereits bei ihrer Entstehung skeptisch gegenüber standen oder sie sogar als "Störenfriede eines vermeintlich anheimelnderen Stadtbildes"[53] ansahen.
Nach der "Wende" sollten dann – auch in Bezug auf die Attraktivität des Stadtzentrums – innerhalb kürzester Zeit West-Standards erreicht werden. Die während der DDR-Zeit neu errichteten Ladenpassagen und Einkaufszentren waren bis auf die beiden größeren Warenhäuser, das ehemalige Centrum- und spätere Intecta-Gebäude von 1955/56 am Altmarkt (heute Teil der Altmarkt-Galerie) sowie das Centrum- Warenhaus (1970–1978) an der Prager Straße, alle eher kleinteilig. Die Verkaufsflächen von Webergasse (1958–1962) und Prager Straße waren größtenteils in vielen kleinen Pavillon-ähnlichen Bauten untergebracht, die Ernst-Thälmann-Straße sowie die Straße der Befreiung hatten Ladenzonen im Erdgeschossbereich. Ein Verkaufskonzept, das mit dem Übergang zum neuen Wirtschaftssystem nicht mehr den branchenüblichen Standards entsprach, die meist ein variables Mall-Konzept vorsehen.
Daher galten in Dresden – wie an vielen anderen Orten auch – in den ersten Nachwendejahren die "Publikumsmagneten" Shopping-Mall und Multiplex-Kino als Garanten für ein attraktives und belebtes Stadtzentrum, die bestehenden, durch mangelnden Bauunterhalt heruntergekommenen Kaufhäuser dagegen als Symbol für das ungenügende Warenangebot der DDR-Zeit. Sofort sicherten sich westliche Investoren die Top-Lagen und begannen, mithilfe eines neuen, mehr Baudichte vorsehenden Planungsleitbildes[54] nach und nach die kleinteiligen Verkaufseinrichtungen durch deutlich größere Shopping-Malls zu ersetzen. Für die Altmarkt-Galerie (1993–2002) wurde die denkmalgeschützte Webergasse (eine luftig-leichte Ladenpassage im internationalen Stil) abgerissen, für ihre Erweiterung (2009–2011) ein großer Teil der Südseite der ehemaligen Ernst-Thälmann-Straße, darunter auch das "Lindehaus", der hochrangige Kopfbau zum Postplatz. Für die Centrum-Galerie (2009) mussten das von den Dresdnern liebevoll "Silberwürfel" genannte – Centrum-Warenhaus sowie das Restaurant "International" weichen.
Als 1972 das Rundkino neu eröffnet wurde, war vielen Dresdnern durchaus bewusst, dass es bis 1945 rund um die Prager Straße bereits sechs vergleichbare Kinos mit mehr als 1.000 Plätzen gegeben hatte[55], diese aber alle der Nachkriegsenttrümmerung zum Opfer gefallen waren. Das Union-Theater (U.T.), ein 1913 in den Hof eines vorhandenen Baublocks hineingebautes Kino mit spektakulär beleuchtetem, theaterähnlichen Saal, hatte sogar nahezu am gleichen Standort gestanden und den Krieg aufgrund seiner massiven Eisenbetonkonstruktion weitestgehend unbeschadet überlebt. Bereits 1945 stellte die Baupolizei bei der Besichtigung fest, dass eine Wiederinbetriebnahme ohne größere Schwierigkeiten erfolgen könnte. Sowohl das Zentralplanungsbüro als auch der Rat des Bezirkes lehnten dies jedoch ab, weil "dieses Projekt nicht in die künftigen Stadtpläne einzufügen ist".[56] Auf die Anregungen der Bevölkerung, mit einer behelfsmäßigen Ausstattung, die später auch in einem anderen Lichtspielhaus weiter verwendet werden könnte, wieder ein Kino einzurichten, antwortete das Stadtplanungsamt 1954, "Fachkreise" wären der Meinung, dass "Investitionen in das Gebäude unwirtschaftlich seien." So blieb der bunkerartige Bau ungenutzt stehen und wurde erst 1964, kurz vor dem Baubeginn an der Prager Straße, abgerissen.
Das Rundkino war als Solitär und zentrales Gelenk für die sich zum Altmarkt hin leicht verschwenkende moderne Stadtlandschaft konzipiert worden. Da der direkt daneben geplante Hochhauskomplex nicht mehr realisiert wurde, begann man bereits ab 1987, die freien Flächen mit blockartigen Wohnstrukturen zu füllen und dabei auch den Rundbau zu umbauen. Eine der ersten Baumaßnahmen an der Prager Straße nach 1989 war die Errichtung der Whörl-Plaza (1996), die sich an zwei Seiten um das Kino legt, es dadurch wieder in das Innere eines Blocks abdrängt und nahezu vollständig von der Fußgängerzone abriegelt.[57] Der UFA-Kristallpalast (ein Multiplex-Kino, 1998) schloss dann die letzte Blickachse zur St. Petersburger Straße, der parallel verlaufenden Nord-Süd-Magistrale.
Vorher hatten die lokalen Diskussionen seit dem hochkarätig besetzten west-östlichen Architekten-Workshop im Sommer 1990[58] um zwei mögliche Planungskonzepte gekreist: um das allgemein konsensfähige Konzept, "möglichst alle Bauten der letzten 40 Jahre abreißen zu lassen und damit die Vergangenheit auszulöschen, um sodann die Vergangenheit von vorgestern zu rekonstruieren"[59] und die von vielen Fachleuten favorisierte, deutlich pragmatischere Variante, die noch vorhandenen Spuren der historischen Stadt (wie die hochrangigen Ruinen und die Gründerzeitviertel) als charakteristische Merkmale Dresdens zu betonen und dabei die Bauten der DDR-Zeit "als existent hinzunehmen und zu integrieren".[60] Das neue Planungsleitbild Innenstadt[61] setzt auf ein Weiterbauen am Bestand und – um mehr Urbanität zu erzeugen – auf das Nachverdichten in Anlehnung an frühere städtebauliche Konstellationen. Die Prager Straße hat im Zuge dieses Konzeptes durch die gravierende Überformung vieler Bauten sowie den Verlust ihrer Großzügigkeit und charakteristischen Freiraumgestaltung jedoch innerhalb von wenigen Jahren nahezu sämtliche architektonischen und auch stadträumlichen Qualitäten unwiederbringlich verloren.[62]
Das frühe Scheitern der sozialistischen Städtebaukonzepte
Obwohl die ganz großen Baumaßnahmen zur Korrektur der sozialistischen Stadtumgestaltung erst nach 1989 einsetzten, war das Modell der "modernen sozialistischen Großstadt" in Dresden aufgrund der damit einhergehenden Zerstörung der von der Bevölkerung geschätzten und für die Identität der Stadt wichtigen historischen Bauwerke und kleinteiligen Strukturen von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Da das als Manifestation des sich etablierenden Systems gedachte, großflächige Neubaukonzept vor allem in den 1960er-Jahren die baulichen Traditionen der Elbestadt zunehmend negierte und lediglich mittels politischen Druckes durchgesetzt werden konnte, blieb den wirklich hochrangigen Ensembles wie der Prager Straße lange Zeit die Anerkennung versagt. Außerdem entwickelte sich der Versuch, der Elbestadt eine neue "sozialistische" Identität als Wissenschafts- und Produktionsstandort zu geben, zu einem permanenten Spagat zwischen den offiziellen Darstellungen der neu entstehenden, in die Zukunft weisenden, modernen Metropole und dem – für das touristische Stadtmarketing sowie als Propagandainstrument im Kalten Krieg wichtigen – etablierten Bild der historischen Kunst- und Kulturstadt.Vor allem in den 1980er-Jahren nahmen viele Dresdner diese Widersprüche nicht mehr hin. Immer wieder kritisierten sie die fehlenden Qualitäten der öffentlichen Räume sowie den offensichtlichen Verfall der Altbauquartiere. Mehr als die Hälfte der etwa 13.000 jährlichen Eingaben an die lokale Stadtverwaltung bezogen sich auf das Thema "Wohnungsprobleme". Sie dokumentieren auch heute noch sehr anschaulich anhand der mitgelieferten Fotoaufnahmen die katastrophalen Zustände der Bauten zu jener Zeit.[63] Außerdem stellten die systemkritischen Kreise zunehmend auch die beschönigenden Darstellungen der SED, die kulturpolitischen Reglementierungen sowie die finanzpolitischen Zusammenhänge in Frage. Beim X. Kongress der Bildenden Künstler im November 1988 sprengten spontane Aufrufe, die Pfingsttreffen der oft als "Kampfreserve der Partei" bezeichneten FDJ einzusparen und damit den Zwinger in Dresden zu retten, die Veranstaltung.[64] Denn der offiziell als "intakt" geltende Zwinger – anderweitige Berichte wurden schlichtweg zensiert[65] – war zum größten Teil lediglich als Gebäudehülle wiederaufgebaut worden (eine Rekonstruktion der feudalen Interieurs war während der DDR-Zeit gar nicht erst diskutiert worden) und verwahrloste immer mehr. Die Dächer waren zeitweise so undicht, dass sogar das Museumsgut beschädigt wurde.[66] Selbst die Gemäldegalerie Alter Meister war Anfang 1988 von der Bauaufsicht geschlossen worden, sie wurde erst 1992 wieder eröffnet. Die umfassende Rekonstruktion des Zwingers ist bis heute nicht abgeschlossen.
Bereits ein Blick auf die zum 20. Gründungstag der DDR 1969 freigegebenen Fotoaufnahmen von Dresden zeigt anschaulich, wie es zu der auch heute noch weitverbreiteten Ablehnung gegen die Bauten der Ost- und Nachkriegsmoderne kommen konnte. Denn der als "großzügiger Wiederaufbau der Elbmetropole" bezeichnete erste Bauabschnitt der Prager Straße wirkt zu diesem Zeitpunkt eher wie eine aus dem baulichen Niemandsland herauswachsende Bettenburg.


Erst die nachwachsende Generation sowie die vielen Zugezogenen, die die Repressalien zur Durchsetzung dieser Bauten nicht selbst miterlebt haben, konnten weitestgehend unbefangen von der lokalen Vorgeschichte mit einer fachlich objektiven Annäherung an die Ostmoderne beginnen und dabei auch die teilweise beeindruckenden gestalterischen Qualitäten dieser Bauten und Ensembles (wieder) entdecken. Vor allem ab 2002 setzte in der Elbestadt bei Fachleuten, Künstlern und auch Teilen der Bevölkerung ein reges Interesse für die baulichen Zeugnisse dieser Ära ein[69] – indes zu spät. Denn die entscheidenden Weichen für das Verschwinden vieler symbolträchtiger DDR-Bauten aus dem Dresdner Stadtzentrum waren durch den Verkauf der entsprechenden Grundstücke sowie das neue, eine massive Nachverdichtung vorsehende Planungsleitbild bereits in den ersten turbulenten Nachwendejahren gestellt worden, in denen sich ganze Heerscharen von Investoren die teilweise noch immer brachliegenden oder nur locker mit ostmodernen Ensembles bebauten "Filetstückchen" der Stadt gesichert hatten.