"Bindekräfte" des Systems?
Das Beispiel der Medizinischen Akademie Magdeburg
In den 1960er-Jahren versuchte die SED gezielt, ihren Einfluss bei der Umgestaltung des Bildungssystems geltend zu machen. Den Hochschullehrern kam dabei eine wichtige Rolle zu, waren sie doch in hohem Maße für die Ausbildung der "hochqualifizierten sozialistischen Persönlichkeit" ihrer Studierenden verantwortlich.1. Fragestellung
Die Medizinische Akademie Magdeburg (MAM) war eine mit Promotions- und Habilitationsrecht ausgestattete medizinische Hochschule zur Ausbildung von Ärzten. Sie wurde 1954 gegründet und besaß – im Gegensatz zu den anderen beiden Medizinischen Akademien der DDR, Dresden und Erfurt – seit 1960 auch die Möglichkeit der Ausbildung im sogenannten Vorklinikum.
Mit dieser strukturellen Umgestaltung vollzogen sich innerhalb der MAM bis zum Ende der 1960er-Jahre auch personelle Brüche mit nachhaltiger Wirkung, die ihren Weg zu einer "sozialistischen Hochschule" begleiteten. Der Blick richtet sich hierbei auf die Hochschullehrerschaft. Dabei werden unter dem Begriff "Hochschullehrer" all jene Personen gefasst, die im Untersuchungszeitraum entweder Professoren mit Lehrstuhl, Professoren mit vollem Lehrauftrag, mit Lehrauftrag, Dozenten, Lehrbeauftragte und emeritierte Professoren waren – unter Berücksichtigung dessen, dass sich die Habilitationskriterien im Laufe des Untersuchungszeitraums änderten und unschärfer wurden. Zu diesem Lehrkörper gehörten an der MAM 1958 24, 1961 27 und fünf Jahre später 33 Personen. Die Bedeutung dieser Personengruppe liegt auf der Hand: Es war nicht nur deren Aufgabe, die "hochqualifizierte sozialistische Persönlichkeit zu formen"[1], sie besaßen auch eine Art Schlüsselstellung und kontrollierten in ihrer "Torhüter-Funktion"[2] den Zugang zum Beruf des Arztes.
Anhand der ausgewerteten Quellen – vornehmlich Personalakten aus dem Universitätsarchiv der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, dem Bundesarchiv sowie Akten des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) – ist es möglich, den groß angelegten, DDR-weiten universitären Elitenwechsel der 1960er-Jahre für das lokale Beispiel Magdeburg nachzuzeichnen.
Die enge Verzahnung zwischen personellen und strukturellen Modifikation vermag im Folgenden zeigen, dass die Haltung der Hochschullehrer auch dazu beitrug, die zweite deutsche Diktatur zu stabilisieren. Gleichzeitig wirft sie Fragen auf, ob ungeachtet einer augenscheinlichen Steuerungsdominanz von Staat und Politik und einem hohen Politisierungsgrad von Hochschule und Wissenschaft in der DDR Bereiche der relativen Autonomie entstehen konnten und wo die Grenzen des Anspruchs einer totalitären Durchdringung und Beherrschung der Gesellschaft lagen.