Diktatur und Familiengedächtnis
Anmerkungen zu Widersprüchen im Geschichtsbewusstsein von Schülern
Der Widerspruch zwischen unterschiedlichen Lesarten der DDR-Geschichte wird im vorliegenden Beitrag an einem Fallbeispiel aus einer Schülerstudie illustriert und in historischer sowie ost-west-vergleichender Perspektive ausgeleuchtet. Dadurch wird deutlich, warum Bildungseinrichtungen offen und konstruktiv mit Schülervorstellungen umgehen und eine "richtige" Lesart der Geschichte nicht vorschreiben sollten."Weil der Sieger schreibt die Geschichte."
"Weil der Sieger schreibt die Geschichte. Ist nun mal so."
Mit diesen Worten bilanziert der 17-jährige Dennis[1] den Umstand, dass die Darstellung der DDR-Geschichte in den Medien sehr viel kritischer ausfällt als bei seinen eigenen Eltern und Großeltern. Der Ort dieser Äußerung ist ein Gymnasium im Ostteil Berlins Ende des Jahres 2006. Viele Schüler, mit denen ich dort gesprochen habe, berichten von Widersprüchen zwischen der familiären Überlieferung und der öffentlichen Erinnerung an den SED-Staat. Den Schülern ist dieser Widerspruch in der Regel bewusst, und sie sprechen ihn offen an.
Im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrages[2] steht dieser Widerspruch, der in mehreren empirischen Studien konstatiert wird und auch in der öffentlichen Debatte über den Umgang mit der DDR-Vergangenheit zunehmend Aufmerksamkeit erfährt.[3] Er wird zunächst an einem Beispiel aus einer eigenen Interviewstudie illustriert, um dann in historischer sowie ost-west-vergleichender Perspektive genauer ausgeleuchtet zu werden. Vor diesem Hintergrund sowie vor dem jüngerer Debatten über das mangelhafte Geschichtswissen von Schülern, wird am Ende die Frage diskutiert, wie Schulen und andere Bildungseinrichtungen auf Widersprüche zwischen persönlichen und öffentlichen bzw. offiziellen Überlieferungen von Zeitgeschichte reagieren können.