Da steht nun der 30 Tonnen schwere Findling vis-à-vis dem Bundeskanzleramt, daneben ein Apfelbaum, zusammen als Gedenkort erinnernd an die Verbrechen von Deutschen an Polen während des Zweiten Weltkriegs. „Den polnischen Opfern des Nationalsozialismus und den Opfern der deutschen Gewaltherrschaft in Polen 1939–1945“ steht auf einer Metallplatte vor dem Findling geschrieben, den man aus Mecklenburg nach Berlin gebracht hat. Am 16. Mai 2025 wurde der Gedenkort eingeweiht, über 80 Jahre nach dem Ende von Drittem Reich und dem von den Nazis entfesselten Weltkrieg.
Der Standort ist nicht zufällig gewählt. Dort, wo heute grüner Rasen wächst, stand einmal die Kroll-Oper, die nach dem Brand des Reichstags 1933 als Ersatzort für das Parlament diente, dem bald nur noch treue Hitler-Anhänger angehörten. Hier verkündete der Diktator am 1. September 1939 den Beginn des deutschen Überfalls auf Polen, verkleidet in der Lüge, „seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen“. Nicht einmal die Uhrzeit stimmte. „Es ist der Ort, an dem Worte zu Waffen wurden“, sagte Kulturstaatsminister Wolfram Weimer am Montag dazu.
Zur Einweihung dieses Gedenkorts sind viele Menschen erschienen, denen es an einer Aussöhnung mit den polnischen Nachbarn liegt, darunter ehemalige und heutige Minister, Diplomaten und Politiker, aber nur wenige ganz normale Bürger. Aus Warschau ist unter anderem die Ministerin für Kultur und Nationales Erbe, Hanna Wróblewska, angereist.
Man sollte meinen, die Versammelten seien an diesem Vormittag nun glücklich und zufrieden mit dem Findling und der Aufschrift davor. Aber was sagt Peter Oliver Loew vom Deutschen Polen-Institut, das das Denkmal verantwortet? Der gewaltige Stein solle „so schnell wie möglich wieder weg.“ Der ehemalige Außenminister Heiko Maas (SPD) stimmt ihm zu. Was erklärt Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas? Für fünf Jahre habe man den Platz im Park neben dem Kanzleramt für das Denkmal gesichert. Ihm wäre es recht, wenn der Gedenkort danach verschwunden wäre. Dafür würde man hart arbeiten.
Seit Jahren Forderungen nach zentraler Gedenkstätte
Tatsächlich fungiert der Findling nicht nur als Gedenkort und als ein „Zeichen für eine starke Gemeinschaft zwischen Polen und Deutschen“, wie es die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth formulierte. Der Stein mahnt zugleich, dass Deutschland endlich eine größere und dauerhafte Einrichtung realisiert: einen Erinnerungsort für Polen, bestehend aus einem Denkmal, einer Ausstellung zur Geschichte und einem Lern- und Begegnungsort.
Seit acht Jahren wird über solch eine zentrale Gedenkstätte diskutiert, angestoßen von der Zivilgesellschaft, vorangetrieben von Initiatoren wie Rita Süssmuth (CDU), Wolfgang Thierse (SPD) und dem Berliner Rabbiner Andreas Nachama.
Ursprünglich hatte der Holocaust-Überlebende und ehemalige polnische Außenminister Władysław Bartoszewski die Anregung dazu gegeben. Ende 2020 unterstützte der Bundestag schließlich ein solches Konzept mit den Stimmen aller Parteien außer der AfD. Nun muss der neue Bundestag das Vorhaben konkretisieren, und die Initiatoren befürchten bereits jetzt eine weitere Verschleppung.
Dennoch: „Der Anfang ist endlich gemacht“, sprach Süssmuth bei der Einweihung. „80 Jahre zu spät stehen wir hier. Aber besser als nie“, sagte Andreas Nachama. Heiko Maas beklagte, dass vielen Deutschen das Ausmaß der von Deutschen begangenen Verbrechen bis heute unbekannt geblieben sei. „Dieser Gedenkort ist notwendig“, betonte Maas. „Er soll den Menschen in Polen signalisieren: Wir kennen unsere Schuld. Wir stehen zu unserer Verantwortung.“
QuellentextWarum zeitlich begrenzt? Ein Kommentar von Anastasia Zejneli
Das Gedenken an die polnischen Opfer des Zweiten Weltkrieges schreitet im Deutschlandtempo voran. Warum eigentlich? Und wann folgt mehr? Ein Kommentar von Anastasia Zejneli.
Gewidmet den polnischen Opfern des Nationalsozialismus und der deutschen Gewaltherrschaft in Polen von 1939 bis 1945. Angelegt wurde das Mahnmal aber erst 80 Jahre danach. Ein Deutsch-Polnisches Haus soll folgen. Doch wann? (© picture-alliance/dpa, Sebastian Christoph Gollnow)
Achtzig Jahre zu spät, aber besser als nie. Das ist wohl das Motto der deutsch-polnischen Versöhnung. Ein Findling und ein Baum mit Blick auf den Bundestag sollen nun für maximal fünf Jahre an die NS-Gräueltaten während der deutschen Besatzung Polens im Zweiten Weltkrieg erinnern. Ein Projekt, das zeigt, was an der deutschen Gedenkarbeit falsch läuft.
Die Vernichtung während der NS-Zeit war beispiellos: Mehr als sechs Millionen Menschen, mehr als ein Fünftel der damaligen Gesamtbevölkerung, kam ums Leben. Davon allein drei Millionen polnische Juden und drei Millionen nicht-jüdische polnische Zivilist*innen, die Opfer deutscher Verbrechen wurden. Da sollte man meinen, dass sich Deutschland längst um eine Gedenkstätte gekümmert hätte. Stattdessen nun ein provisorisches Denkmal. „Ein Stein des Anstoßes“, wie es der Leiter des deutschen Polen-Instituts nennt.
Warum zeitlich begrenzt? Weil auch vor der Gedenkarbeit die Bürokratie keinen Halt macht. Im Deutschlandtempo berät die Bundesregierung über ein Denkmal und einen Gedenkort für die polnischen Opfer des Nationalsozialismus. Damit es mehr als nur eine weitere Stelle für Kranzablegungen deutscher Politiker*innen wird, soll neben dem Denkmal das Deutsch-Polnische Haus eröffnet werden.
Bereits 2013 forderte der frühere polnische Außenminister Władysław Bartoszewski, selbst Häftling im Konzentrationslager Auschwitz und Widerstandskämpfer, einen Gedenkort. 2017 entstand dann eine bürgerliche Initiative. Der Plan, das Denkmal mit einer Begegnungsstätte zu verbinden, ist richtig; sind in Deutschland doch das Interesse an den und das Wissen über die Verbrechen der Nationalsozialisten in Polen kaum vorhanden. Ein Ort, der den Blick in die Vergangenheit schärft und die Lehren für die Zukunft bewahrt, ist daher notwendig.
Findling schürt Hoffnung
Doch der Traum vom Haus bleibt weiterhin eben nur eine Skizze in einer netten Broschüre zum Projekt – nicht mal der Standort ist beschlossene Sache.
Einerseits macht der Findling daher Hoffnung. Er ist das erste Ergebnis eines zähen Prozesses. Denn dass Deutschland seine Schuld anerkennt und danach handelt, hat viel zu lange gedauert. Warum hat es nicht schon früher Vorstöße in der Bundesrepublik gegeben? Zumal nicht weit weg, in Friedrichshain, bereits 1972 ein DDR-„Denkmal des polnischen Soldaten und deutschen Antifaschisten“ errichtet worden war. Nur war es damals ein polnischer Verband, von dem die Initiative ausging.
Schon vorhanden, aber kaum im öffentlichen Bewusstsein: das Denkmal des polnischen Soldaten und deutschen Antifaschisten im Volkspark Friedrichshain. Alljährlich wird dort am 1. September 1939 des deutschen Überfalls auf Polen gedacht, mit dem der Zweite Weltkrieg begann. (© picture-alliance/dpa, Kay Nietfeld)
Andererseits zeigt der provisorische Stein, wie schnell sich die Verantwortungen scheinbar verschoben haben. Zivilgesellschaftliche Akteure, allen voran das Externer Link: Deutsche Polen-Institut, haben sich auf unbürokratischem Weg gekümmert, Spenden gesammelt und eine Genehmigung des Berliner Abgeordnetenhauses eingeholt, für die fünf Jahre eben, die der Findling laut Auflage nun mahnen darf.
Dabei muss es auch für die gegenwärtige deutsch-polnische Beziehung weitergehen mit dem Deutsch-Polnischen Haus. Denn fragt man Deutsche nach ihren Assoziationen mit Polen, geht es meist ums Reisen, um günstige Preise und Gastfreundschaft.
Pol*innen blicken in die gemeinsame Vergangenheit
Und andersherum? „Die Polen verbinden Deutschland und die Deutschen mit der schwierigen deutsch-polnischen Vergangenheit (jede fünfte Assoziation), insbesondere mit dem Zweiten Weltkrieg“. So steht es im Externer Link: Deutsch-Polnischen Barometer für 2024.
Die Deutschen leben gern in der Gegenwart, viele Pol*innen können auch gerade deswegen mit der Vergangenheit nicht ganz abschließen. Zu Recht. Während in Deutschland das Interesse an den Verbrechen der eigenen Nation schwindet, haben die Jahre unter der nationalkonservativen PiS-Regierung in Polen den Fokus der Beziehungen zu Deutschland auf die Gedenkarbeit und Forderung nach Reparationszahlungen gelenkt. Anti-deutsche Ressentiments in der politischen Rechten sind in Polen alltäglich. Premierminister Donald Tusk hat bereits das Image des „deutschen Agenten“ bei Anhängern der nationalkonservativen PiS inne.
Daher ist es wichtig, die Anliegen der polnischen Bevölkerung auch hier ernst zu nehmen und dem Nachbarn auf Augenhöhe zu begegnen. Denn wer laut dem Deutsch-Polnischen Barometer die Beziehungen in einem ungünstigen Licht sieht, bemängelt überwiegend die unzureichende Aufarbeitung der deutschen Kriegsverbrechen in Polen. Trotzdem schätze die Mehrheit den deutschen Nachbarn. Wie lang es angesichts der unzureichenden Gedenkarbeit so bleibt? Bisher haben wir wohl noch Stein gehabt.
Zitierweise: Klaus Hillenbrand und Anastasia Zejneli, "80 Jahre zu spät". www.bpb.de/563264, Deutschlandarchiv vom 20.6.2025. Übernommen aus der taz vom 17.6.2025 mit freundlicher Genehmigung der Redaktion. Alle Veröffentlichungen im Deutschlandarchiv sind Recherchen und Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar und dienen als Mosaikstein zur Erschließung von Zeitgeschichte. (hk)
Ergänzend:
Basil Kerski und Marek Prawda,
Martin Sabrow,
Irina Scherbakowa,
Wolfgang Benz,