Deutschland war gerade erst Fußballweltmeister geworden, da verbot der Deutsche Fußballbund (DFB) 1955 seinen Vereinen, auch Frauen zu trainieren und spielen zu lassen. In einem Buch und einer Fernsehdokumentation hat der Journalist Torsten Körner Spuren und Stimmen gesammelt, um das jahrelange Engagement couragierter Fußballerinnen zu beschreiben, in Deutschland zu ihrem Recht zu kommen. Er vergleicht die Entwicklung in der Bundesrepublik dabei auch mit der in der DDR, wo Frauen bereits früher in Betriebsmannschaften kicken durften, aber eine Meisterschaft wurde ihnen verwehrt. Auch hier bestimmten Klischees die Debatte.
Die Herren kamen ohne Damen aus. Als der Bundestag des DFB, das höchste Gremium des Fußballverbandes der Bundesrepublik Deutschland, den Frauen das Fußballspielen verbot, waren die Männer unter sich. Man tagte am 30. Juli 1955 in Berlin im Schöneberger Rathaus und handelte die Frauenfrage ganz nebensächlich ab, als letzten Punkt der Tagesordnung unter der Rubrik »Verschiedenes«.
Der Antrag lautete, »der Bundestag möge beschließen,
a) unseren Vereinen nicht zu gestatten, Damenfußball-Abteilungen zu gründen oder Damenfußball-Abteilungen bei sich aufzunehmen,
b) unseren Vereinen zu verbieten, soweit sie im Besitz eigener Plätze sind, diese für Damenfußballspiele zur Verfügung zu stellen, und
c) unseren Schieds- und Linienrichtern zu untersagen, Damenfußballspiele zu leiten«.
Der Antrag wurde einstimmig angenommen. Man könnte meinen, dieser Beschluss hätte hohe Wellen geschlagen, einen Aufschrei der Empörung ausgelöst – keineswegs. In den meisten Presseberichten über den Bundestag in Berlin wird das Verbot nicht thematisiert, oder es bleibt eine Fußnote. Auch im Fernsehen oder Radio scheint diese Entscheidung gar nicht oder allenfalls am Rande thematisiert worden zu sein, in den Archiven findet sich nichts dazu.
Um das ausbleibende Echo zu verstehen, muss man sich den Zeitgeist und die Rollenmuster der Adenauer-Ära vor Augen halten. Bundeskanzler Konrad Adenauer herrschte wie ein Patriarch, ja, bisweilen wie ein sanfter Tyrann, und dieses patriarchalische Signum durchwirkte die ganze Gesellschaft, den Alltag, die Familien, die Betriebe, die Räume, in denen Macht und Hierarchien eine Rolle spielten.
Wie die Politik galt auch der Fußball real und symbolisch als Arena des Mannes, wo es nicht allein um Sieg oder Niederlage ging, sondern um die Inszenierung und Selbstbehauptung des Mannes als Mann. So wie Konrad Adenauer, »der Alte aus Rhöndorf«, der Auffassung war, dass Frauen nicht als Ministerinnen ins Kabinett gehören (»wir können dann nicht mehr so offen reden«), so befand Bundestrainer Sepp Herberger, dass der Fußball nichts für Frauen sei: »Fußball ist keine Sportart, die für Frauen geeignet ist, eben schon deshalb, weil er ein Kampfsport ist.« Mit ganz ähnlichen Worten hatte Adenauer der studierten Juristin Elisabeth Schwarzhaupt zunächst das Justizministerium verweigert.
Klischeehafte Rollenbilder
Eine Frau sei auf diesem Posten zu weich, er brauche jemanden, der sich im harten politischen Kampf behaupten könne. Der DFB begründete das Frauenfußballverbot mit biologischen und medizinischen, aber auch ästhetischen Argumenten. Im DFB-Jahrbuch von 1955 heißt es: »Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.« Diese Sicht auf den weiblichen Körper und seine Präsenz in der Öffentlichkeit entsprach dem Selbstbild auch vieler Frauen, die sich lieber in traditionelle Rollenbilder fügten, als gegen patriarchalische Bevormundung aufzubegehren. So sagte Sepp Herberger einmal über seine Frau Eva, die stets wie ein »treuer Kamerad« mit ihm durchs Leben ging und »zu Hause regierte«, während er, »der Chef«, in der Welt agierte: »Sie hat da abseits gestanden, wo die Männer zusammenkommen, aber die Frauen nichts zu tun haben. Und ich bin nicht von Anfang an damit einig gegangen. Sie war ja auch eine junge Frau, und ich wusste, dass sie gern mit dabei gewesen wäre. Oder sie hat gesagt, die anderen Männer können ihre Frauen ja auch nicht mit ins Büro nehmen.«
In der Werbung jener Jahre, in Spielfilmen, Benimmbüchern und Illustrierten wird das Bild der dressierten Frau entworfen, die offenbar nur von vier Lebensfragen angetrieben wird: 1. Was soll ich anziehen? 2. Was soll ich ihm kochen? 3. Wie kann ich das Heim behaglich gestalten? 4. Liegt ein sauberes Hemd für ihn bereit? Die Frau muss ihre häuslichen Pflichten erfüllen und dem Mann gefallen. Dazu gehört, dass sie weiß, wo ihr Platz ist und wo nicht, wie sie in der Öffentlichkeit auftritt und was sich dort, wo auch andere Blicke als die ihres Mannes regieren, nicht schickt.
In den Fünfzigerjahren erreichen Benimmratgeber Millionenauflagen, etwa das 1x1 des guten Tons von Gertrud Oheim. Darin äußert die Autorin auch »Ein Wort zum Frauensport«:
»Man sehe sich einmal auf Bildern in Zeitungen oder Zeitschriften oder in einer Wochenschau die Gesichter der Frauen an, die zum Beispiel als Läuferinnen gerade das Zielband streifen oder bei anderen Sportkämpfen die letzte Kraft aus sich herausholen – diese verzerrten, erschöpften, verkrampften Gesichter sprechen eine beredte Sprache und sind nicht gerade Ausdruck dessen, was man sich unter weiblicher Anmut vorstellt. Solange der Frauensport in den ihm gesetzten natürlichen Grenzen bleibt, ist er mehr als begrüßenswert.«
Es ist übrigens umstritten und bis heute nicht geklärt, ob es die Autorin Oheim wirklich gab oder ein Autorenkollektiv oder gar ein Mann hinter dem weiblichen Pseudonym steckt. DFB-Präsident Dr. Peco Bauwens, der von 1950 bis 1962 amtierte, hielt ebenfalls nichts von Frauenfußball (»Fußball ist kein Frauensport«), und er argumentierte auch mit dem Platz- und Raumargument, das ja die Frage nach Entfaltung und Chancen enthält:
»Wir werden uns mit dieser Angelegenheit nie ernsthaft beschäftigen. Das ist keine Sache für den DFB. (…) Wenn in einigen Städten ein Dutzend Frauen zusammenkommen und einen Fußballclub gründen, ist das ihre Angelegenheit. Es bleibt aber immer die Frage offen, wo diese Mannschaften spielen wollen. Die Sportplatznot in den größeren Städten zwingt die Vereine ohnehin bereits, ihre Jugendspiele vorwiegend auf samstags zu verlegen.«
Raum- und Platzfragen sind immer auch Machtfragen. Der Kampf um die Plätze war entbrannt, und mit der Sperrung vereinseigener Plätze für den Frauenfußball spielte der Deutsche Fußball-Bund gleich seinen größten Stich aus. Über Jahrzehnte sollten Frauen mit den Männern um den Platz, den Spiel- und Entfaltungsraum kämpfen müssen. Deshalb stritten die Fußballpionierinnen jener Jahre, ob sie wollten oder nicht, grundsätzlich für die Persönlichkeitsentwicklung und Gleichberechtigung von Frauen in der Gesellschaft. Die »natürlichen Grenzen« des Frauen- und Fußballsports gab es nicht. Die vermeintlich »natürliche« Grenze war eine erfundene, über Jahrhunderte sozial und diskursiv hergestellte Grenze, gezogen und stets aufs Neue befestigt und behauptetvon jenen, denen diese Grenzziehungen nutzten.
Drakonische Strafen
Beim Kampf um die Plätze, beim Versuch, die »natürlichen Grenzen« zu überwinden, gab es aber auch Männer, die sich für den Frauenfußball einsetzten – aus sehr verschiedenen Motiven. So Rolf Warschun beim FC Blau-Weiß Oberhausen. Bereits 1951 trainierte er eine Gruppe fußballenthusiastischer Frauen und suchte nach Gegnerinnen für Freundschaftsspiele, bis er schließlich eine zweite Frauenmannschaft fand. Wobei die Presse vor Ort und auch der Oberhausener Bürgermeister gegen den Frauenfußball wetterten. So schrieb der lokale Generalanzeiger spöttisch:
»Eine Dauereinrichtung wird es nicht werden, denn Männer können blaue Flecken an den Beinen vertragen, Frauen aber sicher nicht. Es mindert die Anziehungskraft der Beine und damit wird sich keine Frau für ständig abfinden.«
Ein DFB-Funktionär fuhr dermaßen aus der Haut, dass er seine Zigarre wutentbrannt auf den Boden warf, darauf herumtrampelte und Warschun anschrie: »Damenfußball? Das hat es doch noch nie gegeben, wo kommen wir denn hin? Das werde ich niemals zulassen, ich verbiete es Ihnen!« Doch Rolf Warschun fiel nicht um, er stand und ließ seine Fußballerinnen allen Drohungen zum Trotz am 5. Mai 1951 auf dem Sportplatz von Rot-Weiß Oberhausen antreten. Daraufhin wurde der engagierte Trainer vom Verband aller Ämter enthoben und lebenslang gesperrt. Und auch der Verein Rot-Weiß Oberhausen distanzierte sich von dem Spiel, weil, so die Herren, diese »Art Sport auf einen Rummelplatz gehört und mit den wahren Zielen des Sportgedankens nichts zu tun hat«.
"Die kamen aus der Nazizeit"
Christa Kleinhans, eine der Pionierinnen des deutschen Frauenfußballs, war Spielerin der legendären Mannschaft von Fortuna Dortmund, die zwischen 1955 und 1965 als reiner Frauenfußball-Verein existierte. In der Zeit des Frauenfußball-Verbots bestritt Kleinhans rund 150 inoffizielle Länderspiele, die oft in in den Niederlanden ausgetragen wurden, wo die Entwicklung des Frauenfußballs sehr viel weiter war. Sie ergreift noch Jahrzehnte später ein richtiger Furor, als ich sie auf die Herren des DFB anspreche:
»Die Gleichberechtigung der Frau war 1949 in der Verfassung niedergeschrieben worden, aber die Frau hatte dennoch nicht viel zu sagen, und die Männer vom DFB kamen ja alle von vorgestern, die kamen aus der Nazizeit. Und da meinten sie dann, sie könnten uns das Fußballspielen verbieten. Die haben sich schlecht benommen, wir wollten doch nur spielen, wir nahmen denen doch nichts weg. Aber vielleicht haben sie uns als Konkurrenz angesehen, dann dachten sie wohl, diese Flamme erlischt irgendwann, aber da hatten sie sich getäuscht. Wir haben zehn Jahre gegen den DFB gekämpft, wo wir nur konnten. Wir hatten das Durchhaltevermögen, die Kraft, und sie wollten uns das nehmen, was wir am meisten liebten, den Fußball. Wir waren richtig grantig und böse.«
Auch die Suche nach Fußballplätzen blieb ein Spießrutenlauf. Der DFB drohte den Vereinen mit rigorosen Maßnahmen, etwa dem Ausschluss aus dem Spielbetrieb, wenn man Frauenfußball tolerierte oder gar förderte. Aber auch hier gab es Männer, die den Frauen halfen. Lore Karlowski bei Kickers Essen, die heute Barnhusen heißt, erinnert sich an eine Episode in Krefeld. Dort hatten sie einige Male ungestraft und weitgehend ungestört gegen das einheimische Team spielen können, doch nun hatte der Verein, der hier das Platzrecht ausübte, sogar die Polizei gerufen, um das Gelände abzuriegeln. Als die Mädchen sahen, dass der Fußballplatz von Schutzpolizei abgeriegelt war, hatten sie Tränen in den Augen. Der Busfahrer war ebenfalls empört und sagte zu den Spielerinnen: »Seid mal ganz ruhig. Wir fahren eine Runde, und wenn wir wiederkommen, wollen wir mal sehen, ob die noch da sind.« So geschah es.
Der Bus machte scheinbar kehrt, die Ordnungsmacht schloss auf totale Kapitulation. Doch eine Viertelstunde später war der Bus wieder da. Die Polizei war inzwischen abgerückt, und jetzt stürmten die Essenerinnen den Platz und kickten beherzt gegen die Krefelderinnen...
Sichtbarer Wandel erst 1982: Das erste Frauenländerspiel des DFB gegen die Schweiz
Am Abend des 10. November 1982 beginnt in Koblenz mit einem überraschend deutlichem 5:1 Sieg der ersten offiziellen deutschen Frauen-Nationalmannschaft gegen die Schweiz eine Erfolgsgeschichte, die in Wirklichkeit schon lange vor diesem Abend begonnen hat. Denn trotz des DFB-Verbots hatten sich Frauen nie davon abhalten lassen, Fußball zu spielen, und sie selbst hatten den Verband so lange gedrängt, bis auch die hartleibigsten Funktionäre kapitulierten. Die vom DFB ab dann offiziell anerkannten deutschen Fußballerinnen sind seither achtmal Europameisterinnen geworden und zweimal Weltmeisterinnen, sie holten bei Olympischen Spielen zweimal Bronze und einmal Gold, und sie sind international immer vorn mit dabei.
Es waren die Frauen, die diesen großen Schritt getan haben, aber es sind die Herren, die diesen Sieg für sich reklamieren. Nach jenem ersten offiziellen Spiel im November 1982 behauptet der DFB-Präsident Hermann Neuberger mit professioneller Unverfrorenheit, der DFB hätte die zarte Pflanze Frauenfußball gehegt und gepflegt, bis aus dem Pflänzchen ein großer starker Baum entstanden sei. Ein Reporter fragt: »Herr Neuberger, es hält sich immer hartnäckig das Gerücht und es liest sich auch immer wieder in den Zeitungen, dass die Männergilde des DFB dem Damenfußball nicht gerade wohlwollend gegenübersteht?« Es ist eine sehr zarte, zaghafte Frage, man hört kaum das Fragezeichen. Hermann Neuberger antwortet:
»Das war sicher eine gewisse Zeit lang richtig. Wir wissen, dass wir nach dem Krieg eine lange Zeit brauchten, bis sich eine Mehrheit fand auf einem Männerbundestag für die Einführung des Damenfußballs. Ich weiß, dass man so peu à peu die Front aufweichen musste, aber es ist dann geschehen. Aber dann haben wir, glaube ich, das gemacht, was richtig ist, wir haben nicht mit einer Nationalmannschaft begonnen, sondern wir sind hingegangen und haben gesagt, wir müssen organisch aufbauen, der Frauenfußball gehört in unsere Vereine hinein, er soll nicht nur im Seniorensektor liegen, sondern wir müssen werben in den Schulen, wir müssen den Mädchenfußball holen, damit ein entsprechendes Fundament erarbeitet wird. Als das dann so in etwa erkennbar war und sich abzeichnete, haben wir begonnen, über unsere Landesverbände hinaus zu spielen, die Meisterschaft. Als sich das bewährte, haben wir den Pokalsieg angehängt, genau wie bei den Männern, dann kamen Länderpokalspiele, und das war praktisch die Vorstufe für die Bildung einer Nationalmannschaft, denn die Auswahl der Länder bietet ja die beste Basis für eine Sichtung. Daraus wurden dann die auffälligsten Kräfte zusammengezogen, wir haben jetzt zwei Lehrgänge hinter uns, [als Trainer Gero] Bisanz mit der Frau Trabant, und haben jetzt unser erstes Sechzehner-Aufgebot hierhingebracht.«
Es lässt sich nun am Gesicht des Präsidenten ablesen, wie beifällig er sein eigenes Wortgebilde betrachtet, die Bildung einer Damennationalmannschaft aus dem Geiste des großen Gärtners. Tatsächlich ist sie eine Meisterleistung der Verdrängung, denn der große Gärtner, um im Bild zu bleiben, hatte die Saat jahrelang nicht gegossen und noch die zartesten Pflänzchen wie Unkraut aus dem Boden gezogen. Es waren die reaktionären Funktionäre des DFB, die ihren Vereinen verboten hatten, genau dieses Modell des organischen Wachstums zu leben, und es hatte nichts mit Fürsorge zu tun, aber dafür viel mit Gewalt.
Es ist wirklich ein Hohn, wie sich der Präsident hier als treibende Kraft des Frauenfußballs ins Bild setzt. Auch deshalb muss man an diesem hoffnungsfrohen Abend in Koblenz nah am Deutschen Eck noch einmal ins Deutsche blicken, in die Geschichte, denn dass man hier gegen die Schweiz spielte, war ja auch kein Zufall. So wie die Männer nach dem Zweiten Weltkrieg ihr erstes Länderspiel gegen die Schweiz bestritten hatten und dadurch symbolisch wieder in die Sportgemeinschaft aufgenommen worden waren, so sollten auch die Frauen ihr erstes offizielles Länderspiel gegen die Schweizerinnen austragen. Das war eine Idee des Präsidenten, denn Hermann Neuberger war immer geschichtsbewusst, wenn es in seine Erzählung passte; was nicht passte, wurde verdrängt, verbogen und umgedeutet.
QuellentextVideo: Eine Filmgeschichte des deutschen Frauenfußballs
Grundlage des Buches von Torsten Körner, aus dem die nebenstehenden Textausschnitte stammen, sind Recherchen und Gespräche für eine Fernsehdokumentation des Autor, erstausgestrahlt in der ARD am 4. Juli 2025 um 23.30 Uhr. Der Film ist auch in der ARD-Mediathek unter dem nachstehenden Link abrufbar:
Am 9. Mai 1990 absolvierte die erst kurz zuvor ins Leben gerufene DDR-Fußballnationalmannschaft der Frauen im Potsdamer Karl-Liebknecht-Stadion ihr erstes und zugleich letztes Länderspiel. Auch für die Medien der DDR war dieses Ereignis wenig mehr als eine Randnotiz. Etwas mehr Beachtung fand das 293. und letzte Länderspiel der DDR-Männermannschaft, das am 12. September 1990 in Belgien ausgetragen wurde. Von 36 eingeladenen Spielern sagten 22 Spieler dem Trainer Eduard Geyer ab. Ein historisches Datum ist der 12. September 1990 aber deshalb geworden, weil in Moskau der Zwei-plus-Vier-Vertrag unterzeichnet wurde, womit sich die DDR gleichsam selbst abschaffte und Deutschland seitens der Alliierten die volle Souveränität zugestanden wurde. Tief im Schatten der großen Verträge und Vereinigungen löste sich am 20. November in Leipzig der Deutsche Fußball-Verband (DFV) auf und trat als Nordostdeutscher Fußballverband dem DFB im Westen bei.
Waltraud Horn lebt in Leipzig und wird 1990 beides aufmerksam verfolgt haben: das Länderspiel der DDR-Frauen im Mai und die Auflösung des Deutschen Fußball-Verbandes im November. Will man verstehen, warum die Frauen der DDR ihr erstes und zugleich einziges Länderspiel erst kurz vor dem Ende der DDR bestritten, muss man Zeitzeuginnen wie Waltraud Horn treffen. Sie ist eine jener Heldinnen des Frauenfußballs, die ich im Zuge meiner Recherchen besuche. Nach den ersten Gesprächen mit Fußballerinnen aus der DDR wird schnell klar, dass die Geschichte des Frauenfußballs im Osten eine ganz andere ist als die im Westen. Zwar gab es Hindernisse und Hürden, die vergleichbar sind, es gab aber sehr viel mehr Unterschiede. Vergleichbar ist die Geringschätzung der Fußballverbände in Ost und West, wobei es einen wesentlichen Unterschied gibt: Der DFV hat nie ein Fußballverbot für Frauen ausgesprochen.
Waltraud Horn, in Leipzig geboren und aufgewachsen, arbeitete in den Sechzigerjahren als Gärtnerin im Bruno- Plache-Stadion, der Heimspielstätte des 1. FC Lokomotive Leipzig. Die sportliche junge Frau hatte immer einen guten Kontakt zu den Spielern der erfolgreichen Oberliga-Mannschaft. So wollte sie auch Fußball spielen, das traute sie sich zu, und sie überlegte, wie und wo das gehen konnte, denn eine Frauenmannschaft gab es in Leipzig nicht. Sie schrieb – wenn schon, denn schon – gleich an DFV-Präsident Wolfgang Riedel, der Verband möge doch bitte etwas für den Frauenfußball in Leipzig tun. Riedel ließ sich einige Zeit mit der Antwort, schließlich schrieb er ihr am 12. Dezember 1967:
»Werte Sportfreundin! Ihr Brief hat mir sehr viel Freude bereitet, und ich hatte Gelegenheit, ihn anlässlich der Jahresabschlussfeier der Fußballnationalmannschaft der DDR im Hotel Astoria am Sonntag, den 10. 12. 1967, vorzulesen. Spieler und Funktionäre waren über Ihr Interesse am Fußballsport sehr erfreut. Allerdings glaube ich nicht, dass wir uns in absehbarer Zeit mit Frauenfußball in der DDR befassen werden, aber es gibt ja bereits bei uns im Fußball schon weibliche Schiedsrichter, die vor allem für die Leitung von Jugendspielen eingesetzt werden. Vielleicht können Sie an einem Lehrgang für Schiedsrichter teilnehmen, um so in enger Verbindung mit dem Fußballsport zu stehen. Überlegen Sie sich das bitte einmal, vielleicht wird Ihr Name eines Tages auf diesem Gebiete bekannt. Indem ich Ihnen weiter alles Gute wünsche für Ihr Vorwärtskommen in der Schule und im weiteren Leben, verbleibe ich mit sportlichen Grüßen.«
Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie sich die Nationalspieler der DDR zu diesem Schreiben verhalten haben. Sie werden gelacht haben, so wie die westdeutsche Nationalmannschaft jener Zeit gelacht hätte. Zu keinem anderen Zweck hatte der Präsident das Schreiben in diesem Kreis verlesen; bei der Jahresabschlussfeier ging es fröhlich zu, da kam der Brief dieser fußballbewegten jungen Frau ganz recht. Waltraud Horn, keine stimmgewaltige Frau, ist heute noch empört über die Antwort, die höflich klingt, aber in jeder Zeile vor Arroganz und Herablassung trieft. Sie wollte selbst Fußball spielen, mit der Schiedsrichterei wollte sie sich nicht abspeisen lassen.
Deshalb gründet sie mit ihrem Vater Paul Horn 1968 die erste Frauenfußballmannschaft Leipzigs. Ihr Vater übernimmt auch das Training, das im Februar 1969 startet. Die Resonanz ist zunächst gering, nur drei Frauen sind erschienen, doch einige Monate später sieht das Bild schon anders aus. Waltraud und ihre Mannschaft finden Aufnahme bei der Betriebssportgemeinschaft Chemie-Leipzig, deren Trikotfarben Grün-Weiß sind. Dieses Modell bleibt vorherrschend und kennzeichnend für die DDR: Die Frauenmannschaften finden Aufnahme in die Sportabteilungen von Großbetrieben, deren Namen sie dann tragen. Die Trägerbetriebe sind, anders als Betriebe in der Bundesrepublik, auch eminent wichtige soziale Orte. Sie bieten ihren Belegschaften eine Vielzahl von Freizeitaktivitäten, sozialen Diensten und Betreuungseinrichtungen, sodass der Betrieb auch ein Stück Heimat ist, eine Lebensform weit über die Arbeitszeit hinaus.
Aber auch hier müssen die Frauen den bestehenden Männermannschaften Ressourcen abtrotzen – Geld, Plätze, Fahrgelegenheiten. Offizielles Gründungsdatum der Fußballmannschaft der Frauen bei der BSG Chemie Leipzig ist der 13. September 1969. Schon eine Woche später tritt die BSG Chemie bei einem Turnier in Dresden an. Mit dabei sind noch die BSG Empor Dresden-Mitte sowie die BSG Pentacon Dresden. Kurz vor diesem ersten Auftritt hat Waltraud Horn in der Sportzeitschrift fuwo ihre Ziele beschrieben:
»Wir wollen alles daransetzen, um beide Dresdner Mannschaften zu schlagen und Leipzig würdig zu vertreten. Als Kapitän habe ich mir das Ziel gestellt, eine kombinierte Frauenmannschaft Chemie/1. FC Lokomotive zu bilden, um den Männern zu beweisen, dass man sich nicht nur am Biertisch, sondern auch auf dem grünen Rasen und vor allem im persönlichen Leben vertragen kann. Eine bessere Verständigung zwischen den beiden Anhänger-Mannschaften wäre unserer Stadt ohne Zweifel von Vorteil.«
Waltraud Horn wollte also nicht nur den Männern beweisen, dass Frauen Fußball spielen können, sie wollte ihre fusionierte Mannschaft auch als freundschaftsbildende Maßnahme zwischen zwei verfeindeten Leipziger Fanlagern verstanden wissen. Bei diesem Turnier belegte die BSG Chemie den zweiten Platz, wichtiger aber war, dass man überhaupt Gegnerinnen gefunden hatte.
Schwierige Suche nach Gegnerinnen
Wie in der Bundesrepublik besteht anfangs eine Hauptschwierigkeit nämlich in der Suche nach Spielpartnern. Man musste erst herausfinden, wer wo spielt, wen es überhaupt gibt. Ende des Jahres 1971 gab es etwa 150 Frauenfußballmannschaften in der DDR , die aber nicht untereinander organisiert waren. Wer gegen wen spielte, in welchem Rhythmus, blieb fast immer der privaten Initiative überlassen.
Nicht selten sucht man Gegnerinnen per Zeitungsannonce, manchmal müssen männliche Jugendmannschaften oder Alte-Herren-Teams herhalten, um spielen zu können. Und vieles hat noch Jux- und Volksfestcharakter. Zwar finden sich mitunter Tausende Zuschauer ein, doch Sensationslust und Voyeurismus sind ausgeprägt, da ruft man nach »Trikottausch«, spricht vom »Schönheitswettbewerb« und pfeift anzüglich-anerkennend. Dennoch erzeugen diese Spiele eine Beteiligungslust bei vielen Mädchen und Frauen, die Teams finden Nachahmerinnen, und so beginnt man sich in der Kreisklasse und schließlich auf Bezirksebene zu organisieren; peu à peu werden feste Wettbewerbsstrukturen installiert.
Auch Sabine Seidel, eine der besten Fußballerinnen der DDR, beginnt Ende der Sechzigerjahre mit dem Fußball. Sie wird 1956 in Dresden geboren und ist von Kindesbeinen an bewegungsfreudig. Sie turnt, sie betreibt Leichtathletik, aber es fehlt ihr der besondere Kick. 1969 entdeckt ihre Mutter eine Anzeige in der Zeitung: »Wer möchte Fußball spielen?« Sabine will. Sie nimmt den weiten Weg zur BSG des Zentralinstituts für Kernforschung in Rossendorf auf sich, wo ein fußballbegeisterter bulgarischer Student der TU Dresden namens Wladimir Zwetkow eine Frauenmannschaft gegründet hat. Zwetkow hatte bereits zwei andere Frauenmannschaften in Dresden mitgegründet und war ein Enthusiast, der den Mädchen und Frauen Grundlagen vermittelte. Sabine Seidel erinnert sich gerne an diesen energiegeladenen Schwärmer, der von seinen brasilianischen Vorbildern sprach und den berühmten Spielmacher Roberto Rivelino als leuchtendes Vorbild pries. Sabine Seidel, so der legendäre Trainer Bernd Schröder, sei die erste Frau in der DDR gewesen, die aus vollem Lauf habe flanken können. Als ich sie auf das Zitat anspreche, zwinkert Sabine freundlich und ergänzt: »Er hat bloß vergessen zu sagen, dass meine Flanken auch ankamen.« Während Zwetkow vor allem inspirieren wollte, war Bernd Schröder, der mit Turbine Potsdam die beste Mannschaft der DDR und weit darüber hinaus aufbaute, ein ganz anderes Kaliber. Der verdienstvolle Trainer war eher der Typ Schleifer und Diktator, der Pflicht, Fleiß und Hingabe über alles stellte.
Nicht selten mussten die Trainer auch Zeugwarte sein, denn da Fördergelder ausschließlich in den Leistungssport flossen, fehlte es oft an den grundlegendsten Dingen. In ihrem Buch 11 Freundinnen. Die Turbinen aus Potsdam beschreiben Birgit und Heiko Klasen das Organisationstalent des Übungsleiters: »So schaffte es Trainer Schröder zwar irgendwie, seinen Spielerinnen Trikots zu organisieren, allerdings mussten sie Nummern und Embleme in Heimarbeit selber annähen und -kleben. Das führte nicht nur zu einer gewissen Schieflage der Nummern. Vor allem erwies sich Regenwetter als besonders ungünstig für die Kleiderordnung. Die Rückennummern lösten sich bei Feuchtigkeit ab, und die Trikotträgerinnen mussten ihre Zahlen nach dem Abpfiff regelmäßig aus dem schlammigen Rasen fischen.« Die Trainer waren auch Sportfunktionäre ohne Amt, denn sie drängten den DFV dazu, endlich einen landesweiten Wettkampf einzuführen.
Nicht Meisterschaft sondern "Bestenermittlung"
Dieser Wettbewerb, erstmals ausgespielt 1979 in Templin, nannte sich sperrig-bürokratisch »DDR-Bestenermittlung«, Sieger war die BSG Motor Mitte Karl-Marx-Stadt. Mit dem Begriff Bestenermittlung sollte jeder Anspruch auf Förderstrukturen abgewehrt werden, wie es sie für den Leistungssport gab. Den Titel » DDR-Meister« gab es nur in Sportarten, die auch olympisch waren. Im Sportstaat DDR , der die erfolgreiche Teilnahme an Olympischen Spielen auch zur Legitimation des Staates und als Ausdruck seiner Überlegenheit im Wettbewerb der Systeme nutzte, spielte diese Kategorisierung eine große Rolle.
Damit gehörte der Frauenfußball eindeutig in den Bereich Freizeit- und Erholungssport. Er galt als mehr oder weniger lästiges Betätigungsfeld von Frauen, die man lieber in anderen Sportarten gesehen hätte, da man fürchtete, er könne Athletinnen von anderen medaillenträchtigen Einzel- und Mannschaftssportarten abwerben. Immerhin bewirkte die Bestenermittlung eine Steigerung des Niveaus, denn alle DDR-Spitzenmannschaften waren nun Rivalen in einem Wettbewerb, in dem man zueinander in Konkurrenz stand.
Die Einführung der Bestenermittlung löste im Frauenfußball der DDR einen gewissen Boom aus, wenngleich der DFV weiterhin kaum einen Finger rührte, um die Frauen zu fördern. Wollten sie ihrem Hobby nachgehen, sollten sie selbst sehen, wie sie klarkamen! Das war die Haltung der Funktionäre. Damit war es weiterhin an den Betriebssportgemeinschaften, den Trainern und ihren Mannschaften, Pioniergeist zu zeigen. Wer ambitionierter spielen wollte und höhere Aufgaben suchte, musste sich nicht nur auf dem Trainingsplatz beweisen, sondern hatte auch im Alltag beträchtliche Hürden zu überwinden.
Doreen Meier, die Spitzenspielerin der HSG Uni Jena, hat eines dieser Alltagsprobleme anschaulich beschrieben: »Kaum eine Mannschaft verfügte über einen Mannschaftsbus, und welche junge Frau zwischen zwanzig und dreißig besaß bei den langen Wartezeiten schon einen Trabi oder ein anderes Auto? So reisten die meisten Mannschaften mit der Deutschen Reichsbahn. Nicht selten musste der Anpfiff verschoben werden, da diese mal wieder Verspätung hatte. Kaum angekommen, kurz eingelaufen, musste beim Gegner zum Einspielen um einen Ball gebettelt werden, denn welche Mannschaft hatte schon einen Ballsack, und wenn, wer nahm schon ›Kanonenkugeln‹ mit auf Reisen? Nach dem Spiel musste man flugs duschen, denn dann begann der Wettlauf mit der Zeit – schaffen wir den Zug noch oder schaffen wir ihn nicht? Nicht nur einmal sind wir erst nachts wieder in Jena angekommen. Außerdem waren wir an Sonntagen ja nicht die einzigen Reisenden, sodass wir oftmals völlig verstreut irgendwo im Zug stehen mussten. In der Saison 1989/90 spielten wir dreimal in Dresden. Dreimal standen wir.«
In den Medien erlebten die Fußballerinnen der DDR weniger aggressiven Sexismus als ihre Schwestern im Westen. Das lag sicherlich teils daran, dass die gesamte mediale Öffentlichkeit staatlich kontrolliert war, hatte aber auch mit der anderen Stellung der Frau in der Gesellschaft zu tun. Die DDR-Ökonomie war auf die Arbeitskraft der Frauen angewiesen, daher waren diese in viel höherem Maße berufstätig als in Westdeutschland. Und deshalb kursierten in der DDR auch andere Leitbilder zur Rolle der Frau. Dazu passte nicht, sich allzu sehr über den Frauenfußball zu mokieren oder ihn gar brutal herabzuwürdigen. In Fernsehberichten wurde vereinzelt gefragt, wie sich blaue Flecken mit der weiblichen Eitelkeit vertrügen und was denn der Freund oder Mann zu diesem Hobby sage, das änderte aber nichts daran, dass der Frauenfußball gesellschaftlich weitgehend akzeptiert war. In meinen Interviews mit Spielerinnen aus der DDR nahm dieses Thema auch sehr viel weniger Raum ein als bei den Spielerinnen aus dem Wes- ten. Ja, man habe den ein oder anderen doofen Spruch erlebt, aber letztlich waren das doch nur ein paar Krakeeler von gestern, die nicht recht in die Gegenwart fanden.
Heidi Vater, die ebenfalls bei der HSG Uni Jena spielte und auch beim ersten Länderspiel der DDR-Frauen am 10. Mai 1990 dabei war, erzählte mir folgende Episode, die etwas davon vermittelt, wie Frauen mit Vorurteilen oder vermuteten Klischees umgingen. Ihr erstes Fußballspiel absolvierte sie in Turnschuhen, aber es mussten richtige Fußballschuhe her. Also ging sie Schuhe kaufen, allein. Dem Verkäufer gegenüber mochte sie aber nicht einräumen, dass sie die Fußballschuhe für sich selbst brauchte. Deshalb behauptete sie, im Auftrag ihres Bruders gekommen zu sein, der dieselbe Schuhgröße habe. Erst als sie ihr zweites Paar Fußballschuhe kaufte, hatte sie diese Scham überwunden.
Erst nach dem Mauerfall: Das einzige Frauenländerspiel der DDR
In allen meinen Interviews mit DDR-Spielerinnen wird deutlich, dass sie so gut wie nichts über Frauenfußball im Westen wussten, so wie die Spielerinnen in der Bundesrepublik nichts über Frauenfußball in der DDR.
Für die Frauen aus der DDR gibt es zwei Ausnahmen: Die älteren können sich an Bärbel Wohllebens "Tor des Monats" in der ARD-Sportschau erinnern, das sie im September 1974 im Endspiel um die erste offiziell vom DFB durchgeführte deutsche Meisterschaft der Frauen mit einem Volleyschuss erzielte. Auch die Europameisterschaft der Frauen 1989 in Westdeutschland haben fast alle wahrgenommen. Das Team der Bundesrepublik gewann das Endspiel gegen Norwegen in Osnabrück mit 4:1 vor laufender Fernsehkamera.
Es ist wohl auch dieser Triumph der westdeutschen Frauen, der die DDR-Funktionäre umdenken ließ, in dieser Einschätzung sind sich alle Spielerinnen einig. Es sei nicht darum gegangen, ihnen etwas Gutes zu tun, der DFV habe einfach sehr spät erkannt, dass man auch mit Frauenfußball auf internationaler Bühne punkten konnte. Unmittelbar nach der EM 1989 beginnt der DFV mit dem Aufbau einer Frauenfußball-Nationalmannschaft. Margit Stoppa, die zuvor in der Kommission für Freizeit- und Erholungssport für den Frauenfußball gekämpft hatte, wird als erste Frau in den Vorstand des DFV gewählt. Und im Herbst beginnt für die besten Spielerinnen ein lang gehegter Traum wahr zu werden: Sie erhalten Einladungen zu einem Sichtungslehrgang zum Aufbau einer DDR-Auswahl. Wenige Tage vor dem 9. November 1989, als die Mauer fällt, und just in den Tagen, als bei den Montagsdemonstrationen in Leipzig Hunderttausende Bürger friedlich für Reformen demonstrieren, versammeln sich am 21. Oktober in der Leipziger Sportschule 26 Spielerinnen aus zehn Betriebssportmannschaften. Leiter dieses kurzlebigen Projekts sind Bernd Schröder aus Potsdam und Dietmar Männel von der BSG Rotation Schlema.
Sie trainieren in einer riesigen Sporthalle mit Kunstrasen. Die Spielerinnen staunen nicht schlecht: Gute Lederbälle in Hülle und Fülle, Trainingsanzüge, eine Torwand, eine Torschussmaschine, all das, was sonst den Männern vorbehalten war, stand ihnen nun auch zur Verfügung. Es gab mediziniund leistungsdiagnostische Tests, beste Verpflegung und komfortable Unterbringung. Es konnte einem schwindelig werden im Kopf, es kribbelte in den Beinen, denn das erste Mal zeichneten sich die Konturen einer Nationalmannschaft ab. Die Freizeitsportlerinnen fanden sich plötzlich verwandelt in die Elite des Landes, die die DDR repräsentieren sollte, in einem historischen Augenblick, da ohnehin alles ins Rutschen kam.
Bis zum Anpfiff am 9. Mai 1990 im Potsdamer Karl-Liebknecht-Stadion sollte sich dieses ambivalente Gefühl noch verstärken, denn mit jedem Tag bis zu diesem Spiel wurde das Land, für das sie spielen sollten, brüchiger und poröser. Würde man den Arbeitsplatz behalten? Was würde aus dem Betrieb, für den man spielte? Sollte man in den Westen gehen, wo, wie man hörte, schon Geld für Frauenfußball gezahlt wurde? Und in welcher Gesellschaft würde man morgen aufwachen? Wären die Zeiten nicht so bewegt und mit geschichtsträchtigen Ereignissen überladen gewesen, hätte das erste Länderspiel der DDR-Frauen sicherlich mehr Auf- merksamkeit erfahren. Es stand gewissermaßen unter einem Stern, der von oben ironisch zublinzelte: Nun spielt mal schön, wer weiß, wie lange es euch noch gibt. So fanden sich nur etwa 800 Zuschauer im Stadion ein, als Klaus Scheurell anpfiff, langjähriger Schiedsrichter der DDR-Oberliga. Die Potsdamerinnen hatten hier auf eigenem Platz manches Mal 4.000 oder 5.000 Zuschauer begrüßen können, bei ganz alltäglichen Punktspielen. Eine Live-Übertragung im DDR-Fernsehen gab es nicht, Sport aktuell sendete nur eine kurze Zusammenfassung des Spiels. Als Gegnerin war die Nationalmannschaft der Tschechoslowakei (ČSSR) eingeladen worden, die schon seit Jahrzehnten Spiele als Nationalteam austrug und darum viel erfahrener war. Dass auch aus diesem Grund das Spiel mit 0 : 3 verloren ging, überraschte niemanden wirklich.
Nach dem Abpfiff lassen die Spielerinnen die Köpfe hängen. Ein Reporter fragt den Generalsekretär des DFV: »Klaus Petersdorf, das erste Länderspiel einer DDR-Frauenfußball-Nationalmannschaft. Sie haben 0 : 3 verloren, bleibt’s eine Eintagsfliege deshalb?« Petersdorf zuckt nur kurz über die wenig einfühlsame Frage. »Es bleibt keine Eintagsfliege, wir haben uns entschlossen, im Verband dem Damenfußball den gebührenden Platz einzuräumen, sie sind aus dem Schattendasein herausgetreten.«
Aber der DFV konnte dem Damenfußball keinen gebührenden Platz mehr einräumen, am 20. November 1990 löste der Ver- band sich in Leipzig auf, und es blieb bei diesem ersten und einzigen Länderspiel. Gleichwohl war es ein wichtiges Spiel, denn es wirft ein Licht auf die Jahrzehnte davor, in denen sich die Pioniere und Pionierinnen des DDR-Frauenfußballs um diesen Sport verdient gemacht haben. Obwohl er in einem Staat gespielt wurde, in dem die Frauen rechtlich vollkommen gleichgestellt waren, blieb Frauenfußball über Jahrzehnte ein emanzipatorisches Projekt. Die Pionierinnen mussten sich auch hier ihre Spielräume gegen patriarchal-autoritäre Verbandsstrukturen und sportpolitische Diktate erkämpfen, und sie taten das mit leidenschaftlichem Engagement. Aus dem Schatten der Männer und des Fußballverbandes waren diese Spielerinnen längst selbst herausgetreten, sie brauchten keinen Funktionär, der ihnen das attestierte.
Ab 1991 ein gesamtdeutsches Frauenfussballteam
Am 9. Mai 1991, genau ein Jahr später, kommt es zum ersten Länderspiel einer nun gesamtdeutschen Mannschaft. Birte Weiß, die ein Jahr zuvor nicht spielen konnte, steht nun im Kader der deutschen Mannschaft. Die Partie gegen Polen findet im Otto-Grotewohl-Stadion im heimatlichen Aue statt. Viele Angehörige und Freunde sind gekommen, um Birte zu sehen. In der Mannschaft von Gero Bisanz ist sie die einzige Spielerin aus der früheren DDR. Das bildet die quantitativen und qualitativen Unterschiede zwischen Frauenfußball in Ost und West in etwa ab. Ende der Achtzigerjahre spielten in der DDR etwa 201 Frauenmannschaften, in Westdeutschland gab es zu der Zeit 2.326 Frauenmannschaften. Rund 5.500 aktiv spielenden Frauen in der DDR standen etwa 70.000 im Westen gegenüber, wobei die Mitgliederzahl der Frauen im DFB mit 479.098 bedeutend höher lag.
Langfristig konnte sich Birte nicht in der Nationalmannschaft behaupten. Das mag auch mit ihrer So- zialisation und Herkunft zu tun haben. Als sie das erste Mal mit den Spielerinnen aus dem Westen trainiert habe, sagt sie, sei ihr aufgefallen, wie alle die Ellenbogen ausgefahren hätten und jede für sich allein kämpfte. Sie hingegen kam aus einer Fußballkultur, die eher integrativ angelegt war und noch mehr die gemeinsame Freude am Spiel betonte. Beim Training der Nationalmannschaft habe man damals nur wenig gelacht, das sei für sie eine ganz neue Erfahrung gewesen.
Zitierweise: Torsten Körner, „Wie Frauen-Fußball 1955 verboten wurde. Vom DFB!", in: Deutschland Archiv vom 4.7.2025. Link: www.bpb.de/563639.
Basierend auf Auszügen aus dem Buch von Torsten Körner, "Wir waren Heldinnen. Wie Frauen den Fußball eroberten", Köln 2025. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Kiepenheuer & Witsch. Alle im Deutschlandarchiv veröffentlichten Beiträge sind Recherchen und Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar und dienen als Mosaikstein zur Erschließung von Zeitgeschichte. (hk)
Schriftsteller, Dokumentarfilmer, Journalist und Fernsehkritiker. Er schrieb Biografien über Heinz Rühmann, Franz Beckenbauer und Götz George und war mehrere Jahre lang Juror des Grimme- und des Deutschen Fernsehpreises. Er ist auch als Regisseur tätig, u. a. von »Angela Merkel – Die Unerwartete«, »Drei Tage im September« (nominiert für den Deutschen Fernsehpreis 2018) und »Die Unbeugsamen« (ausgezeichnet mit dem Gilde-Filmpreis als beste Dokumentation). Im Frühjahr 2025 erschein sein Buch "Wir waren Heldinnen, Wie Frauen den Fußball eroberten". Es ist Grundlage für die ARD-Fernsehdokumentation "Mädchen können keine Fussball spielen", Erstausstrahlung am 3.7.2025.