Am 29. Dezember 1988 verschickte der damalige Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Hans-Georg Wieck, ein Schreiben an acht hochrangige Beamte der damaligen westdeutschen Bundesbehörden, darunter Staatssekretäre im Bundeskanzleramt, Auswärtigen Amt, Bundesministerium des Innern, Bundesministerium der Verteidigung sowie der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Der Inhalt bezog sich auf Pressespekulationen über eine vermeintliche und in Medien der Bundesrepublik Deutschland (BRD) thematisierte operative Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS) in der Volksrepublik Polen, beispielsweise würden von der Stasi Jugendferienlager genutzt um Stasispitzel in Polen anzuwerben, und zwar auf eigene Faust des MfS. Dem BND – so Wieck – lägen verschiedene Hinweise vor, die diese Darstellung „bestätigen“. Das widerspreche Berichten aus den früheren 1980er-Jahren, nach denen es keine solchen MfS-Alleingänge in Polen gegeben habe, sondern ausschließlich eine enge Kooperation des volkspolnischen und ostdeutschen Geheimdienstes.
Das ist wenig überraschend. Die Stasi hatte in der Tat sowohl mit dem polnischen Geheimdienst zusammengearbeitet, zugleich aber auch an ihm vorbeigearbeitet und ihn bekämpft. Es prägte sich überdies eine folgenreiche Arroganz und Missachtung gegenüber dem volkspolnischen Pendant aus, vor allem seitens der hauptamtlichen Mitarbeiter sowie der Führungsebene des MfS. Dies belegt nicht nur die durchaus subjektive Erinnerungsliteratur, sondern das zeigen auch spärlich vorhandene Akten der westdeutschen Sicherheitsbehörden.
Entsprechende Forschungsliteratur der vergangenen Jahre hat sich konsequent mit Mythen über die vermeintlichen Erfolge der polenbezogenen Tätigkeit des MfS auseinandersetzt. Nach umfangreichen eigenen Recherchen – durchgeführt als Grundlage meines Habilitationsprojektes – habe ich sechs Thesen über das Verhältnis des MfS gegenüber Polen und seinen Geheimdiensten entwickelt – und dabei auch die bis dahin unbekannten polnischen Gegenmaßnahmen berücksichtigt, die sich direkt gegen die Stasi richteten. Sie können als Illustration von Dilemmata all jener Dienste angesehen werden, die etwa im Rahmen eines Militärbündnisses einen doppelten Status innehatten, das heißt den eines Gegners und eines Verbündeten zugleich.
These 1: Schon die geopolitischen, historischen sowie operativen Umstände, unter denen das MfS und das polnische Innenministerium (MSW) funktionierten, schlossen ein „normales“ Verhältnis beider Dienste zueinander aus.
Eines der Hauptprinzipien geheimdienstlicher Arbeit besteht darin, dass es weder Platz für Moral noch für so etwas wie „Freundschaft“ gibt und auch nie gab. Auch im Rahmen der Beziehungen vermeintlich befreundeter Staaten gab und gibt es immer wieder gut dokumentierte Fälle gegenseitiger Spionageoperationen. Und sie belegen im Grunde die Normalität geheimdienstlichen Handelns. Was also war unnormal an den Kontakten zwischen der Stasi und dem polnischen Innenministerium MSW? Vor allem die Kombination interner und externer Faktoren, die letztlich die schizophrene Polenpolitik der Stasi prägte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die jeweiligen Sicherheitsbehörden zuerst in der Volksrepublik Polen (VRP) gegründet, in der DDR erst deutlich später, 1950, in der Form eines Ministeriums. Zuvor waren in den sowjetischen Besatzungszonen die K-5 Abteilungen der Kriminalpolizei geheimdienstlich tätig, als Vorläufer der östlichen Geheimdienstapparate, die alle nach sowjetischem Vorbild aufgebaut wurden. Schon ab 1946 wurden die bilateralen und operativen Kontakte von polnischer Seite in einer Art abgewickelt, dass dort keinerlei Platz für Partnerschaft blieb, es sei denn, es ging um rein Protokollarisches.
Die Gründe für die polnische Haltung liegen auf der Hand: Durch das Trauma des Zweiten Weltkrieges wurden beide deutschen Staaten von Polen aus stets misstrauisch betrachtet. Die Parteibeziehungen waren nie gut, besonders schlecht waren sie in der Ära von Walter Ulbricht (von 1950 bis 1971). Eine potenzielle Wiedervereinigung Deutschlands, konzipiert von den beiden deutschen Staaten und der Sowjetunion, blieb ein ständiger Albtraum der polnischen Außenpolitik und infolgedessen das ständige Beobachtungsziel der MSW-Auslandsaufklärung. Nicht zuletzt deshalb wurde die alte Bundesrepublik zur wichtigsten Quelle der für beide Staaten relevanten Informationen, was das Konkurrenzverhältnis der volkspolnischen und ostdeutschen Geheimdienste zwangsläufig intensivierte. Insofern galt das MfS vor und nach seiner Gründung als ein nur formeller Verbündeter, der nach 1949 seinerseits Misstrauen gegenüber Volkspolen entwickelte.
Die den polnischen Genossen zunächst gern geleistete Hilfe der K-5-Abteilungen des MfS wurde rücksichtslos ausgenutzt. So wurden etwa ostdeutsche Mitarbeiter verraten, um eigene Offiziere zu schützen. Formell gesehen durften bis 1974 auch nur die Polen ostdeutsche Inoffizielle Mitarbeiter (IM) anwerben. Der Verdacht, für die Stasi zu arbeiten, endete in der VRP mit einer Haftstrafe. Und die klassischen Operationen, beispielsweise die gemeinsame Auswahl der in Polen internierten deutschen Kriegsgefangenen, um sie später als IM in den westlichen Okkupationszonen zu platzieren, waren marginal im Vergleich zu den eigenen Operationen. Außerdem wurden solche Operationen aus polnischer Sicht so ausgewählt, dass Sicherheitsrisiken für die Volksrepublik gemildert wurden, zum Beispiel durch die Entfernung von Risikopersonen aus Polen. Hervorzuheben sind auch interne, kritische Äußerungen der polnischen Geheimdienstler über die vermeintlich guten Aufklärungsmöglichkeiten der ostdeutschen Aufklärung in Westdeutschland. 1958 wird sogar aktenkundig, dass solche Möglichkeiten aus polnischer Sicht schlicht nicht existierten – weswegen das volkspolnische Innenministerium in der BRD besser ohne ostdeutsche Unterstützung agieren sollte. Außerdem führte die polnische Spionageabwehr Gegenmaßnahmen bei den polnischen Risikogruppen in der DDR durch, etwa bei Zeitarbeitern beziehungsweise offiziellen Delegationen, um so Anwerbungen durch die Stasi zu verhindern.
Die ostdeutsche Seite versuchte, das Verhältnis zu verbessern, indem sie entsprechende Anfragen beim KGB vorgelegte. Dies änderte jedoch wenig, zumal die Stasi selbst immer mächtiger wurde und die innenpolitische Entwicklung Volkspolens – das immer öfter durch politische Turbulenzen und gesellschaftliche Proteste geprägt war – äußerst misstrauisch beobachtete.
Die Volksrepublik Polen, ein – verglichen mit der DDR – liberales Land, lockte viele westliche Geheimdienste an, die dort ostdeutsche Bürger zu befragen oder anzuwerben versuchten. Polen blieb bis zum Jahr 1989 auch eine der wichtigsten Routen für Menschen, die Ostdeutschland verlassen wollten. Insofern bildeten sich in diesem Kontext umfangreiche Möglichkeiten für geheimdienstliche Vorgänge, etwa zur gezielten Vorbereitung von ostdeutschen „Anbietern“, die in der VRP Botschaften westlicher Staaten aufsuchten, um präparierte Informationen zu liefern. Dies trug aber zugleich dazu bei, Polen als feindliches Terrain einzustufen, was 1981 de facto in der internen Ausarbeitung der Stasi-Polenpolitik auch erfolgte.
Bereits drei Jahre nach dem Berliner Aufstand vom 17. Juni, im Jahr 1956, kam es zu einer ersten großen Protestwelle in Polen. Jene Welle wiederholte sich, mit unterschiedlicher Intensität, alle sechs bis acht Jahre, was stets eine Gefahr für die staatliche Existenz der DDR bedeutete. SED und Stasi fürchteten, Protest in Polen könnten auf DDR-Bürger und Bürgerinnen überschwappen. Die Angst der SED vor einer Wiederholung der Ereignisse des Junis 1953 aufgrund der Lage in Polen trug nicht nur dazu bei, das MfS personell zu stärken – es war mindestens fünfmal so stark wie das polnische Innenministerium –, die Unruhen in Polen initiierten immer auch umfassende Aufklärungsaktionen der Stasi, vorbereitet in der Überzeugung, dass die VRP – die aus ostdeutscher Sicht nie als sozialistischer Staat wahrgenommen wurde – ein feindliches Land geworden sei, das seine revisionistischen Ideen auch in der DDR verbreiten könnte und dessen Geheimdienst nicht ausreichend gegen diese Ideen kämpfe. Paradoxerweise entsprach das auch der volkspolnischen, geheimdienstlichen Arbeitsphilosophie. Bereits während des erwähnten Aufstandes am 17. Juni 1953 befragten und kontrollierten polnische Sicherheitsbehörden Vertreter der offiziell nie existierenden deutschen Minderheit in Polen, um zu erfahren, wie die Ereignisse in Berlin seitens der ostdeutschen Bevölkerung wahrgenommen wurden.
Die analogen Aktionen der Stasi insbesondere ab 1980 – formuliert etwa als Befehl unter dem Decknamen „Besinnung“ – fassen die Polenpolitik des MfS gut zusammen: Man wollte möglichst viele Interna über die VRP in Erfahrung bringen, versuchte, ultraorthodoxe, also in der DDR Nomenklatura „gesunde“ Strömungen in der polnischen Staatspartei zu unterstützen und gleichzeitig mit dem polnischen Geheimdienst gemeinsame Projekte durchzuführen, obwohl dessen Einstellungen, historisch bedingt, grundsätzlich antideutsch seien. Anders als schizophren ist jene Einstellung nicht zu definieren – vor allem deswegen, weil man hätte annehmen müssen, dass das polnische Innenministerium gegen Stasiaktivitäten agieren würde. Die VRP war ein ebenso totalitäres Land, mit einem ebenso entwickelten Denunziationssystem, intakten Polizeibehörden sowie starken antideutschen Ressentiments in der Gesellschaft.
Alle Probleme des gegenseitigen Verhältnisses wurden bereits zum Ende der Ära Ulbricht klar definiert: Man musste zusammenarbeiten, wollte es aber nicht, was die polnischen Akten eindeutig belegen. Außerdem entwickelten sich beide Sicherheitsressorts spätestens seit der Honecker-Zeit in völlig entgegengesetzte Richtungen. Die Stasi formierte sich als politische Polizei, die geheimdienstliche Funktionen auszuführen hatte. Das polnische Innenministerium hingegen, ständig involviert in Auseinandersetzungen mit der eigenen Gesellschaft, wollte ein Geheimdienst sein, der mitunter auch als politische Polizei agieren musste. Dieser Unterschied, überdeutlich erkennbar seit 1985, sollte das bilaterale Verhältnis beider Institutionen im Jahr 1989 dann entscheidend beeinflussen.
These 2: Die rechtlichen Grundlagen für Kontakte beider Länder, die Beziehungen auf der jeweiligen Ministerebene sowie die internen Stasirichtlinien hinsichtlich der Polenpolitik schränkten das bilaterale Verhältnis beider Geheimdienste zusätzlich ein, statt es zu fördern.
Alles wurde bereits gut geklärt – so lautete die Antwort des polnischen Innenministers, General Czesław Kiszczak, auf die Anfrage Erich Mielkes im Jahr 1982, eine neue Grundsatzvereinbarung mit dem MfS abzuschließen. In einem durchaus arroganten Ton signalisierte der Stasichef 1981, dass er „bereits mehrere Vereinbarungen“ mit den polnischen Ministern abgeschlossen habe, die wohl niemand von ihnen ernst genommen habe. Trotzdem meinte er, mit Rechtlichem alle bisherigen Probleme im Bilateralen lösen zu können.
Zwar waren einige der Beobachtungen Mielkes durchaus korrekt. Man muss sie jedoch ergänzen. Die offiziellen Kontakte zwischen den beiden Ministerien konnten ihre prinzipiellen Konflikte nicht mildern. Ganz im Gegenteil: Sie spiegeln sie nur am besten wider und galten manchmal als Mittel, die laufenden Kontakte zu verbessern oder ihre mangelnde Qualität zu vertuschen. Außerdem wäre es falsch zu behaupten, dass nur die polnische Seite das Offizielle im bilateralen Verhältnis instrumentalisierte.
In der ganzen Geschichte der rechtlichen Vereinbarungen auf Ministerebene gab es zwischen dem MSW und dem MfS nur eine einzige Grundsatzvereinbarung – die von 1974. Bis zu diesem Jahr wurden Notizen, Protokolle, aber auch das Dokument von 1974, mit maximal unpräziser Terminologie gefüllt. Die sogenannte Zusammenarbeit sollte zwar stattfinden. Konkrete Hilfe konnte jedoch nur „ausnahmsweise“, „nur im Rahmen der Möglichkeiten“, „eventuell“ oder „nur in begründeten Fällen“ realisiert werden. Ein periodischer Informationsaustausch wurde ebenso ignoriert wie das Verbot, Informationen des Partners an Dritte weiterzuleiten beziehungsweise seine Bürger als IM nur mit Genehmigung des jeweiligen Dienstes anzuwerben. So verwundert es nicht, dass die Stasi das letzte Sicherheitsministerium des Ostblocks war, dass in Warschau eine Genehmigung erhielt, eine geheime, aber immerhin geduldete Vertretung zu eröffnen. Dies geschah jedoch auch nur deswegen, weil sich das MSW 1980 auf die Einführung des Kriegsrechts vorbereitete, die materielle Unterstützung seitens des MfS benötigte und deswegen entsprechende Konzessionen anbot, etwa in Form der besagten Niederlassung.
Die bilateralen Kontakte auf der Ministerebene mussten aus rein politischen Gründen den schlechten Zustand der zwischenstaatlichen Beziehungen widerspiegeln. Seitens der Stasi wurden sie genutzt, um die polnische Seite permanent zu kritisieren und zu ermahnen. Ab 1985, als klar war, dass die Volksrepublik Polen einen in der DDR nicht annehmbaren Reformweg antrat, wurden VRP-Vertreter auch offen beleidigt beziehungsweise wurde ihnen „Verrat am Sozialismus“ vorgeworfen. Die polnische Seite reagierte darauf durchaus zynisch: Niemand habe die Absicht, wie Mielke 70-seitige Reden zu halten. Niemand brachte auch kaum mit der Realität vereinbare Passagen darüber vor, dass die Lage in der DDR „stabil“ sei. Die polnische innenpolitische Lagedarstellung, vor allem seitens der Vertreter der Auslandsaufklärung, war radikal offen. Um das Verhältnis – zumindest oberflächlich – zu verbessern, erhielten Stasifunktionäre, inklusive Mielke, hohe polnische Auszeichnungen. Man verwendete dabei im protokollarischen Verkehr auch, je nach Bedarf, die beim MfS gern gesehenen Begriffe, etwa „Tschekisten“ . Und immer, das heißt bis 1989, versuchte man taktvoll, aber eindeutig darauf hinzuweisen, dass die ostdeutsche Politik mit dem staatlichen Kollaps der DDR enden müsse.
Die ideologisch geprägte Haltung Mielkes, nach der Polen einzig als existentielle Gefahr für den Sozialismus wahrgenommen werden müsste, bildete den Kern seiner internen, auf Polen bezogenen Befehle. Nicht nur wegen der innenpolitischen Turbulenzen in Polen in den Jahren 1970, 1981 beziehungsweise 1988 leitete er umfassende operative Maßnahmen ein, deren plakativstes Beispiel der angesichts des Kriegsrechts in der VR Polen erlassene Befehl „Besinnung“ ist. Polen wurde dort de facto als Operationsgebiet eingestuft. Als solches wurde es auch Stasiquellen des BND präsentiert. In diesen Befehlen ging es nicht immer um das Erstellen der üblichen Lageanalysen, sondern auch um den umfassenden Einsatz von IM sowie das Eindringen in polnische Regierungseinrichtungen, die Staatspartei, ins Innenministerium sowie, und nicht zuletzt, in die Opposition. Polen wurde spätestens ab 1980 zum Feind erklärt. Und das MfS sollte dazu beitragen, die Volksrepublik wieder auf den sozialistischen Weg zu bringen.
Es kann insofern nicht verwundern, dass auch auf der formell-operativen Ebene bilaterale Kontakte extrem restriktiv behandelt wurden. Begegnungen der hauptamtlichen Mitarbeiter wurden penibel kontrolliert. Es herrschte strikte Geheimhaltung, was die wichtigsten ostdeutschen Ressourcen angeht. Die operative Zusammenarbeit wurde in den Plandokumenten immer an letzter Stelle platziert. Wo sie doch stattfand, wurde sie etwa 1983 von Mielke, bezogen auf den fernmeldetechnischen SIGINT-Bereich , intern wie folgt definiert: Ausdrücklich hat er [Mielke Anm. d. Verf.] bekräftigt, die Konspiration – soweit erforderlich – zu wahren. Geheimhaltung ist auch gegen Freunde zu sichern, damit unsere Interessen nicht geschädigt werden. Technik ist der polnischen Seite nicht anzubieten.
Polnischerseits ging man identisch vor. Je nach Bedarf wurde die offizielle ostdeutsche Korrespondenz ignoriert. Die wichtigsten Zielpersonen wurden in den gemeinsamen Datenbanken nicht erwähnt. Die in der Grundsatzvereinbarung festgeschriebene Kooperation im Kampf gegen NATO-Dienste erwies sich mehrfach als Fiktion. Festgestelle Fälle der nicht genehmigten Anwerbung quittierten die zuständigen Mitarbeiter der polnischen Spionageabwehr mit der Feststellung, dass die Stasi dies weiter betreiben werde. Eine Folge dessen war, dass das MSW 1989, trotz der gültigen Auslieferungsabkommen, einige tausend ostdeutscher Flüchtlinge die Grenze passieren ließ, um die westdeutsche Botschaft in Warschau zu erreichen. Das Eigeninteresse, in diesem Fall die radikale Wende in den Beziehungen zur Bundesrepublik, hatte immer Vorrang vor dem Bilateralen, was auch die operative Seite der sogenannten Zusammenarbeit zeigt.
These 3: Die operative Zusammenarbeit der Auslandsaufklärung und Spionageabwehr war, im Vergleich mit den eigenen Aktivitäten, minimal und ebenso von Konflikten geprägt.
Gemeinsame Vorgänge, etwa mit dem Ziel, Geheimdienste der NATO-Staaten zu bekämpfen, wurden in der nach 1990 verfassten Erinnerungsliteratur ehemaliger hauptamtlicher Stasimitarbeiter mit außergewöhnlich unfreundlichen Kommentaren versehen. Einerseits wurde der polnischen Seite enorme Unprofessionalität vorgeworfen. Andererseits hob man durch die Verwendung ideologischer Sprache eine vermeintliche Kooperation hervor, die sich auf ideologische Grundlagen sowie auf den Internationalismus stützte. In den offiziellen Gesprächen hingegen beschränkte Mielke sich auf die diplomatische, jedoch wenig aussagekräftige Feststellung, dass diese Zusammenarbeit „stabil“ sei. In den 1990er-Jahren wurden in der Fachliteratur Thesen vorgebracht, dass das MSW noch 1988 rund die Hälfte der Informationen aus dem gesamten Milieu der sozialistischen Dienste an das MfS liefert und sogar die HA II der Stasi 40 Prozent der eigenen Anfragen an das MSW schickte.
Im Lichte neuester, vergleichender Recherchen müssen die von Mielke benutzten Attribute ersetzt werden. Die Zusammenarbeit ist eher als „minimal“ denn als „stabil“ zu bezeichnen, es sei denn, dass mit „Stabilität“ die Permanenz von Problemen und Konflikten beschrieben werden sollte. Gemeinsame Vorgänge wurden in einem zweijährigen Rhythmus festgelegt. Man realisierte dabei ungefähr zehn bis 13 Operationen. Ende 1988 war diese Zahl mit neun Vorgängen noch kleiner. Hervorzuheben ist, dass die erwähnten Vorgänge alle sogenannten Linien, das heißt Operationsfelder beziehungsweise konkrete fremde Dienste, beinhalteten. Faktisch wurden alle zwei Jahre zwei, maximal drei gemeinsame Projekte realisiert. Wenn man bedenkt, wie hoch die übliche Zahl der Vorgänge war, die eine typische Abteilung der HA II jährlich zu bearbeiten hatte, nämlich mehr als 200, ist diese quantitative Dimension der Zusammenarbeit als absolut minimal einzuschätzen.
Minimal war auch die Qualität der Zusammenarbeit. Höchstens alle vier Jahre gab es Operationen von gravierender inhaltlicher und nicht nur technischer Relevanz. Es ging dabei um die Vorbereitung und Einschleusung sogenannter Anbieter oder Doppelagenten in fremde Dienste, um die gezielte Desinformation mit fiktiven Militärinformationen, die komplizierte Gewinnung schwerer Militärgeräte im Westen, etwa Leopard-Panzer, oder um gemeinsame Ermittlungen mit dem Ziel, Verräter innerhalb des polnischen diplomatischen Dienstes ausfindig zu machen. Es überwog der Informationsaustausch über westliche Diplomaten, die Koordination von Maßnahmen zur Überwachung von Zielpersonen oder auch den unregelmäßigen Austausch analytischer Berichte. Das alles ließ die Statistik der Kooperation gut aussehen, weil es sich um mehrere hundert Berichte jährlich handelte. Der Großteil hiervon bezog sich jedoch auf Länder, die für beide Ministerien von geringer operativer Relevanz waren.
Jeder gemeinsame Vorgang, obgleich er theoretisch beiden Diensten nutzte, hatte stets das Ziel, die eigenen Interessen zu schützen. Diese waren nur selten deckungsgleich, so etwa im Jahr 1964, als die Geheimdienste Polens und Ostdeutschlands versuchten, sowjetisch-deutsche Annährungsversuche zu unterbinden. Um Hilfe wurde nur dann gebeten, wenn man beispielsweise keine Chance hatte, eigene Offiziere im besonderen Einsatz (OibE) zu retten. Die Stasi verfügte seinerzeit dank eigener Quellen beim BfV über Interna entsprechender bundesdeutscher Vorgänge. Doch genau deswegen wurden polnische Offiziere nicht gewarnt und gerettet: Die eigenen Spitzenquellen waren für das MfS wichtiger als das Schicksal eines vermeintlich verbündeten polnischen hauptamtlichen Mitarbeiters. Ebenso erreichten das MSW Hinweise über getarnte BND-Außenstellen, die sich mit Polen beschäftigen, erst dann, wenn für die Stasi relevante SIGINT-Informationen der Funkaufklärung bereits selbständig gewonnen worden waren. Dies konnte Jahre dauern. Falls man doch gemeinsam genuine Projekte ausführte, etwa westliche Botschaften abhörte, um ihre Verbindungskanäle offenzulegen, wurden die entsprechenden Erkenntnisse zuerst in Ost-Berlin ausgewertet. Erst danach wurde entschieden, was dem polnischen Partner übermittelt werden durfte.
Die polnische Seite verhielt sich ebenso unkooperativ, was zu offiziellen Stasibeschwerden führte, dass zu wenig wertvolle technische Informationen an das MfS geliefert würden. Das Warten auf die Preisgabe geheimer polnischer Operationen in West-Berlin dauerte im Extremfall bis zu zwei Jahre. Während offizieller Begegnungen lehnte es das MSW ab, über eigene operative Ressourcen in der Bundesrepublik zu sprechen. Gelegentlich wurden in der polnischen Fachliteratur auch Fälle dargestellt, bei denen das MSW einen Stasientführungsversuch verhinderte, und zwar mit dem Ziel, die eigenen Beziehungen zur Bonner Regierung nicht zu gefährden. Hinzu kommen publizistische und noch nicht überprüfbare Behauptungen in der Erinnerungsliteratur, dass polnische Überwachungsmaßnahmen, verbunden mit der Tätigkeit von BND-Agenten, durch die Stasi enttarnt worden seien, weil das MfS für Propagandazwecke einen polnischen Staatsbürger in der DDR verhaften und dadurch in den 1980er-Jahren antipolnische Ressentiments in der eigenen Gesellschaft verstärken wollte.
Relativ eng wurde im technischen Sektor zusammengearbeitet, vor allem im Bereich der sogenannten rückwärtigen Dienste. So wurden gemeinsame Schulungen durchgeführt, technisches Gerät gemeinsam erworben. Man führte für den Partner Deckadressen beziehungsweise tote Briefkästen. Polnische Offiziere hielten sich auch in der DDR auf, wo sie als Praktikanten in der Gastronomie oder Handwerker die eigenen Sprachkenntnisse verbessern beziehungsweise Sonderseminare über die BND-Terminologie besuchen konnten. Auch hier war die Wahrung eigener Interessen wichtig: Durch die besagte Kooperation ließen sich enorme Finanzkosten einsparen, was für die polnischen Dienste nicht ohne Bedeutung war.
These 4: Die Kooperation in den für die politisch-polizeiliche Tätigkeit relevanten Bereichen unterschied sich qualitativ und quantitativ nicht von der, die auf die Auslandsaufklärung sowie Spionageabwehr fixiert war.
Theoretisch waren beide Ministerien daran interessiert, die politische Opposition beziehungsweise die katholische Kirche zu bekämpfen, die eigenen Grenzen zu sichern oder die eigenen Bürger wirksamer zu überwachen. Auf solche Elemente verwies etwa auch das anfangs erwähnte Schreiben Wiecks . Tatsächlich konnte man dort, wo keine prinzipiellen Konflikte bestanden, mit der mehr oder weniger reibungslosen Abwicklung der technischen und meistens alltäglichen gemeinsamen Angelegenheiten rechnen. So wurden zum Beispiel Transporte mit geschmuggelter illegaler Literatur beschlagnahmt oder heimlich überwacht, Zielpersonen kontrolliert, dabei vor allem polnische Vertragsarbeiter in der DDR, ostdeutsche Studierende beziehungsweise katholische Pilger in Polen. Man blockierte die illegale oder auch legale Ausreise ostdeutscher/ polnischer Bürger, gewährte der Stasi in Polen die Möglichkeit, die eigenen Bürger zu überwachen. Auch versuchte man, kriminelle Handlungen an der gemeinsamen Grenze zu bekämpfen, vor allem seit den 1970er-Jahren, also seit der Einführung des visafreien Verkehrs zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen.
Quantitativ gesehen konnte die Zusammenarbeit in einigen Fällen als äußerst relevant und sogar aufwendig für das MfS bezeichnet werden. Immerhin lieferte die Stasi 20 Prozent der Ortungsgeräte, mit denen das MSW illegale Solidarność-Sender bekämpfte. Fast 50 hauptamtliche Mitarbeiter waren damit beschäftigt, Pastoralbesuche der wichtigsten polnischen Geistlichen in der DDR operativ zu bearbeiten. Pro Jahr tauschten beide Dienste zwischen 100 und 200 Bitten beziehungsweise Anfragen aus, Personenüberprüfungen durchzuführen. Von großer Bedeutung war aus polnischer Sicht auch direkte Finanzhilfe des MfS, die einige Lieferungen von Technik finanzierte. Denn das MfS verfügte über einen Sonderetat zur Unterstützung der „Befreundeten Organe“. Ohne sie wäre die rein logistische Ausführung und Abwicklung des Kriegsrechts 1981–1983 erheblich schwerer und komplizierter gewesen.
Was war also der Hauptkern der gegenseitigen Konflikte in diesem Bereich? Das MfS, den ideologischen Prinzipien seiner Führung folgend, wollte möglichst alles über Polen erfahren, was dazu führte, dass Grenzkontrollen, Festnahmen polnischer Staatsbürger beziehungsweise die Überwachung der illegalen Verbindungen der polnischen Opposition nicht deswegen betrieben wurden, um mit dem MSW zusammenzuarbeiten, sondern um die eigenen Informationsbedürfnisse zu befriedigen. Mehr noch, man nutzte solche Bereiche wie Grenzübergänge auch dafür, um Mitarbeiter des MSW zu bespitzeln, am intensivsten ab 1980. Hinzu kam die ideologiebedingte Überzeugung Mielkes, der die Auffassung vertrat, dass das MSW die Opposition nicht optimal bekämpfte. Die entsprechende Stasimethode, nämlich die „Zersetzung“, konnte das MfS nie mit der durchaus pragmatischen Logik des MSW vereinbaren, immer eine flexible Kombination der Arbeitsmethoden anzuwenden. Im Fall etwa der erwähnten Zeitarbeiter wurden die dort tätigen katholischen Priester deswegen toleriert, weil sie besser dazu beitragen konnten, etwa das Problem des Alkoholismus zu verringern.
Die formell gemeinsame Bekämpfung der „inneren Feinde“ war im Grunde nichts anderes als die Eröffnung des klassischen Kampfes gegeneinander, wobei die flächendeckenden Überwachungsmaßnahmen des MfS unabsichtlich gute Möglichkeiten für die polnische Spionageabwehr eröffneten. Dies musste sogar die Stasi selbst zugeben. Eine nur kleine Abweichung bei der prinzipiell restriktiven Grenzkontrolle der DDR weckte beim MSW das Misstrauen, dass der polnische Betroffene ein IM des MfS sein könnte. Trotz der grundsätzlichen Missachtung für den Geheimdienst meldeten polnische Staatsbürger in der VRP oder in den jeweiligen Botschaften regelmäßig sowohl ostdeutsche Anwerbungsversuche als auch detaillierte Informationen über Befragungen während Festnahmen, aus denen eindeutig hervorging, dass die dort gestellten Fragen nichts mit dem jeweiligen Delikt zu tun hatten und eindeutig nachrichtendienstlichen Charakters waren. Schließlich hatten die konkreten Operationen mit IM-Einsatz kaum relevante Bedeutung für die reale Bekämpfung der polnischen Solidarność. Deutlich öfter hingegen führte jene Zusammenarbeit zu einer Fülle „grotesker“ Vorkommnisse, die eher mit der Wirtschaftslage der Volksrepublik Polen zu tun hatten und den ohnehin schlechten Ruf des MSW in der DDR noch verschlechterten. So musste etwa das MfS während der geplanten Beobachtung der Posener Messe erfahren, dass es eine Warteliste für Abhörgeräte gab.
These 5: Die offensive Aufklärung des MfS gegenüber Polen zeugte von seiner ideologischen sowie wenig professionellen Arbeitsweise.
Die Auseinandersetzung um die offensiven Maßnahmen des MfS gegenüber Polen war des Öfteren ein Bestandteil publizistisch-politischer Fachdebatten seit 1989. Dabei wurden im Laufe der Zeit diverse und nicht immer quellengestützte Zahlen der angeblichen Stasi-IM in Polen genannt, die zwischen 200 und sogar 1.500 oszillierten. Die Recherchen des Verfassers führten zu dem Ergebnis, diese Zahl auf rund 100 zu verringern, weil sich nicht alle auf Polen fokussierten IM tatsächlich mit der VRP beschäftigten.
Die Ursprünge der Aufklärungsarbeit des MfS im östlichen Nachbarland waren mit der bereits erwähnten Besorgnis der SED verbunden, dass die regelmäßigen Proteste in Polen eine Kettenreaktion auch in Ostdeutschland auslösen könnten. Dies trug etwa dazu bei, die gemeinsame Grenze von 1980 bis 1989 de facto zu schließen. Spätestens seit 1970 fühlte sich die Stasispitze vom MSW über das Ausmaß des damaligen Dezemberaufstandes unzureichend informiert. Dementsprechend mussten weitere Proteste in Polen mit eigenen Maßnahmen überwacht werden.
Dieses, zumindest mit der Theorie der Aufklärung übereinstimmende Verhalten, trug jedoch nicht dazu bei, im Operativen die entsprechende Professionalität zu gewährleisten. Vor allem ab 1980 versuchte man hektisch neue Quellen anzuwerben, dabei nicht wahrnehmend, dass die polnische Spionageabwehr dies merken musste. Es fehlten – auch in der Warschauer Stasiniederlassung selbst – nicht nur polnische Sprachkenntnisse, sondern auch die Bereitschaft, den politischen Entscheidungsträgern ein objektives Lagebild über Polen zu präsentieren. Zwar lieferten ostdeutsche Diplomaten, Reisende oder auch am Rande der Solidarność installierte IM überaus interessantes Rohmaterial. Dieses wurde jedoch nicht optimal genutzt. Größere Bedeutung wurde nicht nur kommentararmen Berichten oder solchen beigemessenen, die nur das vorstellten, was die Stasi-/SED-Spitze zu sehen bekommen sollte. In den entsprechenden Meldungen mehrten sich belanglose Fakten. Vor allem wurde die Parteipresse zitiert. Gesprächspartner der Stasioffiziere in Warschau waren vor allem konservative Parteimitglieder. Wochenberichte waren, im Vergleich zu den bereits freigegebenen ähnlichen Unterlagen der westlichen Regierungseinrichtungen oder den Berichten der polnischen Aufklärung über die DDR, äußerst umfangreich und in einer extrem ideologisierten Sprache verfasst.
Die polenbezogene Stasiberichterstattung hatte ein klares Ziel: Sie sollte vorab angenommene Thesen belegen, dass in Polen grundsätzlich eine Konterrevolution herrsche und die dortige Staatspartei nicht in der Lage sei, jene zu bekämpfen. Dies erwies sich als einer der größten Fehler aus Sicht des nachrichtendienstlichen Handelns. Zwar verfügte die ostdeutsche Auslandsaufklärung über das wahre und objektive Bild der Volksrepublik Polen. Die DDR-Spitze jedoch lehnte dieses ab. Dies gaben HVA-Mitarbeiter ihren polnischen Pendants gegenüber sogar zu, verbunden mit der Bemerkung, dass eine solche Haltung grundsätzlich mit einer schweren politischen Krise in der DDR enden müsste.
Die polnische Seite ging mit den ostdeutschen Maßnahmen vierdimensional um. Erstens, im Gegensatz zur Situationen in Ost-Berlin, wo die polnischen Aufklärer offiziell keine Stasi-Berichte bekommen durften, schickte das MSW regelmäßig eigene Tagesinformationen an die Stasivertretung, was dazu beitrug, die analytische Stasiarbeit zu beeinflussen. Zweitens war man sich innerhalb des polnischen Ministeriums sowie an der Regierungsspitze dessen bewusst, dass die Stasi offensiv gegen Polen arbeiten wollte. Es wurden also entsprechende verwaltungstechnische Gegenmaßnahmen vorgeschlagen. Stasimitarbeiter wurden in Polen heimlich überwacht, ebenso ihre Agenten. Es sind auch Fälle in den Archivbeständen über Doppelagenten zu finden, also Personen die offiziell fürs MfS aber auch inoffiziell fürs MSW tätig waren. Drittens wurde die Stasiniederlassung, wie alle anderen Botschaften, seitens der Spionageabwehr operativ bearbeitet, was half, Versuche von Stasianwerbungen festzustellen. Viertens wurden im Falle einer aktiven, operativen Tätigkeit des MfS radikale Schritte unternommen, wie der Einsatz von Doppelagenten, Einbrüche in Wohnungen, in denen vermeintlich Stasi-Tonbänder mit abgehörten Gesprächen aufbewahrt wurden, ferner die gezielte personelle Überwachung der Werbungsoffiziere des MfS in Polen sowie offizielle Warngespräche immer dann, wenn ein nicht genehmigter Einsatz eines ostdeutschen IM in Solidarność-Nähe festgestellt wurde. Die operative Arbeit des MfS in Polen wurde zwar bis zur Friedlichen Revolution 1989 geführt, sie wurde aufgrund der innenpolitischen Entwicklung Ostdeutschlands jedoch immer schwächer.
These 6: Die Stasiarbeit in- und außerhalb Deutschlands war für das polnische MSW ein Beispiel dafür, wie man sich nicht mit der nachrichtendienstlichen Bearbeitung der Lage Ostdeutschlands beschäftigen sollte.
Die Prinzipien der operativen Arbeit des MSW in der DDR standen im Gegensatz zum Operieren der Stasi in Polen. Mit Deutschland als Ganzem befasste sich die Auslandsaufklärung, also die Elite des Geheimdienstes. Jene Elite wollte vor allem die Umgebung Polens verstehen und die daraus abgeleitete Analyse offen, ehrlich und ohne Illusionen der eigenen politischen Führung präsentieren. Man nutzte eine relativ kleine Zahl von 50 Informanten vor allem dafür, die allgemeine Stimmung in der Gesellschaft in Erfahrung zu bringen. Die daraus resultierenden Berichte waren sehr kurz, sachlich und ideologiefrei. Statt Parteipresse zu zitieren, versuchte man, inkognito interne Parteiversammlungen zu besuchen oder Vertreter der Opposition zu befragen, ohne sie dabei als Quellen einzustufen.
Die Empfänger der daraus entstandenen Berichte erhielten eine klare Nachricht: Man musste mit der Wiedervereinigung rechnen. Die ostdeutsche Gesellschaft würde sie unterstützen. Bereits in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre wurde die Bedeutung der Opposition hervorgehoben, die eine unvermeidbare Wende herbeiführen könnte, dann jedoch keine relevante Rolle innehaben würde. Die Stasi wiederum hatte keine Chance, die Politik der polnischen Führung zu beeinflussen. Nicht nur wegen der Ablehnung der Reformpolitik der UdSSR ab 1985 durch die SED-Spitze. Ebenso wichtig war die Tatsache, dass die Einführung des Kriegsrechts in Polen mit einer Entlassungswelle, wenn nicht gar mit einer Säuberung einherging. Sie trug dazu bei, vor allem diejenigen aus den politischen Ämtern zu entfernen, die enge Kontakte beispielsweise zur DDR-Botschaft unterhielten.
War eine solche Berichterstattung beziehungsweise Arbeitsweise beim MfS möglich? Nein. Der eingangs zitierte BND-Chef Wieck wies darauf hin, dass dazu vor allem die zu lange Amtszeit der ranghöchsten Stasifunktionäre beitrug. Dabei muss auch ein anderer Umstand genannt werden, nämlich der, dass das MSW ständig mit politischen Turbulenzen konfrontiert war, wodurch es mittelfristig entideologisiert wurde und so fähig war, 1989 mit der Opposition zu verhandeln. Das war in der DDR nicht der Fall. So war der seit 1980 amtierende polnische Innenminister, General Kiszczak, noch im Amt, als Mielke bereits im Gefängnis saß – und zwar als Mitglied der ersten nichtkommunistischen Regierung Polens.
Und die vermeintliche Freundschaft? Auch nach dem Mauerfall existierte sie nicht.
Zitierweise: Tytus Jaskulewski, „Polen als Feind“, www.bpb.de/564200, Deutschlandarchiv vom 30.7.2025. Alle veröffentlichten Beiträge im Deutschlandarchiv sind Recherchen und Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar und dienen als Mosaikstein zur Erschließung von Zeitgeschichte. (hk)
Ergänzende Beiträge:
Basil Kerski, Marek Prawda u.a.m., Interner Link: Die Macht der leisen Mutigen. Eine Würdigung des DDR-Bürgerrechtlers Ludwig Mehlhorn, der Brücken aus der DDR zur Solidarnosc baute. DA vom 22.5.2025.
Basil Kerski, Interner Link: „Und die Mauern werden fallen und die alte Welt begraben“, Eine Stimme aus Polen zum Mauerfall vor 35 Jahren. DA vom 9.11.2024.
Stasi, was war das? Interner Link: bpb-Stasi-Dossier.