Positionen einer europäischen Erinnerungspolitik
Geschichtsbilder in den postdiktatorischen Ländern Europas

Die vergleichende Beschäftigung mit den imperialen Visionen im Zarenreich und in der Sowjetunion gehört, wie Lars Karl auch in seinem ausgiebigen Anmerkungsapparat nachweist, vor allem in der nordamerikanischen Russland-Forschung zu den beliebtesten Themen. Im Fokus seiner Untersuchung stehen "Heldendichter", die in der russischen und in einzelnen nationalen Kulturen des imperialen Reiches so lange umfunktioniert wurden, bis sie zu Sinnbildern staatlicher, symbolisch aufgeblasener Inszenierungen wurden. Das spannendste Ergebnis in Novikovas Studie ist die Instrumentalisierung der Stalin-Verbrechen durch die neue politische Elite unter Vladimir Putin, indem die traumatische Vergangenheit durch eine moralische Haltung aufgehoben werde, die in eine nationale Versöhnungsorgie münden soll. Gegen diese von oben angeordnete Narrative kann sich, wie Elena Müller in ihrer Studie zeigt, inoffizielle Geschichtsschreibung nur marginal durchsetzen, ohne sich im Massenbewusstsein diskursiv festsetzen zu können. Zu nennen ist auch, ohne die anderen, nicht weniger substantiellen Beiträge in den Hintergrund zu stellen, der umfangreiche, mit vielen Quellennachweisen versehene Beitrag von Petrescu/Petrescu über den intensiven repressiven Charakter des Ceauşescu-Regimes, der nach 1990 eine "Amnestie unmöglich und die Amnesie nicht erwünscht machte" (155).