Antikommunismus zwischen Wissenschaft und politischer Bildung
Bundeszentrale für Heimatdienst und Ostkolleg
Eine inhaltsanalytisch orientierte Betrachtung zeigt, dass sich die Bundeszentrale für Heimatdienst (ab 1963: Bundeszentrale für politische Bildung) und das Ostkolleg schon in ihrem Gründungsjahrzehnt mit zielgruppenspezifischen Publikationen und Seminaren für "Bildungseliten", die durch ein autonomes wissenschaftliches Leitungsgremium konzipiert wurden, überwiegend substanziell und argumentativ mit Theorie und Praxis des internationalen Kommunismus auseinandergesetzt haben.Einleitung: Antikommunismus als Teil der westdeutschen Mentalitätsgeschichte
Ein Rückblick auf die Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik in den 1950er-Jahren zeigt eine eigentümliche Verschränkung zwischen den Ansätzen einer demokratischen Bewusstseinsbildung und einer antitotalitären Grundhaltung, die sich weniger auf die NS-Diktatur bezieht, in der man eigene Verstrickungen nur zu gern unter dem Rubrum einer "Unschuldsgemeinschaft"[1] zu verdrängen trachtete, als auf den Systemantagonismus zu den sowjetkommunistischen Regimen, der im Nachkriegsdeutschland seine Manifestation in einem ostdeutschen Konkurrenzstaat gefunden hatte, einem "Staat, der nicht sein darf"[2]. Der Antikommunismus wurde daher zu einem grundlegenden Integrationsfaktor für die Entwicklung des politischen Selbstverständnisses der westdeutschen Gesellschaft.Diese Einsicht ist allerdings zu pauschal, um die Mentalitätsgeschichte der frühen Bundesrepublik angemessen zu erfassen. Denn sie verdeckt, dass sich im Westen Deutschlands unterschiedliche Ausprägungen des Antikommunismus nachweisen lassen, die bei einer Analyse von Genese und Erscheinungsformen antikommunistischer Denk- und politischer Verhaltensmuster analytisch und systematisch differenziert werden müssen.
Grundlegend lassen sich propagandistischer und rationaler Antikommunismus unterscheiden. Während der als propagandistisch bezeichnete, appellativ und emotional aufgeladene Antikommunismus funktionalisiert wird, um das Demokratiekonzept ex negativo zu legitimieren, ist der rationale Antikommunismus dadurch gekennzeichnet, dass er sich mit Theorie und Praxis des Kommunismus substanziell (tatsachengestützt) und argumentativ auseinandersetzt. In einem Zwischenbereich lässt sich verorten, was als empirischer Antikommunismus bezeichnet werden kann und vor allem auf den Berichten von Zeitzeugen beruht, die ein breites Spektrum zwischen emotionaler Betroffenheit und nüchterner Erkenntnis aufweisen. Und schließlich ist bei der Analyse von Erscheinungsformen des Antikommunismus zu berücksichtigen, an welche Zielgruppen er gerichtet ist und welchen praktischen Zwecken er jeweils dient, etwa in der Auseinandersetzung mit innenpolitischen Konkurrenten, insbesondere im Kontext von Wahlkämpfen.
In diesem Beitrag steht die Frage im Mittelpunkt, inwieweit zwei wichtige Institutionen der politischen Bildung in der Bundesrepublik, die Bundeszentrale für Heimatdienst und das Ostkolleg, dem selbstgesetzten Auftrag einer wertorientierten und zugleich wissenschaftlich begründeten Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis des internationalen Kommunismus in ihrer Gründungsperiode gerecht geworden sind.[3] Untersucht wird, welche personellen Konstellationen und konzeptionellen Ansätze die Ausbildung von Organisationsstrukturen bestimmt haben; exemplarisch wird zudem dargestellt, wie konkrete Maßnahmen und Projekte einer bundesweit operierenden politischen Bildung gestaltet waren, die aus der intellektuellen Herausforderung der Theorie des Marxismus und der politischen Systemkonkurrenz mit dem Sowjetkommunismus resultieren.