Die Leipziger Buchmesse, die Börsenvereine und der Mauerbau
Die Zeit vor und nach dem Mauerbau zeigte, wie sehr die Messe der DDR vom Gang der Deutschlandpolitik abhing. In welchem Maße diese Politik sich auf eine Branche und deren Wirtschaftsverbände übertrug und welche Spielräume Unternehmen dennoch nutzten, illustriert das Beispiel der Leipziger Buchmesse."Wir Verleger und Buchhändler der Deutschen Demokratischen Republik, im Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig, begrüßen und unterstützen […] von ganzem Herzen die Maßnahmen unserer Regierung zur Sicherung der Staatsgrenze in Berlin".[1] Diese Verlautbarung beschloss die Branchenvereinigung des ostdeutschen Buchwesens auf der Mitgliederversammlung während der Leipziger Buchmesse, die nur drei Wochen nach dem Bau der Berliner Mauer stattfand. Die Botschaft richtete sich nicht nur als Affirmation nach innen, sondern vor allem nach außen an die westdeutschen Buchhandelsfirmen und vor allem an deren Börsenverein. Will man die Auswirkungen des Mauerbaus auf die Leipziger Buchmesse darstellen, gehört das Verstehen dieser Ausgangslage dazu; denn seit der Spaltung des Buchhandels nach dem Zweiten Weltkrieg in einen ostdeutschen und einen westdeutschen Teil, in einen Leipziger und einen Frankfurter Börsenverein haben wir es mit "asymmetrisch verflochtener Parallelgeschichte" (Christoph Kleßmann) zu tun. Auf welchen Terrains sich beide Seiten bewegten, welche Formen der Abgrenzung und Kooperation dabei zu beobachten waren, trat eindrucksvoll während der Leipziger Buchmesse zutage, die eine einzigartige Arena für diese Verflechtung bot.


Vorgeschichte: Die deutsch-deutschen Buchhandelsbeziehungen auf der Messe
Obwohl das Berliner Abkommen zwischen der Bundesrepublik und der DDR den Weg für offizielle Handelskontakte im Verlagsbereich schon Anfang der 1950er-Jahre geebnet hatte, zeichnete sich erst in der Mitte des Jahrzehnts ein Ausstellerzuwachs aus Westdeutschland auf der Buchmesse ab: 1954 waren es zunächst acht Firmen, 1960 schließlich rund 20. Bis dahin bildete die Präsenz der Kommissionäre das wichtigste Bindeglied im verschärften Kalten Krieg. Dabei handelte es sich um auf den Interzonenhandel spezialisierte Firmen, die jeweils mehrere Unteraussteller präsentierten. Der mächtigste Partner darunter war KAWE, der auf rund 100 Quadratmetern bis zu 200 Verlage vertrat und mit dem Buchexport Geschäfte in Höhe von einer Million DM allein mit Sortimentsexport machte.Der Ausstellerzuwachs in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre stand in Verbindung mit der kulturpolitischen Öffnung gen Westen und mit der "gesamtdeutschen Arbeit", die die staatliche Literaturbehörde mithilfe des Börsenvereins forcierte. Damit gelang es, zahlreiche renommierte westdeutsche Wissenschafts- und Fachverlage wie De Gruyter, Springer und Langenscheidt als regelmäßige Einzelaussteller zu gewinnen. Einen besonderen Erfolg verbuchten die Messeorganisatoren 1958 mit dem Besuch Ernst Rowohlts, der nicht nur eine überaus bekannte Verlegerpersönlichkeit war, sondern auch dem westdeutschen Börsenverein mit Skepsis gegenübertrat.
Ende der 1950er-Jahre schwächten das Ende des "Tauwetters" und die Ideologische Offensive der SED auf dem Gebiet der Kultur das rege Engagement der westdeutschen Aussteller vorübergehend. Sie blieben wegen des unerträglich politisch aufgeladenen Klimas der Buchmesse fern. Die Vertreter der Verlage wurden zu allen Gelegenheiten in politische Gespräche hineingezogen, sodass kaum mehr Personal für Leipzig gefunden werden konnte. Solches Verhalten auf DDR-Seite vergiftete die Atmosphäre und stellte eine Beteiligung des bundesdeutschen Buchhandels an der Leipziger Messe in Frage.
Hinzu kam die Drosselung des Literaturbezugs aus der Bundesrepublik, die den westdeutschen Verlagen und dem dortigen Börsenverein ernsthafte Sorgen bereitete.[2] Denn inzwischen verfolgte die DDR eine ideologisch und wirtschaftlich begründete Autarkiepolitik. Die "Störfreimachung" betraf im Buchsektor vor allem die Belletristik, aber auch der Import von Fachliteratur verringerte sich deutlich.[3] Auf einer Messe sandte man damit kein positives Signal bezüglich der Handelsbereitschaft.
Für den Buchhandel kann nicht bestätigt werden, was für den innerdeutschen Handel im Allgemeinen angenommen wird, nämlich dass sich seine Rahmenbedingungen Ende der 1950er-Jahre grundlegend von einem "emotionalisierten, politisch aufgeladenen Handlungsfeld zu einem nüchternem Forum deutsch-deutscher Kontakte"[4] änderten. Das hatte vor allem mit dem vergifteten Klima zwischen beiden Börsenvereinen zu tun, wobei die Teilnahme der DDR-Verlage an der Frankfurter Messe permanent für Konflikte sorgte. So steigerte sich die ideologische Angriffslust im Osten noch, als den DDR-Verlagen das Ausstellen unter dieser Bezeichnung auf der Messe am Main 1959 verwehrt wurde.
Das Gerangel um die Messepräsenz des Ostens in Frankfurt hatte eine Vorgeschichte:[5] Der westdeutsche Börsenverein, in dessen Regie die Frankfurter Buchmesse stattfand, verwehrte den DDR-Verlagen bereits seit Anfang der 1950er-Jahre die Teilnahme aus Nichtanerkennungsgründen. Besonders für seine Mitglieder, die zu den enteigneten Verlegern zählten, wäre es eine Kränkung gewesen, einen Stand neben ihren im Osten verbliebenen Firmen zu haben. Deswegen trat die Branchenvereinigung für die Interessen der alten Leipziger Verleger auch im Rahmen ihrer Messepolitik ein. Für die DDR war ein Ausschluss in Frankfurt dagegen untragbar, weil dies an ihrem Souveränitätsanspruch rüttelte und sich negativ auf die ökonomische Bilanz auswirkte. Im Gegenzug setzte die ostdeutsche Seite die Leipziger Buchmesse ebenfalls als Druckmittel ein: Als die West-Verlage beantragten, ihre Fläche im Hansahaus im Frühjahr 1956 zu erweitern, lehnte die Literaturbehörde dies wegen der "Einengung" der DDR in Frankfurt ab.
Erst ab 1958 tolerierte der Frankfurter Börsenverein nach zähen Verhandlungen schließlich mit gewissen Einschränkungen eine unmittelbare und selbstständige Ausstellung von Ost-Verlagen auf seiner Messe. Allerdings war die DDR nicht mit der Bezeichnung "Bücher aus dem innerdeutschen Handel" zufrieden. Deswegen kam es im Jahr darauf zum Eklat, der damit endete, dass die ostdeutschen Verlage ihre Ausstellung vorzeitig abbrachen. Bis 1967 ein erneuter Vorfall für Furore sorgte, stellten die DDR-Firmen schließlich unter ihren Verlagsnamen aus – eine für beide Seiten mehr oder weniger praktikable Lösung. Die Starre des Frankfurter Börsenvereins war trotzdem allzu deutlich erkennbar. Im Gegensatz zu den sich ab 1962/63 verändernden internationalen und nationalen Rahmenbedingungen des deutsch-deutschen Handels erwies sich der Verband bis in die späten 1960er-Jahre als unzeitgemäß konservativ, was sich nicht zuletzt darin ausdrückte, dass sein Vorsteher offizielle Kontakte oder Zusammentreffen noch immer ablehnte, um damit nicht staatliche Anerkennung zu signalisieren.[6]