Neues über die einstige Ost-CDU
Gerald Götting trug als langjähriger Vorsitzender der CDU in der DDR wesentliche Verantwortung für die Gleichschaltung von "Unionsfreunden". Die begann bereits unter sowjetischer Besatzung, als die bürgerliche Partei unter Druck wie auch zuweilen willfährigem Entgegenkommen einiger Funktionäre zu einem "Transmissionsriemen" kommunistischer Politik umgestaltet wurde.Neues über die Ost-CDU
Sammelrezension zu:
Peter Joachim Lapp: Gerald Götting. Eine politische Biografie, Aachen: Helios 2011, 250 S., € 24,90, ISBN: 9783869330518.
Christian Schwießelmann: Die CDU in Mecklenburg und Vorpommern 1945 bis 1952. Von der Gründung bis Auflösung des Landesverbandes. Eine parteiengeschichtliche Darstellung (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte; 58), Düsseldorf: Droste 2010, 516 S., € 49,–, ISBN: 9783770019090.
"Eine politische Biografie"
Gerald Götting, seit 1949 Generalsekretär und von 1966 bis 1989 Vorsitzender der DDR-CDU, konnte seine Erinnerungen aus gesundheitlichen Gründen nicht selber schreiben und überließ sein umfangreiches Privatarchiv dem Publizisten Peter Joachim Lapp, der mit Hilfe vieler weiterer Unterlagen und mancher Zeitzeugen die vorliegende Biografie verfasste. Das Schwergewicht liegt dabei auf einer eingehenderen Darstellung des politischen Denkens und Handelns jenes Mannes, der zu den ersten Köpfen in der zweiten Reihe des DDR-Systems gehörte.
Die Propagierung der alten christlichen Werte ließ ihn 1946 CDU-Mitglied werden und bald Karriere machen. Aussagen von Vertretern der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD), die äußerst deutlich ihre Macht demonstrierten, waren für sein weiteres Verhalten prägend; offen schrieb Götting in sein Tagebuch, dass Oberst Sergej I. Tjulpanow von der SMAD "als eigentlicher Chef der Ost-CDU über die Arbeit der CDU letztlich bestimmte". Angeblich traf er 1947 mit Konrad Adenauer zusammen, der ihn aufgefordert haben soll, die Tätigkeit der CDU in der sowjetischen Besatzungszone so lange wie möglich, bis zum Verbot durch die Sowjets fortzusetzen – was keineswegs unmöglich scheint. Ohnehin in der Überzeugung, dem Sozialismus gehöre die Zukunft, war Götting einer der eifrigsten Befürworter, die Partei dem Sowjetblock zuzuordnen.
Zu Recht glaubte Götting, dass die SED niemals freie Wahlen zulassen werde, und stimmte 1950 den Einheitswahlen zu; der Gedanke, wie diese dem wahren Volkswillen entsprechen konnten, um die Staatsmacht zu legitimieren, berührte ihn nicht. Natürlich sah er die politischen Häftlinge, bewertete die Toten an der Mauer als "schwerste Belastung der DDR", doch zog Götting keinerlei Konsequenzen. Im Oktober 1989 gingen manche hohen CDU-Funktionäre auf Distanz zu ihm. Der bekannte "Brief aus Weimar" sollte – so glaubte Götting – auf Veranlassung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) seinen Sturz herbeiführen. Nach Ansicht Lapps eine Dolchstoßlegende.
Zutreffend ist, dass das MfS ihm – wie generell der CDU – misstraute und ihn in jeder Weise überwachte. Götting wiederum war seit 1950 zur offiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS verpflichtet; zur Frage, ob er einzelne Mitglieder denunzierte, gibt es nirgendwo einen Hinweis. Gewiss half er, christliche Werte in der atheistischen DDR zu bewahren, und in Einzelfällen auch bedrängten Menschen, doch ändert dies kaum etwas an der Feststellung des Autors: Götting hat die DDR-Diktatur mitverantwortet und wurde damit mitschuldig. Ein System, das keine freien Wahlen zulässt, Menschenrechte verletzt, Zehntausende aus politischen Gründen inhaftiert und fliehende Untertanen an seinen Grenzen tötet, kann keine Ordnung sein, der ein Christ in führender Position dienen kann. Als christlicher Demokrat und Humanist, wie Götting sich sah, wäre er gut beraten gewesen, sich dem DDR-Regime zu entziehen. Möglichkeiten dazu hatte er jederzeit.