Der Bildersturm
Aufstieg und Fall der ersten Wehrmachtsausstellung
Die "Wehrmachtsausstellung", die in den Jahren 1995 bis 1999 in Deutschland und Österreich gezeigt wurde, löste – trotz (oder dank) der gravierenden Fehler – Emotionen aus, die ohne Beispiel in der deutschen Nachkriegsgeschichte waren. Ein Beitrag zur Rezeptionsgeschichte.Einleitung

Die Überprüfung dauerte mehrere Monate und erschütterte Reemtsma sichtbar, denn die sachlichen Mängel, Fehler und Manipulationen waren zahlreich und gravierend. So hatten die Ausstellungsmacher mehrere Dutzend Bilder mit "abweichenden Bildlegenden" (mindestens 45) versehen, das heißt mit selbst erfundenen und dazu auch falschen. Sie hatten mehrere Fotos, die jeweils verschiedene Ereignisse zeigten, zu Bildgeschichten/"Bildfolgen" montiert, die sie dann vielfach mit einheitlichen und falschen Bildlegenden versahen, wodurch "dramatische Effekte erzielt" und "das Geschehen visuell dramatisiert" wurde. Es gab mindestens 16 solche Bildgeschichten in der Ausstellung.
Ferner präsentierten die Aussteller Fotos zum selben Tatkomplex in verschiedenen Zusammenhängen und mit verschiedenen Begleittexten. Sie führten erpresste "Geständnisse" und andere zweifelhafte Dokumente als glaubwürdige Quellen an. Hinzu kamen besonders aussagekräftige Fotos, die Leichenberge zeigten, welche jedoch nicht Verbrechen der Wehrmacht dokumentierten, wie die Aussteller behaupteten, sondern sowjetische. In mindestens zwei Fällen verwechselten die Aussteller finnische Soldaten mit deutschen und vieles mehr.[1]
Die Beseitigung und Korrektur all dieser Mängel, Fehler und Manipulationen hätte die Ausstellung bis zur Unkenntlichkeit verändert. Jan Philipp Reemtsma stellte am 23. November 2001 fest, dass "weitreichende Eingriffe in Argumentationsweise und Ästhetik der alten Ausstellung nötig" wären, um die bestätigten Kritikpunkte zu berücksichtigten, so "daß gleichsam von selbst eine Transformation in eine neue stattfände."[2] Es verwundert daher nicht, dass er sich entschlossen hatte, die Wehrmachtsausstellung endgültig zu schließen und zugleich ihren Leiter, Hannes Heer, zu entlassen. An ihrer Stelle wurde eine neue Ausstellung von anderen Mitarbeitern des Hamburger Instituts konzipiert und gezeigt, die außer wenigen Bildern nichts mit der alten gemeinsam hatte. Der Titel lautete nun: "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944.".[3]
Gleichwohl reduzieren manche Befürworter der alten Ausstellung bis heute die zahlreichen Fehler auf einige wenige Fotos, die nicht korrekt zugeordnet worden seien. Die offenkundigen Manipulationen übergehen sie.[4] So lebt der Mythos der "wissenschaftlichen" Wehrmachtsausstellung weiter.
Trotz (oder dank) ihrer gravierenden Mängel war und ist die (erste) Wehrmachtsausstellung hinsichtlich der Emotionen, die sie auslöste, ohne Beispiel in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Es stellt sich nun die Frage, welche Faktoren dieses Interesse und diese Emotionen hervorgerufen haben mögen. Nicht wenige haben noch während des Bestehens der Ausstellung danach gefragt. Damals überwog die Auffassung, dass die Ausstellung ein Tabu gebrochen und die Legende von der "sauberen" Wehrmacht zerstört habe. Dies habe heftige und emotionale Abwehrreaktionen von Betroffenen, Hunderttausender noch lebender ehemaliger Soldaten, ausgelöst, die mit ihrer "Lebenslüge" von der "sauberen" Wehrmacht konfrontiert worden seien. Sie hätten die Ergebnisse der historischen Forschung, die in der Ausstellung präsentiert worden seien, nicht akzeptieren wollen.[5] Hannes Heer, der Leiter der Ausstellung, meinte, dass "da eine längst vernarbte Wunde wieder" aufgebrochen sei.[6] Auf der anderen Seite, so die Deutung, seien es die Angehörigen der jüngeren Generation gewesen, die einfach wissen wollten, wie der Krieg der Wehrmacht wirklich gewesen und was ihnen bislang vorenthalten worden sei.
Diese Deutungen gingen von der Prämisse aus, die Ausstellung präsentiere gesicherte wissenschaftliche Forschungsergebnisse und sei "faktentreu" gewesen. Helmut Konrad, ein Grazer Zeithistoriker, erklärte im Jahre 1997 laut Zeitungsberichten: "Alle Zeithistoriker mit Lehrstuhl stehen der Ausstellung positiv gegenüber und bescheinigen ihr wissenschaftliche Seriosität in der Bearbeitung des Themas." Und er führte weiter aus, "die Schau sei sorgfältig und sauber gearbeitet und sicher mit weniger Fehlern behaftet als praktisch jede andere historische Ausstellung."[7]
Dies war aber falsch, wie sich später herausstellen sollte. Insofern gingen die erwähnten Erklärungsansätze an den Tatsachen vorbei. Folglich müssen die Ursachen für den außergewöhnlichen Erfolg der Ausstellung woanders gesucht werden. Sie lassen sich auch nicht monokausal erklären. Vielmehr handelt es sich um ein Bündel von sich gegenseitig bedingenden Ursachen, Umständen und Elementen: das gesellschaftspolitische Klima (der geschichtspolitische Ort), der mediale Kontext, der Umgang der Aussteller mit der Öffentlichkeit sowie die Politisierung der Ausstellung und Polarisierung der öffentlichen Meinung.