"Keinerlei Textverständlichkeit" – "Keyboard oft nicht rhythmisch"
Staatliche Einstufungspraxis in der späten DDR am Beispiel von Punk- und New-Wave-Bands
Florian Lipp
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Die DDR-Kulturpolitik bewegte sich in einem Spannungsfeld zwischen Liberalisierungstendenzen, die der Befriedigung popkultureller Bedürfnisse der Menschen dienen sollten, und dem allgegenwärtigen Kontrollzwang eines umfassenden Partei- und Staatsapparates. Florian Lipp zeigt, wie widersprüchlich dieses Spannungsfeld durch die Einstufungskommissionen für Amateurkünstler gehandhabt wurde.
Freizeitkulturelle Angebote an Jugendliche waren über die gesamte Zeit der DDR hinweg Gegenstand staatlicher Machtausübung. Dies trifft in besonderem Maße auf die Rockmusik zu, die von den Machthabern oft als Ausdruck westlicher Dekadenz und als potenzielles Einfallstor der gegnerischen Einflussnahme auf die Jugend wahrgenommen wurde. Nach dem kulturpolitischen "Zick-Zack-Kurs" der 1960er Jahre lassen sich mit dem Machtantritt Erich Honeckers 1971 Liberalisierungstendenzen ausmachen, deren Ursachen vorwiegend in der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" zu suchen sind.
Das SED-Regime versuchte nun in verstärktem Maße, auch Konsumwünsche der Jugendlichen nach Tonträgern, Radiosendungen, Konzerten und Partys zu befriedigen. Damit stand der Herrschaftsapparat vor dem Problem, Formen westlicher Popkultur, die letztlich nach liberalen Marktmechanismen funktionierten, in ein planwirtschaftliches Subventionssystem zu überführen. Indem der Parteistaat versuchte, dieses konfliktträchtige Feld in seine Organisationsstruktur zu integrieren, lief er gleichzeitig Gefahr, Adressat jeglicher Erwartungen und auch der darauffolgenden Unzufriedenheit zu werden. Die Konfliktlinien verliefen hierbei nicht mehr nur zwischen Jugendlichen, Musikerinnen und Musikern auf der einen und der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), Staatssicherheit und Volkspolizei auf der anderen Seite. Vielmehr importierte man Aushandlungsprozesse um jugendsubkulturelle Phänomene in den Partei- und Staatsapparat, die auch in westlichen Gesellschaften in der Regel zunächst auf allgemeine Abwehr stießen. Generationenkonflikte sind hier ebenso zu beobachten, wie die Artikulation von Interessen und der "Eigen-Sinn" einzelner Stakeholder.
Trotz der Zugeständnisse an die Jugend sollte die staatliche Kontrolle auf allen Ebenen gewährleistet bleiben. Dies erforderte schon aus rein pragmatischen Gründen die Delegation von Macht "nach unten". Während man beispielsweise versuchte, die Tonträgerproduktion und das Rundfunkprogramm noch weitestgehend zentral auszurichten, war das Regime spätestens bei der Organisation des Veranstaltungswesens in den Kreisen und Bezirken auf die Loyalität der Kader vor Ort angewiesen, wollte es wie proklamiert "Bedürfnisse der Jugend nach Entspannung und Unterhaltung" befriedigen. Angesichts der wenigen professionellen Rockbands, deren Mitglieder zuvor ein Hochschulstudium zu absolvieren hatten, kam den Tausenden nebenberuflich tätigen DJs (offiziell "Diskomoderatoren" genannt) und Musikern ("Amateurtanzmusiker") eine bedeutende Rolle zu.
Versuche des Staates, letztere durch den kulturbürokratischen Apparat zu disziplinieren und gleichzeitig zu fördern, sind deshalb besonders geeignet, um die Machtstrukturen, Aushandlungs- und Legitimationsprozesse sowie den "Eigen-Sinn" der einzelnen Akteure in Bezirken und Kreisen zu untersuchen. Im Folgenden wird ohne Anspruch auf Vollständigkeit ein Blick auf die Organisationstrukturen geworfen, die in den 1960er und 1970er Jahren errichtet wurden, um anschließend Praxen und Konfliktfelder in den 1980er Jahre zu skizzieren. Dies soll am Beispiel von Auseinandersetzungen um Punk- und New-Wave-Bands der späten DDR geschehen.
Organisation in Kreisen und Bezirken
Die "Amateurtanzmusik" war organisatorisch eingebunden in das sogenannte "künstlerische Volksschaffen", das alle Bereiche der Alltagskultur zu umfassen suchte und jeweils in der Verantwortung der Abteilungen Kultur bei den Räten der Kreise und Bezirke sowie der jeweils nachgelagerten Kabinette für Kulturarbeit lag. Dieser Bereich des künstlerischen Volksschaffens unterteilte sich am Ende der DDR in schätzungsweise 25 Genres. Darunter finden sich Arbeitertheater und Puppenspieler ebenso wie Karnevalsvereine, Blasorchester, Klöppel- und Häkelgruppen. Stilistisch reichte die Bandbreite des Fachbereichs "Amateurtanzmusik" wiederum von Schlager und Jazz bis hin zu allen Arten von Rock- und Popmusik, die unter dem Rubrum "Jugendtanzmusik" zusammengefasst wurden.
Angesichts dieser Vielfalt mag bereits deutlich werden, welch enormer Bedarf an kulturpolitischen Kadern in den 15 Bezirken und 252 Verwaltungseinheiten aus Kreisen, Städten und Stadtbezirken zur Organisation dieser kulturellen Teilbereiche herrschte. Dabei kam es häufig vor, dass ein und derselbe Mitarbeiter in der Kulturbürokratie für die "Betreuung" völlig unterschiedlicher Genres verantwortlich war. Es bedarf nun nicht viel Fantasie sich vorzustellen, dass manch älterer Kader – insbesondere in Bezirken mit folkloristischen Traditionen im Süden der DDR – eher verstärkt "Fördermaßnahmen zur Profilierung des Schnitzens und Drechselns" und der "Erzgebirgfolklore" vorantrieb, als sich an der stets konfliktträchtigen "Jugendtanzmusik" die Finger zu verbrennen.
Die Organisation der Alltagskultur wurde außerdem von einem legislativen Prozess begleitet, der Mitte der 1970er Jahre seinen weitgehenden Abschluss fand. Gesetze und Anordnungen hatten nun einen Umfang erreicht, der für alle Beteiligten nur noch schwer zu überschauen war. So sehr das Regime versuchte, auch die kleinsten Details zu regeln, mussten die Kader an der Basis immer wieder feststellen, dass sich entweder neue Leerstellen ergaben, die Regeln einander widersprachen oder sich in der Realität schlicht nicht umsetzen ließen. Intervenierte nicht das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) bei der Überschreitung selten explizit formulierter roter Linien, blieben die kulturpolitischen Kader, aber auch die vielen ehrenamtlich Tätigen weitestgehend auf sich allein gestellt.
Einstufungssystem
Um in der DDR als Rock-Band öffentlich auftreten zu dürfen, benötigten auch die sogenannten "Amateure" eine staatliche Spielerlaubnis (alltagssprachlich unter Musikern "Pappe" genannt). Um diese zu erlangen, hatten sich die Gruppen einer sogenannten Einstufung zu unterziehen. Im Zuge dieses Verfahrens mussten beim örtlichen Kabinett für Kulturarbeit Texte, Repertoirelisten, Einverständniserklärungen der Arbeitgeber, polizeiliche Führungszeugnisse und weitere Dokumente eingereicht werden. Eine vom zuständigen Kabinett für Kulturarbeit eingesetzte ehrenamtlich arbeitende Kommission nahm schließlich die Einstufungsveranstaltung ab, die meist abends oder am Wochenende in einem Kulturhaus oder Jugendklub stattfand. Die Einstufungskommissionen sollten dem Gesetz nach aus Mitarbeitern des Kabinetts für Kulturarbeit und der Abteilung Kultur beim Rat des Kreises beziehungsweise des Bezirkes bestehen. Hinzu kamen aus den ebenfalls ehrenamtlichen Arbeitsgemeinschaften "Tanzmusik" Musiklehrer, Profi-Musiker, verdiente "Amateure" sowie Kultur- oder Musikwissenschaftler. Anhand von Bewertungskriterien, auf die später noch eingegangen wird, erfolgte die Einstufung der Musiker in eine Vergütungsgruppe, wodurch die Höhe der Gagen auf Stundenbasis festgelegt wurde.
Hatte eine Band die Einstufung erfolgreich durchlaufen, erhielt sie auf Empfehlung des örtlichen Kreiskabinetts für Kulturarbeit von der Abteilung Kultur beim Rat des Kreises oder Bezirkes die staatliche Spielerlaubnis, sofern keine Einwände von Seiten der Volkspolizei oder des MfS kamen. Die Spielerlaubnis konnte jederzeit wieder entzogen werden und war auf maximal zwei Jahre befristet, bevor die Band sich für eine Verlängerung abermals dem Prozedere unterziehen musste.
Es konnten auch Auflagen gemacht werden, wie eine Überarbeitung der Texte oder die Änderung des Bandnamens. Bei einer nach Maßgabe der Kommissionen mangelnden künstlerischen Qualität wurden Bands dazu verpflichtet, sich weiter zu qualifizieren oder sich unter die Fittiche eines erfahrenen Musikers zu begeben, der die Rolle eines "Mentors" übernahm.
Einstufungskriterien
Die an die Bands angelegten Einstufungskriterien waren einem zutiefst bürgerlichen Kunstbegriff verpflichtet. Beurteilt wurden anhand einer Punkteskala nicht nur spieltechnisches Können und Intonation, sondern auch Komposition, Arrangements, die Komplexität von Harmonik und Rhythmik, die Transparenz des Klangbildes und sogar die Fähigkeit des Künstlers, sein Instrument richtig zu stimmen. Dass in der DDR Ideale der Kunstmusik gepaart mit den Maßgaben des "sozialistischen Wettbewerbs" an Rockbands angelegt wurden, ist auf die Entwicklung der Kriterien während der 1960er Jahre durch Musikwissenschaftler zurückzuführen.
Diese Kriterien zielten ursprünglich nicht nur auf eine Zurückdrängung und Disziplinierung der als Ausdruck "westlicher Dekadenz" verstandenen Beat-Musik ab. Sie sollten weiter Marktmechanismen aushebeln und zu einer leistungsgerechten Vergütung anhand objektiver, wissenschaftlich legitimierter Kriterien führen. Gerade hierdurch konnten sich Mitglieder der Einstufungskommissionen "auf der richtigen Seite" wähnen, auch wenn sie ideologische Positionen des Regimes nicht unbedingt teilten. Parteimitglieder waren in den Kommissionen oft in der Minderheit. Antikommerzielle Reflexe, paternalistische Ordnungsvorstellungen (der Publikumserfolg blieb bei der Bewertung oft außen vor), die Möglichkeit eigene ästhetische Präferenzen durchzusetzen und die Aufwertung als "Sachverständiger" trugen erheblich zur Mobilisierung des ehrenamtlichen Engagements bei, auf dem das Einstufungssystem basierte.
Auffällig sind auch die übereinstimmenden Bewertungskriterien mit ästhetischen Paradigmen des Artrock der 1970er Jahre; man denke etwa an ausgedehnte und handwerklich anspruchsvolle Gitarrensoli sowie eine komplexe Rhythmik und Harmonik. Hierin kamen von staatlicher Seite angelegte Maßstäbe, internationale Entwicklungen der Rockmusik und die Nachfrage des Publikums in der DDR zur Deckung. Dies erklärt auch den relativ reibungslosen Aufstieg und Erfolg staatlich geförderter Rockmusik während der 1970er Jahre bei Bands wie "Karat", "Puhdys", "Lift" oder "Electra".
Erosion des Einstufungssystems in den 1980er Jahren
In den 1980er Jahren erodierte das Einstufungssystem zusehends. Davon war durch die Ausdifferenzierung alltagskultureller Freizeitbetätigungen und die Übernahme stetig neuer Hobbys aus westlichen Gesellschaften der gesamte Bereich des "künstlerischen Volksschaffens" betroffen. Hierfür existierten anfangs weder die Linien in der Kulturbürokratie noch Einstufungskriterien geschweige denn theoretische Konzepte.
Auch die Arbeit der Einstufungskommissionen geriet erheblich ins Wanken. Die Gründe hierfür waren vielfältig: In unteren Ebenen der staatlichen Kulturbürokratie war der allgemeine Schlendrian, die "sporadische Besetzung der Planstellen", eine Unterqualifikation der Kader sowie eine hohe Personalfluktuation gang und gäbe. In ländlichen Gebieten klagten Kader, die abends und am Wochenende Veranstaltungen besuchen sollten über ihre eingeschränkte Mobilität infolge der "Treibstoffkürzung" und fehlender "öffentlicher Verkehrsmittel". Untersucht man die zahlreich überlieferten Einstufungsprotokolle, scheint es, als hätten staatliche Vertreter in den Kommissionen nicht selten gefehlt, wodurch den Ehrenamtlichen situativ eine umso größere Bedeutung zukam. In Berlin ging man gar Hinweisen nach, ein einzelner Profimusiker habe im Alleingang "ohne Teilnahme einer Kommission" die Einstufung einer Band vorgenommen.
Neben solchen personellen Faktoren offenbarte das System seine Schwächen auf ästhetischem Gebiet, besonders bei der Pop- und Rockmusik. Ließen sich die Einstufungskriterien auf den Artrock der 1970er Jahre noch einigermaßen widerspruchsfrei anwenden, erwiesen sie sich mit dem ästhetischen Paradigmenwechsel infolge von Punk, New Wave und Neuer Deutscher Welle als ganz und gar inkompatibel. Jenseits aller ideologischen Konflikte, die zu harten Repressionen gegen Punkbands führten, waren die Beharrungskräfte auch auf musikästhetischem Gebiet erheblich. Aus der Perspektive vieler Profi-Musiker, Musiklehrer und Musikwissenschaftler in den Kommissionen konnte es sich bei dem nun dargebotenen Dilettantismus und Minimalismus nur um eine Entwertung von spieltechnischem Können und musiktheoretischen Kenntnissen handeln. Die bis dahin ritualisierte Konfliktvermeidung – Bands präsentierten den Kommissionen im gegenseitigen Einverständnis nicht selten "entschärfte" und gefällige Programme – wurde von den Punk- und New-Wave-Bands aufgekündigt.
Einstufungspraxis und regionale Unterschiede
Untersucht man die Einstufungspraxis auf lokaler und regionaler Ebene in den 1980er Jahren, wird selten das vielfach beschworene "einheitliche Vorgehen" sichtbar. Dies sollen einige Beispiele verdeutlichen. Die ersten Punkbands zu Beginn der 1980er Jahre verharrten oft lieber in ihrem illegalen Status, als sich dem Einstufungsprozedere zu unterwerfen. Taten sie es doch, machten sie sich teilweise einen Spaß daraus, vor Kommissionen vorzuspielen, um anschließend die Spielerlaubnis verweigert zu bekommen, wie zum Beispiel die Leipziger Gruppe "Wutanfall". Hinter solchen Auftrittsverboten steckte nicht selten die Einflussnahme des MfS, um die Legalisierung von Punkbands zu verhindern.
Das von Michael Rauhut bereits für die Dekaden zuvor beschriebene "Katz-und-Maus-Spiel" zwischen Bands, Kulturverwaltung, SED und MfS setzte sich nicht nur bis zum Ende der DDR fort, man könnte für die 1980er Jahre schon fast von tradierten Formen des "Eigen-Sinns" sprechen. Bands versuchten immer wieder, Gebiete mit einer restriktiven Handhabung gegen jene mit einer vermeintlich liberaleren gegeneinander auszuspielen, so auch die Jenaer Gruppe "Airtramp". Sie bemühte sich 1985 um eine Spielerlaubnis beim zuständigen Stadtrat für Kultur in Jena. Diese wurde der Band wegen ihrer kritischen Texte verwehrt. Nach einem missglückten Einstufungsversuch meldete die Band sich im benachbarten Kreis Jena-Land für ein weiteres Verfahren an. Solche Wechsel des zuständigen Verwaltungsgebietes waren möglich, indem die "Kapellenleitung", deren Wohnsitz über den zuständigen Kreis entschied, einfach an ein Bandmitglied mit Wohnsitz in einem anderen Kreis übertragen wurde. Im Kreis Jena-Land glückte nun die Einstufung, auch weil "Airtramp" dort nur gekürzte und damit "entschärfte" Texte vorlegte. Dem eigentlich zuständigen Stadtrat für Kultur in Jena blieb dies wohl aufgrund der Beobachtung der Band durch das MfS nicht verborgen. Nachdem die Spielerlaubnis ausgesetzt wurde, löste sich die Gruppe aufgrund einiger Ausreisen von Bandmitgliedern in den Westen auf.
Das Künstlerkollektiv "AG Geige" aus Karl-Marx-Stadt entschloss sich 1987 für die Einstufung. Eine Demo-Kassette der Band war zuvor bereits öfter von dem Radio-DJ Lutz Schramm beim Jugendsender DT 64 gespielt worden. Daraufhin meldeten sich Konzertveranstalter und Kulturhäuser, um die Band für Auftritte zu gewinnen. Deshalb präsentierte die "AG Geige" mehrmals ihr Programm bei Einstufungskonzerten, ohne eine Beurteilung zu erhalten. Vieles spricht dafür, dass die Einstufungskommission angesichts der dadaistischen Texte und des nonkonformen Publikums aus Unsicherheit oder Angst vor übergeordneten Instanzen der Gruppe faktisch eine Einstufung verwehrte. Eine Musiklehrerin aus dem Bekanntenkreis der Band bildete mit Freunden zusammen eine Kommission für "elektronische Musik", ein Genre, das im "künstlerischen Volksschaffen" offiziell gar nicht existierte. Auf Grundlage dieser Einstufung erhielt die Gruppe doch noch eine Spielerlaubnis als "Volkskunstkollektiv" für "elektronische Musik" und war damit legalisiert.
Die Abteilung Kultur beim Rat des Bezirkes Cottbus und das dortige Kabinett für Kulturarbeit interpretierten ihre Rolle hingegen eher fördernd als reglementierend. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass Cottbusser New-Wave-Bands wie "Sandow" oder "WK13" einen relativ reibungslosen Aufstieg innerhalb des Fördersystems nehmen konnten. Sie wurden von ihrem Bezirk und der FDJ durch die Bereitstellung von Proberäumen unterstützt und zu zahlreichen Wettbewerben "delegiert".
Am widersprüchlichsten stellte sich die Situation in Ost-Berlin dar. Bereits 1983 war es den ersten Punk-Bands gelungen, in den Besitz einer staatlichen Spielerlaubnis zu kommen. Dieser Trend verschärfte sich aufgrund des "Eigen-Sinns" lokaler Kader, die versuchten, Bands zu unterstützen, sowie Einstufungskommissionen, die sich immer stärker einer zensierenden Rolle verweigerten, was allerdings nicht ihre ästhetische Urteilsfreudigkeit schmälerte: "Nicht so viel Moll", lautete etwa der Ratschlag der Kommission an die Dark-Wave-Band "Cadavre Exquis". Das MfS versuchte Kommissionen zum Beispiel dahingehend zu beeinflussen, die Kriterien besonders streng auszulegen, um unter solchen Vorwänden Einstufungen zu verweigern. Gruppen wie "Der Demokratische Konsum" wurden im Wertungsprotokoll für musikalisch-handwerkliche Mängel zwar kritisiert, erhielten aber dennoch die "Mittelstufe". Eine Spielerlaubnis blieb der Band aufgrund der Weigerung, den subversiven Bandnamen zu ändern hingegen verwehrt. Solche Kontrollverluste nahm das MfS zum Anlass, sich in einer Parteiinformation über die "dezentrale […] Verfahrensweise" und "politische Sorglosigkeit" in der Kulturbürokratie zu beschweren – die sich angesichts ihres Förderauftrages gegen solche Vorwürfe verwahrte. Eine weitere Einschätzung nennt über 40 aktive Bands, die entweder über keine Spielerlaubnis verfügten oder nach Maßgaben des MfS ungerechtfertigterweise in den Besitz einer solchen gelangt waren. Dieser Konflikt sollte sich 1988 noch verschärfen, als die FDJ dazu überging, gemäßigte Punk- und New-Wave-Bands auch offiziell zu fördern, ehe der Mauerfall den Reglementierungsversuchen ein jähes Ende setzte.
Zusammenfassung und Ausblick
Insgesamt wird die von Thomas Lindenberger beschriebene "Diskrepanz zwischen Steuerungsansprüchen und Realisierungschancen" am Beispiel der "Amateurtanzmusik" besonders deutlich. Der Herrschaftsanspruch mündete nicht selten in Selbstbeschäftigung des Apparates, da die unterschiedlichen Instanzen mangels eines gemeinsamen positiven Referenzrahmens mehr gegen- als miteinander arbeiteten. Angesichts der Delegation von Macht "nach unten" in ein weitverzweigtes bürokratisches System und der daraus resultierenden Anzahl an Akteuren, ließ sich letzten Endes kein einheitliches Verständnis herstellen, welche Arten von Rockmusik zu fördern und welche zu reglementieren seien. Weiter darf bezweifelt werden, ob jede der zahlreichen und widersprüchlichen kulturpolitischen Wendungen der SED-Spitze unten an der Basis registriert und nachvollzogen wurde.
Das MfS verharrte bis zum Ende der DDR in Denkweisen und Handlungsmustern der 1960er Jahre. Darüber hinaus deckte sich in der anfänglichen Ausgrenzung der Punk-Bands das negative ästhetische Urteil mancher "Sachverständiger" mit den politisch-ideologischen Verdikten von SED und Staatssicherheit, aber wohl auch mit der allgemeinen Ablehnung durch die Mehrheitsgesellschaft.
So repressiv das Regime bisweilen auch reagierte, durch die Institutionalisierung der "Amateurtanzmusik" eröffneten sich innerhalb des Kulturapparates immer wieder – wenn auch begrenzte – Handlungsspielräume, die von unterschiedlichen Akteuren "eigensinnig" genutzt wurden. Manchen Punk- und New-Wave-Bands war es am Ende gleichgültig, ob sie eine Spielerlaubnis erhielten. Dennoch nutzen einige die Gelegenheit, um zumindest einmal im Rahmen des Einstufungsverfahrens in einem Kulturhaus auf einer großen Anlage zu spielen. Andere wiederum verstanden es ab Mitte der 1980er Jahre, durch die Unterstützung der FDJ und kulturpolitischer Kader vom Fördersystem zu profitieren. Mit der einst angestrebten "Hebung des Kulturniveaus" und der Marginalisierung westlicher Einflüsse auf die Jugend kann das aus Perspektive der SED-Spitze nicht viel zu tun gehabt haben.
Die Frage, ob gesellschaftliche Aushandlungsprozesse um jugendsubkulturelle Phänomene in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hüben wie drüben nicht doch mehr Gemeinsamkeiten als auf den ersten Blick naheliegend aufweisen, von einer anfangs restriktiven Ablehnung, über eine allmähliche Tolerierung hin zu gesellschaftlicher Akzeptanz, gilt es weiter zu diskutieren.
Zitierweise: Florian Lipp, "Keinerlei Textverständlichkeit" – "Keyboard oft nicht rhythmisch". Staatliche Einstufungspraxis in der späten DDR am Beispiel von Punk- und New-Wave-Bands, in: Deutschland Archiv, 2.6.2016, Link: www.bpb.de/228328
M. A., geb. 1980; Studium der Systematischen und Historischen Musikwissenschaft und Osteuropastudien an der Universität Hamburg, seit November 2011 Promotionsprojekt mit dem Arbeitstitel "Punk, New Wave und die Folgen im letzten Jahrzehnt der DDR. Akteure – Konfliktfelder – musikalische Praxis". Seit Februar 2015 Stipendiat der Gerda Henkel Stiftung. Forschungsschwerpunkte: Historiografie populärer Musik und musikalischer Subkulturen, Musik in Diktaturen.