Katja Hoyers Buch „Diesseits der Mauer: eine neue Geschichte der DDR 1949-1990“ ist jenseits des Rheins weitgehend positiv aufgenommen worden – sowohl in Großbritannien als auch in Frankreich. Wie lässt sich dieser Erfolg angesichts der Verrisse, wie man sie von einigen deutschen Historikern lesen konnte, erklären? Jens Giesecke etwa, Historiker am Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam und dort Leiter der Abteilung „Kommunismus und Gesellschaft“ – ein Forschungsthema, mit dem ich mich ebenfalls beschäftige – unterzog Hoyers Buch einer schonungslosen Kritik. In einem langen Text stellte er das Buch grundlegend infrage, wies auf eindeutige, jedoch nicht entscheidende Fehler hin und urteilte abschließend; es handele sich um eine „neue Form des historischen Revisionismus“.
Ich habe unter vielen anderen Rezensionen diejenigen dieser beiden Historiker ausgewählt, weil jeder auf seine Weise zeigt, worin er persönlich betroffen war. „Persönlich“ – denn warum sonst so viel Zeit darauf verwenden? Beide sind weithin bekannte und anerkannte Forscher, es ist also nicht der Neid, der sie motiviert. Der Erfolg, auf den das Buch in den neuen Bundesländern gestoßen ist, hätte ihnen gleichgültig sein können. Doch so war es offensichtlich nicht.
Hoyer hat offensichtlich auf etwas hingewiesen, das in der internationalen Literatur über Ostdeutschland oft angesprochen wird (nicht nur in den von mir verfassten Büchern), nämlich dass westdeutsche Historikerinnen und Historiker die DDR-Geschichtsschreibung monopolisiert haben (was auf Ilko Kowalczuk selbstredend nicht zutrifft, da er in der DDR sozialisiert wurde und sein Studium erst 1990 nach der Wiedervereinigung an der Berliner Humboldt Universität aufnehmen konnte). Trotz der Bemühungen jüngerer Historikerinnen und Historiker ist ihr Einfluss in der akademischen Geschichtsschreibung immer noch spürbar. Erkennbar handelt es sich häufig um Gedankenreflexe des alten, westdeutschen Antikommunismus, der ihnen noch von den Vordenkerinnen und Vordenkern der vorigen Generation eingeflößt wurde.
Tatsächlich braucht es mindestens zwei Generationen, um sich von seinen Mentorinnen und Mentoren zu emanzipieren. Nehmen Sie das französische Beispiel der Historikerinnen und Historiker des Vichy-Regimes: Deren Dogma, dass ganz Frankreich in der Résistance gewesen sei, wurde erst mehr als vierzig Jahre später infrage gestellt.
Als Historiker aus der ehemaligen Bundesrepublik, der sich – was man ihm nicht zum Vorwurf machen kann – auf die Geschichte der Stasi spezialisiert hat, fühlte sich Giesecke offenbar von der allerdings recht banalen Formulierung Hoyers angesprochen, dass die Sieger die Geschichte schreiben. Das ist zum großen Teil richtig, aber, mit Blick auf Sascha-Ilko Kowalczuk, eben nicht ganz. Ihn, einen jungen, ungestümen und mutigen Dissidenten, habe ich nach meiner Erinnerung kurz vor dem Ende der DDR in den 1980er-Jahren zum ersten Mal in Ost-Berlin getroffen. Wenn meine Erinnerung richtig ist und dem wirklich so gewesen sein sollte, dann geschah ein Treffen unter ähnlichen Bedingungen wie ich damals unter anderem auch Bärbel Bohley kennengelernt habe: Eine Person, die in ihrer Entschlossenheit und mit ihrem scharfen Blick ebenso bemerkenswert war. Als Forscherinnen und Forscher mussten wir uns aufgrund der fehlenden Pressefreiheit und des verwehrten Zugangs zu den Archiven an Zeitzeuginnen und Zeitzeugen wenden, um Gesellschaften zu verstehen, die gemeinhin als amorph, frei von kritischem Geist und völlig indoktriniert galten.
Die Oral-History-Forschung, der unser Team an der Universität Paris-Nanterre in den 1980er-Jahren (völlig ungestört, muss ich sagen) unter dem Titel „Mémoire grise à l‘Est“ („Graue Erinnerungen an den/im Osten“) nachging, wurde damals sowohl von den Historikerinnen und Historikern der Sorbonne als auch von denen der Humboldt-Universität Berlin mit einer gewissen Herablassung betrachtet: Oral History? Das war in ihren Augen ein Spielzeug für Historikerinnen (auch wenn es in unserem Team Männer gab). Dank ihrer war ich zum Beispiel in der Lage, meine in den Jahren 1986 bis 1989 gemachten Aufnahmen von Interviews mit ostdeutschen Jüdinnen und Juden im Jüdischen Museum in Berlin zu hinterlegen. Zudem konnte ich die aufgezeichneten Gespräche mit Jüdinnen aus der DDR für das Deutschland Archiv im Rahmen des Projekts „Jüdinnen in Deutschland nach 1945“ hinsichtlich ihrer Aussagen zur DDR nochmals neu aus- und bewerten. Ich hoffe, dass diese Interviews wissenschaftliche Studien ergänzen können, die seit 1989/90 auf der Grundlage von Archivrecherchen zu diesem Thema in Angriff genommen wurden.
Autobiografische Erzählungen und Arbeiten mit Archivdokumenten einander gegenüberzustellen, gilt heute eigentlich unter Historikerinnen und Historikern (international gesehen) als überholt. Wie kann man Zeitgeschichte schreiben, ohne auf Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie Akteurinnen und Akteuren der Geschichte zurückzugreifen? Der israelische Historiker und Holocaust-Spezialist Saul Friedländer nannte die gemeinsame Verwendung von Archivdokumenten und Zeitzeugenberichten „integrierte Geschichte“. Es handelt sich um einander ergänzende, manchmal unvereinbare Narrative, wobei jedes sein eigenes Gedächtnis hat – wofür es gute Gründe gibt! (Der französische Historiker Marc Ferro pflegte zu diesem Thema zu sagen: Der Zeuge und der Historiker bilden ein Paar, auch wenn sie oft in getrennten Zimmern schlafen.
Mit ihrer Studie, die ohne weit ausschweifende analytische Ausführungen auskommt und sich leicht lesen lässt, reiht sich Katja Hoyer in die Reihe von Essayistinnen und Essayisten wie Daniela Dahn oder Dirk Oschmann ein, die beide lange vor ihr in der DDR geboren wurden und gegen eine weitverbreitete Lesart der Geschichte anschreiben, die vor allem von der universitären Geschichtsschreibung befeuert wird. Es kann nicht schaden, in Erinnerung zu rufen, dass sich die deutsche Forschung sofort und fast ausschließlich auf die diktatorischen Aspekte des kommunistischen Regimes konzentriert hat. Dafür gibt es zwei Gründe: Der erste ist der legitime Wunsch von Dissidentinnen und Dissidenten, die Repression zu verstehen, der sie gegebenenfalls ausgesetzt waren.
Der zweite Grund war die Bearbeitung und Öffnung der Archive des Überwachungs- und Unterdrückungsapparates (der Stasi) in einer Rekordzeit, die aus keinem anderen Land bekannt ist (in nur zwei Jahren wurden, glaube ich mich zu erinnern, 17 km Akten bearbeitet; heute ist eine viel größere Zahl erreicht). Sie ermöglichte es professionellen Historikerinnen und Historikern, parallele und ergänzende Untersuchungen durchzuführen. Neben dem Problem des Archivzugangs ist auch die Frage der Finanzierung deutscher Universitäten und Forschungseinrichtungen zu berücksichtigen, die bei der Forschungsförderung – wie amerikanische Universitäten und Stiftungen – auch auf externe Mittel zurückgreifen müssen. Forschungsarbeiten zu den diktatorischen Aspekten wurden bevorzugt finanziert und gefördert. Aus all dem ergab sich die vereinfachende Vorstellung eines Regimes, dessen – ja fraglos vorhandene – repressive Seite zu einer eindimensionalen Sicht auf die ostdeutsche Gesellschaft führte.
Aber woher kommt der neue Ton in Hoyers Buch? Den Blick verändert hat ihre Betrachtung der Geschichte durch das Prisma von Sozialpolitik und gender, jener „nützlichen Analysekategorie“ (laut Joan Scott)
Während man im Westen nur schwache Frauen sah, die typisch männliche Arbeiten verrichteten, gab es in Ostdeutschland, wie in Andreas Dresens Film „Gundermann“ wunderbar dokumentiert, Baggerführerinnen und Frauen, die Bauleiterinnen oder sogar Firmenchefinnen waren. Ähnliches zeigt der Spielfilm „Karla“ von Hermann Zschoche, der 1965 wohl aufgrund von „Freizügigkeiten“ verboten wurde, die einen heute eher zum Lachen bringen.
Der „Staatsfeminismus“, das heißt die Gesamtheit der praktischen Vorkehrungen zur Gleichstellung der Geschlechter, hatte eine hohe Beschäftigungsquote von Frauen, eine wachsende Zahl von Kinderbetreuungseinrichtungen, Maßnahmen zur Förderung der Geburtenrate sowie eine Tendenz zur Parität in politischen Gremien zur Folge. Während die DDR eine geburtenfördernde Politik verfolgte, stellte sie gleichzeitig schon früh das Recht auf Abtreibung (die DDR-weite gesetzliche Regelung von 1972 galt bis zum Ende der DDR und war die Richtschnur für die Debatte um eine Reform des § 218 im vereinten Deutschland), für das französische und westdeutsche Frauen noch kämpften, nicht mehr infrage. Auch wenn von einer wirklichen Emanzipation der Frauen beziehungsweise vom sozialistischen Leitbild der arbeitenden Frau und Mutter, die sich das Regime auf die Fahnen geschrieben hatte, noch keine Rede sein konnte, war es zumindest möglich, von einer größeren Unabhängigkeit gegenüber der Macht der Männer zu sprechen. Diesbezüglich führte die DDR das Erbe des Kampfes für die Befreiung der Frauen fort, den die Arbeiterparteien bis 1933 geführt hatten – und dies nicht nur im Hinblick auf die Entkriminalisierung von Abtreibung und Homosexualität. In der Öffentlichkeit wurde die „weibliche Natur“ nicht mehr offiziell bemüht, um Herrschaftsverhältnisse zu rechtfertigen, auch wenn sie fortbestanden. Waren das nur Sonntagsreden? Sie mussten doch Spuren hinterlassen haben. Und tatsächlich finden sich solche in einer ganzen Literatur von Frauen, von Brigitte Reimann über Maxie Wander bis Christa Wolf, und in diesem Zusammenhang hätte Katja Hoyer ihre Aussagen durch einen stärkeren Rückgriff auf künstlerische Quellen (Literatur, Film, Theater) untermauern können, die der Zensur – allerdings nicht ohne Schwierigkeiten – entgangen waren. Diese Autorinnen erinnerten daran, dass geschlechtsspezifische Rollen das Produkt einer bestimmten – der bürgerlichen - Kultur waren, die radikaler infrage gestellt werden musste, als es das kommunistische Regime tat, denn Gleichberechtigung war nur eine unverzichtbare Voraussetzung für die Emanzipation.
Das gerade neu aufgelegte Buch „Blitz aus heiterem Himmel“ der Feministin und äußerst avantgardistischen, jüdisch-amerikanischen Schriftstellerin und Journalistin Edith Anderson (1915–1999) beweist, dass die gefürchtete institutionelle, offizielle Zensur zeitweise in ihrer Wachsamkeit nachließ.
Gestützt auf Zeitzeugenberichte gelingt es Hoyer, diese Begeisterung für den (Wieder-)Aufbau eines Landes neu aufleben zu lassen; das gilt besonders für die drei Jahrzehnte zwischen 1960 und 1990, die sie anhand von Zahlen beschreibt und die man – analog zur Entwicklung im Westen - als die Trente Glorieuses der DDR bezeichnen könnte (Deutsch: die dreißig Glorreichen – die dreißig Jahre von 1945 bis 1970). In den Erinnerungen von Akteurinnen und Akteuren, Zeitzeuginnen und -zeugen – und nicht in den Archiven – kommt eine Geselligkeit zum Ausdruck, die ihre Wurzeln in dem jeweiligen „Kollektiv“ hat, dem man angehörte: der Schule, dem Unternehmen, dem Büro. Erinnert sei hier an den Kultfilm „Good bye Lenin“, der diese Stimmung so gut beschreibt, auf halbem Weg zwischen Ironie und Ostalgie – ein Wort, das zur Bezeichnung der guten Erinnerungen verwendet wird, die die ostdeutsche Bevölkerung möglicherweise an ihr „Vorher“ bewahrt hat. Ebenso hebt Hoyer die Sozialpolitik hervor, die jene berühmte „Geborgenheit“ garantierte, ein Gefühl der Sicherheit also, das durch die Betreuung jeder Bürgerin und jedes Bürgers von der Kinderkrippe bis zur Rente vermittelt wurde.
Das konnte zwar quälende und belastende Langeweile erzeugen, hielt aber die heute erfahrenen wirtschaftlichen Existenzängste fern. Man erfährt noch andere Dinge, nämlich, dass die DDR das in der Spielzeugherstellung führende Land Europas war, was die große Zahl der Spielzeugläden erklärt, die ausländische Beobachter (in diesem Fall die Beobachterin, die diese Zeilen schreibt) beeindruckte. Man erfährt des Weiteren von den Erfolgen des Unternehmens Carl Zeiss in Jena, das die Deindustrialisierung nach der Wiedervereinigung überstanden hat und das immer noch Präzisionslinsen herstellt. Und schließlich erfährt man eine Menge über die großangelegten Wohnungsbaumaßnahmen, die „Plattenbauten“, die der Zeit trotzen, zumal sie seit 1990 größtenteils ideenreich renoviert wurden oder auch mangels Interesse der Mieterinnen und Mieter sowie durch zahlreiche Wegzüge aus den ehemaligen ostdeutschen Industriestädten und -regionen zurückgebaut beziehungsweise abgerissen wurden, wie zum Beispiel im thüringischen Suhl.
Im Gegensatz dazu springt nun gerade die städtebauliche Hässlichkeit im Westen Berlins, insbesondere in den Stadtteilen Kreuzberg, Neukölln und im Reinickendorfer „Märkischen Viertel“ (gehörte zum französischen Sektor), ins Auge, da ihre vor dem Fall der Mauer geplante Renovierung zugunsten der Instandsetzung der östlichen Stadtteile auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wurde.
Sicherlich war mit dem besten (oder schlechtesten) Willen der Welt – verbunden mit Zwangsmaßnahmen wie der Einschränkung der Bewegungs- und Meinungsfreiheit, ohne die das Land nicht hätte existieren können – ein Sozialismus, so verzerrt er auch sein mochte, in einem einzigen Land, geschweige denn in einer Hälfte eines Landes, auf Dauer zum Scheitern verurteilt. Dabei wurde jedoch die Hartnäckigkeit und das Überlegenheitsgefühl unterschätzt, das die ostdeutsche Führung – entgegen der landläufigen Meinung, die DDR sei der treueste Verbündete der Sowjetunion – gegenüber dem großen Bruder hegte: von Walter Ulbricht, der Leonid Breschnew von oben herab betrachtete (was dem Ostdeutschen seine vorzeitige Pensionierung einbrachte), bis hin zu Erich Honecker, der sich über Gorbatschow lustig machte und die Verbreitung der Zeitschrift Sputnik (russisch: Begleiter, gegründet 1967 und als Produkt für das sozialistische und nichtsozialistische Ausland von der sowjetischen Nachrichtenagentur Nowosti in mehreren Sprachen herausgegeben) in der DDR ab November 1988 stoppte. Katja Hoyer liefert uns erstaunliche Informationen über die Beziehungen zwischen den Genossinnen und Genossen. So beschwerte sich Breschnew am 28. Juli 1970 bei Erich Honecker, der damaligen Nummer Zwei der DDR-Staatspartei, über Walter Ulbricht: „Walter hat Verdienste [...] Aber er ist alt. [...] Ich möchte es offen als Kommunist zum Kommunist sagen, es gibt bei euch eine gewisse Überheblichkeit gegenüber anderen sozialistischen Ländern, gegenüber ihren Erfahrungen, Methoden der Leitung und so weiter. Es gibt dies auch gegenüber uns [...]. Man spricht davon, das [sic!] in der DDR das beste Modell des Sozialismus entwickelt wurde. Alles macht man besser in der DDR – alle sollen lernen von der DDR, DDR-Sozialismus strahle aus auf andere Länder – sie macht alles richtig. […]“
Walter Ulbricht habe, so Hoyer, die ärgerliche Angewohnheit gehabt, sich mit Lenin, Stalin und sogar Marx zu vergleichen, was schließlich nicht nur die „Freunde“, wie die Sowjets in der DDR genannt wurden, sondern auch sein Umfeld aufbrachte. Zwei Jahrzehnte später versuchte sich Ulbrichts Nachfolger Honecker seinerseits von der Vormundschaft der Sowjetunion zu emanzipieren. Er verzichtete auf deren Zustimmung und näherte sich Westdeutschland an – nicht aus ideologischen Gründen, das versteht sich von selbst, sondern aus rein finanziellen/wirtschaftlichen Erwägungen: Der kleine Staat stand kurz vor dem wirtschaftlichen Bankrott. Ohne die milliardenschwere Geldspritze, die der damalige bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß (CSU) vermittelt hatte, wäre die DDR in die Zahlungsunfähigkeit gesteuert. Ebenso sollte mit der Sanierung der Synagoge in der Berliner Oranienburger Straße begonnen werden, um dadurch Pluspunkte in der jüdischen Community der USA für die Gewährung von Krediten zu sammeln. Der Wirtschaftshistoriker Jörg Roesler schreibt im Deutschland Archiv über die wirtschaftliche Lage der DDR im Jahr 1989, die vom Politbüro zu lange ignoriert und mit utopischen Plänen schöngeredet wurde.
Die Historikerin Hoyer, die in Großbritannien tätig ist, kann es sich leisten, auf die Auslassungen und Obsessionen anderer DDR-Historikerinnen und Historiker hinzuweisen. Diese bleiben, wie wir gesehen haben, Mentoren und Gralshüterinnen: Die DDR-Diktatur, ein Begriff, an dem sie festhalten, ist ihr Revier. Die ausländische Forschung (insbesondere die angloamerikanische und französische) unterscheidet sich meist durch ihren Ton, wenn nicht gar durch ihre Zielsetzung von der deutschen Wissenschaft, und es ist insofern kein Zufall, dass Hoyers Buch außerhalb ihres Heimatlandes besser aufgenommen wurde.
Im Gegensatz zu der an ihr geäußerten Kritik kann man Katja Hoyer nicht vorwerfen, die Repressionen, die mit der Errichtung des Regimes vor allem zwischen 1949 und 1958 einhergingen, oder andere dramatische Ereignisse wie den Bau der Mauer am 13. August 1961 und die Erschießung von Menschen, die die Grenze überqueren wollten (140 Tote wurden allein entlang der Berliner Mauer gezählt), zu verschweigen. Allerdings widmet sie der Überwachung durch die politische Polizei, die Stasi, die so gut dokumentiert ist wie kein anderer politischer Polizeiapparat – vom KGB über das FBI bis hin zu MI5 und DST –, nur wenige Seiten. Leserinnen und Leser, die diesbezüglich enttäuscht sind, werden jedoch in den Werken von Jens Gieseke oder Sascha-Ilko Kowalczuk schnell fündig.
Zwar berichtet Katja Hoyer nur kurz über die Bedingungen, unter denen der Anschluss der DDR an die Bundesrepublik erfolgte. Sie kann sich jedoch abschließend des allgemeinen Eindrucks nicht erwehren, dass die „Volksbetriebe“, das heißt die gesamte industrielle Infrastruktur des Landes, „für einen Appel und ein Ei“ an westdeutsche Industrielle verkauft wurde, die sich das Produktionsmonopol sichern wollten. Manchmal mussten dieselben Arbeiterinnen und Arbeiter, die am Aufbau der Betriebe beteiligt gewesen waren, sie auch wieder abwickeln. Ein Leben voller Arbeit hätte ein besseres Ende verdient.
Zitierweise: Sonia Combe, "Katja Hoyers Buch jenseits des Rheins gelesen. Eine einhellig positivere Aufnahme als in Deutschland", aus dem Französischen übersetzt von Marcel Streng, www.bpb.de/562636, in: Deutschland Archiv vom 30.05.2024.