Das Thema Asyl war zu Beginn des Jahres 2025 allgegenwärtig. Dabei entsponnen sich die Kontroversen vor allem um das Abstimmungsverhalten von CDU/CSU und AfD im Bundestag. Doch warf die Diskussion inhaltlich auch ein Schlaglicht auf die Entstehung des westdeutschen Asylrechts nach dem Zweiten Weltkrieg – damals eine Reaktion auf die zunehmende Zuwanderung aus der sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Gerechtfertigt wurde das Vorgehen unter Anwendung fragwürdiger Argumentationsmuster.
„Die Furcht lässt den Strom des Elends nicht verebben.“
„Das strömt und sickert, rieselt und rinnt, mal abebbend und dann wieder anschwellend […]“
„Seit 14 Tagen staut sich der nie versiegende Strom vor dem rot-weißen Schlagbaum.“
Auf den ersten Blick könnten die angeführten Zitate Ausfluss der öffentlichen Debatten aus dem Januar 2025 sein, in der auch immer wieder die Überlastung der Bundesrepublik Deutschland durch die Zuwanderung von Asylsuchenden angemahnt wurde. Vor allem die Unionsparteien um den späteren Bundeskanzler Friedrich Merz plädierten für eine Verschärfung des Asylrechts, Zurückweisungen an den Grenzen und Abschiebungen in größerem Maße. Tatsächlich sind die Auszüge aber verschiedenen Zeitungen aus den Jahren 1947 bis 1949 entnommen und beziehen sich nicht auf die Fluchtbewegungen heutiger Tage, sondern auf die Ost-West-Migration von der sowjetischen in die britische Besatzungszone nach dem Zweiten Weltkrieg.
Zeitgenössisch wurde die Wasser-Metaphorik des Stromes, einer Naturgewalt, häufig eingesetzt, um die Schwierigkeiten zu versinnbildlichen, diesem etwas entgegenzusetzen. Einen Strom – so das vermittelte Credo – gilt es zu bändigen, umzuleiten, ihn kurz aufzuhalten und schließlich so zu verteilen, dass das Schwemmland ihn aufnehmen kann. Begrenzen kann man ihn graduell, stoppen eigentlich kaum. In der Konsequenz bedeutet ungeregelte Flut Not und Chaos. Wenngleich von den Zeitgenossen häufig bemüht, überzeugen diese dehumanisierenden „Strom“-Vergleiche kaum als Erklärungsansätze für das Migrationsgeschehen der Nachkriegszeit und werden folglich in der aktuellen historischen Forschung nur noch sehr vereinzelt bemüht. Für die Politik gilt dies nicht: Stellte doch die von Friederich Merz geführte CDU-Fraktion im Januar 2025 ein Zustrombegrenzungsgesetz im Bundestag zur Abstimmung, welches in voller Ausformulierung als Gesetz zur Begrenzung des illegalen Zustroms von Drittstaatsangehörigen nach Deutschland firmierte.
Wie grundsätzlich die Debatte geführt wurde, zeigte sich auch einige Tage später im sogenannten „Kanzlerduell“ vom 9. Februar 2025. In der Fernsehsendung griff der Jurist Merz gar bis in die Entstehungszeit des Grundgesetzes und bezog sich dabei auch auf die Ausführungen des renommierten Historikers Heinrich August Winkler. In einem Spiegel-Essay hatte dieser unmittelbar zuvor das individuelle Grundrecht auf Asyl als Legende bezeichnet, da die Mütter und Väter des Grundgesetzes nur eine durch Gesetze auszugestaltende institutionelle Garantie vorgesehen hätten.
Vielmehr konnte man auch schon auf eineinhalb Jahre praktische Erfahrungen in der Aufnahme und Ablehnung innerhalb dieser Gruppe zurückblicken.
Flüchtlingspastor Albertz und die „echten“ Flüchtlinge
Mit Ende des strengen Winters 1946/47 verzeichnete das Personal des Durchgangslagers Uelzen-Bohldamm einerseits einen deutlichen Anstieg der ankommenden Menschen aus der SBZ Andererseits registrierten sie aber auch eine sich wandelnde Zusammensetzung innerhalb der Vorsprechenden. Im Jahr 1946 hatte das Lager noch vornehmlich die Züge der Operation Swallow abgefertigt.
Für die weitere Entwicklung der Aufnahmeregelungen war in diesem Zusammenhang von kaum zu überschätzender Bedeutung, auf wessen Schreibtisch die Meldungen landeten und welche Reaktion sie dort hervorriefen. Heinrich Albertz erlangte zwar als kurzzeitiger Regierender Bürgermeister von Berlin und Vermittler für die „Bewegung 2. Juni“ rund 20 beziehungsweise 30 Jahre später größere Bekanntheit.
Doch deutet alles darauf hin, dass Albertz auch schon in seiner Celler Zeit erkannte, dass es den Vertriebenen in einer Art Opferkonkurrenz zum Vorteil gereichen konnte, wenn die SBZ-Zuwanderer einen schlechten Leumund bekämen. Eine restriktive Aufnahmepolitik ließ sich so viel leichter begründen. Die knappen Ressourcen wollte er seiner eigentlichen Zielgruppe vorbehalten. So stieß Albertz bereits kurz nach der Übernahme des Lagers Uelzen in das gleiche Horn, wie Lagerleiter Ahlers und stellte am 14. Mai 1947 im niedersächsischen Landtag seine grundsätzlich negative Sicht auf die zuwandernden Menschen aus der SBZ heraus: „Ich habe dort eindeutig festgestellt, daß die überwiegende Mehrzahl der sich augenblicklich in Ülzen meldenden sogenannten Flüchtlinge keine Flüchtlinge sind, sondern asoziale, wenn nicht sogar kriminelle Elemente.“
In der Hannoverschen Presse vom 23.5.1947 veröffentlichte Heinrich Albertz (SPD) einen Bericht über seine Erfahrungen, die er in einer Nacht inkognito im Aufnahmelager Uelzen-Bohldamm gemacht haben will.
In der Hannoverschen Presse vom 23.5.1947 veröffentlichte Heinrich Albertz (SPD) einen Bericht über seine Erfahrungen, die er in einer Nacht inkognito im Aufnahmelager Uelzen-Bohldamm gemacht haben will.
Diese Feststellung habe er einige Wochen zuvor – also vermutlich um den Monatswechsel April/Mai 1947 – getroffen, als er sich inkognito als Flüchtling in das Lager Uelzen-Bohldamm geschlichen hatte. Auf diese Weise habe er sich selbst ein unverfälschtes Bild über die Zustände in dem ihm unterstehenden Durchgangslager machen wollen. So gab er es zumindest vor.
Einige Tage später legte Albertz – vermutlich ermuntert durch die Reaktionen auf seine Landtagsrede – nach und verschärfte den Ton: In einem selbst verfassten Zeitungsartikel, der in der Hannoverschen Presse vom 23. Mai 1947 erschien, schilderte er seinen Lagerbesuch detaillierter und in den düstersten Farben. Er verallgemeinerte und diffamierte durchweg. Schon die Überschrift zeugt von einer deutlichen Abgrenzung zu den Menschen im Lager und assoziiert diese mit Landstreichern: „Ihre Heimat ist die Landstraße. Als Unerkannter unter illegalen Grenzgängern.“
„Das Lager Uelzen-Bohldamm ist kein Flüchtlingsproblem mehr, wie es das noch im vorigen Sommer war, als die wirklichen Flüchtlinge aus Schlesien jeden Tag zu Hunderten hier ausgeladen wurden, sondern aufs Ganze gesehen, ein Institut zur Aufnahme asozialer und krimineller Elemente.“ Schon im Folgesatz verdeutlicht er dramatisch unter Rückgriff auf die gängige Strom-Metaphorik und Betonung der Opferkonkurrenz die aus seiner Sicht alternativlosen Konsequenzen: „Die Maßnahmen, die getroffen werden müssen, sind hart, aber unbedingt notwendig. Gerade um der echten Vertriebenen und der anständigen entlassenen Soldaten willen, die nicht mehr in ihre Heimat zurückkönnen, muß hier ein Riegel geschoben werden vor einen Strom, der uns alle mittreißt, wenn er nicht im letzten Augenblick aufgehalten wird.“
Zweifelsohne ist die Wortwahl selektiv und ausgrenzend. Der meist verwendete Dreiklang aus asozial, arbeitsscheu und kriminell ist jedoch nicht Heinrich Albertz‘ Erfindung. Denn hierbei handelt es sich um eine auch schon von den Nationalsozialisten verwendete Zuschreibung für Personen, die als nicht gesellschaftskonform eingestuft wurden und in vielen Fällen mit einem schwarzen Winkel auf der Kleidung versehen schließlich in KZ-Haft genommen wurden. „Als asozial gilt, wer durch gemeinschaftswidriges, wenn auch nicht verbrecherisches, Verhalten zeigt, dass er sich nicht in die Gemeinschaft einfügen will,“ so die Definition des SD-Chefs Reinhard Heidrich aus dem Jahr 1938.
Ob dem Sozialdemokraten Heinrich Albertz bewusst war, dass er hier gewissermaßen eine semantische Brücke zum Nationalsozialismus schlug, lässt sich nicht abschließend auflösen. Sein Engagement in der Bekennenden Kirche und seine zeitweise Verfolgung durch die Nationalsozialisten sprechen definitiv gegen Sympathien mit deren Herrschaft.
Konkret nutzte Heinrich Albertz den ohnehin schon schlechten Leumund der SBZ-Zuwanderinnen und -Zuwanderer, reicherte dieses Gedankengut an und verschaffte seinen Ansichten dadurch über den Landtag sowie die Presse eine öffentliche Breitenwirkung. Damit wirkte er wie ein Verstärker der im Hintergrund laufenden Regelungsbemühungen der Flüchtlingsverwaltung. Er prägte so gewissermaßen den Sound hinter der Entwicklung der Asylgesetzgebung. In der Konsequenz nahm er als selbstverstandener Vertriebenenvertreter den Deutschen aus der SBZ damit jegliches moralische Anrecht auf den Zuzug in die britische Zone. Denn wer die SBZ verließ, tat dies im Sinne dieser Argumentation freiwillig und aus fragwürdigen Gründen. Die sich ab 1946 verändernde politische Situation in der SBZ blendete Albertz zugunsten der Ressourcenknappheit fast komplett aus. Von Flucht im Sinne einer Zwangsmigration wollte Albertz nichts wissen.
Flüchtlingskommissarin Fuchs und die erste Aufnahmeregelung
Albertz wollte sich öffentlichkeitswirksam als der starke Mann der niedersächsischen Flüchtlingspolitik gerieren. Zunächst hatte Ministerpräsident Kopf um den Jahreswechsel 1946/47 aber erkannt, dass die Bestrebungen in der Flüchtlingspolitik gebündelt werden müssten und das neue Amt eines „Staatskommissars für das Flüchtlingswesen“ mit der SPD-Politikerin Martha Fuchs besetzt – sehr zum Unwillen Albertz‘, der den Posten gerne selbst angetreten hätte.
Diametral entgegen stand dem die britische Militärregierung, die auf die Aufnahme politisch verfolgter SBZ-Flüchtlinge bestand.
Entsprechend zeichnet sich in der Anordnung zur „Unterbindung des Einströmens illegaler Flüchtlinge“ vom 7. Mai 1947 ein sehr starker Kompromisscharakter ab. Im Titel ähnelt der Erlass verblüffend dem des Gesetzentwurfes „zur Begrenzung des illegalen Zustroms von Drittstaatsangehörigen“ aus dem Januar 2025. Entscheidender aber ist, dass der Erlass die erste westdeutsche Asylrechtsregelung nach dem Zweiten Weltkrieg darstellte.
Es wurde verfügt, „dass in das Flüchtlings-Durchgangslager Uelzen nur noch folgende Personengruppen aufzunehmen sind“: „echte“ Flüchtlinge, ehemalige Displaced Persons, entlassene Kriegsgefangene, Personen mit einer Zuzugsgenehmigung für Niedersachen sowie „politisch Verfolgte, die einen Nachweis hierfür erbringen können.“
Eine Ablehnung des Aufnahmegesuchs bedeutete vor allem, dass diese Menschen keine Lebensmittelkarten, keine Arbeitsvermittlung und keine staatsbürgerlichen Rechte erhielten. Rückführungen der Abgelehnten in die sowjetische Besatzungszone fanden nicht statt, auch weil die Briten ihren Großmachtstatus verloren hatten und ein solches Vorgehen gegenüber den sowjetischen Besatzern in Ostdeutschland nicht durchsetzen konnten.
Lagerleiter Ahlers und die Aufnahmepraxis
Durch die föderal von den westdeutschen Ländern ausgehandelten Braunschweiger Richtlinien vom 8. Februar 1948 wurde der niedersächsische Erlass vom 7. Mai 1947 weiterentwickelt. Danach erhielten vor allem Personen einen Aufnahmebescheid, „die aufgrund ihrer politischen Einstellung (Zugehörigkeit zu bestehenden Parteien) verfolgt“ wurden. Ferner nannten die Braunschweiger Richtlinien, offiziell überschrieben als „Abwehrmaßnahmen gegen die illegale Einwanderung“, unter den Härtefällen „Personen, die ihren Wohnsitz nachweislich aus Gründen der persönlichen Sicherheit aufgeben mussten.“
Die Entscheidung über die Aufnahme oblag dabei aber tatsächlich allein der Uelzener Lagerleitung um den Ingenieur Georg Ahlers, wie ein Erlass des niedersächsischen Flüchtlingsministers aus dem Oktober 1948 festlegte.
Lagerleiter Georg Ahlers wurde Anfang 1949 in einem Strafprozess des Amtsgerichts Köln wegen Urkundenfälschung als Zeuge befragt.
Dementgegen reichte allerdings eine staatliche Dienstverpflichtung innerhalb der SBZ für sich nicht aus, um als Härtefall anerkannt zu werden. Auch eine Verpflichtung zum gesundheitsschädlichen Uran-Bergbau im Erzgebirge um Aue war allein kein anerkannter Fluchtgrund. Gleiches galt für die bloße Furcht vor der Gefährdung der persönlichen Sicherheit. Diese Sicht beruhte auf der „Erkenntnis, dass die Heranziehung zur Arbeit die persönliche Freiheit nicht beeinträchtigt.“ Hier fällt es langsam schwerer der Logik zu folgen und die weitere Begründung mutet zynisch an: Es gäbe schließlich „überall gute und schlechte Arbeitsbedingungen.“ Erst wenn sich aus der Arbeitsverpflichtung ergäbe, „dass die persönliche Freiheit räumlich und zeitlich beschränkt ist und dass aus dem Versuch, diese Einschränkungen zu brechen, Folgerungen gezogen werden, so wird die persönliche Freiheit als gefährdet betrachtet.“
Überspitzt gesagt, wurde fast verlangt, dass die Betroffenen schon zur Arbeit herangezogen worden waren, versucht hatten zu fliehen, ihnen dies geglückt war und sie es gleichzeitig lückenlos belegen konnten. Insgesamt handelt es sich bei der verdrehten Formulierung wohl um einen untauglichen Versuch, die in Zügen willkürlich anmutende Aufnahmepraxis zu rechtfertigen. Insgesamt verfestigt sich auch mit Blick auf die Umsetzung der Aufnahmeregelungen der Eindruck, dass es nicht nur um die Ermittlung von wahrheitsgetreuen Tatsachen ging, sondern um die administrative Durchsetzung einer Abwehrgesetzgebung im Entstehen. Die Aussagen des Lagerleiters wirken wenig stringent und beziehen sich eher auf Einzelbeispiele, als auf eine diesen zu Grunde liegende Praxisrichtlinie. Der Grund hierfür ist simpel: Allen Annahmen zum Trotz existierte nie eine Richtlinie. Vielmehr hatte Ahlers nämlich nicht nur die Aufnahmepraxis in Uelzen offengelegt, sondern den auf Geheimhaltung ausgerichteten Dienstweg gleich mit: „Über die eben genannten Handhabungen bestehen keine schriftlichen Anweisungen. Die Auslegungen ergaben sich in Besprechungen mit dem zuständigen Referenten wie auch in der Besprechung mit dem Flüchtlingsminister Albertz.“
Den vorläufigen Abschluss der Entwicklung bildete das Bundesnotaufnahmegesetz vom 22. August 1950, welches abermals auf eine Bedrohungslage als Aufnahmegrund abstellte. Heinrich Albertz tat sich sowohl bei der Anbahnung des Notaufnahmegesetzes als auch bei der Lösung der Verteilungsfragen in vielen föderalen Gremien der jungen Bonner Republik als Aktivposten hervor. Er bediente sich aber nach wie vor – mitunter auch in robuster Manier – ebenso öffentlichkeitswirksamer Maßnahmen, um seinen politischen Plänen Nachdruck zu verleihen. So ließ er etwa im Juli 1949 das Lager Uelzen-Bohldamm wegen Überfüllung schließen, um den medialen Fokus auf das niedersächsische Zuwanderungsproblem zu lenken und die anderen Länder zur Übernahme von anerkannten SBZ-Zuwanderern zu bewegen. In der Gesamtschau verwundert es daher kaum, dass auch bei einem Wechsel in die Perspektive der ankommenden Menschen, die bekannte Metaphorik bestehen blieb, wie etwa bei Jan Molitor alias Josef Müller-Marein in der Zeit Ende 1949: „Und wenn man’s bildhaft so ausdrückt, daß ein Strom von Flüchtlingen sich täglich über die Zonengrenze ins Land Niedersachsen ergießt, dann bleibt man im Bilde, wenn man sagt: Das Auffanglager Uelzen ist das Wehr. Die sperrigen Stäbe dieses Wehrs sind aus Verordnungen zusammengefügt und viele bleiben darin hängen.“
Zitierweise: Arne Hoffrichter, „„Zustrombegrenzung“ im Nachkriegsdeutschland. Die Anfänge westdeutscher SBZ-Zuwanderungspolitik 1947-1950", in: Deutschland Archiv vom 5.8.2025. Link: www.bpb.de/569585. Alle im Deutschlandarchiv veröffentlichten Beiträge sind Recherchen und Beiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar. (al)