Liest man von Soljanka, Jägerschnitzel mit Spirelli und Schwedeneisbecher, geht es um DDR-Küche. Dazu Fotos von Weißkohl in großen Gitterkörben in sonst fast leeren Gemüseläden, Pyramiden der gleichen Sorte Konserven in magerer Schaufensterdekoration und lange Schlangen vor Obstständen. Das gab es alles, und viel davon. Aber es gab eben nicht nur das. Für eine weltoffene, experimentierfreudige und moderne Küche stand die Kochbuchautorin Ursula Winnington – meine Großmutter –, die rückblickend sagte: „Es war mein Ehrgeiz zu zeigen, dass man mit dem, was es in der DDR gab, hervorragend kochen konnte.“
Raffinierteres als in HO-Gaststätte
Geboren in Pommern – aufgewachsen in Rostock
Die Familie meiner Großmutter kam aus Mecklenburg. Ihre Oma heiratete einen Gutsbesitzer und führte schon als resolute Achtzehnjährige ein großes Gut, konnte wirtschaften, Wild zerlegen und hervorragend kochen. Die Familie verlor das Gut, aber die Geschichten von Gesellschaften, herrschaftlichen Tafeln und heimlichen Liebschaften lebten in meiner Großmutter weiter. Auch wenn sie später gefangen und bezaubert war von exotischen Gewürzen und internationalen Gerichten und damit eine so unwahrscheinliche Karriere in der DDR machte – die exzellente Mecklenburger Küche ihrer Familie spielte trotzdem immer eine Rolle.
Sie selbst stammte aus Pommern, wo sie am 8. August 1928 in Ober-Aalkist geboren wurde. Nach dem frühen Tod ihres Vaters wuchs Ursula in Rostock auf. Als meine Großmutter vierzehn war, wurde das Haus, in dem sie mit der Familie wohnte, ausgebombt und sie kamen bei der Tante in der Niederlausitz unter. Davon erzählte sie oft, denn dort durfte und musste sie kochen, backen, den Tisch herrichten – bis dahin war die Küche für sie ein verbotener Ort.
Die Jahre danach waren schwierig. Als „Bombenkind“
Ausbildung in der Landwirtschaft – Studium der Landwirtschaft und Promotion in Berlin
Ihr Entschluss, aus der elterlichen Tristesse auszubrechen, führte sie zurück nach Rostock, wo sie sich am besten auskannte. Als hätte sie etwas Wertvolles verloren, spazierte sie durch die zerbombte Altstadt, vorbei am Steintor, der Ruine des Postgebäudes, dem geliebten Antiquitätengeschäft, an dem sie sich als Jugendliche die Nase plattgedrückt hatte, und lief auf die Landwirtschaftsschule zu. Beherzt und entschlossen ergatterte sie noch am selben Tag einen Ausbildungsplatz und stellte so die Weichen für eigentlich alles, was folgen sollte: zunächst für ihren Weg nach Berlin in die russisch besetze Zone, ins Zentralamt für Forschung und Technik; für ihr Studium, obwohl sie zunächst keinen Platz bekam, weil sie weder Arbeiter- noch Bauernkind
Der Weg in den Journalismus und die Leidenschaft fürs Kochen
In der Akademie wurde sie 1959 Chefredakteurin des Landwirtschaftlichen Zentralblattes,
Und Zeit ihres Lebens sollten ihre Augen anfangen zu leuchten, wann immer sie von Ingwer sprach. Sie war bezaubert und betört von den Gewürzen und Kräutern. Curry, Linsen-Dal, Raita und Chutney – die exotischen Gaumenfreuden sprachen auf eine andere Weise zu ihr, und sie war überzeugt davon, dass sich auch mit den in der DDR verfügbaren Zutaten noch viel mehr machen ließe. Namhafte Professoren der Akademie wurden bei ihnen zuhause in Treptow mit einem indischen Essen bekocht. Durch die Flure der Akademie raunte es: Bei Wittbrodts wird indisch gekocht. Sie unterzog die DDR-Currymischungen einer Geschmacksprüfung: zu viel Muskat! Jahre später würde sie in ihrem Buch „Ein Leib- und Magenbuch“ Abhilfe anbieten.
Mut zum Sprung ins Risiko einer freien Journalistin und Autorin
Grafisch gestaltete Titelseiten von "Das Magazin" aus verschiedenen Jahren. Die Zeitschrift hat die Schwerpunkte Kultur und Lebensart. Es ist eine der wenigen DDR-Zeitschriften, die auch nach der Wiedervereinigung weiterhin herausgegeben wird. (© privat)
Grafisch gestaltete Titelseiten von "Das Magazin" aus verschiedenen Jahren. Die Zeitschrift hat die Schwerpunkte Kultur und Lebensart. Es ist eine der wenigen DDR-Zeitschriften, die auch nach der Wiedervereinigung weiterhin herausgegeben wird. (© privat)
Noch aber betreute sie – bis 1964 – die Annotationen des Landwirtschaftlichen Zentralblattes. Es waren hunderte, tausende Mitteilungen – eine Aufgabe, die sie überforderte und nicht erfüllte. Eigentlich, meinte sie mit der Koketterie des späteren Erfolgs, fand sie es ziemlich langweilig. Wieder fiel eine Prise Zufall auf den Weg ihrer ungewöhnlichen Karriere. Eines Tages stand der stellvertretende Chefredakteur der begehrten Zeitschrift Das Magazin, Manfred Gebhardt, in ihrem Büro. Ob sie nicht jemandem wüsste, der über die neuesten Errungenschaften der Landwirtschaft berichten könnte? Unterhaltsam, verständlich, vielleicht mit einem Schuss Witz? „Ja“, sagte sie, „da weiß ich jemanden. Ich würde das gerne machen.“
Den Kontakt zu den Instituten hatte sie. Und so fing sie an zu schreiben – ein lange gehegter heimlicher Wunsch –, von der Sensation der Broilerzucht, magererem Schweinefleisch, Forellen, neuen Apfelsorten und Eiweiß aus Algen. Gab es in den landwirtschaftlichen Instituten Innovationen und Ideen, wusste meine Großmutter davon zu erzählen. Sie fand den Mut, sich aus der Sicherheit einer gutbezahlten, sicheren Festanstellung in ein neues Abenteuer und die in der DDR seltene Freiberuflichkeit zu wagen. Es war eine ihrer großen Stärken, sich alles zuzutrauen. „Warum soll ich das nicht auch können?“ Jeden Tag saß sie an ihrer Schreibmaschine und ließ sich auch durch Fehlschläge nicht entmutigen.
Eine neue Liebe und Zugang zu westlicher Kochliteratur
Ursula und Allan Winnington, aufgenommen ca. 1980 (© privat)
Ursula und Allan Winnington, aufgenommen ca. 1980 (© privat)
Zu ihrem neuen Leben als Autorin gehörte eine neue Liebe – der britische Journalist und Schriftsteller Alan Winnington, der als Reporter in China gelebt hatte, fließend chinesisch sprechen und hervorragend kochen konnte. Er bekam in der DDR praktisch Asyl, nachdem er wegen seiner Berichterstattung über den Koreakrieg in der kommunistischen Zeitung Daily Worker keinen gültigen Pass mehr besaß und China verlassen musste. Ihren beliebten charmanten Stil kreierte sie auch mit seiner Hilfe, und er war für sie eine entscheidende Quelle für westliche Kochliteratur. Die Kolumne des Restaurantkritikers Wolfram Siebeck musste sie sich nicht mehr zerknittert und mehrfach gefaltet im unauffälligen Briefumschlag von der Westverwandtschaft schicken lassen. Sie las jetzt die ZEIT und hörte BBC, um Alans Sprache zu lernen. Sie zogen in eine schöne große Wohnung am Strausberger Platz und hatten einen anregenden Freundeskreis mit englischen und internationalen Künstlern und Intellektuellen.
Artikelreihen, Kolumnen, Rezepte – und immer wieder an Grenzen stoßen
1970 entwarf sie für die Zeitschrift Für Dich, die auflagenstärkste der Frauenzeitschriften, die Reihe „Viele Männer kochen gern“. Ein Ansatz, der in der DDR, in der Gleichberechtigung in der Verfassung stand,
Sie schrieb viel über gesunde Ernährung und nutzte diese Erkenntnisse später in ihren Rezepten.
Auf Reisen andere Küchen erkunden und Rezepte DDR-tauglich machen
Ursula Winnington 1974 bei der Kochshow "Asiatisch Kochen" im sächsischen Markkleeberg. (© privat)
Ursula Winnington 1974 bei der Kochshow "Asiatisch Kochen" im sächsischen Markkleeberg. (© privat)
Meine Großmutter war jetzt Frau Winnington und britische Staatsangehörige.
Mit ihren Rezepten war schnell klar: Sie traf einen Nerv. Als sie über Chutney schrieb – sie kannte englisches Chutney von ihrer irischen Freundin Elisabeth Shaw,
War es im Westen Wolfram Siebeck, der beharrlich und energisch gegen eine kulinarische Realität ohne Finesse und Sterneköche anschrieb und über weichgekochtes Mischgemüse, Mehlsoßen, Toast Hawaii und Mett-Igel schimpfte, versuchte in der DDR nun meine Oma, Redaktionen und Leserschaft für kulinarisches Neuland zu gewinnen, über politische Grenzen hinweg. Über den Westen sagte meine Großmutter, der habe es auch nicht besser gekonnt – Siebeck hätte ihr wahrscheinlich zugestimmt. Nur hätten die Menschen im Westen eher Zugang zu Zutaten gehabt und konnten reisen. Meine Oma schrieb nie von Filet oder Bananen. Rezepte mit Paprika waren im Winter undenkbar, schließlich war das auch nicht die Saison dafür, und für jede Jahreszeit fand sich etwas.
Ein Kochbuch abgelehnt – Rezeptheft herausgebracht
Da die Idee, gemeinsam mit ihrem Ehemann Alan Winnington ein Buch mit Rezepten der chinesischen Küche zu veröffentlichen, verlagsseitig abgelehnt wurde, publizierten sie ihre Rezepte aus China im Heft "Küche anderer Länder", Titelseite von 1976. (© privat)
Da die Idee, gemeinsam mit ihrem Ehemann Alan Winnington ein Buch mit Rezepten der chinesischen Küche zu veröffentlichen, verlagsseitig abgelehnt wurde, publizierten sie ihre Rezepte aus China im Heft "Küche anderer Länder", Titelseite von 1976. (© privat)
Mit ihrem Mann wollte sie ein chinesisches Kochbuch schreiben, für das er zehn Jahre zuvor schon eine Ablehnung von Verlagen bekommen hatte. Wieder wurde daraus nichts, zu groß waren die diplomatischen Verstimmungen und außenpolitischen Differenzen mit China. Stattdessen entstand ihr ungewöhnliches Heft „Küche anderer Länder“. Ihr Anspruch an die Fotos war mit dem Geschirr der Markkleeberger Studioküche nicht zu erfüllen, also fuhr sie mit ihrem Auto von Freundin zu Freundin, packte hier die besondere Tischdecke, dort authentisches Geschirr ein, bis ihr Auto aussah wie ein „foire aux puces“, ein Trödelmarkt. Nicht, dass sie Französisch sprechen konnte. Aber für die Anekdote klang es so einfach besser. Hier wurden in einzelnen Kapiteln verschiedene Landesküchen vorgestellt, es gab Rezepte für Pizza, Gnocchi, indisches Hühnercurry und Linsen-Dal, Roastbeef und Yorkshire Pudding, Pelmeni und Letscho. Und es gab ein Kapitel, das hieß „… und anderswo“. Hier hatten sie ihre chinesischen Rezepte dann doch untergebracht.
Mit Kulinarik und Rezepten für Das Magazin und Sibylle
Seit 1976 schrieb Ursula Winnington die Kolumne "Liebe, Phantasie und Kochkunst" in der monatlich erscheinenden Zeitschrift "Das Magazin". Zunächst unterzeichnete sie mit dem Pseudonym Magnus und später mit ihrem Namen. Zu jeder Kolumne gehörte ein Rezept. (© privat)
Seit 1976 schrieb Ursula Winnington die Kolumne "Liebe, Phantasie und Kochkunst" in der monatlich erscheinenden Zeitschrift "Das Magazin". Zunächst unterzeichnete sie mit dem Pseudonym Magnus und später mit ihrem Namen. Zu jeder Kolumne gehörte ein Rezept. (© privat)
Endgültig angekommen als Instanz für das kulinarisch Besondere war sie mit ihre Kolumne „Liebe, Phantasie und Kochkunst“ in der Zeitschrift Das Magazin. Dort leistete sie seit 1976 unterhaltsame Pionierarbeit in Sachen internationale Küche. Das Magazin, mit einer Auflage von mehr als einer halben Million Exemplaren, war als eines der beliebtesten Presseerzeugnisse der DDR so stark nachgefragt, dass Abonnements auch mal vererbt wurden. Es war und ist immer noch bekannt für die besondere Mischung aus Beiträgen zu Kunst, Kultur und Unterhaltung mit einer Prise Erotik. Die weltgewandte und außergewöhnliche Chefredakteurin Hilde Eisler schwärmte für die Kochkunst meiner Großmutter und bot ihr die Möglichkeit, die Rubrik „Liebe, Phantasie und Kochkunst“ freier zu gestalten, als das in anderen Zeitschriften möglich war.
1980 erschien ein Beitrag über Ursula Winnington im Modemagazin "Sibylle". (© Privat )
1980 erschien ein Beitrag über Ursula Winnington im Modemagazin "Sibylle". (© Privat )
1978 kam mit dem Modemagazin Sibylle
Bevor’s gedruckt wird: Prüfen, ob‘s die Zutaten oder Ersatz im Laden gibt
Ursula Winnington bereitet in der Küche ihrer Wohnung am Strausberger Platz ein Essen für Gäste vor, aufgenommen 1986. (© privat)
Ursula Winnington bereitet in der Küche ihrer Wohnung am Strausberger Platz ein Essen für Gäste vor, aufgenommen 1986. (© privat)
Manfred Gebhardt, seit 1979 Chefredakteur von Das Magazin, schrieb in seinen Erinnerungen: „Gerade mit den Gewürzen allerdings hatte Ursula Winnington so ihre Probleme. (…) Was normalerweise in einer Zeitschrift nebenherläuft, die Kochrezepte auf der Ratgeberseite, das war in der DDR hochpolitisch. Für keine andere Seite gab es so viele Tabus zu beachten wie für diese. Irgendetwas war immer irgendwo knapp. So überprüften wir jedes Rezept dreimal, bevor es einmal gedruckt wurde.“
Meine Großmutter und ihrer Leser waren pragmatisch: Sie machte ihnen mit Quiche Lorraine und chinesischen Teeeiern den Mund wässrig. Da hatte man wenig Probleme bei der Beschaffung, und es gab nicht wieder Soljanka und Senfeier. Indische Rezepte ließen sich in der Winterzeit besser veröffentlichen, wenn die Weihnachtsgewürze leichter zu bekommen waren. Im Frühling gab es Tipps für wilden Salat mit Löwenzahn, Giersch oder Sauerampfer. Sie wertete die vorhandenen Zutaten enorm auf. Mit dem schnöden Weißkohl, den eigentlich keiner mehr sehen konnte, wurden chinesische Löwenköpfchen gezaubert. Blumenkohl verwandelte sie in „Chou fleur au gratin“. Und wenn es die Versorgungslage erlaubte, gab es Rezepte mit Aubergine und Zucchini.
Kulinarisches Wissen und enorme Kreativität – ihre Bücher waren Mangelware
Sie sammelte unermüdlich, fast schon besessen, Anekdoten, Artikel, Zitate über alles, was mit der Kultur des Essens und Trinkens zu tun hatte. Was immer sie vielleicht verwenden könnte, wurde in Notizbüchern und auf Zetteln gehortet. Sie probierte alles aus, vereinfachte, wo nötig.
Kreativität war gefragt, denn es herrschte Mangel an Vielem. Aber nie hat sie es danach klingen lassen. In ihren Kolumnen ging es um antike Göttinnen, liebeshungrige Könige, Goethe, Shakespeare und Hildegard von Bingen, um französische Kochkunst, chinesische Zubereitungstechniken und immer um die aphrodisische Wirkung von Gewürzen. Es ging um weit mehr als Rezepte – es waren unterhaltsame, sinnliche Ausflüge in ersehnte, vergangene, verbotene oder verlorene Welten. Diese Geschichten sprengten die Grenzen der Durchreicheküche.
Dabei waren ihre Bücher selbst Mangelware. Ihre Leser schrieben sie direkt an: „Auch unsere Familie gehört zu denen, die Ihr Leib- und Magenbuch weder im Handel noch beim Verlag erstehen konnten. Hoffentlich haben Sie noch einige Exemplare. Wir würden uns freuen, zwei davon zu bekommen.“
Klassiker der Kulinarik im Regal und Genuss für Sozialisten auch im TV
"Ein Leib- und Magenbuch" von Ursula Winnington aus dem Jahr 1981 enthielt historisches Wissen zur Kulinarik und zum Tafeln. Selbstverständlich enthielt das Buch auch Rezepte, deren Zutatenliste zuvor mit dem Angebot im DDR-Lebensmitteleinzelhandel in Einklang gebracht worden war. (© privat)
"Ein Leib- und Magenbuch" von Ursula Winnington aus dem Jahr 1981 enthielt historisches Wissen zur Kulinarik und zum Tafeln. Selbstverständlich enthielt das Buch auch Rezepte, deren Zutatenliste zuvor mit dem Angebot im DDR-Lebensmitteleinzelhandel in Einklang gebracht worden war. (© privat)
In ihrem Bücherregal standen Paul Bocuse, Henriette Davidis, Jean Anthelme Brillat-Savarin, chinesische und indische Kochbücher neben Willam Pochljobkin, dem Kenner der sowjetischen Küche. Sie teilte das schwer zu bekommende Wissen in unzähligen Kolumnen, Büchern, Radiosendungen und Fernsehaufzeichnungen. Sie nahm ein großes Publikum mit zu Ausflügen in die exotische Welt auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs. Dass sie als Adaptionskünstlerin das Bourgeoise im Sozialismus salonfähig machen konnte, zeigte sie auch in ihrem Klassiker „Ein Leib- und Magenbuch“, der 1981 erschien und bis zum Ende der DDR viele Male wieder aufgelegt werden sollte. Sie erklärte, warum auch der Sozialist ein Genießer sein dürfe und wie gestrig und abwegig es sei, dass Frauen an den Herd gehörten. Sie lud ein zu einer neuen ästhetischen Esskultur auch im Plattenbau und gab einen hungrig verschlungenen Abriss über die Geschichte der großen Köchinnen und Köche.
Und ihre Leser dankten es ihr, schließlich wurden die eigenen Kochtöpfe Rückzugsorte ins Private und Kochen ein Politikum, wenigstens ein Statement. Sie schrieb zwei Kochbücher für Kinder, die in hohen Auflagen erschienen: das „Kochbuch für Kinder“ und das „Gewürzbuch für Kinder“, voll mit Gewürzen, die es so einfach nicht zu kaufen gab, von denen zu wissen aber für eine gute Allgemeinbildung vielleicht doch erwünscht war.
Jetzt wurde sie eingeladen in Fernseh- und Rundfunksendungen und hätte gerne mehr davon gemacht oder noch besser: eine eigene Sendung gehabt. Wie die amerikanische TV-Köchin Julia Child. Vielleicht war sie dafür zu unkonventionell. In dem undogmatischen TV-Aufklärungsformat „Sie und Er und 1000 Fragen“ gab sie jungen Paaren Tipps für eine Küche, in der es auch knistert, und in der Fernsehsendung „HAPS – Haushalts-Allerlei Praktisch Serviert“, in Nachfolge des durch den ständigen Mangel an irgendetwas resignierten Fernsehkochs Kurt Drummer, stellte sie wieder verschiedene Landesküchen vor. Doch erneut war plötzlich ohne Begründung Schluss. Sie sollte keine Wünsche und Begehrlichkeiten wecken, die dann nicht erfüllt werden könnten, war ihre Vermutung.
Auf der Höhe ihrer Karriere in den Achtzigerjahren war sie als kulinarische Instanz viel gefragt. Doch persönlich brachen schwere Zeiten an. Ihre große Liebe Alan Winnington starb 1983, und ein Jahr darauf verlor sie ihren Sohn.
Die Wende als Zäsur – Verlage und Zeitschriften wurden eingestellt
In ihrem Buch "Aphrodites Gaben" widmete sich Ursula Winnington ihrem Lieblingsthema: den Aphrodisiaka. Doch der Verlag wollte oder durfte das Buch nicht herausbringen. Deshalb blieb es in der DDR in der Schublade und erschien erst 1991 im vereinten Deutschland. (© privat)
In ihrem Buch "Aphrodites Gaben" widmete sich Ursula Winnington ihrem Lieblingsthema: den Aphrodisiaka. Doch der Verlag wollte oder durfte das Buch nicht herausbringen. Deshalb blieb es in der DDR in der Schublade und erschien erst 1991 im vereinten Deutschland. (© privat)
Ihr Arbeitspensum blieb hoch. Meine Oma gab unzählige Lesungen in Bibliotheken und Kulturhäusern quer durch die Republik. Reisen ins kapitalistische Ausland gab es ohne ihren Mann nicht mehr. Noch zu seinen Lebzeiten begann sie auf seine Idee hin mit der Arbeit an einem Buch über ihr persönliches Lieblingsthema Aphrodisiaka. Trotz vieler Beschwichtigungen und Überredungsversuche, wollte oder durfte der Verlag ihr Buch nicht drucken, und es blieb in der Schublade. Die Verheißung exquisiter Zutaten und unerfüllbare materielle Sehnsüchte machten dabei mehr Sorge als Phallus-Abbildungen und explizite Kamasutra-Zitate. „Aphrodites Gaben“ erschien erst nach der Wende 1991, doch mit dem Fall der Mauer verlor meine Großmutter ihre Nische. Dass man in der DDR hervorragend kochen konnte, gibt ihrer Karriere so gewissermaßen einen Rahmen – das Land, in dem sie so ausgesprochen erfolgreich und beliebt gewesen war, gab es nicht mehr. Die Zeitschriften wurden bis auf Das Magazin eingestellt, die Verlage abgewickelt und Kulturhäuser mussten schließen. Auch, wenn ihre Expertise sich auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs sehen lassen konnte – der Makel des Provinziellen, Ahnungslosen, der den Ostdeutschen anzuhaften schien, schlug auch ihr entgegen. Sie wäre gerne mal zu Alfred Biolek eingeladen worden, aber der Westen, wie sie sagte, nahm keine Notiz von ihr und wollte sich internationale Küche nicht von einer Ostdeutschen erklären lassen. Und Ostdeutsche wollten lieber reisen, wollten neue Kochbücher oder hatten kein Geld. Was sie noch veröffentlichte, verließ die Grenzen der kleinen DDR auch nach 1989 kaum, wo sie bis heute eine dankbare Fangemeinde hat.
Im Jahr 1999 wurde sie von der ZEIT eingeladen, die Fußnote zu einer von Siebecks Kolumnen zu schreiben: „(…) Von einem (…) Arzt aus Ratzeburg weiß ich, dass er sich die Mühe gemacht hat, eines meiner längst vergriffenen Bücher Liebe, Phantasie und Kochkunst zu erstehen. Von seiner per Post gesandten Bitte war ich derart gerührt, dass ich ihm eines meiner allerletzten Exemplare zuschickte. Die Antwort erfolgte prompt. ‚Liebe Frau Winnington, wir haben mit Dank das wunderbare Kochbuch erhalten. (…) Ein Rätsel allerdings ist noch, wie Sie alle diese leckeren Gerichte mit Zutaten aus der DDR gekocht haben. Wir haben mit Begeisterung die Rezepte gelesen und werden auch daraus kochen.‘ Ob es ihm gelungen ist, in einem Land, wo light-, fast- und energy food die Regale füllen, Lebensmittel wie Mehl, Butter, Salz, Eier, Sahne, Käse (…) und mageren Speck für zum Beispiel eine gewöhnliche Quiche Lorraine zu erstehen, habe ich bis heute nicht in Erfahrung gebracht. (…) Wie viele der großen Schar der ambitionierten Hobbyköche bin auch ich froh darüber, dass ich heute beim Einkaufen viel Zeit und Energie spare. Ich muss nicht länger Knoblauch, Ingwer, Chillies oder Koriander nachjagen. Ich bin auch froh darüber, dass Zucchini und Auberginen für die Gemüsehändlerin keine Fremdwörter mehr sind und ich weder Tomatenmark noch Ananas in Büchsen horten muss.“
Kochkunst und Rezepte à la Winnington - ein Stück DDR-Kulturgeschichte
Mit gerade mal Anfang sechzig lotete sie, wie das ihre Art war, aus, was sich aus dieser neuen Situation machen ließ. Sie kam auf ihre alte Leidenschaft, die Inneneinrichtung, zurück und betrieb mit ihrer Freundin und einer ihrer Enkeltöchter im Berliner Prenzlauer Berg ein paar Jahre lang ein Geschäft für Schönes aus dem Fernen Osten. Einige ihrer Bücher wurden neu aufgelegt, und 2021 wurde sie von der Historikerin Birgit Jochens als eine der bedeutenden Berliner Kochbuchautorinnen gewürdigt.
Zitierweise: Lilly Böhm, "Wie meine Großmutter Ursula Winnington die DDR-Küche aufmischte - Mit Liebe, Fantasie und Kochkunst", www.bpb.de/570994, in: Deutschland Archiv vom 17.07.2025. (ali)