Leuchttürme im blauen Meer
Die neue Transformationsforschung und der Aufstieg der AfD in Ostdeutschland
Marcus Böick
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Braucht der Osten einen großen "Leuchtturm" auf dem Feld der Transformationsforschung oder viele kleine? Und was sollen sie beleuchten? Ein Rundblick des Historikers Marcus Böick, er nimmt die Planung des sogenannten "Zukunftszentrums Deutsche Einheit und Europäische Transformation" zum Anlass für seine Reflexion. Der Komplex soll zum 40. Jahrestag der Deutschen Einheit in Halle eingeweiht werden – absehbar in einem politischen Umfeld, das im Osten Deutschlands zunehmend von der Rechtsaußenpartei AfD geprägt wird.
Die Wut ist groß, und die Angst geht um. Der "blaue Osten", der rapide Aufstieg der AfD zur dominanten Kraft in ostdeutschen Parlamenten, ist keine ferne Möglichkeit mehr, sondern Realität. Die Partei steht in Magdeburg oder Schwerin an den Pforten der Macht; in Berlin treibt sie als größte Oppositionspartei die zum Erfolg verdammten Koalitionspartner CDU und SPD vor sich her. Politiker und Regierungen aller Couleur sind im Krisenmodus Ost. Und es sind nun insbesondere die über lange Zeit als zweitklassig behandelten Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, die, mit zahlreichen größeren oder kleineren Auftragsprojekten ausgestattet, in die abtrünnigen Provinzen ausgesandt werden, um die unzufriedenen Menschen mit der unter Feuer geratenen bundesdeutschen Demokratie zu versöhnen:
Mit öffentlichen Vorträgen, bei Kunstaktionen oder in Gesprächsrunden sollen sie der AfD die diskursive Hegemonie wieder streitig machen, die diese auf Feuerwehrfesten und in Telegram-Gruppen errungen hat. Die weltweit erfolgreiche populistische Dynamik eines "die da oben" gegen "wir hier unten" soll so endlich durchbrochen werden. Und auch hier scheint angesichts der allgemeinen Ratlosigkeit das politische Mantra der 2020er-Jahre im Zeichen von "Zeitenwende" und "Wumms" zu gelten: Geld spielt keine Rolle mehr.
Im Jahr 2025 mangelt es nicht mehr an sogenannten Leuchtturmprojekten; der ganze Osten ist inzwischen übersät von kleineren und größeren Initiativen und Aktionen. Und der größte Leuchtturm, so ist es ausgemacht, soll bis 2030 in Halle an der Saale errichtet werden, nur einen Steinwurf entfernt vom imposanten Hauptbahnhof und vom auf andere Weise eindrücklichen Riebeckplatz-Rondell: das "Interner Link: Zukunftszentrum Deutsche Einheit und Europäische Transformation". Dieses mit dreistelligen Millionensummen geförderte Projekt des Bundes markiert eine weitere institutionelle Zeitenwende, dieses Mal in der Erforschung Ostdeutschlands. Es soll an der Saale ein "Harvard" der Transformationsforschung mit bis zu 200 Mitarbeitenden entstehen, so verlautete es bisweilen (und unter der globalen Exzellenzmarke bewegt sich in der deutschen Wissenschaftspolitik bekanntlich wenig).
Dieses spektakuläre Projekt entstand am Kipppunkt zwischen jahrzehntelangem Desinteresse am Osten und einer rasch wachsenden Furcht in den liberalen Institutionen vor dem anscheinend unaufhaltsamen Aufstieg einer sich immer weiter radikalisierenden AfD: Nachdem das von Horst Seehofer geführte Bundesinnenministerium fast die Feierlichkeiten zum dreißigsten Jahrestag der Einheit verschlafen hatte, war es eine 2020 hektisch eingesetzte und prominent mit Ostdeutschen besetzte Kommission, die neben etlichen kleineren Vorschlägen einen bleibenden Gedanken platzieren und fast wundersamerweise auch durch das bundesdeutsche Institutionengefüge befördern konnte: die Einrichtung eines "Zukunftszentrums" von nationaler, ja globaler Strahlkraft.
Als geradezu magische Mischung aus Museum, Forschungseinrichtung und Begegnungszentrum soll es neben zukunftsweisender Spitzenforschung zu allerlei gesellschaftlichen Transformationsprozessen auch Hunderttausende von Besuchern pro Jahr anlocken - und dabei insbesondere die oft entfremdeten Ostdeutschen über die viel beschworene Anerkennung ihrer Lebensleistungen in den Umbrüchen nach 1989/90 wieder für die bundesdeutsche Demokratie begeistern; es soll globaltransformatorische Zukunfts-Exzellenz und ostseelenwundheilende Vergangenheits-Therapie an einem Ort bieten. Versöhnung und Vision: Kann so etwas überhaupt funktionieren - und wenn ja: wie?
Der Bau dieses großen Leuchtturms im Osten wurde Anfang 2022 von der Bundesregierung beschlossen. Unter der Schirmherrschaft des zupackenden Interner Link: Ostbeauftragten Carsten Schneider folgte ein energischer Standortwettbewerb zwischen ostdeutschen Städten. Doch statt des favorisierten Frankfurt an der Oder, das sich wie Eisenach, Jena, Leipzig oder Plauen ins kurzfristig anberaumte Schaulaufen um die Bundes-Millionen begeben hatte, machte im März 2023 überraschend Halle an der Saale das Rennen; zugleich versprach die rechtspopulistischem Druck ausgesetzte Landesregierung von Sachsen-Anhalt, sich in erheblichem Ausmaß mitzuengagieren. Für die darbende Universitätsstadt im Zentrum einer von Deindustrialisierung geplagten Chemie-Region ist eine solche Ansiedlung ohne Zweifel ein erheblicher Gewinn, auch wenn die hervorragende Verkehrsanbindung zugleich das endemische Pendlerakademikertum beflügeln dürfte. Seit September 2024 gibt es eine Trägergesellschaft.
Am Ende eines internationalen Architektenwettbewerbs für einen spektakulären Neubau, der mit 200 Millionen Euro zu den größten Bauvorhaben der Republik in der zweiten Hälfte der 2020er-Jahre zählen dürfte, wurde im April ein kühn geschwungener Glaspalast gekürt, den die Architekten des Berliner "Futuriums" ins Rennen geschickt hatten.
Das funkelnde Großprojekt, das schon jetzt mit einem enormen Erwartungsüberschuss befrachtet erscheint, ist nur ein grelles Beispiel für einen Trend in der Wissenschaftspolitik. Das Bundeswissenschaftsministerium bewilligte schon 2018 Dutzende Millionen Euro für ein Dutzend neue Forschungsverbünde zur DDR-Geschichte, in denen Nachwuchswissenschaftler ihre Projekte zur DDR- und Post-DDR-Geschichte in zwei Förderphasen vorantreiben konnten. Beispiele sind ein von Alexander Leistner und Anna Lux mitgestalteter Verbund zum "Umstrittenen Erbe von 1989" in Freiburg und Leipzig sowie Projekte zum "Medialen Erbe der DDR" in Potsdam und Berlin oder zu "Diktaturerfahrung und Transformation" in Erfurt und Jena. Jüngst, im Juni, zündete das inzwischen auch für Raumfahrt zuständige Ministerium dann die nächste Stufe - eine strategische Förderung von vier "Forschungsprofessuren" zum "Aufbau DDR-bezogener Forschungsschwerpunkte", die in Verbünden an den sich bewerbenden Universitäten angedockt werden sollen (die freilich selbst langfristig die Finanzierung für diese Stellen organisieren müssen). Es soll jetzt offenbar gelten: Viel hilft viel.
Forschung ohne Resonanz
Doch welche Resonanzen haben diese Initiativen in der akademischen Sphäre selbst? Was die deutsche Geschichtswissenschaft betrifft, steht die von aufwallenden AfD-Ängsten befeuerte Projekt-Bonanza aus Berlin in einem eigentümlichen Missverhältnis zu den wissenschaftlichen Diskussionen und fachimmanenten Konjunkturen. Es gibt etliche kleinere und größere empirische Forschungsprojekte, insbesondere Dissertationen, zur ostdeutschen Zeitgeschichte nach 1990, die sich oft im Orbit der etablierten Forschungsinstitute in München, Berlin/Potsdam oder Hamburg bewegen. Man bemüht sich hier - allen Befristungen zum Trotz - auch um gesellschaftlichen "Outreach".
Am Ende docken diese Vorhaben oft nahtlos an die Fülle an Auftragsforschungsprojekten zur NS-Vergangenheit von der Amtsstelle bis hoch zum Bundesministerium an, die diese zeithistorischen Institutionen seit zwei Jahrzehnten äußerst erfolgreich bewirtschaftet haben. Gleichwohl scheint das Feld der (Post-)DDR-Geschichte bislang kaum ein attraktives Sprungbrett für eine ohnehin oft prekäre akademische Karriere in Deutschland zu sein: Für Professuren werden viel breitere, zumeist transnationale oder gar globale Profile verlangt, und eine Spezialisierung auf ostdeutsche Geschichte mag Berufungskommissionen immer noch provinziell vorkommen.
Deshalb verwundert es auch nicht, dass der Verband der Historiker Deutschlands es auf seinen Historikertagen zuletzt weitgehend versäumt hat, überhaupt Themen mit ostdeutschen Bezügen ins Programm zu nehmen - besonders augenfällig ausgerechnet auf dem letzten Treffen vor zwei Jahren in Leipzig. Und auch beim jüngsten Treffen im September 2025 in Bonn galt weitgehend: Fehlanzeige Ost. Dabei hätten die inzwischen primär auf Drittmittelerwirtschaftung getrimmten Universitäten eigentlich den Braten riechen können. Aber es mangelt auch nach dreieinhalb Jahrzehnten oft schlichtweg noch an Personen, die ostdeutsche Anliegen in Gremien repräsentieren können. Festzuhalten bleibt mit Blick auf Ostdeutschland ein Auseinanderdriften von gesellschaftlichen Debatten, politischen Projektierungen und wissenschaftsimmanenten Logiken.
Oft noch immer hysterische Ost-Westdebatten
Während sich die breitere Öffentlichkeit in fast hysterischen Ost-West-Debatten um die Bücher des Leipziger Literaturprofessors Interner Link: Dirk Oschmann ("Der Osten: eine westdeutsche Erfindung") oder der in London ansässigen Journalistin und Historikerin Interner Link: Katja Hoyer ("Diesseits der Mauer") ergeht, die den Ossi-Wessi-Schlachten aus den Neunzigerjahren in Emotionalität und Polarität in nichts nachstehen, bleibt es im akademischen Feld relativ ruhig. Oschmann und Hoyer erzielen erhebliche Publikumserfolge insbesondere im Osten. Andere ostdeutsche Wissenschaftler wie Ilko-Sascha Kowalczuk, Steffen Mau oder Christina Morina erklären "den Osten" je auf ihre Weise (mal krawalliger, mal differenzierter, mal empathischer) - in Talkshows, auf Podien oder in den sozialen Medien. Diese medienversierten "Eastplainer" richten sich nicht nur, aber auch an ein besorgtes westdeutsches Mittelschichtpublikum, das sich immer lauter die bange Frage stellt: Was lief oder läuft da grundsätzlich eigentlich falsch - nach all den Jahren, trotz all der Multimilliarden-Transfers?
Noch bis etwa 2015, in den langen Jahren der "ostdeutschen" Kanzlerinnenschaft Angela Merkels, war die Erwartung vorherrschend, dass die generationelle Abfolge die so altbackenen wie drögen Ost-West-Konfliktlagen früher oder später von selbst auflösen werde. Heute ist das Bild vollkommen anders. Gerade Jüngere setzten zuletzt ihr Kreuz bei der AfD, die zugleich eine enorme Dominanz in den sozialen Medien erlangt hat. Vom betont maskulinen Ostdeutschland-Stolz bei Fußball-Ultras bis hin zu jungen Frauen, die provokant als "Ostmullen" auf Instagram in Schwarz-Rot-Gold oder gleich Schwarz-Weiß-Rot posieren: Insbesondere für die Generation der nach 2000 Geborenen geht die alte Rechnung eines allmählichen Verblassens von Ost-West-Gegensätzen nicht auf.
Eine oft belächelte oder angefeindete, stark national bis nationalistisch aufgeladene "Ost-Identität" ist ein ernst zu nehmender Faktor. Und noch immer spuken die einschneidenden Erfahrungen von Abwicklung, Arbeitslosigkeit und Abwanderung gerade durch den ländlichen Osten, der sich mehr denn je abgehängt und verkannt fühlt - ein Gefühl, das sich offenbar auch auf die jüngeren Generationen überträgt. Und das natürlich wieder die Mechanik bedient: die da oben, wir hier unten. Es sind gerade diese fernen Räume, die auf unseren Wahllandkarten mittlerweile fast selbstverständlich als tiefblaue Meere erscheinen, die nur noch gelegentlich von schwarzen und ganz wenigen grün-roten Inseln gespickt sind.
Angesichts dieser hartnäckigen Problemlagen stellt sich die Frage: Was können die nun in aller Eile im Osten hochgezogenen Leuchttürme bewirken? Natürlich ist es etwas wohlfeil, endlos über das jahrzehntelange Desinteresse am Osten jenseits der rituellen Berichterstattung zum 3. Oktober oder 9. November zu lamentieren. Selbstredend wäre es in der Retrospektive besser gewesen, man hätte ein Zentrum, wie es jetzt in Halle entstehen wird, schon im Jahr 2000 errichtet - oder noch besser viele kleinere, im Osten und im Westen, um produktive Dialoge jenseits der kollektiven Ost-West-Polarisierungen anzuregen. Doch sosehr der krisenwahrnehmungsbedingte Geldregen in einer strukturell ausgetrockneten Universitätslandschaft willkommen ist - jeder Hobbygärtner weiß, dass nach langer Zeit der Dürre ein energisches Übergießen der ausgedörrten Pflanzen mit der randvollen Gießkanne kaum hilfreich ist.
"Geld wird gegen Gefühl ins Spiel gebracht"
Die institutionenpolitische Zeitenwende in der Ostdeutschlandforschung ist einem Kernwiderspruch technokratischer Politikansätze in fast allen liberalen Demokratien der Gegenwart verhaftet. Geradezu verzweifelt versucht man, gegen populistische Angriffe rein quantitativ anzuinvestieren: Mit noch mehr Technokratie von oben soll Technokratie-Verdruss an der Basis bekämpft werden. Geld wird gegen Gefühl ins Spiel gebracht.
Dabei scheint sich paradoxerweise ein Kardinalproblem des "Aufbaus Ost" nach 1990 zu wiederholen, als westdeutsche Spitzen- und Fachkräfte die nach der Euphorie des Jahres 1989/90 eintretende Malaise in Ostdeutschland regulierten wie einen Pflichtversicherungsschadensfall: "Harte" Investitionsprogramme und flankierende Sozialtransfers sollten die Schockwirkungen des ökonomischen Umbruchs abpuffern, während man die "weichen", kulturellen Erschütterungen oft als bloßes "Jammern" von "Einheitsverlierern" und vermeintlichen Anpassungsverweigerern wegwischte: Der Betrieb und die Kollegen waren weg, aber immerhin gab es doch Stütze oder eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Es ist dieses biographisch-kulturelle Trümmerfeld, das nun die AfD virtuos als neue "Partei des Ostens" digital wie analog bewirtschaftet.
Und genau hier ergibt sich die besondere Herausforderung für die politische Bearbeitung der jüngsten Ost-West-Spannungen. Bleibt es allein bei zentralen, von oben "programmierten" Lösungen, die den politischen Sachzwanglogiken von Legislaturen, Haushalten und Hierarchien folgen, dürften die dezentralen Resonanzen vor Ort kaum die erhoffte Wirkung entfalten. Oder maritim gesprochen: Ein auch noch so hell strahlender, prächtig in die Höhe aufschießender Leuchtturm wird nichts helfen, wenn er nicht vom Wasser umgeben ist, auf dem Boote überhaupt navigieren können.
Zukunft der Wissenschaft: Zuhören und zustimmen oder zweifeln und zurechtrücken?
Eng hiermit verknüpft ist die generelle Frage, welche Rolle Wissenschaft in diesem Zusammenhang in der Gegenwart überhaupt spielen kann. Wagt man den Seitenblick auf andere heißgelaufene Debatten etwa zur Klimaforschung oder zur Gesundheitspolitik, dürfte sich der Optimismus in Grenzen halten.
Auch wird man sich die Frage stellen müssen, wie die viel geforderte "Anerkennung" von (ostdeutschen) Lebensleistungen in der Praxis eigentlich aussehen soll: Zuhören und zustimmen oder zweifeln und zurechtrücken? Die dabei involvierten Forscher werden sich stets selbst befragen müssen, wie sie ihre eigene Rolle in diesen komplexen Prozessen eigentlich sehen. Kritische oder reflexive Transformationsforschung, wenn man denn bei diesem selbst technokratischen Begriff bleiben möchte, funktioniert eben kaum wie ein hochsubventioniertes Technologie-Cluster, das transformative Zukunftsmodelle nach Belieben kreieren und exportieren kann.
Und gerade an diesem Punkt wird man um eine breitere Debatte in den beteiligten Fächern nicht herumkommen: Was sollen, was können, was müssen die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften zu den gesellschaftlichen Debatten beitragen? Bei der Antwort hat der in den letzten Jahren von der Wissenschaftspolitik selbst verfügte Rückzug auf immer höhere Ebenen des nur noch auf sich selbst bezogenen Drittmittelelfenbeinturms sicher nicht geholfen - allen in die Anträge geschriebenen "Citizen science"-Ansätze zum Trotz.
An dieser Stelle wäre ein Blick in die - parallel zum technokratisch ausgestalteten "Aufbau Ost" - euphorisch begonnene und dann ernüchtert verflossene sozialwissenschaftliche Transformationsgroßforschung der Neunzigerjahre hilfreich:
Aus einer modernisierungsfreudigen Makroperspektive allein, im Streben nach dem großen Transformationstheoriewurf, für den die Bevölkerung eher ein abstraktes Studienobjekt ist, wird wohl kaum ein differenziertes Bild entstehen, das kontinuierliche Diskussionen ermöglicht. Man wird vielmehr (selbst-)kritisch diskutieren müssen, wie wissenschaftsimmanente Forschungsfragen mit breiteren gesellschaftlichen Debatten und politischen Anforderungen noch besser und auch kreativer verknüpft werden können, jenseits einer seriellen Auf- oder besser: Abarbeitung von staatlich finanzierten Großprojekten, oft durchgeführt von dauerhaft-befristet angestellten Forschern unterhalb der heißbegehrten Professuren, deren glücklich entfristete Inhaber primär als Manager den Mittelzufluss schon aus existenziellem Eigeninteresse stets am Laufen halten müssen.
Ratsam wäre es, nun auch endlich mit verschiedenen Forscherinnen und Forschern offen darüber zu sprechen, was im 200-Millionen-Euro-Glaspalast zu Halle, dessen Eröffnung selbst bei pünktlicher Fertigstellung schon in die Zuständigkeit eines AfD-Ministerpräsidenten fallen könnte, eigentlich inhaltlich passieren soll. Der Lichtkegel eines Leuchtturms sollte sich letztlich am Ende immer nach außen richten.
Deutschlands Osten als "postsozialistischer Sonderfall"
Politik und Wissenschaft sind also gleichermaßen gefordert, aus ihren eingefahrenen Denkschemata auszubrechen, wenn derlei gesellschaftliche Interventionen auch Resonanzen erzeugen sollen. Doch es stellt sich noch ein weiteres, perspektivisches Problem - und auch dieser Text ist bislang ein beredtes Beispiel dafür: Die nationale Nabelschau muss endlich überwunden werden. Freilich, es soll bald in Halle auch um "Europäische Transformationen" gehen - was auch immer das am Ende sein mag. Doch in der Praxis erweist sich schon der Graben zwischen Ostdeutschland und Zentral- und Osteuropa erfahrungsgemäß als viel tiefer, als man es im Jahr 2025 vielleicht erwarten könnte.
Der deutsche Osten erscheint - gerade im Vergleich zu Ländern wie Polen, Ungarn oder Rumänien, letztlich noch immer als postsozialistischer "Sonderfall" nach dem Ende des "Sonderwegs"; nur hier vollzog sich - wie etwa Philipp Ther betont hat - eine vollendete "Schocktherapie" (in Form der abrupten Wirtschafts- und Währungsunion und der folgenden Treuhand-Privatisierungen), die allerdings mit den Mitteln des westdeutschen Sozialstaates (in Form der Sozialunion) materiell abgepuffert wurde - materiell, aber nicht kulturell.
Die in der Öffentlichkeit nach wie vor mit Verve betriebene Diskussion über den "Stand der inneren Einheit" ist ein ritueller Ausdruck dieses Sonderstatus. Natürlich sind fortbestehende sozioökonomische Ungleichheiten (Vermögen oder Erbschaften) sowie gesellschaftliche Asymmetrien (Karriereoptionen oder Aufstiegschancen) zwischen Ost und West weiterhin ein ganz erhebliches Problem.
Fehlende Horizonterweiterungen
Doch werden die in letzter Zeit wieder verschärft diskutierten Ost-West-Zuschreibungen in aller Regel mit der Frage der "Schuld" beziehungsweise Verantwortlichkeit belegt, woran uns Steffen Mau jüngst in seinem Buch "Ungleich vereint" erinnert hat. Am Ende besteht die Gefahr, dass alle gegenwärtigen Anstrengungen in Politik und Wissenschaft eben nicht zu einem Aufbrechen, sondern zu einer dauerhaften Verfestigung dieser innerdeutschen Selbstfixierungen führen. Aber ein funktionstüchtiger Leuchtturm sollte sein Licht auch an Schiffe senden, die unter der Flagge benachbarter oder weit entfernter Länder fahren.
Es bleibt die Frage, welche Debatten wir in unserer neuartigen Leuchtturmlandschaft Ost führen wollen. Man wird die klassischen Debatten über die Einheit nicht endlos wiederholen wollen, in der die einander befehdenden Lager entweder eine heldenhafte Erfolgsgeschichte (der Friedlichen Revolution sowie der kunstfertigen Wiedervereinigung) oder doch eine neoliberale Verschwörung (in Form von kapitalistischer "Abwicklung" oder neokolonialer "Übernahme") erkennen.
Ähnliches gilt für die zu Tode diskutierte Dialektik zwischen langfristigen Prägewirkungen der "DDR-Vergangenheit" gegenüber den kurzfristigen "Transformationsschocks" im Osten. Man wird aber noch stärker und offener darüber diskutieren müssen, wie sich die inzwischen intensiv beforschte, massive Welle an Gewalt, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gegenüber Zugewanderten im Kontext der "Baseballschlägerjahre" auf der einen sowie die sozioökonomischen Verlusterfahrungen und Deklassierungen in der ostdeutschen Gesellschaft auf der anderen Seite zueinander verhielten - und wie diese Jahre letztlich als Vorgeschichte unserer Gegenwart zu begreifen sind.
Natürlich gilt es dabei generell, die fast schon manische Fixierung auf "den" Osten noch stärker zu hinterfragen und auch zu überwinden; zeitliche Perspektiven und räumliche Blickwinkel sind zu erweitern, über die Neunzigerjahre und einen nur vermeintlich homogenen Osten hinaus. Denn: Der Aufstieg und die Radikalisierung des Rechtspopulismus sind gerade kein genuin ostdeutsches, nicht einmal ein europäisches, sondern ein weltweites Phänomen. Dass die goldenen Verheißungen des westlichen Liberalismus im grauen Alltag des Postsozialismus möglicherweise zuerst an ihre Grenzen stießen und in ihre populistische Umkehrung kippten - also im Osten zuerst das liberale "Licht erlosch", wie Ivan Krastev und Stephen Holmes dargelegt haben -, erscheint freilich wenig ermutigend. Doch lohnte es, darüber vergleichend und kontrovers zu diskutieren.
"Es drängt sich die Frage regelrecht auf: Für wen wird dieses Zentrum eigentlich gebaut?"
Kann ausgerechnet Halle, der Schauplatz des berühmt-berüchtigten Eierwurfs auf Bundeskanzler Helmut Kohl am 10. Mai 1991, der rasch zum ikonischen Symbol von Stimmungsverfall und "Vereinigungskrise" wurde, den Kristallisationspunkt eines neuen Ost-West-Austauschs bilden? Architektur verrät viel über die Ansprüche ihrer Auftraggeber, das gilt auch für den Siegerentwurf für das neue Zukunftszentrum. Der Bau ist kühn, gläsern und dynamisch - aber ein Blick in den geplanten Innenraum aus vielfältigen Treppen und Sichtachsen offenbart: Er mutet zugleich betoniert, kühl, abstrakt und letztlich einschüchternd an. Es drängt sich die Frage regelrecht auf: Für wen wird dieses Zentrum eigentlich gebaut? Für die unter populistischen Druck geratene Spitzenpolitik als demonstrativer Aktivitätsausweis? Für eine stets drittmittelhungrige Wissenschaft auf der Suche nach neuen Pfründen? Oder doch für "die" Gesellschaft, die sich von beiden immer weniger verstanden fühlt?
Auch jenseits von Halle gilt: Ein kontroverser, riskanter Diskussionsabend in einer verkehrstechnisch abgelegenen Kleinstadt kann größeren "Impact" erzeugen als die nächste Reihenveranstaltung in einer Universitätsstadt, bestritten von angereisten Akademikern aus dem fernen Großstadtkiez, bei der man oft vor einem Publikum sitzt, das gar nicht gewonnen werden muss. Am Ende wird es ein dauerhaftes und dezentrales Engagement in der Fläche und im Digitalen jenseits der politischen wie akademischen Komfortzonen sein, mit dem sich vielleicht einige kleine Siege erringen lassen.
Das Versöhnende und das Visionäre können einander durchaus bedingen, aber nicht, wenn technokratische Politik und selbstbezogene Wissenschaft sich gar nicht auf einen gesellschaftlichen Austausch einlassen, der vielfältige, experimentelle und offene Formen diskutieren und ausprobieren muss. Nicht ein einziger Glasturm wäre dann die Lösung, sondern eine ganze Kette an kleineren und größeren Leucht- und Lagerfeuern, die wieder etwas mehr Licht in die blaue Dunkelheit des Ostens bringen könnten.
Zitierweise: Marcus Böick, "Leuchttürme im blauen Meer", in: Deutschland Archiv, 16.10.2025. www.bpb.de/571786. Alle Rechte vorbehalten: Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt, wo der Beitrag am 10.9.2025 erstveröffentlicht wurde. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv und mit freundlicher Genehmigung des Autors. Alle Beiträge im Deutschland Archiv sind Recherchen und Sichtweisen der jeweiligen Autoren und Autorinnen, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar (hk).
Seit Oktober 2023 Assistant Professor in Modern German History und Fellow am King’s College der University of Cambridge, zuvor Gastprofessor beim BMBF-Forschungsverbund "Biographische Verarbeitungen und gesellschaftliche Repräsentationen in Ostdeutschland seit den 1970er Jahren" an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 2021/22 war er Joint Visiting Postdoctoral Research Fellow am Institute of Advanced Studies des University-College London und am German Historical Institute London. Zuvor war Böick Akademischer Rat und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Institut der Ruhr-Universität Bochum. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Deutsche und Europäische Geschichte im 20. Jh., Geschichte von Transformationen & Umbrüchen n. 1989, Wirtschafts- und Kulturgeschichte, Sicherheits- und Gewaltgeschichte und Theorien der Geschichtswissenschaften. Er hat mehrfach zum Thema Treuhand publiziert, unter anderem: Marcus Böick, Die Treuhand. Idee – Praxis – Erfahrung, Göttingen 2018, außerdem in: Interner Link: (Ost)Deutschlands Weg, herausgegeben von der bpb 2022.