Sharon Adler: In Ihrem Buch „Seit ich weiß, dass du lebst. Liebe und Widerstand in finsteren Zeiten“ zeichnen Sie anhand von Briefen Ihrer Eltern deren Liebes- und (Über-)Lebensgeschichte zwischen Bukarest, Paris und Dresden von der NS-Zeit bis in die DDR nach. Sie schildern, wie Ihre Eltern – getrennt voneinander – der nationalsozialistischen Verfolgung entkamen. Wurde in Ihrem Elternhaus über diese Zeit geschwiegen oder gesprochen?
Nora Goldenbogen: Bei uns wurde sogar sehr viel darüber gesprochen, deswegen konnten auch viele meiner Erinnerungen in dieses Buch einfließen. Worüber nicht gesprochen wurde – das weiß ich aber auch erst heute und das trifft so auf viele andere Überlebende zu – war die Haftzeit meines Vaters im Konzentrationslager Sachsenhausen. Worüber er gesprochen hat, war, wie man so etwas überlebt hat. Das war etwas, was er mir mitteilen wollte. Alles andere, worüber ich im Buch geschrieben habe, habe ich erst nach dem Tod meiner Eltern in den Manuskripten meines Vaters in seinem Nachlass entdeckt.
Die Jüdische Gemeinde Dresden Anfang der 1950er-Jahre
Sharon Adler: Welche Erinnerungen haben Sie an Ihr Elternhaus und die Jüdische Gemeinde in Dresden nach der Shoah? Wie waren die Beziehungen der Überlebenden und Rückkehrer*innen untereinander?
Nora Goldenbogen: Ich habe, was die Gemeinde in den ersten Jahren betrifft, nur wenige Kindheitserinnerungen. Ich kann mich an die ersten Seder-Abende und an eine Chanukka-Feier erinnern und dass ich ein sehr schönes Geschenk bekommen habe.
Woran ich mich auch erinnere, ist, dass meine Eltern intensiv mit einer Reihe Überlebender befreundet oder bekannt waren. An die Gespräche zwischen ihnen bei uns zu Hause kann ich mich sehr gut erinnern. Man merkte, dass sie eine gemeinsame Geschichte, dass sie eine besondere Beziehung zueinander und eine Vertrauensbasis hatten. Und auch relativ offen über bestimmte Dinge miteinander sprachen, wenn auch nicht darüber, was sie im Lager erlebt haben. Man verstand sich ohne Worte.
Dadurch habe ich viele Gemeindemitglieder kennengelernt. Darunter war der Historiker Helmut Eschwege, außerdem eine ungarische Jüdin, auch eine Überlebende. Und eine jüdische Ärztin, die im Spanien-Krieg war und hier in der Nähe wohnte. Und eine ganze Reihe anderer.
Meine Eltern hatten auch viele nichtjüdische Bekannte und Freunde hier in Dresden, aber im Wesentlichen nur solche, von denen sie wussten, was sie vor 1945 gemacht haben. Sie haben schon genau überlegt, mit wem sie eine Freundschaft eingingen oder nicht.
Mitglied der Gemeinde war nur meine Mutter, da sie Jüdin war. Aber mein Vater hatte durch die gemeinsame Geschichte eine sehr enge Beziehung zum Judentum, und damit auch zu jüdischen Freunden, schon während der Exil-Zeit. Daher haben sie auch gemeinsam in der Gemeinde mitgearbeitet.
Sharon Adler: In welchen Bereichen haben sich Ihre Eltern engagiert?
Nora Goldenbogen: Sie haben sich damals auch außerhalb der Gemeinde engagiert. Mein Vater hat sich 1945, als er aus dem Konzentrationslager zurückkam, bei dem ersten Antifa-Ausschuss gemeldet, der sich in Dresden gebildet hatte. Er hat über ein Jahr an einer Dresdner Schule gearbeitet, die Lehrgänge für junge Leute organisierte, überzeugte Nazis, die in den Nazi-Jugendorganisationen gewesen waren, wie die HJ und der BDM. Mein Vater hatte anfangs sehr große Bedenken, diese Arbeit zu machen. Aber er hat dann gemerkt, wie wichtig das ist, und dass es bei jungen Leuten oft noch eine Möglichkeit gab, sie in eine andere Richtung zu lenken.
Ich weiß auch, dass das Wirkung zeigte. Erst vor kurzem habe ich die Erinnerungen einer damals jungen Frau gelesen, die in einem dieser Lehrgänge war. Sie schrieb darüber, wie wichtig es für sie war, dass sie Leute kennengelernt hat, die im Widerstand waren, die Verfolgte waren. Dass sie dadurch angefangen hat, sich von der Nazi-Ideologie zu lösen. Und in den 1980er-Jahren erzählte mir ein Optiker in Dresden, dass der Lehrgang bei meinem Vater dazu beigetragen hat, dass er anders auf das Leben geguckt hat. Es war richtig, dass Überlebende, ehemalige Verfolgte und Inhaftierte der Konzentrationslager das gemacht haben. Wenn sie es sich zutrauen konnten. Das konnte nicht jeder. Meine Eltern haben sich auch in der Betreuungsarbeit für die vielen Verfolgten eingebracht. Durch die Zeit in den Lagern waren viele gesundheitlich hinfällig und brauchten mehr und mehr Betreuung und Zuneigung. Es gab damals viele Ehrenamtliche, die sich in der Organisation „Externer Link: Verfolgte des Naziregimes“ (VdN) engagiert haben.
Sharon Adler: Die jüdischen Rückkehrer*innen aus dem Exil oder den Konzentrationslagern kamen mit großen Hoffnungen – auch auf ein Leben ohne Verfolgung und Diskriminierung – bewusst in die sowjetisch besetzte Zone und später in die DDR zurück. Erfüllten sich ihre Hoffnungen? 1952 und 1953 wurden in der Sowjetunion unter Stalin jüdische Intellektuelle verfolgt und ermordet. In Prag fanden die antisemitischen Slánský-Prozesse statt. Sie haben dazu geforscht und publiziert;
Nora Goldenbogen: Ich würde sagen, das ist eine ambivalente Geschichte. Die meisten, die zurückgekommen sind, waren der Meinung, dass das, was in der DDR versucht wurde, der richtige Weg war. Aber sie haben auch all die Blessuren mitgekriegt, die die Entwicklung in den sozialistischen Ländern genommen hat. Vor allem alles das, was mit dem Stalinismus verbunden war. Der war in der DDR nicht so rabiat und so tödlich wie in der Sowjetunion oder in den Hochzeiten mit dem Slánský-Prozess
Für die linken Juden war es schwierig, weil sie ihre Ideale mit der Wirklichkeit messen mussten, die damit auseinanderklafften. Manche sind verzweifelt, manche sind in den 1950er-Jahren auch weggegangen – das waren nicht wenige. Das hat sich dann ein Stück differenziert, wenn man die große Gruppe dieser Rückkehrer betrachtet. Die geblieben sind – das waren auch viele – haben jeder für sich selbst entschieden, wie sie mit diesen Dingen umgehen. Es gab welche, die es verdrängt haben, andere, und so kenne ich das auch aus dem Freundeskreis meiner Eltern, wurden von diesen Erfahrungen, dem Slansky-Prozess und seinen Auswirkungen geprägt. So war das auch bei Bruno Goldhammer,
Sharon Adler: Wie beurteilen Sie rückblickend heute die Auseinandersetzung der NS-Vergangenheit Deutschlands in der DDR ?
Die Historikerin Nora Goldenbogen auf dem Gelände des Neuen Jüdischen Friedhofs in Dresden. Hier hat sie für den von ihr mitgegründeten Verein Hatikva e.V. viele Male im Rahmen ihrer Führung “Jüdisches Leben in der DDR” über die dort bestatteten Juden und Jüdinnen berichtet und zur jüdischen Geschichte Dresdens nach 1945 informiert. (© Sharon Adler/PIXELMEER, 2023)
Die Historikerin Nora Goldenbogen auf dem Gelände des Neuen Jüdischen Friedhofs in Dresden. Hier hat sie für den von ihr mitgegründeten Verein Hatikva e.V. viele Male im Rahmen ihrer Führung “Jüdisches Leben in der DDR” über die dort bestatteten Juden und Jüdinnen berichtet und zur jüdischen Geschichte Dresdens nach 1945 informiert. (© Sharon Adler/PIXELMEER, 2023)
Nora Goldenbogen: Bei den nichtjüdischen Leuten hing es sehr von ihrer eigenen Geschichte ab, und wie sie damit umgingen. Das ist mir erst viel später klar geworden, als ich mich forschungsmäßig und in der Arbeit damit beschäftigt habe. Es gab Vorbehalte und Tabus, die geblieben sind. Dazu kam eine Überbewertung des Widerstands, auch in der Literatur. Ich denke, die Geschichte der Verfolgung und des Anteils vieler Deutscher daran – wenn man zum Beispiel weggeguckt hat –, prägte auch den Blick vieler nach 1945. Das habe ich in meiner Kindheit nicht erlebt, aber als Erwachsene wurde ich damit konfrontiert.
Defizite gab es in der DDR insofern, als dass man viel über die Verfolgung der Juden wusste, damit aber nicht wirklich umgegangen ist. Das spüre ich auch heute, wenn mir ältere Leute sagen: „Wissen Sie, ich habe ja nichts gegen Juden, aber ...“ Das ist einfach nie richtig bearbeitet worden. Auch in den Familien nicht. Wo wurde diese Auseinandersetzung in den Familien wirklich geführt? Zwar gab es in den 1970er-Jahren junge Leute, die gefragt und sich damit beschäftigt haben, aber ich würde mal sagen, dass das nicht die Mehrheit war. Der größte Teil hatte eher eine innere Abwehr bei diesem Thema. Ich behaupte, dass das ein deutsches Gesamtproblem ist. Bei einer Veranstaltung mit Juristen zum Thema Antisemitismus habe ich vor Kurzem genau das gesagt. Die guckten ein bisschen betroffen, aber am Ende mussten sie mir Recht geben.
Sharon Adler: Wie gestaltete sich die Vermittlung zum Judentum und zum Nationalsozialismus an den Lernorten Schule oder an den Universitäten, im Schulunterricht und in den Lehrplänen?
Nora Goldenbogen: Ein Defizit war die Vermittlung von der Geschichte des Judentums abseits der Shoah. Erst Ende der 1970er- und in den 1980er-Jahren gab es bei uns dazu eine Reihe von Ausstellungen. An dem Interesse daran zeigte sich, dass es viel Nachholbedarf gab. In der Literatur fand eine Auseinandersetzung statt, aber man musste sich schon dafür interessieren wollen, um zum Buch zu greifen. Es gab viel gute Belletristik zu dem Thema. Und gute Sachbücher, aber sie waren nicht unbedingt Allgemeingut. In der Schule wurde das nicht gelehrt. Was wir heute im Ethik-Unterricht haben, gab es damals nicht. Aber es gab auch keinen Unterricht zum Christentum. Es gab überhaupt nichts in der Richtung.
Sharon Adler: Zu DDR-Zeiten waren Sie an der Bezirksparteischule
Nora Goldenbogen: Beides. Ich war von 1984 bis zum Ende an der Schule. Das war ein Fehler, würde ich heute sagen. Die Parteischulen waren eine spezifische Einrichtung insofern, als dass dort nur Parteigeschichte gelehrt wurde: die Geschichte der SED, die Geschichte der sozialistischen Bewegung, natürlich auch linke Philosophie und die Geschichte der Arbeiterbewegung. Ich unterrichtete die Geschichte der Arbeiterbewegung und vor allem die Zeit der Weimarer Republik. Das war eine schöne Sache, aber das Problem dieser Schulen war, dass sie zur Parteidisziplin erziehen sollten.
Da waren nur Leute, die auch Mitglieder der SED waren. Die Atmosphäre war unerträglich. Das wurde mir erst nach und nach bewusst. Insofern war es für mich, als diese Schule nicht mehr existierte, wie eine Befreiung. Die andere Seite war, dass auch unsere gesamte Welt zusammenbrach. Das Land war weg, wirklich weg. Ich erinnere mich an die Währungsunion, wo es von einem auf den anderen Tag keine Ost- und regionalen Produkte mehr gab. Man hatte das Gefühl, in einem anderen Land zu sein. Mein Mann und ich haben das sehr deutlich und mit Schmerzen empfunden.
Sharon Adler: Wie haben Sie aus jüdischer Sicht die Öffnung der innerdeutschen Grenzen erlebt? Gab es bei Ihnen oder in Ihrem jüdischen Umfeld Befürchtungen vor einem möglichen Erstarken des Nationalismus in Deutschland?
Nora Goldenbogen: Ich hatte diese Ängste, und die waren auch nicht unbegründet. Ich kann mich gut an das Frühjahr 1990 erinnern, da gab es hier die erste große Neonazi-Demo. Damals noch mit dem Kühnen, einem bekannten Neonazi-Führer der NPD. Dann kam ganz schnell eine Vereinigung mit Leuten aus dem Westen, die auch in diese Richtung ging. Und junge Leute bei uns liefen auch den Rechten hinterher, denn jetzt konnten sie es. Es ging ganz, ganz schnell mit nationalistischen bis hin zu rechtsextremen Tönen.
Ich weiß nicht, wie viele Leute das bei uns wirklich wahrgenommen haben. Wir ja, mein Mann, unsere Kinder und ich. Wir hatten einfach eine Antenne dafür. 1991 habe ich dann auch die ersten rechtsextremen Flugblätter gesehen. Die kamen auch zu uns in den Briefkasten, als wir anfingen, den Verein HATiKVA e. V.
Sharon Adler: Was bedeutete die Wiedervereinigung Deutschlands für die Jüdischen Gemeinden in Sachsen? Was hat sich für sie und für die jüdische Gemeinschaft verändert?
Nora Goldenbogen: Das ist eine spannende Geschichte. Das Größenverhältnis war extrem, da waren die größere jüdische Gemeinschaft in der alten Bundesrepublik und unsere kleinen Gemeinden in der DDR. Es gab aber schon sehr früh Kontakte und Beziehungen. Anfangs war das in Ostberlin viel stärker als bei uns in Dresden.
Mit den Veränderungen der Strukturen in unserem System, und das war das Hauptproblem, waren die alten Strukturen der DDR-Gemeinden relativ bald quasi zur Hälfte nicht mehr vorhanden. Unser Verband „Jüdische Gemeinden in der DDR“ für die insgesamt acht Gemeinden war 1990 im Prinzip erledigt. Die Jüdischen Gemeinden der DDR kamen unter die Ägide des Externer Link: Zentralrats.
Als die neuen Bundesländer entstanden, mussten Landesverbände aufgebaut werden. Mit den Änderungen der Strukturen hat sich relativ früh auch die finanzielle Unterstützung geändert. Im Staatshaushalt der DDR war immer eine bestimmte Summe zur Unterstützung der Jüdischen Gemeinden vorgesehen, vom Staatssekretariat für Kirchenfragen. Damit konnten sie wirtschaften. Das ging Anfang der 1990er-Jahre in die föderalen Strukturen über. Dann wurden die ersten Staatsverträge
Das bedeutete für die Jüdischen Gemeinden eine große strukturelle Umstellung. Andererseits gab es durch die Washingtoner-Erklärung
Sharon Adler: Nach der deutschen Wiedervereinigung und der politischen Wende in der Sowjetunion kamen viele Jüdinnen und Juden auch nach Dresden. Wie ging die Gemeinde damit um? Was waren die größten Herausforderungen?
Nora Goldenbogen: Auch das war für die Jüdischen Gemeinden spannend. Bei uns in Dresden geschah das erst tröpfchenweise, aber ab 1993 hat sich das verstärkt. Unsere Gemeinde zählte damals 61 Mitglieder – und wir sind auf über 750 Personen angewachsen. Die Gemeinde hatte eine Büroetage in einem Wohnhaus, später dann zwei. Es gab eine Verwaltung, die aus dem ehrenamtlichen Vorsitzenden und einer Sekretärin bestand. Zuallererst wurde eine Sozialarbeiterin, die auch Russisch konnte, eingestellt, damit es überhaupt eine Ansprechpartnerin gab.
Die größte Herausforderung war die Organisation der Unterbringung für all die ankommenden Menschen. Sie mussten erst lange in Wohnheimen leben, bevor sie eigene Wohnungen bekamen. Das Hauptproblem, was sich bis heute durchzieht, war das Thema Arbeit. Dadurch, dass ihre Berufsabschlüsse nicht anerkannt wurden, schaffte es ein großer Anteil von Menschen mit hochqualifizierten Hochschulabschlüssen – das waren Professoren, Doktoren, Ärzte oder Musiker – nicht, in ihrem Beruf Fuß zu fassen. Viele haben dann alles Mögliche ge- und versucht, manche kamen nur über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu einer Arbeitsstelle. Dass das nicht anders geregelt wurde, war ein großer Fehler. Viele von ihnen hätten noch 15 oder 20 Jahre eine erfüllte Arbeitszeit haben können.
Eine große Herausforderung war es auch, dass unser Haus nicht für kulturelle oder sportliche Aktivitäten geeignet war. Die Frauen und Männer, die aus Russland und aus der Ukraine kamen, brauchten auch ein Stück Betätigung in den Dingen, die sie liebten. Also Musik, Tanz und Aktivitäten für die Kinder. Es haben sich viele Clubs gegründet, etwa für Schach und Ballett, und ein Chor. Als 1994 in Dresden die Externer Link: Jiddische Musik- und Theater-Wochegegründet wurde, waren von Anfang an viele der Neuzuwanderer dabei. Dort haben sie ein Betätigungsfeld gefunden. Gerade, weil es jiddisch war. Die meisten kannten diese osteuropäische Kultur noch von ihren Großeltern. Da spielte das Jiddische eine große Rolle, auch wenn sie es selbst nicht mehr sprachen. Wie wichtig das war, habe ich erst verstanden, als ich selbst in der Gemeinde die Verantwortung hatte. Dies alles zu stemmen, war ein wahnsinniger Anspruch an die kleinen Gemeinden. Aber es war auch eine sehr spannende Zeit.
Sharon Adler: Jüdisches konnte in der Sowjetunion nicht offen gelebt werden. Wie wurden jüdische Traditionen und die Religion in der Synagoge vermittelt?
Nora Goldenbogen in der am 18. Juni 1950, nach jüdischem Kalender am 3. Tammus 5710, geweihten Synagoge, die aus dem Umbau der teilweise zerstörten, ehemaligen Totenhalle (Tahara) entstand. Auf der Marmortafel abgebildet ist das Kaddisch (Hebräisch für „Heiligung“), ein Gebet, das sich mehrfach in der jüdischen Liturgie wiederfindet, und das vor allem zum Totengedenken gesagt wird.
(© Sharon Adler/PIXELMEER, 2023)
Nora Goldenbogen in der am 18. Juni 1950, nach jüdischem Kalender am 3. Tammus 5710, geweihten Synagoge, die aus dem Umbau der teilweise zerstörten, ehemaligen Totenhalle (Tahara) entstand. Auf der Marmortafel abgebildet ist das Kaddisch (Hebräisch für „Heiligung“), ein Gebet, das sich mehrfach in der jüdischen Liturgie wiederfindet, und das vor allem zum Totengedenken gesagt wird.
(© Sharon Adler/PIXELMEER, 2023)
Nora Goldenbogen: Das war sehr schwierig. Die jüdische Kultur, Musik und Küche funktionierten. Das waren die Erinnerungen, die geblieben sind und die in den Familien tradiert wurden. Aber das Jüdische als Religion, der Ritus des Kabbalat Schabbat
Sharon Adler: Was waren für Sie die größten Aufgaben und Entwicklungen in der Zeit als langjährige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Dresden von 2003 bis 2020 und seit 2017 als Vorsitzende des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden?
Nora Goldenbogen: In meine Zeit sind vieler dieser Entwicklungen gefallen, die ich geschildert habe. 2001 wurde die neue Synagoge eröffnet, denn es war offensichtlich, dass Dresden eine größere Synagoge brauchte. Um den Bau zu unterstützen, hatte es in Dresden viele öffentliche Aktionen gegeben, auch von nichtjüdischen Menschen. Dieses Haus mit Leben zu füllen, war meine Aufgabe. Wir hatten in den ersten fünfzehn Jahren viele schöne Kulturereignisse und Aktionen. Viele Jahre gab es ein von einer jüdischen Familie geführtes schönes Café im Gemeindehaus. Wir haben uns immer Mühe gegeben, und das war auch meine Devise, ein offenes Haus zu sein. Sowohl die Synagoge als auch das Gemeindehaus waren sehr offen und modern. Dresden ist etwas konservativ, was die Architektur betrifft. Wir hatten viel damit zu tun, die Vorbehalte gegenüber der Architektur zu überwinden. Da half die Offenheit. Wir organisierten viele Veranstaltungen, um die Dresdner in unser Haus zu bringen. Es gab viele Möglichkeiten, die Synagoge zu besuchen.
Sharon Adler: Was macht das Besondere der Jüdischen Gemeinde Dresden aus, die schon seit 1837 als Einheitsgemeinde besteht?
Nora Goldenbogen: Das Spezifische ist, dass die Gemeinde eine sehr lange Tradition hat. Und dass sie als eine relativ moderne Gemeinde gegründet wurde, die auch orthodoxen Strömungen eine Heimat gab, vor allem im 20. Jahrhundert, als viele osteuropäische Zuwanderer nach Dresden kamen. Heute haben wir insofern ein Problem, als dass der Kreis der Beter überschaubar ist. Ein großer Teil der Gemeindemitglieder kommt nicht in die Synagoge. Unser Ritus ist konservativ und egalitär.
Sharon Adler: In Ihre Amtszeit fiel das Attentat auf die Hallenser Synagoge im Oktober 2019 an Jom Kippur. Was bedeutet das für das „Konzept eines offenen Hauses“, für das die Jüdische Gemeinde Dresden steht? Sind nun neue Externer Link: Sicherheitskonzepte geplant?
Nora Goldenbogen: Das war sowieso ein Schock, den wir erlebt haben. Ich war an dem Tag zum Jom-Kippur-Gottesdienst in der Synagoge und habe in einer Pause davon erfahren. Es war fürchterlich. Für alle, die dort waren. Die Polizei hat auch sofort reagiert. Ich habe damals schon geahnt, dass das ein Ende unseres offenen Konzepts bedeutete. Diese Gefahr besteht jetzt, durch die hohen Sicherheitsstandards, die heute schon angewandt werden und die noch kommen werden. Das Haus wird umgebaut, so dass wir diese Offenheit in Zukunft nicht mehr erreichen. Heute, vier Jahre später, wissen manche schon nicht mehr, wie offen es hier war. Es schmerzt mich, dass das Judentum nicht so offen gelebt werden kann, wie wir es uns wünschen würden. Wir haben uns über die Jahre viel Mühe gegeben, das zu praktizieren. Wir machen uns keine Illusionen, es gibt genügend Antisemitismus in der Welt und auch in Deutschland. Das alles ist eine unheilvolle Mischung. Insofern war Halle doppelt und dreifach schlimm.
Sharon Adler: Sie sind Gründungsmitglied des Externer Link: Dresdner Vereins HATiKVA e. V. Bildungs- und Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur Sachsen e. V., dessen Leiterin Sie von 1996 bis zu Ihrem Rentenbeginn 2014 waren. Was war der Anlass für die Gründung? Welche Externer Link: Projekte möchten Sie besonders Externer Link: hervorheben?
Die Historikerin Nora Goldenbogen auf dem Gelände des Neuen Jüdischen Friedhofs in Dresden. Hier hat sie für den von ihr mitgegründeten Verein Hatikva e.V. viele Male im Rahmen ihrer Führung “Jüdisches Leben in der DDR” über die dort bestatteten Juden und Jüdinnen und zur jüdischen Geschichte Dresdens nach 1945 berichtet. (© Sharon Adler/PIXELMEER, 2023)
Die Historikerin Nora Goldenbogen auf dem Gelände des Neuen Jüdischen Friedhofs in Dresden. Hier hat sie für den von ihr mitgegründeten Verein Hatikva e.V. viele Male im Rahmen ihrer Führung “Jüdisches Leben in der DDR” über die dort bestatteten Juden und Jüdinnen und zur jüdischen Geschichte Dresdens nach 1945 berichtet. (© Sharon Adler/PIXELMEER, 2023)
Nora Goldenbogen: Wir hatten damals großes Glück, dass in der Dresdner Neustadt neben dem ältesten noch erhalten gebliebenen jüdischen Friedhof in Sachsen ein Haus saniert wurde, von Leuten, die eine Genossenschaft gegründet haben. Die haben uns angesprochen, ob wir dort nicht einziehen wollten. 1992 wurde es nach viel ehrenamtlicher Arbeit eröffnet, und seitdem ist HATiKVA dort zu Hause. Mit einem vielfältigen Kulturprogramm und Bildungsveranstaltungen, mit Stadtführungen, Seminaren oder schulischen Veranstaltungen, Projekt- und Kooperationsarbeit. HATiKVA war früh eng mit der Gemeinde verbunden. Im Laufe der Zeit haben sich dort viele Gemeindemitglieder engagiert, vor allem aus dem Kreis der Zugewanderten. Darauf bin ich sehr stolz, denn ich sehe heute, wie wichtig diese Arbeit war.
HATiKVA hat sich, als einer der ersten Vereine, unter dem Bildungsaspekt gegründet. Aus dem Grund haben wir uns auch den Namen „Bildungs- und Begegnungsstätte“ gegeben. Das wurde immer wichtiger, bis heute. Wir haben Bildungsveranstaltungen für Kinder und Jugendliche angeboten und Materialien speziell für Bildungszwecke hergestellt. Das machte mir auch großen Spaß und funktionierte gut. Ich hätte das nie gedacht, denn ich hatte nie mit Kindern in dem Alter gearbeitet. HATiKVA ist mit vielen Kultureinrichtungen in der Stadt gut vernetzt. Inzwischen gibt es in Sachsen ein Netzwerk von Vereinen und Einzelpersonen, die sich immer mal treffen und Projekte machen. Da ist viel entstanden. Ich bin mit HATiKVA immer noch eng verbunden und freue mich, dass der Verein in der dritten Generation so lebendig ist. Es kommen immer wieder junge Leute dazu, und es sind dort viele Forschungsarbeiten entstanden.
Alle, die damals mitgemacht haben – das war eine bunte Mischung von Juden und Nicht-Juden – hatten sehr unterschiedliche Motive. Aber alle waren der Meinung, dass es zu wenig Wissen über Judentum, Antisemitismus und die vielfältigen Verbindungen zwischen Jüdischem und Nichtjüdischem in der Geschichte und der Kultur gibt. Zudem wollten wir den stärker werdenden rechtsextremistischen Tendenzen etwas entgegensetzen.
Sharon Adler: Sie vertreten seit 2017 als Beauftragte im Programmausschuss Leipzig
Nora Goldenbogen: Intervenieren musste ich nie, aber ich wurde häufig von der Abteilung „Religion und Gesellschaft“ des MDR gefragt. Die machen sowohl im Fernsehen als auch im Hörfunk viel zum Thema Judentum, zum Beispiel seit vielen Jahren eine Sendung zum Schabbat. Da das Judentum in Sachsen im Wachsen ist und präsenter geworden ist, gestalten heute aus allen jüdischen Communities im sächsischen, sächsisch-anhaltinischen und thüringischen Sendegebiet die entsprechenden Rabbiner und Religionslehrer im Wechsel diese Sendung.
Es gab in den vergangenen Jahren auch relativ viele Fernsehbeiträge über jüdisches Leben. Vor allem über Thüringen und Erfurt. Erfurt hat ja auch ein ganz reiches jüdisches Erbe, die alte Synagoge, die Mikwe. In Sachsen-Anhalt ist nach und nach viel gewachsen. Es gab zwar in der DDR schon eine Gemeinde in Halle, aber die war ganz klein. In Sachsen haben wir ja alleine drei Gemeinden. Die große israelitische Gemeinde in Leipzig, die Chemnitzer Gemeinde und die Dresdner. Die gab es alle schon zu DDR-Zeiten. Gerade in Leipzig gibt es viel Bewegung. Da hat der MDR viele Verbindungen.
Sharon Adler: Gehört es auch zu Ihren Aufgaben, darauf hinzuweisen, wie man jüdisches Leben zeigen könnte ?
Nora Goldenbogen darüber, was das Besondere der Jüdischen Gemeinde Dresden ausmacht: „Das Spezifische ist, dass die Gemeinde eine sehr lange Tradition hat. Und dass sie als eine relativ moderne Gemeinde gegründet wurde, die auch orthodoxen Strömungen eine Heimat gab, vor allem im 20. Jahrhundert, als viele osteuropäische Zuwanderer nach Dresden kamen“. (© Sharon Adler/PIXELMEER, 2023)
Nora Goldenbogen darüber, was das Besondere der Jüdischen Gemeinde Dresden ausmacht: „Das Spezifische ist, dass die Gemeinde eine sehr lange Tradition hat. Und dass sie als eine relativ moderne Gemeinde gegründet wurde, die auch orthodoxen Strömungen eine Heimat gab, vor allem im 20. Jahrhundert, als viele osteuropäische Zuwanderer nach Dresden kamen“. (© Sharon Adler/PIXELMEER, 2023)
Nora Goldenbogen: Genauso ist es, und ich werde auch oft gefragt. Manchmal habe ich auf wichtige Dinge hingewiesen und gesagt, dass es vielleicht gut wäre, darüber zu berichten. Während der Corona-Zeit wurden christliche Gottesdienste übertragen, jüdische nicht. Dann haben wir es auf meine Bitte hin erreicht, dass die Kabbalat Schabbat reihum von den Rabbinern in Sachsen gemacht wurde. Und das hat auch gut geklappt.
Die zweite Thematik ist das Thema Rechtsextremismus, wozu ich über die Jahre viel gemacht habe. Ich hatte den Eindruck, dass die Rundfunkräte froh darüber waren, denn es hängt sehr häufig von den Einzelnen ab, ob ein Thema angesprochen wird oder nicht. Im vorigen Rundfunkrat gab es auch einen AfD-Vertreter. Er und ich sind ab und zu aneinandergeraten. Man konnte ja nicht jedes Mal eine Fehde austragen, aber bei bestimmten Beiträgen musste man schonmal was richtigstellen. Ich habe mir gedacht, wenn niemand etwas sagt, dann muss ich was sagen. Das kam ab und an vor. Auch die Programmbeschwerden von Zuschauern, auch mit rechten Ansichten, werden bei uns im Programmausschuss in Leipzig und im Rundfunkrat behandelt. Das ist keine Aufgabe, die man so einfach übernimmt. Man muss sich da erstmal reinarbeiten und auch lernen, seine Stimme zu erheben. Das ist ja ein ganz anderes Metier als das, in dem man sonst zuhause ist.
Sharon Adler: Sie haben sich in vielen Publikationen mit der jüdischen Geschichte Dresdens beschäftigt: Wie beurteilen Sie die Pläne und Planungen für ein Jüdisches Museum in Sachsen? Welchen Anspruch haben Sie daran, was sollte gezeigt werden und in welcher Form?
Nora Goldenbogen: Ich habe mich früh dafür engagiert, etwa ab 2013, als es die ersten Ideen gab. Dazu gibt es hier unterschiedliche Blickwinkel, zum Beispiel von jüngeren Historikern. Sie stellen die Frage, ob es ein Museum im traditionellen Sinne in einem Haus sein müsse oder ob man nicht ein virtuelles Museum machen könne. Diese Dinge sind hier bei uns mittlerweile sehr im Fluss.
Die erste Station, die wir jetzt erreicht haben – und da bin ich ganz froh –, ist, dass es 2026 ein jüdisches Themenjahr in Sachsen geben wird. In diesem Jahr wird flächendeckend viel zur jüdischen Geschichte und Kultur angeboten. Das ist wichtig, weil es in kleineren Städten nicht so einfach ist wie in den Großstädten. Es gibt ein Übereinkommen mit dem Freistaat und auch die Möglichkeit, dass es finanziert wird. Das ist ein Schritt auf diesem Wege.
In Dresden gibt es noch eine zusätzliche Entwicklung, die ich für gut halte: Wir haben hier ein Objekt, den Externer Link: Alten Leipziger Bahnhof, der heute fast verfallen ist. Das war der erste Fernbahnhof, und hier gab es die erste Fernstrecke von Dresden nach Leipzig. Und er war der Ort der Deportationen der Juden in Sachsen. Das ist in der Stadt nie wirklich thematisiert worden. Jetzt soll es dort im Jahr 2025 oder 2026 einen Externer Link: Gedenk-, Lern- und Forschungsort geben. Das sind die beiden realen Ergebnisse, die sich aus dieser Idee entwickelt haben. Was die große Frage eines Jüdischen Museums für Sachsen betrifft, da müssen sich die Akteure, die jetzt hier in dem Feld arbeiten, irgendwie einigen.
Das Jüdische Museum Berlin empfinde ich als sehr, sehr gut. Die Frage ist, ob so etwas auch hier möglich ist. Ich weiß genau, wieviel Aufwand und Finanzen da drinstecken. Ob wir das in dieser Dimension in Sachsen hinkriegen, da mache ich mir keine Illusionen. Deswegen ist eher die Kernfrage, welche Möglichkeiten es trotzdem gibt, das Thema hier noch stärker in die Gesellschaft zu tragen als es einzelne Initiativen machen können. So ein Projekt ist etwas, in das man ganz viel Kraft reinstecken muss.
Sharon Adler: Was müsste Ihrer Meinung nach im Jüdischen Museum in Sachsen zu finden sein?
Nora Goldenbogen: Ich würde dort eine Darstellung der Geschichte der Juden in Sachsen finden wollen, nicht allein die von Dresden oder Leipzig, obwohl die für sich schon sehr spannend sind. Sachsen ist knappe eintausend Jahre alt, ist also nicht so alt wie die großen Gemeinden in Frankfurt am Main oder Köln, wo jüdisches Leben in Deutschland fast eintausend Jahre früher entstanden ist.
Was ich mir gleichzeitig wünschen würde, ist, dass es nicht nur ein Museum, sondern auch ein Ort ist, wo vieles andere stattfinden kann – und dort beginnt meiner Meinung nach die Frage danach, wie es gelingen kann, einen lebendigen Ort zu schaffen, wie das Jüdische Museum in Berlin einer ist. Es müsste ein Museum sein, wo auch Themen behandelt werden, bei denen man nicht auf den ersten Blick darüber nachdenkt, ob das etwas mit jüdischer Geschichte zu tun hat. Dazu gehört zum Beispiel auch, zu zeigen, welchen Einfluss jüdische Geschichte und jüdische Menschen auf die gesamte Gesellschaft und Entwicklung gehabt haben. Viele Leute wissen das ja gar nicht. Über die Jahrhunderte ist ja hier auch sehr viel passiert und entstanden, und es haben hier Menschen gelebt, die viel für das Land und die Region oder eine Stadt getan haben. Das ist etwas, das meiner Meinung nach auch da hingehört. In diesem Sinne eine moderne Form eines Museums.
Sharon Adler: Sie haben während Ihrer Zeit als Dozentin die Geschichte der Arbeiterbewegung behandelt, vor allem während der Weimarer Republik. Ist Ihrer Meinung nach die Lebensleistung von Jüdinnen und Juden der Arbeiterbewegung ausreichend bekannt?
Nora Goldenbogen: Es gab viele jüdische Protagonisten, die eine große Rolle in der Arbeiterbewegung zur Zeit der Weimarer Republik, in den Gewerkschaften und in der linken Intelligenz in Deutschland, gespielt haben. Auch in der künstlerischen Intelligenz, aber auch in der Wissenschaft. Diese ganzen Dinge sind heute nicht wirklich im Bewusstsein der allermeisten Menschen in Deutschland. Was auch wichtig ist: dass sie sich nicht unbedingt als Juden in den Kampf gestürzt haben, sondern das waren arme Leute, deren Motivation das Elend war, aus dem man gemeinsam rauskommen wollte. Die kamen aus einer armen Familie und es gab Gründe, warum sie genau in die Richtung gegangen sind. Sie haben auch andere für das politische Engagement motiviert. Das war auch in der Familie meiner Mutter so. Die jüdischen Überlebenden, die hierhergekommen sind, standen genau in dieser Tradition.
Nora Goldenbogen wurde 1949 als Tochter von Netty und Hellmut Tulatz in Dresden geboren. Ihre Mutter, die 1906 als Anette Kaiser in Strasbourg geborene rumänische Jüdin, überlebte die Verfolgung in Bukarest, ihr 1909 in Dresden geborener Vater das KZ-Sachsenhausen. V.l.n.r.: Hellmut und Netty Anfang 1935 in Dresden; Nora Goldenbogen in den 1950er-Jahren mit ihrem Vater; Nora Goldenbogen mit ihrer Mutter im Jahr 1949. (© Nora Goldenbogen, privat)
Nora Goldenbogen wurde 1949 als Tochter von Netty und Hellmut Tulatz in Dresden geboren. Ihre Mutter, die 1906 als Anette Kaiser in Strasbourg geborene rumänische Jüdin, überlebte die Verfolgung in Bukarest, ihr 1909 in Dresden geborener Vater das KZ-Sachsenhausen. V.l.n.r.: Hellmut und Netty Anfang 1935 in Dresden; Nora Goldenbogen in den 1950er-Jahren mit ihrem Vater; Nora Goldenbogen mit ihrer Mutter im Jahr 1949. (© Nora Goldenbogen, privat)
Sharon Adler: Wie stark haben die Lebenserfahrungen und Prinzipien Ihrer Eltern und deren Maßstäbe auch Sie geprägt ?
Nora Goldenbogen: Mehr, als ich gedacht habe. Als ich mein Buch „Seit ich weiß, dass du lebst. Liebe und Widerstand in finstersten Zeiten“ geschrieben habe, ist mir das nochmal klar geworden. Es war eine der zentralen Motivationen für mich, es überhaupt zu schreiben. Für mich am wichtigsten war, dass man bestimmte Dinge, die man als richtig erkannt hat, auch durchsetzt. Dass man sich nicht duckt oder versteckt, weil es der Karriere schaden könnte oder weil es brenzlig wird. Dass man aufrecht durchs Leben gehen kann. Auch wenn es einem manchmal nicht so gut damit geht.
Sharon Adler: Wie viel von den Shoah-Erfahrungen – Verfolgung, Widerstand, KZ Sachsenhausen, Todesmarsch – haben Sie an Ihre eigenen Kinder weitergegeben?
Nora Goldenbogen: Ich denke, dass wir viel weitergegeben haben. Wir waren mit ihnen in Sachsenhausen. Das gehört auch zu ihrem Leben. Und diese Familiengeschichte, in der sie groß geworden sind, nicht zu verleugnen, sondern im Einklang damit zu leben. Unsere Kinder haben bestimmte Dinge in ihrer Sozialisation auch zu ihren Prinzipien gemacht. Unter anderem, Rechtsextremismus nicht zuzulassen und Flagge zu zeigen, wenn es notwendig ist. Das machen sie beide und auch ihre Partner bis heute.
Zitierweise: Interview mit Nora Goldenbogen: „Aufrecht durchs Leben gehen “, in: Deutschland Archiv, 26.11.2024, erstveröffentlicht im DA am 13.10.2023, Link: www.bpb.de/541570