Ab dem 17. November 1991 erschien im Spiegel eine mehrteilige Essay-Serie unter dem Titel „Landschaften der Lüge“. Ihr Verfasser war der 1977 nach Stasihaft nach West-Berlin ausgebürgerte Schriftsteller Jürgen Fuchs, Jahrgang 1950. Seinerzeit hatten sich unzählige Medien auf diese Texte gestürzt, begierig nach weiteren Enthüllungen über mehr oder minder prominente MfS-Spitzel.
Dabei hatte Jürgen Fuchs – beinahe zeitgleich mit Wolf Biermanns Georg-Büchner-Preisrede im Oktober 1991,
Andersons Auftrag (und der des ebenso umtriebigen Stasi-Spitzels Rainer Schedlinski) war viel umfassender – und das nun interessierte Jürgen Fuchs am stärksten, und zwar nicht lediglich als Stasi-Opfer, sondern als gleichsam doppeldeutschen Schriftsteller und Intellektuellen, der überdies als studierter Sozialpsychologe ein nuanciertes Sensorium besaß für die Manipulationsmechanismen einer diktatorischen Staatsmacht. Nach den Vorstellungen des Geheimdienstes sollte die als unkontrollierbar und subversiv wahrgenommene Prenzlauer-Berg-Szene konsequent entpolitisiert und dezidiert regimekritische Schriftsteller an den Rand beziehungsweise außer Landes gedrängt werden
Stasi-Spitzel nur eine Fußnote?
Eine längst vergessene und historisch gewordene Fußnote, höchstens noch für Experten von Interesse? Im Gegenteil. Da doch auch heute, Jahrzehnte später, all das weiterhin von Belang ist: Soll repressive Herrschaft, jene in der damaligen DDR ebenso wie die heutige im massenmörderisch expansiven Putin-Russland, tatsächlich auch als solche beschrieben und analysiert werden – oder argumentiert, wer dies tut, nicht eher „anachronistisch“, „gefangen in den Mustern des Kalten Krieges“?
In den Medien des seit 2019 überraschend zum Print-Verleger gewordenen Unternehmers und Millionärs Holger Friedrich wird just diese Lesart unters Volk gebracht, in immer neuen Variationen, doch mit gleicher Stoßrichtung: Nicht etwa manichäische Ideologien und spät-totalitäre Formen der Machtausübung – im damaligen Ost-Berlin wie im heutigen Moskau oder Peking – erscheinen als das hauptsächliche Problem, sondern deren vernehmliche Kritiker, die es angeblich an „Differenzierungsvermögen“ mangeln lassen. Interessanterweise hatten in ähnlicher Diktion bereits Mitte der Achtziger-Jahre Sascha Anderson und Rainer Schedlinski in die Miniatur-Öffentlichkeit der Künstlerszene hinein zu wirken versucht: Der kritische Blick und die Werk-Ästhetik eines „Havemann-Biermann-Fuchs“ sei statisch und veraltet, ja in deren antitotalitärem Realismus gar ein Spiegelbild der SED-Doktrin und der Nicht-Kunst des „Sozialistischen Realismus“ - wobei inzwischen doch längst auch in der DDR irgendwie die Post-Moderne angekommen sei und deshalb nicht etwa der betuliche George Orwell und „1984“ die Lektüre der Zeit seien, sondern die ungleich „ausdifferenzierteren“ Vexierbilder und Simulationstheorien eines Jean Baudrillard, Gilles Deleuze, Jean-Francois Lyotard, et cetera.
Wenn das keinen Stoff für einen Bewusstseins-Thriller böte: Die einst als dernièr cri hochgejazzte „French Theory“ als Instrument in den Händen sich besonders clever dünkender Stasi-Spitzel, um konkrete Repressionsstrukturen wortreich zu vernebeln und alles zu einer Art willkürlich interpretierbarem „Sprachspiel“ umzufälschen. Doch es waren Machtspiele, und gerade einer wie Jürgen Fuchs hatte das nicht nur durchschaut, sondern in seiner Spiegel-Serie auch denkbar präzis artikuliert: Wie funktioniert ein solches Tatsachen-Verdrehen, wer hat ein Interesse daran, wer macht eilfertig mit, wer winkt scheinbar souverän ab (und erleichtert damit den Manipulatoren das Handwerk) – und wer schließlich verlautbart vehement, dass alles sei doch von gestern, „man“ habe inzwischen doch ganz andere Probleme?
Könnte Literatur Ostwest-Spaltung heilen?
Gerade in der jetzigen Zeit - angesichts der auch in der Bundesrepublik beunruhigend verfangenden russischen Staatspropaganda oder scheinbar unpolitischer Ostalgie-Festivals, auf denen nicht selten ein geradezu gewalttätiges „Ost-Ost-Ostdeutschland!“ herausgebrüllt wird - lohnt ein Blick zurück. Sind die damals im Jahr eins nach der Wiedervereinigung von Jürgen Fuchs beschriebenen „Landschaften der Lüge“ etwa weiterhin intakt, haben sie sich womöglich gar ausgeweitet – oder sind inzwischen auch „Erinnerungslandschaften“ entstanden, Orte eines humanen Gedächtnisses, die es wahrzunehmen, zu verteidigen und ebenfalls auszuweiten gelte?
Ich bin weder Soziologe noch Politikwissenschaftler, kein Historiker und auch kein Ökonom. Als Schriftsteller glaube ich allerdings auch keineswegs daran, dass Literatur ein Allheilmittel sei und dass ein vage bleibendes „Wir“ lediglich mehr „gute Bücher“ lesen müsse, um eine angebliche „Ostwest-Spaltung“ zu vermindern. Überdies: Außer der unbestreitbaren Tatsache, dass diverse „Ost-Ost-Spaltungen“ ohnehin häufig viel gravierender sind – im Digitalzeitalter bieten Bücher längst keine konkurrenzlos prägenden Referenztexte mehr. Dennoch besteht kein Grund, deren Wirkung, so subkutan sie mitunter auch sein mag, zu unterschätzen. Das betrifft freilich auch Druckerzeugnisse minderer Güte.
Zweifellos sind in den östlichen Bundesländern öffentliche Lesungen noch immer gesellschaftliche Events – obwohl jene aus dem AfD/Linkspartei-Milieu, die ihre antiwestlich geprägte Weltsicht in den mittlerweile dreibändigen Memoiren und zahlreichen persönlichen Auftritten des letzten SED-Generalsekretärs Egon Krenz perfekt bestätigt sehen, wohl auch mit einem solchen Anglizismus eher fremdeln würden. DDR-Nostalgiker und Nostalgikerinnen verschiedener Generationen lassen sich bei solchen Gelegenheiten vor den aufgestellten Saal-Mikrofonen gern wortreich darüber aus, „dass man ja heutzutage nichts mehr sagen“ dürfe. Etwas elaborierter und bildungsbürgerlicher im Ton singt dieses Klagelied freilich auch das ebenso zahlreiche Publikum des Dresdner Schriftstellers Uwe Tellkamp, der seinerseits nicht müde wird, ein vermeintlich von der Regierung und „den“ Medien verordnetes Schweigen zu geißeln – dies jüngst sogar in einem Pamphlet-artigen Langgedicht (veröffentlicht im Mai 2025 in der Berliner Zeitung)
Unsichtbarkeit als Ostdeutsche?
Und wie viel Frustration, ja Wut über eine – in der Selbstwahrnehmung - „forcierte Unsichtbarkeit als Ostdeutsche“ bricht sich auf Publikumsseite regelmäßig Bahn, wann immer der sein bisheriges Berufsleben lang zwar akademisch erfolgreiche, doch gleichzeitig recht unscheinbare Germanist Dirk Oschmann seinen 2023 erschienenen Bestseller „Der Osten. Eine westdeutsche Erfindung“ vorstellt, eine Art Kollektivklage über diverse, quasi als „west-systemisch“ interpretierte Diskriminierungen und Zurückweisungen.
Dass Oschmann, Jahrgang 1967, ebenso wie die 1985 in Guben geborene und inzwischen in London lebende Historikerin Katja Hoyer – Autorin des Bestsellers „Diesseits der Mauer. Eine andere Geschichte der DDR“ - mit zahllosen Talkshow- und Panel-Einladungen und anderen Partizipationsmöglichkeiten an diversen öffentlichen „Formaten“ geradezu überschüttet werden, mag man beiden gönnen. Doch weshalb auch von ihrer Seite häufig jenes, mit der AfD-Rhetorik fatal deckungsgleiche Unterstellungs- und Behauptungs-Lamento, nach welcher „der“ Osten nach wie vor kaum zu Wort käme, ignoriert und kujoniert von „dem“ Westen? Und ist es nicht selbst arg paternalistisch, bestimmte „Kollektiverfahrungen Ost“ zu verabsolutieren und damit Gesellschaftliches ebenso wie Individuelles künstlich zu homogenisieren - und gleichzeitig eine Sprecherposition im Namen dieses konstruierten „Wir“ einzunehmen und diese bei kritischer Nachfrage durchaus harsch zu verteidigen?
Dennoch: Es gehört zum Charakteristikum einer liberalen Demokratie, dass in Veröffentlichungen wie auch bei öffentlichen Meinungsäußerungen keine Kohärenz-Pflicht besteht. Auch das unterscheidet eine konfliktreiche freie Gesellschaft fundamental von der grimmigen Harmonie-Travestie einer Diktatur, in der fallweise sogar evidenz-basiertes Sprechen kriminalisiert wurde, sobald dieses mit den ideologischen Vorgaben „der“ Partei nicht konform ging. Überdies: Dirk Oschmann trifft bei vielen Ostdeutschen ganz offenbar ebenso einen Nerv wie Katja Hoyer; im Unterschied zu Egon Krenz´ Verfertigungen werden hier auch keine böswilligen Geschlichtsklitterungen geliefert, sondern hauptsächlich Fakten-Priorisierungen, Gewichtungen, Weglassungen und Interpretationen, die im besten Wortsinn dies sind: frag-würdig, ergo würdig eines kritischen Nachfragens.
Zwei noch immer unzureichend aufgearbeitete deutsche Diktaturen und Mentalitätsmuster
Nun böte sich als vorläufige Schlussfolgerung zweierlei an: Entweder ein aufgeräumtes Lob jener Ironie der Geschichte - oder, für Hegel-Fans: der List der Vernunft – dass vor allem jene, die permanent ein (vom vermeintlich omnipräsenten Westen provoziertes) „Schweigen Ost“ konstatieren, ja selbst das beste Beispiel dafür liefern, dass an diesem Befund nicht allzu viel dran sein kann. Oder, die andere Möglichkeit, man konstatiert nicht ohne Bitterkeit, dass wir von einer wirklichen Auseinandersetzung mit den zwei deutschen Diktaturen und den Mentalitätsmustern, die sie formten, noch immer weit entfernt sind.
Dass der (beileibe nicht nur im Osten) vor allem in den (a-)sozialen Netzwerken tobende Tumult kaum je lösungsorientiert daherkommt, ja noch nicht einmal gänzlich neu ist – dass also Hannah Arendts Befund, 1950 niedergeschrieben nach einer Reise durch das Nachkriegsdeutschland West, in vielen Bereichen der öffentlichen und privaten Rede noch immer von deprimierender Aktualität ist: „Die Nazis haben das Bewusstsein der Deutschen vor allem dadurch geprägt, dass sie es darauf getrimmt haben, die Realität nicht mehr als Gesamtsumme harter, unausweichlicher Fakten wahrzunehmen, sondern als Konglomerat ständig wechselnder Ereignisse und Parolen, wobei heute wahr sein kann, was morgen schon falsch ist.“
Die von ihr diagnostizierte „Unfähigkeit und der Widerwillen, überhaupt zwischen Tatsache und Meinung zu unterscheiden“ ist dabei – siehe Donald Trump – schon längst zum Markenzeichen eines inzwischen weltweiten Populismus geworden.
Übersehene Erinnerungslandschaften
Es gibt freilich noch ein Drittes, um mit dem oben Dargestellten umzugehen, jenseits von Sarkasmus und Anklage. Schließlich ist in Hannah Arendts Verständnis einer „Vita activa“ das selbstbestimmte Handeln als Resultat präzisen Reflektierens etwas ganz Entscheidendes für unser Dasein als Mensch und Teil einer freien Gesellschaft. Deshalb an dieser Stelle auch ein Blick auf die unbestreitbare Habenseite: Schließlich sind in den vergangenen Jahrzehnten in allen ostdeutschen Bundesländern unzählige Erinnerungsorte entstanden, die – ausgehend von der (Unterdrückungs-) Geschichte der DDR – ins Heute weisen und Mut machen zu Wachheit und Engagement.
Ob „Point Alpha“ an der ehemaligen innerdeutschen Grenze, der an den Terror der DDR-Jugendwerkhöfe erinnernde Gedenkort in Torgau oder die kürzlich eröffnete Gedenkstätte im ehemaligen Chemnitzer Kaßberg-Gefängnis: Weit entfernt von musealer Betulichkeit kann hier – auch Dank vielerlei Multimedia-Finessen – entdeckt werden, wie Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbunden sind, wie verteidigenswert Verfasssungs- und Rechtsstaat sind und was es konkret bedeutet, ohne deren Schutzmechanismen auskommen zu müssen. Zusammen mit den (überdies zumeist gratis angebotenen) Bildungsprogrammen der diversen Stiftungen, die in dieser Form tatsächlich weltweit einzigartig sind, dürfte es eigentlich um die „Erinnerungslandschaften“ gar nicht so schlecht bestellt sein.
Hinzu kommen die beeindruckenden Ausstellungen in ehemaligen Konzentrationslagern wie Buchenwald, Ravensbrück oder Sachsenhausen, die erst nach dem Ende der DDR die komplexe Realität des nationalsozialistischen Unrechts- und Vernichtungssystems wirklich in den Blick nehmen konnten.
Eine Amnesie in der ehemaligen DDR?
Auch die mittlerweile selbst in ostdeutschen Kleinstädten auffindbaren Stolpersteine gemahnen daran, dass das Gedenken an die Shoah und an die damals zuerst entrechteten, dann deportierten und dahingemordeten jüdischen Bürger und Bürgerinnen selbstverständlich gesamtdeutsch sein muss. Wobei man jenen, die – und zwar völlig zu Recht! - auf das lange westdeutsche Verschweigen und Täter-Integrieren hinweisen, mitunter auch wünschen würde, genau so kritisch auf die schreckliche Amnesie in der DDR zu schauen:
Da die Vernichtung des europäischen Judentums dort ja eher als ein „Nebenaspekt“ in der Geschichte des Zweiten Weltkrieges abgehandelt wurde und darüber hinaus SED und Stasi bis zuletzt enge ideologische, militärische und Geheimdienstkontakte unterhielten zu den Judenmördern von Yassir Arafats PLO und dem Regime von Syriens Präsident Hafis al-Assad. Als dieser im Oktober 1973 - flankiert von einer wüsten, an die Zeiten des „Stürmer“ erinnernden Propaganda – Israel mit dem Ziel der Vernichtung angreifen ließ, stellte ihm dafür die NVA sogar Flugzeuge zur Verfügung; alle Spuren, die auf ein made in GDR hätten schließen lassen, waren zuvor peinlichst genau entfernt worden.
Jahrzehntelang hatte die SED-PDS/PDS/Linkspartei/Linke dies mehr oder minder deutlich insinuiert; inzwischen haben AfD und BSW dieses Erbe der Zurückweisung angetreten – selbstverständlich wiederum im Namen einer „Differenzierung“, die in der Endkonsequenz alle Katzen grau sein lässt und die Charakteristika von Diktaturen so lange vernebelt, bis selbst eine notgedrungen fehlerhafte Demokratie zum Unrechtssystem wird: Stichwort „DDR.2.0“ oder „Vollende die Wende“, um den bundesdeutschen Verfassungsstaat gar in eins zu setzen mit der untergegangenen DDR – genauer: einer DDR, die von einem aktiven Teil der Bevölkerung damals weg demonstriert worden war.
Der Erinnerungsabwehr trotzen
Doch noch einmal: Zu wohlfeil, das Bekannte und Deprimierende lediglich zu konstatieren. Denn gibt es nicht auch, trotz Lethargie und Erinnerungsabwehr, inzwischen zahlreiche Geschichtsprojekte und lokale Aufarbeitungsinitiativen, vermitteln nicht couragierte Lehrer und Lehrerinnen in Workshops und bei Gedenkstätten-Besuchen eine lebendige Geschichtskenntnis in dem Sinn, dass die Jüngeren nicht dem naiven Köhlerglauben anheimfallen, „es“ könne sich doch gewiss nicht wiederholen? Was ermutigend ist: Solcherart Multiplikatoren, Menschen und von ihnen oft sogar ehrenamtlich aufgebaute Strukturen, die es bekannt zu machen und auch (oder gerade) in Zeiten knapper Kassen zu unterstützen gelte.
Nicht zuletzt im Bereich der Literatur geschieht viel und Ermutigendes. Ähnelten zu DDR-Zeiten so manche Autorenlesungen eher säkularen Gottesdiensten, bei denen eine vorverständigte Gemeinschaft mehr oder minder deutlich als kritisch geltende Signalwörter wechselte – exemplarisch dafür die einst verblüffend ehrfürchtig zelebrierten Christa Wolf- oder Volker Braun-Lesungen – hat sich seither Entscheidendes verändert und dies gewiss zum Besseren, Emanzipatorischen, Partizipativen. Denn nicht um eine raunend beschworene oder deren Abwesenheit zu beklagende „Utopie“ geht es, wenn etwa Grit Poppe aus ihren Büchern über eine beschädigte DDR-Jugend liest, Manja Präkels und Daniel Schulz die rechtsextremen „Baseballschlägerjahre“ in den Neunzigern in den Blick nehmen oder Anne Rabe, Ilko-Sascha Kowalczuk, Lukas Rietzschel und Ines Geipel in ihren Büchern eine Verbindungslinie ziehen zwischen einstiger Anpassung, historischer Amnesie und einer autoritären Selbstentmündigung im Hier und Heute.
Wütende Zurückweisung und beginnende Nachdenklichkeit
Am verblüffendsten sind bei solchen Veranstaltungen die Reaktionen aus dem Publikum. Wer diese einmal miterlebt hat, wird sie nie wieder vergessen: Wütende Zurückweisung des Gesagten und beginnende Nachdenklichkeit, geradezu eruptiv aufbrechende und mit den anderen geteilte persönliche Erinnerungen und Erfahrungen, die dann wiederum... Gespräche, einander kreuzend, heftig, doch zumeist dennoch in „Zimmerlautstärke“ (Reiner Kunze). Der Bedarf danach scheint riesig und kaum je „abzudecken“. (Selbstverständlich auch nicht in diesem Text, der mitnichten ein Resümee sein kann und lediglich versucht, ein paar Aspekte anzureißen, sie zu skizzieren).
Und Jürgen Fuchs, den – weit davon entfernt, ihn über ein Vierteljahrhundert nach seinem frühen Tod für obsolet zu halten – inzwischen auch Nachgeborene wie Heike Geißler und Matthias Jügler für sich und ihr Schreiben entdecken? Seine beiden wichtigen Armee-Romane „Fassonschnitt“ und „Das Ende einer Feigheit“ - bohrend nuancierte Beobachtungen und Selbstbefragungen eines ehemaligen NVA-Rekruten, die in ihrer Dechiffrierung autoritärer Muster nicht zuletzt für die gegenwärtige „zerrissene“ Zeit Relevanz bewahren – sie sind leider seit Jahren vergriffen. Und könnten doch gerade jetzt für Heranwachsende, die auf Plattformen wie Tiktok permanent den zackig-herrischen Parolen und Einflüsterungen von Populisten ausgesetzt sind, zum humanen Augenöffner werden. Wäre es deshalb nicht eine gute Herausforderung für die Bundeszentrale für politische Bildung, Möglichkeiten zu finden, um diese beiden Bücher neu aufzulegen?
Das Ringen zwischen den „Landschaften der Lüge“ und denen der Erinnerung ist jedenfalls mitnichten ein „letztes Gefecht“, sondern geht weiter. Freilich, wie könnte es anders sein, mit überaus ungewissem Ausgang. Ein Ansporn mehr, nicht aufzugeben und genau zu schauen, wer und wann wieder einmal etwas lautstark für „völlig obsolet“ erklärt. Da dies doch zumeist Tätervokabular ist, im fortdauernden Krieg gegen das Gedächtnis.
Zitierweise: Marko Martin, „Erinnerungslandschaften, zerklüftet", in: Deutschland Archiv, 02.09.2025, Link: www.bpb.de/570404. Alle Beiträge im Deutschland Archiv sind Recherchen und Sichtweisen der jeweiligen Autoren und Autorinnen, sie stellen keine Meinungsäußerung der bpb dar. (hk)
Weitere Beitragsvorschläge zu diesem Thema sind willkommen. Schreiben Sie an E-Mail Link: deutschlandarchiv@bpb.de. Thema: "Einheit? Zweiheit? Vielheit? Ostwestdeutsches - eine Bilanz nach 35 Jahren".
Ergänzend:
Raj Kollmorgen,
Nine-Christine Müller,
Matthias Zwarg,
Uwe Kolbe,
Wolfgang Templin,