Der Fußballfan in der DDR – zwischen staatlicher Regulierung und gesellschaftlichem Widerstand
Trotz strenger Maßnahmen gelang es dem DDR-Regime nicht, eine spontane Fankultur im Fußballsport zu unterbinden. Dariusz Wojtaszyn über diese Form des – bewussten oder unbewussten – Widerstands in der DDR.
Die historische Forschung zum Thema Sport steht meist im Schatten der wissenschaftlichen Studien, die sich mit anderen Lebenszweigen beschäftigen. Dabei wird übersehen, dass der Sport im Vergleich zu anderen kulturellen Bereichen einen wesentlich weitreichenderen gesellschaftlichen Einfluss hat und so das breite Publikum anspricht. Zweifelsohne ist Sport im 20. Jahrhundert zu einem wichtigen Element des Lebens geworden, da er bestimmte Wahrnehmungsbereiche, die bisher ausschließlich für Hochkultur reserviert waren, übernommen hat.[1] Aufgrund des bedeutsamen und stets wachsenden gesellschaftlichen Wirkungspotenzials und gleichzeitig universellen Charakters des Sports, entwickelte die Politik eine enge Verbindung zu diesem. Beinahe jedes politische System versuchte den Sport als „eine der größten Gesellschaftsbewegungen” in der Menschheitsgeschichte zu instrumentalisieren.[2] Grund dafür ist, dass er einen Raum für einen alternativen – gewaltlosen – Wettstreit zwischen Staaten bietet. Dieses Potenzial führt dazu, dass Regierungen versuchten und versuchen, mithilfe des Sports bestimmte politische Ziele zu erreichen.
Das DDR-Regime erkannte diese sehr nützlichen Eigenschaften des Sports relativ schnell und nutzte sie für ihre politischen Pläne.[3] Sport sollte als stabilisierendes Element des Systems eine relevante Funktion für die Innenpolitik erhalten. Der wichtigste Auftrag des Sports bestand darin, die Bürgerinnen und Bürger zu einem erwünschten Sozialverhalten zu motivieren und ihre Loyalität zum politischen System zu festigen. Die Grundlage dafür bildete das sowjetische beziehungsweise stalinistische Konzept der Körperkultur, demzufolge Sport ein untrennbarer Bestandteil des Erziehungssystems war.[4]
Eines der Hauptziele der DDR-Sportpolitik war die Indoktrinierung der Jugendlichen. Die Teilnahme junger Menschen an staatlichen Sportveranstaltungen und ihre Zugehörigkeit zu Sportvereinen wurden unterstützt. Die allgegenwärtige Propaganda und staatliche Kontrolle schafften entsprechende Bedingungen für die Beeinflussung ihrer politischen Haltung. Die Anwendung des stalinistischen Sport-Paradigmas führte dazu, dass sich die Rolle des Sports – in der ideologischen Dimension – auf die Mobilisierung der Massen konzentrierte, die das neue gesellschaftliche System festigen und ein gesellschaftliches, den Vorstellungen der Machthaber entsprechendes Verhalten erzeugen sollten. Körperkultur und Sport boten darüber hinaus die Möglichkeit, ein staatlich erwünschtes Modell des Patriotismus und der nationalen Identität zu fördern.
Neben den Olympischen Spielen, die sich auf der ganzen Welt einer immensen Popularität erfreuten und erfreuen, nahmen Fußballspiele in diesem Prozess eine wichtige Position ein. Fußball spielte in der DDR eine bedeutende Rolle.[5] Sowohl Vertreter der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) als auch des Deutschen Fußball-Verbandes (DFV) waren sich des besonderen Charakters und der außerordentlichen Tragweite dieser Sportdisziplin bewusst. Diese Bedeutung äußerte sich unter anderem in einer besonderen Begünstigung dieser Sportart gegenüber anderen: Die Aufwendungen überschritten häufig die Ausgaben für andere Disziplinen, und die Fußballverbände verfügten über eigene, gut ausgebaute Strukturen.
Inszenierung der Fußballspiele
Der Besuch von Fußballwettkämpfen hatte in der DDR einen egalitären Charakter und die Stadien waren jede Woche gut gefüllt.[6] Daher war das Propagandapotenzial der Fußballspiele für die Regierenden entsprechend hoch und man versuchte, diesen Lebensbereich streng zu kontrollieren. Eine essentielle Rolle spielte dabei die Inszenierung der Fußballspiele. Sie sollten das Symbol einer gelungenen Politik der SED und die Symbiose von Politik und Gesellschaft darstellen. Für viele stellten sie das einzige überzeugende Angebot zur Ausbildung einer DDR-Identität dar. SED, DFV und lokale Politiker legten großen Wert auf den ungestörten Verlauf der Fußballveranstaltungen – insbesondere wenn sie internationalen Charakter hatten. Mithilfe der Volkspolizei und des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) wollten sie auch das Verhalten der Zuschauerinnen und Zuschauer regeln und kontrollieren. Die ersten Strategien der „Sicherung“ der internationalen Sportwettkämpfe entstanden bereits im Jahr 1966: Die Spiele sollten nach einem festgelegten Programm ablaufen und selbst die Zuschauer wurden nach strengen Kriterien ausgewählt, um dem Idealbild des „sozialistischen Bürgers“ zu entsprechen.[7] Dabei wollte man vor allem spontanes, unkontrollierbares Verhalten der Zuschauer vermeiden.„Offizielle/institutionelle Fans“[8]
Die auf diese Weise inszenierten Veranstaltungen sollten zur Akzeptanz des politischen Systems in der Gesellschaft beitragen. Die Instrumentalisierung der Fußballspiele führte dazu, dass in der DDR eine spezifische, künstliche Kategorie des Fußballfans konstruiert wurde, die sich mit „offizielle/institutionelle Fans“ betiteln ließe. Das Entstehen dieser Kategorie von Fußballanhängern war mit einer strengen Zuschauerauslese verbunden. Die ursprüngliche und wichtigste Art der Auswahl war ein landesweites Eintrittskartenverteilungssystem. Dieses wurde insbesondere bei den internationalen Pokalspielen der Oberliga-Mannschaften und bei den Spielen gegen die Klubs aus dem „nichtsozialistischen Ausland“ oder den Wettspielen auf Nationalmannschaftsniveau angewandt. Das galt auch für das erste offizielle deutsch-deutsche Duell auf dem Gebiet der DDR nach dem Mauerbau:[9] Am 7. November 1973 kam der Bundesligameister FC Bayern München nach Dresden, um an einem Achtelfinalspiel des Europapokals der Landesmeister gegen den DDR-Meister SG Dynamo Dresden teilzunehmen. Nach den von der Staatssicherheit vorbereiteten Sicherungsplänen – Aktion „Vorstoß” – wurden lediglich 2000-3000 Karten in den freien Verkauf übergeben.[10] Alle anderen Tickets verteilten die Veranstalter sowohl an Vertreter des MfS und der Volkspolizei, als auch an Parteimitglieder, Arbeiter der Dresdner Betriebe und Dauerkartenbesitzer. Etwa 2500 Karten wurden Bayern-Anhängern überlassen.[11]Einen Schritt weiter gingen die Organisatoren der Partie Dynamo Berlin gegen Hamburger SV, die am 15. September 1982 – ebenfalls im Rahmen des Europapokals der Landesmeister –ausgetragen wurde. Um befürchtete rowdyhafte Ausschreitungen und politische Demonstrationen der Berliner Fans zu vermeiden, gab es gar keinen freien Verkauf.[12] Die Mehrheit der 22.000 Plätze des Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportparks – 15.500 Plätze – reservierte man für Funktionäre der Stasi und Mitglieder der Dynamo-Klubs. Ein Stadionbesuch war vor allem den zentralen und lokalen Funktionären der SED, der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) vorbehalten. 300 Karten erhielt die Mannschaft aus Hamburg.[13] Ähnliche Kontrollmechanismen fanden bei allen anderen internationalen Spielen von Dynamo bis zum Ende der DDR Anwendung.[14]
Die Vertreter des MfS waren sich über die Anwesenheit von Journalisten und Kamerateams der westdeutschen Fernsehkanäle bewusst, weshalb sie versuchten, den Schein nach außen zu wahren. Beispielweise waren Stasi-Funktionäre dazu verpflichtet, sich entsprechend zu verhalten und Fankleidung zu tragen.[15]
Nach diesem Schema wurden alle internationalen Spiele auf dem Territorium der DDR kontrolliert. Zeitzeugen heben jedoch hervor, dass die strengen Bedingungen wie bei Spielen von Dynamo Berlin – welcher der Lieblingsklub des Ministers für Staatssicherheit Erich Mielke und unbeliebteste Oberliga-Verein war, den man allerorts mit der Stasi assoziierte – in den anderen DDR-Stadien nicht funktionierten.[16] Bei den Spielen in Leipzig, das heißt bei Lokomotive- und wichtigen Nationalmannschafts-Spielen, gab es immer eine gewisse Zahl der Eintrittskarten zum freien Verkauf.[17] Manchmal kam es wegen der unzureichenden Menge an Tickets während des Vorverkaufs zu Straßenunruhen.[18]
Oberliga unter Kontrolle
Die gleichen Kontrollmethoden wandte man auch bei den Veranstaltungen der Oberliga an. Bei diesen Wettspielen wurden die Behörden jedoch – aus wirtschaftlichen und repräsentativen Gründen – zu einer liberaleren Haltung gezwungen: die Stadien sollten von den Fans besucht werden, um die finanziellen Mittel für die Klubs zu sichern. Die wichtigsten Oberligapartien und die Spiele der Mannschaften, deren Anhängergruppen verfeindet waren, sollten jedoch möglichst unter Kontrolle gehalten werden.[19] Viele der ehemaligen Anhänger erinnern sich an Probleme beim Kauf von Eintrittskarten für die attraktivsten Oberliga-Spiele, während die Stadiontribünen mit Kindern, Jugendlichen und Einwohnern der umliegenden Städte und Arbeitern mittleren Alters gefüllt waren, für die es häufig der erste Besuch im Stadion war.[20]Selbstorganisation/Selbstbestimmung
Trotz der „künstlichen Fans“ und der von oben gelenkten Fußballwelt der DDR blieben jedoch Freiräume, in denen sich die Fankultur fortan spontan und eigenständig entwickelte – oft gegen die Prinzipien des SED-Regimes. Fußball, Stadionleben und Anhängermilieu wurden zu Oasen der Freiheit, die einen von den Behörden schwer zu kontrollierenden Lebensaspekt der überwiegend jungen DDR-Bürger darstellten. Für die politische Elite der DDR wurden die Aktivitäten der Fußballzuschauer „unakzeptabel“ und vom MfS als „negativ-dekadent“ oder „feindlich-negativ“[21] bewertet. Mit Unruhe und Argwohn verfolgten die SED-Politiker vor allem unabhängige Aktivitäten der Fans. In einem Land, in dem die Staatsmacht alle Bereiche des Lebens ihrer Bürger zu kontrollieren und zu überwachen versuchte, mussten alle gesellschaftlichen Aktivitäten registriert und entsprechende Erlaubnisse von den Behörden eingeholt werden, wollte man ein gesellschaftliches Mandat – und sei es in einem Fußballverein oder einer Fanvereinigung – wahrnehmen. Darum war die Selbstorganisation der Fußballzuschauer für die Herrschenden nur schwer zu akzeptieren. Die Anhänger von einzelnen Klubs der Oberliga gründeten seit Beginn der 1970er Jahre eigene, autonome, von der Staatsmacht unabhängige und informelle Fanklubs, die nach dem Muster der westlichen Fanklubs gestaltet wurden. Daraus resultierten gelegentlich autonome Teilbezirke, in denen die jungen Vertreter der Fußballsubkultur nach flexiblen, selbstbestimmten Vereinbarungen agierten.Antistaatliche Provokationen
In der DDR konnte schon eine abweichende Meinung oder ein frecher Witz ein Strafrechtsverfahren auslösen und als antistaatliche Tätigkeit bewertet werden. Fußballfans nutzten ausgesprochen häufig und mit großer Vorliebe diese Art der Provokation. Eine erste systemkritische oder geradezu antikommunistische Tätigkeit von Fußballanhängern beobachteten Parteifunktionäre der SED schon Anfang der 1950er Jahre. Sie spiegelte die Ablehnung des neuen Systems auf der lokalen Ebene wider. Autoritäre Beschlüsse der Behörden im Bereich des Fußballsports – beispielsweise die Versetzung von Spielern oder Mannschaften in eine andere Stadt, die Eingliederung der Fußballmannschaft in einen anderen Klub oder die Umbenennung der einzelnen Klubs – festigten die Zugehörigkeit der Fans zu dem jeweiligen Verein, der einen Teil der lokalen Identität bildete, und lösten Proteste aus, die oft einen politischen Charakter hatten.[22] Nach Gründung der Oberliga gehörten diese – neben den sportlichen Konflikten auf dem Fußballfeld – zu den Hauptgründen für Ausschreitungen auf den Fußballtribünen der DDR.Widerwillen hegten die Fans vor allem gegen die informelle Hierarchie des DDR-Fußballs, nach der es privilegierte Fußballclubs (FC) und nicht-privilegierte Betriebssportgemeinschaften (BSG) gab. Erstere hatten weitgehend professionelle Trainingsbedingungen – sie galten als Sportleistungszentren. Hinzu kamen privilegierte Armee-, Volkspolizei- und MfS-Klubs mit besserer Ausstattung, mit denen sich die anderen Oberliga-Mannschaften messen mussten.[23] Die Antipathie der Fans der nicht-privilegierten Mannschaften gegenüber denen der privilegierten Klubs und den Militärklubs, die sich in diffamierenden Sprüchen und Sprechhören zeigte, wurde von den SED-Politikern allerdings als ein Zeichen der kritischen Haltung gegenüber dem Staat und seinen Organen interpretiert.[24] Der Klub, der in der DDR am meisten verachtet wurde, war Dynamo Berlin, der offensichtlich mit der Staatssicherheit in Verbindung stand. Die ehemaligen Dynamo-Fans erinnern sich an den Hass auf Dynamo, der in allen Stadien der DDR gegenwärtig war:
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„Viele sahen in uns die Staatsspießer, die Kinder der Obrigkeit; Bullenkinder, Stasischweine“;[25] „Bei Auswärtsspielen haben wir fast immer vor ausverkauften Rängen gespielt. Alle wollten die Bullen aus dem Osten Berlins fallen sehen. Wir standen für alles Schlechte in der DDR“.[26]
Die Fußballfans in der DDR provozierten die Ordnungs- und Sicherheitsorgane oder einzelne Politiker mit Gesängen und Parolen, wie beispielweise den Folgenden:
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„Hundert Meter im Quadrat, Mauer, Miene, Stacheldraht, jetzt wisst ihr wo ich wohne, ja ich wohne in der Zone“;[31] „Einmal wird es anders sein, dann sperren wir die Bullen ein“;[32] „Schiebermeister BFC – das befahl die SED“;[33] „Mielke in die Produktion“;[34] „Was ist Deutschlands größte Schande? – Die Honecker-Bande!“;[35] oder bei Freistößen in Berliner Stadien: „Die Mauer muß weg!“.[36]
Hooliganismus/Gewalt
Fußball-Hooligans traten in der DDR zum ersten Mal in der Saison 1969/1970 in Erscheinung.[37] Diese versuchten, die Taktiken und Funktionsweise der Hooligan-Gruppen aus dem Westen – insbesondere der bundesdeutschen und englischen Hooligans – nachzuahmen.[38] Das gefährliche Potenzial dieser Gruppen wurde bereits 1970 von der SED als Bedrohung für die Sicherheit wahrgenommen. Sofort wurde das MfS zu ihrer Bekämpfung herangezogen.[39]Gewalt gehört zu den charakteristischen Eigenschaften von Hooligans. Auch der typische DDR-Hooligan war sehr aggressiv und zelebrierte die Gewalt in seinem Fußballleben.[40] Aber die Aggressivität der Fußball-Hooligans hatte in der DDR auch eine andere Bedeutung. So schreibt der Berliner Kultursoziologe und Publizist Wolfgang Engler:
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„Gerade weil der Staat im allgemeinen auf dem Gewaltmonopol beruht und im Besonderen derjenige der DDR in dramatisch gesteigerter Weise darauf basierte, durchkreuzte man die totalitären Ambitionen der Staatslenker am empfindlichsten, wenn man selber zur Gewalt schritt. Körperliche Gewalt, von dazu unbefugten Privaten (gegeneinander) ausgeübt, war unter dem Staatssozialismus ironischerweise ein Akt ‚herrschaftsfreier Kommunikation‘.“[41]
Rechtsextremismus/Skinheads
Nicht nur Gewalt und rüdes Treiben gehörten zum Arsenal derjenigen Fans in der DDR, die ihre antisozialistische und antistaatliche Haltung manifestieren wollten. Seit Anfang der 1980er Jahre griffen sie auch immer häufiger auf den Jargon und Sprüche aus der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft zurück. Diese Tendenzen waren mit einer Subkultur von Skinheads verbunden. Die ersten Skinheads in der DDR tauchten – nach westdeutschem Vorbild – 1982 in Berlin auf.[43] Nach einigen Jahren bildeten sich im ganzen Land Gruppen aus. Die größten Skinheadgruppen befanden sich – außer in Berlin – in Potsdam, Frankfurt an der Oder, Weimar, Leipzig und in Erfurt.[44] Ähnlich wie in der Bundesrepublik drang die Skinheadbewegung sehr schnell in das Fußballfanmilieu ein. Die Stadt der Avantgarde war Berlin, wo die „Skins“ schon Anfang der 1980er Jahre zu den Anhängern von Dynamo Berlin gehörten.[45] Bis 1986 verbreitete sich die Subkultur im ganzen Land und die Skinheads dominierten die Zuschauertribünen der Mehrheit der Oberliga-Mannschaften.[46] Die Skinheadbewegung in der DDR zeichnete sich besonders durch das Auftreten der sogenannten Fußballskins aus.[47]Diese Skinhead-Subkultur teilte mit anderen Skinheadgruppen in Westeuropa Elemente nazistischer und faschistischer Ideologie. Antisemitische, fremdenfeindliche und faschistische Sprüche waren in den 1980er Jahren in allen Fußballstadien zu hören[48]. Angefacht durch die Fußballskins breiteten sich diese oft auf ganze Tribünen aus und wurden von Tausenden von Zuschauern skandiert, die sich Sprechchören spontan anschlossen.[49] In einem Staat, in dem Antifaschismus zu den Gründungsmythen und Legitimationsgrundlagen gehörte,[50] trafen die Taten der Fußballskins die Schwachstelle der Regierenden. Das offene Aufgreifen von nationalsozialistischer Ideologie und damit die Verhöhnung der staatlichen Rhetorik wiedersprach dem antifaschistischen Selbstverständnis der DDR und forderte die SED-Führung heraus. Diese reagierte mit harten Strafen auf dieses „Sakrileg“,[51] konnte es jedoch bis Ende des DDR-Staates nicht wirksam unterbinden.[52]
Resümee
Eine breit angelegte Analyse der Unterlagen der SED, der Volkspolizei sowie des Staatssicherheitsdienstes zeigt, dass die Aktivitäten eines Gros der Fußballanhänger als ein gegen den Staat gerichtetes Handeln wahrgenommen wurden.[53] Mit hohen Strafen, hohem Finanzierungsaufwand und strengen Maßnahmen seitens aller Ordnungs-, Überwachungs- und Sicherheitskräfte gelang es den politischen Eliten der DDR jedoch nicht, eine spontane Fankultur zu unterbinden und als antistaatlich wahrgenommene Aktivitäten von Fangruppierungen einzuschränken.Ex post ist es ausgesprochen schwierig, die vielfach auszumachenden oppositionellen Einstellungen der Fußballfans gegenüber dem Staat wissenschaftlich zu bewerten und zu quantifizieren. Ungeachtet dessen lassen sich die Aktivitäten der Fans in „primitive“ und „archaische“ (nach einer Definition von Eric John Hobsbawm) oder spontane und nicht organisierte (nach Andrzej Friszkes Definition) Formen des gesellschaftlichen Widerstandes einteilen.[54] Unter den Bedingungen des real existierenden Sozialismus können die Einstellungen und Tätigkeiten der Fußballfans als ein bewusst – oder im Fall von unreflektierter Teilnahme an den Sprechchören auch unbewusst – gegen den Staat und seine Sicherheitsorganen gerichtetes Handeln im Sinne einer spontanen, politisch motivierten Revolte gewertet werden. Dies alles könnte also eine neue, bis dato unberücksichtigt gebliebene Kategorie des gesellschaftlichen Widerstands der Bürger der DDR darstellen.
Zitierweise: Dariusz Wojtaszyn, Der Fußballfan in der DDR – zwischen staatlicher Regulierung und gesellschaftlichem Widerstand, in: Deutschland Archiv, 8.5.2018, Link: www.bpb.de/268956