Nachts vor Ort beim Mauerbau
Impressionen aus einem Album zur Erinnerung an den 13. August 1961 von Stasi-Chef Erich Mielke
Holger Kulick
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Ein Fotoalbum aus dem Büro von Stasi-Chef Erich Mielke dokumentiert im Stil eines selbstgebastelten Propagandaalbums eine Art Triumphstunde aus Sicht des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit: den Mauerbau im August 1961. Das Album unter der Registraturnummer 2813 könnte ein Geschenkband an den einstigen Minister für Staatssicherheit gewesen sein. Es befindet sich heute im Bundesarchiv.
Unter der Archivnummer BStU, MfS, ZAIG/Fo/2813 lagert ein auffällig großes, rotes Fotoalbum im Zentralarchiv der Stasi-Unterlagen-Behörde, das seit Juni 2021 zum Bundesarchiv gehört. Aufgefunden wurde es schon früh nach der Besetzung der Archive der DDR-Geheimpolizei. Es habe bis zu seinem Abdanken am 7. November 1989 im Büro von Stasi-Chef Erich Mielke gelegen, berichten Archivare; überprüfen lässt sich das nicht.
Interner Link: HIER KLICKEN zur Bildergalerie Aufgefunden wurde das weinrote Album in den Archiven der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Dort lagern mehrere solcher Alben ein. Angelegt wurden sie meist zu besonderen Anlässen, um bestimmte Ereignisse oder Themenschwerpunkte in Form eines vorzeigbaren Bilderalbums zu erfassen. Das Spektrum reicht von einem Band voller Ordensverleihungen bis hin zu einem ein Propagandaalbum über Spionage im Kalten Krieg.
Besagtes "Mielke-Album" unter der Registraturnummer 2813 könnte ein Geschenkband an den einstigen Minister für Staatssicherheit gewesen sein. Denn es dokumentiert im Stil eines selbstgebastelten Propagandaalbums eine Art Triumphstunde des MfS: den Mauerbau im August 1961.
Der den Abnutzungsspuren nach offenbar häufig durchgeblätterte Band enthält 77 Abbildungen. Dazu gehören eigene Fotos des MfS, Bilder aus der Westpresse, abfotografierte Zeitungsartikel sowie Zitate und kleine handschriftliche Zusätze.
Der Mauerbau habe "den Frieden gerettet", steht vornan, es folgt ein Kartenbild Gesamt-Berlins und darunter ein Zitat Willy Brandts aus dem Jahr 1958: "Die Aufgabe Westberlins ist es, die Stabilisierung der DDR soweit wie möglich zu erschweren, soweit wie möglich zu verlangsamen".
Dann folgt die abfotografierte Titelseite des SED-Zentralorgans "Neues Deutschland" vom 13. August 1961. Zu lesen sind die Erklärungen von DDR-Ministerrat und Warschauer Vertragsstaaten, in denen der Mauerbau damit begründet wird, "Revanchismus und Militarismus einen Riegel" vorgeschoben zu haben.
Wer die Ausgaben des textlastigen "ND" von damals durchblättert, findet in der DDR-verbreiteten Propaganda-Tageszeitung auch in den Folgetagen des 13. August kaum Fotos, die den Mauerbau dokumentieren. Dies holt das Mielke-Album nach.
Ein theatralisches Motiv von Angehörigen der Kampfgruppen (BStU, MfS, ZAIG/Fo/2813, Abb. 5) leitet die eigentliche Bilderdokumentation ein, in roter Schrift klebt ein Zettel darunter: "Die Maßnahmen der Regierung der DDR vom 13. August 1961 dienen dem Schutz der Bevölkerung der DDR und der Erhaltung des Friedens". Obwohl es primär um Machterhalt ging.
Es folgen nicht nur Motive des abgesperrten Brandenburger Tors und weiterer Bereiche der neuen innerstädtischen Grenze. Zu sehen sind sprachlose Bürger und ohnmächtig wirkende alliierte Soldaten – und voller Triumph obendrein die abfotografierte Boulevardschlagzeile der "Bild"-Zeitung vom 16. August 1961: "Der Westen tut NICHTS!" (BStU, MfS, ZAIG/Fo/2813, Abb. 28)
Viele dieser Motive sind bereits aus westlichen Publikationen bekannt, weniger präsent sind Bilder eines Aufmarschs der DDR-Kampfgruppen und des FDJ-Freiwilligen- regiments "Berlin" am 23. August 1961 vorbei an der Führung des SED-Staats unter Walter Ulbricht – zum Dank für die geleistete Arbeit beim Mauerbau. (BStU, MfS, ZAIG/Fo/2813, Abb. 43–46) Quasi direkt hinter Ulbricht nimmt Erich Honecker die Parade mit ab – als dessen Mauerbau-Beauftragter.
Ganz am Ende des Albums folgen auf zwei Seiten sieben weitere Aufnahmen, die das MfS offensichtlich selber geschossen hat – sie sind undatiert, wirken aber wie Zeitdokumente aus der späten Nacht des Mauerbaus, in der der Führungsstab der SED-Mauerbauer zunächst aus dem Präsidium der Deutschen Volkspolizei in der Berliner Keibelstraße alle Befehle erteilt hatte. Dort gab es damals das beste Funk- und Telefonnetz der Stadt, um alle eingesetzten Einheiten zu erreichen.
Erkennen lässt sich auf einem Motiv ein Straßenschild der Bornholmer Straße. Zu sehen sind zahlreiche Mitglieder der DDR-Staatsführung, ranghohe Militärs und Arbeiter der Kampfgruppen, die Dreckspuren auf dem Schuhwerk sehen nach einer absolvierten Baustellentour aus. (BStU, MfS, ZAIG/Fo/2813, Abb. 71–77) Unter den Abgebildeten sind unter anderem die wichtigsten politischen Köpfe, die mit dem Mauerbau befasst waren. Neben dem Mauerbau-Koordinator von DDR-Staatschef Walter Ulbricht, Erich Honecker, laufen der damalige DDR-Innenminister Karl Maron, Verteidigungsminister Heinz Hoffmann und der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung von Berlin, Paul Verner. (BStU, MfS, ZAIG/Fo/2813, Bild 73) Ihre Gesichter drücken keineswegs Angespanntheit aus, eher im Gegenteil Fröhlichkeit – so, als wäre dies die Stunde ihres Triumphs.
Auch der vermeintliche Empfänger des Fotoalbums ist auf einem Motiv zu erkennen – Erich Mielke. (BStU MfS ZAIG FO/2813 Abb. 72) Neben ihm steht sein Stellvertreter als Minister für Staatssicherheit, Bruno Beater, und daneben im hellen Anzug möglicherweise ein hochrangiger russischer Militär – in Zivil. Denkbar wäre sein Auftritt inkognito, denn Vertreter der Sowjets durften in Uniform nicht nahe der frisch befestigten Grenze in Erscheinung treten. Dass sie im Hintergrund eine deutliche Regie führten, sollte nach außen nicht erkennbar werden.
Nicht auszuschließen ist aber auch, dass diese unbeschriftete Bildserie nicht Mitte August, sondern erst später im Grenzbereich entstand, denn die meisten der abgebildeten Beteiligten tragen längere Mäntel. Andererseits war die Nacht zum 13. August 1961 in Berlin extrem kühl und die Temperatur sank auf 8,6 Grad. Für die Jahreszeit zu kalt, bilanzierten damals die Meterologen. (Erstveröffentlichung im Deutschland Archiv Online am 19. Juli 2011).
Zitierweise: Holger Kulick, "Nachts vor Ort beim Mauerbau?", in: Deutschland Archiv, Sonderheft 50 Jahre Mauerbau, erstveröffentlicht am 19.07.2011, online erneut publiziert am 10.08.2021. Link: Externer Link: www.bpb.de/53602.
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Journalist und ehemaliger Mitarbeiter der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU), Berlin. Seit 2020 Redakteur beim Deutschland Archiv.
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