Im Jahr 2011 drehten Thomas Grimm und Andreas Kossert mit den beiden Shoah-Überlebenden Arnold Julius (1920 - 2012) und Walter Frankenstein (1924 - 2025) den Dokumentarfilm "Bahnsteig 1. Rückfahrt nach Flatow". Darin erzählen die beiden Zeitzeugen über ihre zunächst glückliche Kindheit im westpreußischen Flatow - heute Złotów in Polen.
Arnolds Vater war Synagogen-Beamter in Flatow und die Eltern von Walter betrieben eine Schankwirtschaft, in der sie auch Lebensmittel und Dinge für den täglichen Bedarf verkauften. Beide Familien waren in die Stadtgesellschaft integriert, und Arnold und Walter spielten mit jüdischen und nichtjüdischen Freunden und besuchten die Schule. Man feierte gemeinsam Ereignisse in der Familie - egal welcher Religion man angehörte. Bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 waren die beiden Jungs und ihre Familien in dem Städtchen gut integriert, man lebte zusammen und kam gut miteinander aus.
Doch dann änderte sich alles: Es begann mit Anfeindungen, denn jeder wusste, wer im Städtchen jüdisch war. Arnold ging 1934 mit 14 Jahren nach Berlin, weil ihm in Flatow niemand eine Lehrstelle geben wollte, denn selbst diejenigen, die gewollt hätten, hatten Angst vor der Bestrafung durch den NS-Staat. Walter ging zwei Jahre später 1936 mit nur 12 Jahren auch dorthin, um in der Anonymität der Großstadt Berlin ohne Spießrutenlaufen zur Schule gehen zu können.
Arnold lebte in einem jüdischen Lehrlingsheim in Berlin-Pankow, wo er mit anderen jüdischen Jugendlichen wohnte und eine Lehre als Lederzuschneider in einer Schuhfabrik absolvierte. Walter kam in das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus, dort konnte er wieder mit anderen Jungs spielen und Spaß haben ohne Angst vor Ausgrenzung. Er lernte später auf dem Bau. In Berlin endete das vergleichsweise unbeschwerte Leben in der Anonymität mit der Einführung des Gelben Sterns im Jahr 1941, den alle Jüdinnen und Juden ab sechs Jahren in der Öffentlichkeit sichtbar an der Kleidung zu tragen hatten. Ab 1941 mussten Arnold und Walter Zwangsarbeit leisten.
Walter tauchte schließlich mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn unter, als auch sie davon bedroht waren abgeholt und ins KZ deportiert zu werden. Sie hatten großes Glück und trafen immer wieder auf Menschen, die ihnen halfen zu überleben.
Arnold wurde mit vielen anderen Jüdinnen und Juden aus Berlin in Viehwagons mit der Bahn ins KZ und Vernichtungslager Auschwitz Birkenau gebracht. Auch dort musste er hart arbeiten und unter unmenschlichen Bedingungen leben. Nur wer arbeiten konnte hatte noch eine Chance. Wer schwach, krank, alt oder aus anderen Gründen nutzlos für die Nazis war, wurde direkt in den Gaskammern ermordet oder gleich an der Rampe erschossen. Arnold hatte Glück er überstand Ausschwitz und überlebte als einziger aus seiner Familie die Shoah.
Walter hat seinen Freund aus Kindheit und Jugend, Arnold, viele Jahre nach dem Ende von Shoah und Krieg in Berlin-Neukölln wiedergefunden, was für die beiden Freunde ein großes Glück bedeutete.
Zu den Filmen
Der Film "Bahnsteig 1. Rückfahrt nach Flatow" hat eine Länge von 77 Minuten. Zusätzlich bieten wir hier zwei Ausschnitte mit jeweils elf Minuten Länge an. Der Film wurde 2013 als bester Dokumentarfilm auf dem Neisse Filmfestival ausgezeichnet.
Davon gibt es noch zwei Auskopplungen: In einem Ausschnitt erzählt Arnold Julius von seiner Deportation nach Auschwitz-Birkenau, seiner Zeit als KZ-Häftling und von der Befreiung. In dem anderen Ausschnitt berichtet Walter Frankenstein darüber wie er mit seiner Familie untergetaucht ist, um nicht ins KZ zu kommen, und sich in verschiedenen Verstecken und mit einfacher Arbeit seine Familie durchbringen musste.
Beide erzählen in klaren Worten über Überleben der NS-Zeit und beschönigen nichts. Diese Zeitzeugengespräche eignen sich für den Schulunterricht.