Vom 15. bis zum 18. Dezember 1965 tagte das Zentralkomitee (ZK) der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) zum 11. Mal. Das Treffen der 181 Mitglieder und Kandidat/-innen des ZK schrieb als „Kahlschlagplenum“ Geschichte. Die SED-Führung machte damals in aller Deutlichkeit klar, dass die kurze Phase der Liberalisierung in Kunst und Kultur, die 1963 begonnen hatte, zu Ende war. Nun wurden den Künstler/-innen unter anderem „Nihilismus“, „Skeptizismus“ und „Pornographie“ vorgeworfen.
Bereits in den Monaten vor dem Plenum waren einem Großteil der DDR-Bands, die aus Sicht der Führung „dekadente westliche Musik“ spielten, die Lizenzen entzogen worden. Eine darauffolgende illegale Demonstration von Beatbands in Leipzig war von der Volkspolizei zerschlagen worden, über 250 Jugendliche mussten danach wochenlang Zwangsarbeit leisten, manchen wurde der Prozess gemacht.
Damit hatte sich bereits angedeutet, welchen kulturpolitischen Kurs die SED künftig verfolgen würde. Am Vorabend des 11. Plenums wurden den Teilnehmenden im Kino des ZK die DEFA-Filme „Das Kaninchen bin ich“ sowie „Denk bloß nicht, ich heule“ vorgeführt. Im Verlauf des Plenums rechnete der Sekretär des Nationalen Verteidigungsrates und ehemalige FDJ-Vorsitzende Erich Honecker mit der Kunst- und Kulturszene der DDR ab. Für die „Ausschreitungen“ der Jugendlichen in Leipzig machte er Filme, Fernsehsendungen, Romane und Theatervorstellungen verantwortlich, und dem SED-kritischen Dichter und Liedermacher Interner Link: Wolf Biermann warf Honecker Staatsverrat vor.
Der ostdeutsche Diktator Interner Link: Walter Ulbricht, der vorangegangene Lockerungen ursprünglich verantwortet hatte, richtete ebenfalls klare Worte an die Künstler/-innen: „Sie dürfen doch nicht denken, dass wir uns als Partei- und Arbeiterfunktionäre weiter von jedem beliebigen Schreiber anspucken lassen, liebe Genossen! Das ist zu Ende, absolut zu Ende!“
Infolge des „Kahlschlagplenums“ wurden insgesamt zwölf DEFA-Spielfilme verboten, in der Produktion befindliche Filmprojekte wurden abgebrochen. Zahlreiche Bücher, Theaterstücke und Fernsehproduktionen wurden aus dem Verkehr gezogen und Schriftsteller/-innen und Musiker/-innen mit Arbeits- und Auftrittsverboten belegt. Auch den Jazz als besonders individuelle und experimentelle künstlerische Ausdrucksform betraf dies, so beschreibt es die jetzt 94 Jahre alte “First Lady of Jazz” der DDR, Ruth Hohmann. Den SED-Funktionären sei es "vor allem um Einschränkung und Bevormundung der Kunst" gegangen, da sei überall "Waschmittel in die Kunst" gekippt worden.
East of the sun and west of the moon: Podcast über die Geschichte des Jazz in der DDR.
Hier zur neuen Folge des DA-Jazz-Podcast aus dem Dezember 2025, der mit Gesang von Ruth Hohmann und ihren Erinnerungen an die Konsequenzen des "11. Plenums" beginnt: Interner Link: "Kahlschlag auch im Jazz" .
Auch der Radebeuler Schlagzeuger und Percussionist Günter "Baby" Sommer (82) und der Jazz-Pianist Uli Gumpert (80) schildern eindrucksvoll, wie schwer es wurde, Free Jazz in der DDR durchsetzen zu wollen, den strenge Marxisten und Leninisten als "imperialistisches Gedankengut" abqualifizierten. Jazz sei für Musiker ein Weg gewesen, eine Form der Freiheit "gegen solche Typen" durchzusetzen. Trickreich wurde versucht, staatlichen Zwängen und Auftrittsverboten zu entgehen und sich beispielsweise auch vor dem strengen Wehrdienst zu drücken.
Der Hintergrund dieser Podcast-Serie: Die Berliner Jazzmusiker Peter Ehwald und Ulrich Kempendorff sowie die Musikjournalistin Dörte Fiedler haben im Auftrag der Redaktion Deutschland Archiv der bpb zahlreiche Jazzmusiker und -musikerinnen aus der DDR über ihre Werdegänge und die Entwicklung des Jazz im Osten vor und nach dem Mauersturz befragt. Wie frei durfte „Free Jazz“ in der DDR werden? Die drei Podcast-Autor/-innen haben dafür zahlreiche Interviews geführt, in Archiven recherchiert, Tondokumente ausgegraben, Musiker/-innen und Jazz-Expert/-innen aufgesucht und zeichnen so ein vielschichtiges Bild der ostdeutschen Jazz-Szene. Vier weitere Podcast-Teile folgen bis Ende 2026, der nächste voraussichtlich Ende Februar 2026. Jede Folge dauert rund 40 Minuten.
Folge 1: Die Entwicklung des Jazz bis zum Mauerbau
Die Vorpremiere fand am 8. September 2025 im Berliner Jazzkeller "Schlot" statt, in Anwesenheit von Ruth Hohmann und einer Reihe weiterer Jazzmusiker und Jazzmusikerinnen aus dem Osten und Westen Deutschlands - und zum Abschied von Thomas Krüger als langjährigem Leiter der Bundeszentrale für politische Bildung.
Zitierweise: Peter Ehwald, Dörte Fiedler, Ulrich Kempendorff, "East of the sun and west of the moon". Ein Podcast über die Geschichte(n) des Jazz in der DDR. Folge 2: "Kahlschlag auch gegen den Jazz". In: Deutschland Archiv, 19.12.2025. Link: www.bpb.de/574048. Der Begleittext dieses Beitrags fußt auf: Sonja Hugi, "Das 11. Plenum des ZK der SED", bpb 30.12.2019. Alle Beiträge im Deutschlandarchiv sind Recherchen und Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar (hk).
Geboren 1979 in Ost-Berlin, deutscher Jazzmusiker (Tenor- und Sopransaxophon, Klarinette) und Musikpädagoge. Studierte Saxophon an den Musikhochschulen in Weimar und Köln, an der Royal Academy of Music in London und am City College of New York, spielt solo und in zahlreichen Formationen.
Geboren 1979 in Leipzig. Autorin, Hörfunkjournalistin, Regisseurin, Podcasterin.
Geboren 1981 in Ost-Berlin. Studierte Saxophon an der Hochschule Hanns Eisler in Berlin und in New York am City College Saxophon und Improvisation.