Mitte August 1949 macht eine Nachricht die Runde, die die Arbeiter der Reichswerke Watenstedt-Salzgitter aufschreckt. Die Reichswerke sind als Rüstungsbetrieb erfasst und sollen deshalb demontiert werden – ungeachtet der begonnenen zivilen Produktion. Arbeiter, Gewerkschaften und Landtag gehen davon aus, dass mit der Demontage 18.000 Menschen die Lebensgrundlage entzogen werde. Die Gewerkschaft richtet einen Appell an die Arbeiter, dem geplanten Abbau nicht tatenlos zuzusehen. Hoffnungen knüpfen sich an die Beratungen zwischen den Alliierten und dem Bundeskanzler – doch im Petersberger Abkommen wird die Demontage der Salzgitterwerke bestätigt. Am 22. November 1949 ab 14 Uhr ruht die Arbeit in ganz Watenstedt-Salzgitter, die gesamte Stadtbevölkerung streikt. Arbeitervertreter haben deutlich gemacht, dass es um „Sein oder Nichtsein“ der ganzen Region geht. Bundespräsident Theodor Heuss bekundet Verständnis für die Betroffenen, Bundeskanzler Konrad Adenauer signalisiert wirtschaftliche Hilfen – eine Einstellung der Demontagen können die Demonstrierenden jedoch nicht erreichen. Im Januar 1950 ist ein Großteil der Werksanlagen nach Griechenland, Indien, Großbritannien und Jugoslawien verschifft. Um die Sprengung von Hochöfen und Gebäuden zu verhindern, greifen Arbeiter im März die Demontagebüros an. Vorübergehend müssen britische Soldaten weitere Ausschreitungen auf dem Werksgelände verhindern. Im Mai 1950 willigt die britische Regierung nach andauernden Protesten ein, die für eine zivile Produktion notwendigen Anlagen intakt zu lassen.
Salzgitter, Niedersachsen
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Dr.; geb. 1966, Historikerin. Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Kuratorin u. a. für das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR Eisenhüttenstadt, die Stiftung Berliner Mauer, das Museum Neuruppin, das Deutsche Historische Museum und die Unabhängige Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Bis Ende 2020 Leiterin des Barnim Panoramas Wandlitz. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Zeitgeschichte.